Bei Schulden gibt es eine Statusordnung. Der Gläubiger steht in der moralischen Hierarchie meist über dem Schuldner. Aber auch unter den Schuldnern gibt es eine Rangordnung. Oben stehen erstklassige Schuldner, bei denen man sicher sein kann, dass sie ihre Schuld begleichen, und dann gibt es jene Schuldverschreibungen, die als “Ramschanleihen” bezeichnet werden. Es sind Papiere mit einem hