Zum Schutz digitaler Grundrechte
Die Verbindung zwischen Privatsphäre und der Kommunikations- sowie Informationsfreiheit
Die Konvergenz zwischen Online-Überwachung und -Sicherheit, dem Profiling von Kunden, sowie die Filterung von Traffic zeigt, dass das Recht auf Privatsphäre in einer direkten Verbindung mit dem Recht auf Kommunikations- und Informationsfreiheit steht. Dass das Prinzip der Netzneutralität diesem Anspruch dient, erklärt der Direktor von European Digital Rights Joe McNamee.
Die europäische Initiative für Digitale Rechte (EDRi) ist eine Zusammenschluss von 34 Organisationen für digitale Bürgerrechte aus 19 europäischen Ländern. Sie setzt sich für den Schutz und die Förderung von Bürgerrechten in der digitalen Welt ein, und fokussiert dabei vor allem existierende Rechtsgrundsätze, Datenschutz und Kommunikationsfreiheit. Eine der größten Herausforderungen für die EDRi ist die enge Verflechtung der verschiedenen Aspekte digitaler Bürgerrechte. Es ist für uns unmöglich nur ein oder zwei Aspekte zu bearbeiten und alles andere zu ignorieren. Entweder arbeiten wir allumfassend oder wir gefährden unsere Arbeit und riskieren, dass die Rechte von Bürgern untergraben werden.
Das wird besonders hinsichtlich der “Netzneutralität” deutlich. Netzneutralität ist meist als das Recht der Nutzer definiert, sich über ein Gerät ihrer Wahl mit jedem gewünschten Punkt innerhalb des Netzwerks zu verbinden. In einem neutralen Netz können User jeglichen Inhalt erstellen und auf alle Inhalte, Angebote und Anwendungen zugreifen. Sie können diese nutzen, ohne durch die Betreiber der Infrastruktur diskriminiert, gesperrt oder eingegrenzt zu werden. Internetprovider ermöglichen es uns, miteinander zu kommunizieren, im Netz zu surfen oder Dateien zu versenden. Wir können unsere eigenen Webseiten erstellen und global zugänglich machen, sowie Serviceangebote, unter anderem E-Mails, Soziale Medien oder Internettelefonie, nutzen. Jeder Mensch, egal in welcher Rolle, und alle Organisationen, egal wie groß oder welcher Art, sind in der Lage daran teilzuhaben. Jeder ist in der Lage Angebote wahrzunehmen oder anbieten. Das Internet ist (beinahe) eine Welt ohne Grenzen.
Die Politik der Privatsphäre
In der Diskussion über Privatsphäre erreichen die nächste Phase, in der wir über ihre soziologische Definition in Gegenüberstellung zu aktuellen Kommunikationstechnologien, über ihre Definition als ein ziviles Recht und Recht der Verbraucher und darüber, wie sie durch Gesetze geschützt werden kann und wie diese Gesetze durchgesetzt werden sollen debattieren.
Gegenwärtig werden Hindernisse und Grenzen an Stellen errichtet, an denen es früher keine gab, da die großen Internetanbieter über die dafür notwendigen Technologien, Ressourcen und die Motivation verfügen. Die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Privatsphäre und die Kommunikationsfreiheit sind ungleich viel größer, als es auf den ersten Blick den Anschein macht. Der Kampf um die Offenheit des Internets dreht sich um Kommunikationsfreiheit, effektive Durchsetzung der Gesetze, Sicherheit, Berechenbarkeit und Rechtsgrundsätze.
Kommunikationsfreiheit
Eine Reihe rechtlicher Instrumente zum Schutz der Grundrechte existieren um die Informationsfreiheit zu schützen. Diese Freiheit wird als das Recht auf den Erhalt und die Übermittlung von Informationen verstanden – mit anderen Worten: Das Recht darauf, die eigene Meinung auch anderen mitteilen zu können. Die Informationsfreiheit wird in Artikel 19 des Pakts über bürgerliche und politische Rechte, Art. 10 der Europäischen Konvention für Menschenrechte und in Artikel der EU-Charta der Grundrechte garantiert. Darüberhinaus wird es in internationalen Verfassungen verfechtet, beispielsweise der US-Verfassung, deren erste Ergänzung zum Schutz der Redefreiheit, welbekannt ist.
Derlei Instrumente sind ausschließlich für Staaten bindend, da bis vor Kurzem ausschließlich Staaten dazu in der Lage waren, die Kommunikationsfreiheit einzuschränken, beispielsweise durch Zensur und Zulassung von Rundfunkanbietern. Da aber unser öffentlicher Raum, in dem wir tägliche Aufgaben erledigen, miteinander interagieren und in dem unsere politischen Kämpfe stattfinden, mittlerweile aber ein virtueller “Raum” ist, zu dem wir über Kupferkabel und Glasfaberkabel Zutritt erhalten, liegt unsere Kommunikationsfreiheit in den Händen von Internetanbietern, sozialen Netzwerken usw.
Je mehr ein Staat Unternehmen, wie Internetprovider dazu zwingt, den Zugriff auf unliebsame oder potentielle illegale Inhalte zu begrenzen, desto eher können sie vermeiden, dass sie ihre internationalen oder verfassungsrechtlichen Pflichten bezüglich der Kommunikationsfreiheit verletzen. Davon ging jedoch nur eine geringe Gefahr aus, da es sich um kein Geschäftsmodell der Internet-Unternehmen handelte und sie dem ausgeübten Druck standhielten. Dieser Wiederstand ist jedoch geschmolzen und Internetanbieter bestehen mittlerweile auf das Recht, ihr Angebot einzuschränken und Inhalte zu blockieren, verbieten oder andere Inhalte anzupreisen. Dies ist verschiedenen Faktoren geschuldet.
Einerseits sind Technologien, die in der Lage sind Inhalte zu identifizieren und entsprechend zu beschränken oder zu fördern, einfacher verfügbar. Das ist besonders aus der Sicht der großen Internetanbieter interessant. Wenn man in der Lage ist den Zugang zu Inhalten für zehn Millionen Kunden zu beschränken oder zu erleichtern, dann ist es möglich diese Macht zu nutzen und Online-Unternehmen für diese Zugänge zahlen zu lassen. Nachdem Angebote wie Facebook und Google ihre Kunden als Anlagen betrachten, wollen Netzanbieter es ihnen nun gleichtun. Darüberhinaus sind diese Anbieter interessiert an Online-Unternehmen aus den Bereichen Film, Fernsehen und Musik, denen sie anbieten können, bestimmte Inhalte zu blockieren oder leichter zugänglich zu machen.
Die Normalisierung der Störung
Durch die Prioritätenverlagerung der Internetanbieter sind diese viel angreifbarer durch Regierungen, die einen Weg suchen um die Kommunikationsfreiheit zu beschränken, wenn dies von Gesetzes wegen nicht möglich ist. Internetanbieter sind gegenüber Anfragen zur “freiwilligen” Zugangsbeschränkung bestimmter Online-Inhalte sehr offen. Dadurch gelangen Politiker in eine Position, in der sie keine Verantwortung für Maßnahmen gegen Online-Kriminalität, wie zum Beispiel Kinderpornografie, übernehmen müssen. Sobald kriminelle Inhalte blockiert werden, können die Blocken auch auf weniger legitime Ziele ausgeweitet werden, um zum Beispiel Copyright zu erzwingen. Egal wie die Frage lautet, die Antwort wird folgende sein: “Warum kann der Anbieter nicht den Zugang blockieren?”
Internetanbieter begrüßen wiederum die “Normalisierung” der Einschränkung, da es ihnen die Möglichkeit gibt zu entscheiden, wer auf dem zukünftigen Onlinemarkt Gewinner oder Verlierer sein wird.
Um in der Lage zu sein, Inhalte zu blockieren, ist es selbsverständlich nützlich einen Einblick in die Kommunikation innerhalb des Netzes zu haben. Je mehr Einblick ein Internetprovider in diese Inhalte hat, desto effektiver kann dieser bestimmte Inhalte blockieren. Die Restriktionen reichen von hocheffektiven Sperrungen der IP-Adressen, über sehr ineffektive DNS-Sperren bis hin zu zielgerichteteren und stärker in die Privatsphäre eingreifenden Maßnahmen, wie die Nutzung von Paketanalye und Verbindungskonrolle, um detailliierte Erkenntnisse über die Inhalte jedes Datenpakets innerhalb des Netzwerkes zu erlangen.
Eine undemokratische und ineffektive Politik
Ein Grund für das politische Ziel, Beschränkungen auf internationalem Recht basieren zu lassen, ist, dass es so möglich ist eine öffentliche Dabeatte darüber zu führen. Eine rechtliche Verankerung der Einschränkungen erlaubt eine Anfechtung dieser vor nationalen und eventuell auch vor internationalen Gerichten. Kurzfristige Absprachen über Beschränkungen zwischen Regierungen und Internetprovidern umgehen die öffentliche Debatte und entziehen sich so Überprüfungsverfahren und Folgeabschätzungen.
Deswegen gibt es zum Beispiel in Schweden und Großbritannien nationale “freiwillige” Verfahren gegen Kinderpornografie.
In beiden Ländern wurden diese Maßnahmen in Folge öffentlichen Drucks auf die Regierungen, als auch aufgrund der (eigenartig fesselnden) gesetzlichen Drohungen, im Fall Großbritanniens, eingeführt. Es ist schwer nachvollziehbar, warum Kinderpornografie einerseits so trivial ist, dass es keine Gesetze oder Beweise für Gegenmaßnahmen bedarf, andererseits so wichtig ist, dass Gesetze gebrochen werden können, um die Sperrung zu erreichen.
Es ist interessant, dass in den rund zehn Jahren, seitdem die Sperre das erste mal in diesen beiden Ländern vorgeschlagen wurde, niemand jemals konkret erklärt hatte, wofür sie genau da sein soll. Soll sie vorsätzlichen Zugang blockieren? Falls ja, würde dies wohl kaum funktionieren, da die Sperren einfach zu umgehen sind. In jedem Fall sollte klar sein, dass das öffentliche Netz nicht der Ort ist, an dem Kriminelle illegales Material teilen werden. Soll sie zufälligen Zugang vermeiden? Falls ja, warum hat sich niemand die Mühe gemacht, zu beweisen, dass diese zufälligen Zugriffe geschehen? Und schlimmer, was sind die potentiellen negativen Effekte? Würde die Sperre die Ermittlungen erschweren? Wurde durch diese scheinbaren Maßnahmen der politische Druck auf die britische und schwedische Regierung verringert, der sie veranlasste auf internationaler Ebene tatsächlich gegen ein wirkliches Verbrechen vorzugehen?
Zwei Stellungnahmen aus England lassen darauf schließen, dass dies tatsächlich der Fall sein könnte. Sechs Monate nach der ersten Blacklist wurde der ehemalige Innenminister Bill Rammel in einer Parlamentssitzung gefragt, an wie viele Länder Anfragen zur Löschung von Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten gesendet wurden und wie viele daraufhin vom Netz gingen. Rammel antwortete, dass “das Außen- oder Innenministerium derlei Anfragen nicht gestellt habe”. Rund zehn Jahre später, im Oktober 2014, teilte die British Crime Agency mit, dass es kein Interesse an einer Bestrafung aller Personen gäbe, die Zugriff auf internationale Server hatten, auf denen sich Bilder mit kinderpornographischen Inhalten befanden. Nach Angaben der BBC wurden von 20 000 bis 30 000 identifizierten Personen 660 verhaftet.
Mit anderen Worten wurde im Jahr 2004 eine Strategie eingeführt, die jeglicher empirischer Grundlage entbehrt. In den letzten 10 Jahren wurde sie keiner Überprüfung unterzogen, obwohl es eindeutige Beweise für die kontraproduktiven Auswirkungen auf die verfolgten politischen und gesamtwirtschaftlichen Ziele gibt. Das ist schwer zu glauben, aber nicht untypisch für den Umgang mit Kriminalität, welche aus Sicht der Regierungen von privaten Unternehmen bekämpft werden sollte.
Politische Spiele
Am Beispiel der Sperre von Kindespornografie zeigt sich, dass keine der involvierten Parteien sich Gedanken über darüber macht, den zugrundeliegenden öffentlichen Grundsatz anzusprechen – der Kampf gegen Misshandlung von Kindern. Das Ziel der Regierungen ist es wieder gewählt zu werden und von diesem Standpunkt aus ist es einfach, sich selbst als Stimme der Vernunft und klarer Forderungen zu inszenieren. Sie verlangen daher, dass Internetanbieter “mehr tun” sollen, um Menschen vom Abrufen solcher Inhalte abzuhalten. Durch solche Forderungen erhalten sie Aufmerksamkeit in den Medien und wenn die Unternehmen diesen Forderungen zustimmen, gibt es davon noch mehr. Sperrungen im Netz werden immer unter dem Banner der “Selbstregulierung” vorgenommen. Da Sperrungen jedoch keine “Regulierungen” sind und da sie den Kunden von den Unternehmen aufgezwungen werden handelt es sich nicht um “Selbst”-Kontrolle.
Die größeren Anbieter beschäftigen sich weniger mit dem Problem der Kindesmisshandlung, als viel mehr mit der Vorbeugung gegen schlechte Publicity, bzw. mit der Frage, wie gute Publicity herzustellen sei (während sie andere Vorteile einheimsen). Wie bereits erwähnt, sind sie froh über eine “Normalisierung” der Idee, dass sie sich in private Datenströme einmischen können. Auf der anderen Seite haben die kleineren Anbieter zu wenig Kunden um Geld mit der Zugangsbeschränkung ihrer Nutzer zu verdienen. Sie wissen außerdem, dass Sperrungen kein Mittel gegen illegale oder unwillkommene Inhalte sind. Deswegen wehren sie sich dagegen, während größere Anbieter diese Maßnahmen bereitwilliger durchführen.
Krypto-Kriege
Die politischen Debatten im Jahr 2014 wurden maßgeblich von den Enthüllungen Snowdens geformt. Das Bewusstsein für Datenschutz und -sicherheit ist heute größer als zuvor. Wir haben gelernt, dass beinahe jeder Sicherheitsmechanismus durch Hintertüren unterlaufen werden kann, die von den Behörden designt und implementiert werden, die uns eigentlich beschützen sollten. Selbstverteidigungsmechanismen, wie Verschlüsselung, wurden von Geheimdiensten heftig – und häufig schamlos – angegriffen. So wurde beispielsweise Apple aufgrund der Verschlüsselung seiner Geräte und Kommunikation öffentlich unter Druck gesetzt. Der stellvertretende US-Generalstaatsanwalt James Cole behauptete Berichten zufolge, dass Apples Verschlüssung “eines Tages den Tod eines Kinder zur Folge haben wird.”
Internetprovider sehen, wie viel Geld Unternehmen wie Google mit der Erstellung und dem Verkauf von Profilen ihrer Nutzer verdienen. Deswegen ist ein nicht-neutrales Netz verlockend für sie. Sollten sie die Möglichkeit haben alle Bewegungen der User darin zu tracken, könnten sie dreimal so viel Geld verdienen als vorher. Erstens würden sie, wie bereits zuvor, von ihren Kunden für den Zugang zum Netz bezahlt werden. Zusätzlich würden sie von Online-Unternehmen bezahlt werden, damit diese einen privilegierten Zugang zu eben diesen Usern erhalten. Und drittens würden die Werbeagenturen für die Überwachung und zielgerichte Werbung der Kunden bezahlen.
Zielgerichteter Werbung hat sich jedoch als schwieriges Terrain erwiesen. Die Experimente, die von der britischen Telekom mit dem Online-Tracking-Service “Phorm” durchgeführt wurden, führten zu gerichtlichen Schritten der Europäischen Kommssion gegen Großbritannien. Die Büros von Phorm befinden sich in Singapur, London, Istanbul, Peking und Shanghai und somit in Jurisdiktionen mit umfassenden und rechtlich fragwürdigen Systemen für Sperrungen im Netz. Phorm bietet Internetanbietern nach eigener Beschreibung “Privacy-first Technologien die es ihnen ermöglichen ihre Daten zu Geld zu machen und wichtige Mitspieler in einem 140 Billionen Dollar schweren globalen Werbemarkt zu werden”.
Die Hoffnung darauf, das Dreifache für einen angebotenen Service zu erhalten, fällt dann in sich zusammen, wenn immer mehr Menschen ihre Privatsphäre durch die Verschlüsselung ihrer Kommunikation schützen. Plötzlich ist es weniger einfach, Traffic zu filtern, den Zugang zu Kunden zu verkaufen und deren Profile zu erstellen. Selbstredend existiert deshalb eine neue, und gut finanzierte, Lobby, deren Geschäftsinteresse es ist, gegen unser Recht auf die Verteidigung unserer Privatsphäre und unserer Informationssicherheit zu kämpfen.
Während der sogenannten “Krypto-Kriege” zu Anfang des letzten Jahrzehnts kämpfte die US-Regierung gegen das Recht der Bevölkerung, ihre Daten durch Verschlüsselungen zu schützen. Letztlich gewannen die Rechte der Bevölkerung. Aber die Enthüllungen Snowdens zeigen, dass es im Geheimen Anstrengungen gab um Verschlüsselungstechnologien zu unterwandern und zu schwächen sodass unsere Sicherheit und Privatsphäre gefährdet wurde. Nachdem diese Informationen ans Licht gekommen sind, erlebten wir den Beginn der zweiten “Krypto-Kriege”, in denen der Kampf wieder zwischen den Forderungen der Regierungen, den Zugang zu jedem von ihnen gewünschtem Inhalt zu erhalten und den Rechten der Individuen auf die Verteidigung ihres privaten Raums und ihrer eigenen Sicherheit stattfindet.
Diesmal gibt es jedoch den Unterschied, dass die Regierungen sich auf die Unterstützung der Internetprovider verlassen können. Es ist deshalb nicht überraschend, dass sie erpicht darauf sind, die Netzneutralität abzuschaffen, wenn dies dem Wunsch der Netzanbieter entspricht, während diese Vorschläge für nicht-neutrale Maßnahmen beinahe eigenmächtig umsetzen. Die Europäische Kommission hat sich, trotz der beständigen Bestätigung ihrer grundlegenden Entschlossenheit die Hindernisse des europäischen digitalen Binnenmarktes abzubauen, beinahe selbst überschlagen, um sicherzustellen, dass Internetprovider weiterhin in der Lage sind diskriminierenden, nicht-neutralen Zugang zum Netz anzubieten.
In der von der Kommission vorgeschlagenen “Telecommunications Single Market Regulation” findet der Tausch der Netzneutralität gegen Überwachung ziemlich eindeutig als Maßnahme hinsichtlich der freiwilligen Durchführung durch die Internetanbieter statt. Die Charta der Grundrechte der EU sagt deutlich, dass jegliche Beschränkung der Freiheit (wie Privatspäre und Kommunikationsfreiheit) nur zulässig sind “wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.” (Art. 52). Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Telekommunikations-Vorschriften wiedersprechen dem direkt, wenn sie erklären, dass “angemessenes Management des Traffics” Beschränkungen beinhaltet, welche durchgesetzt werden ,”um eine gerichtliche Anordnung durchzusetzen oder schwerer Kriminalität vorzubeugen, bzw. sie zu erschweren.”
Hier schließt sich der Kreis. Das Internet ist ein öffentlicher Raum in Privatbesitz und die internationalen rechtlichen Grundlagen wurden nicht entsprechend angepasst, um das Level rechtlichen Schutzes zu erhalten, welches notwendig ist, um unseren Datenschutz und unsere Sicherheit bei der Kommunikation in diesem Raum zu sichern. Mit anderen Worten: Regierungen verfügen über Wege, um ihre rechtlichen Pflichten zu umgehen und die Internetanbieter sind geneigte Partner. Veränderungen der Technologie und der Märkte bedeuten, dass große (häufig internationale und multinationale) Unternhemen eindeutige Interessen auf Geschäfts- und Marketingebene haben, die diese Umgehung des Gesetztes erleichtern.
Und wenn wir einen Blick auf die politischen Dokumente werfen, die in den letzten Jahren von den Regierungen verabschiedet wurden, dann scheinen sie sich gemeinsam Mühe gegeben zu haben, um die internationale gesetzliche Grundlage neu zu definieren, aber eher durch Gewohnheiten, als durch neue Gesetze. Internationale Texte zeigen auch eine deutliche, aber subtile, Abkehr von Rechtsgrundsätzen hin zu unvorhersehbaren kurzentschlossenen Abkommen mit privaten Unternehmen aus angeblichen, die öffentliche Ordnung, betreffenden Gründen. Im Juni 2011 übernahm die OECD eine amtliche Verlautbarung zur Politikgestaltung hinsichtlich des Internets, welches rechtstaatlichen Verfahren zu nebulösen Konzepten der Strafverfolgung durch private Unternehmen verkommen lies. Es sah “rechtmäßige Schritte zur Auffindung und Vermeidung von Zuwiederhandlungen und vollen Respekt der Rechte der Nutzer und Interessengruppen sowie faire Prozesse” vor. Das vorgeschlagene Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), welches im April 2011 in endgültiger Fassung vorlag, schlug ebenfalls “gemeinschaftliche Anstrengungen innerhalb der Geschäftswelt um effektiv gegen Marken- und Urheberrecht oder der Verletzung damit verbundener Rechte vorzugehen, während seriöser Wettbewerb erhalten bleibt und in Übereinstimmung mit dem Gesetz dieser Partei, grundlegende Prinzipien wie freie Meinungsäußerung, Faire Prozesse und Datenschutz, eingehalten werden.”
Dieser erweiterte Rahmen legt nahe, dass der Wortlaut der EU-Kommission darüber, dass Mittelspersonen schwere Straftaten außerhalb der Rechtsstaatlichkeit vorbeugen und verhindern sollen, kein Zufall, sondern Teil einer umfassenderen Strategie ist. Dieser Rahmen gibt einem Dokumentenentwurf des Europarates zum Thema Netzneutralität einen sehr düsteren Unterton, denn dieses argumentiert, dass Zwischenhändler “auch Maßnahmen ergreifen kann, um den Zugang zu oder die Verbreitung von rechtswidrigen oder schädlichen Inhalten zu verhindern, beispielsweise durch Selbstregulierungssysteme in Zusammenarbeit mit Behörden”. Dies steht in direktem und offensichtlichen Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention, die besagt, dass solche Beschränkungen nur dann eingeführt werden dürfen, wenn sie nach dem Gesetz vorgeschrieben werden und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind. Das Dokument schlägt außerdem vor, dass die Datenschutzaspekte einer solchen Intervention gegen das bestehende Datenschutzrecht geprüft werden muss. Allerdings ist die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs dahingehend eindeutig, dass dies nicht genug ist – jeder Aktion dieser Art muss durch ein besonderes Gesetz geregelt werden.
Es ist jedoch nicht alles verloren und es gibt Anzeichen für Gegenwehr. Am 30. Juni 2014 veröffentlichte die UN-Menschenrechtskommission ein Dokument mit dem Titel “Das Recht auf Datenschutz im digitalen Zeitalter”, in dem davor gewarnt wurde, dass eine “zunehmend formalisierte” Veränderung des Gesetzes in private Hände spielt. Gleichermaßen verlangte der Beauftragte des Europarats der Menschenrechte in einer direkten Stellungnahme, dass es größere rechtliche Klarheit und ein besseres Verhalten seitens der Mitgliedsstaaten des Europarats geben muss: “Die Mitgliedsstaaten sollten aufhören, sich auf private Unternehmen zu verlassen, die das Internet und das breitere digitale Umfeld kontrollieren, um Einschränkungen zu verhängen, die gegen die Verpflichtungen des Staates gegenüber der Menschenrechte verstoßen. Zu diesem Zweck braucht es mehr Unterstützung in den Fällen, in denen Handlungen oder Unterlassungen von Privatunternehmen, die Menschenrechte verletzen und die Verantwortung des Staates zur Folge haben.”
Zusammenfassend sehen wir, dass es zum Schutz der Privatsphäre nicht ausreicht, an entsprechenden Gesetzen zu arbeiten. Es reicht nicht aus, Verschlüsselung zu verbessern und das Recht der Bürger auf Privatsphäre und Datensicherheit durch Verschlüsselung zu verteidigen. Netzneutralität ist mehr als nur ein langweiliges Thema der Regulation in der Telekommunikation: Wenn wir die Netzneutralität verlieren, untergraben wir die Privatsphäre; wir untergraben den Kampf um die Verteidigung der Rechtsgrundsätze des Internets; wir untergraben unser Recht Verschlüsselung zu nutzen und wir untergraben die Freiheit darauf, Informationen zu erhalten und zu übermitteln.
Published 17 February 2015
Original in English
Translated by
netzpolitik.org
First published by Eurozine (English version); netzpolitik.org (German version)
© Joe McNamee / netzpolitik.org / Eurozine
PDF/PRINTNewsletter
Subscribe to know what’s worth thinking about.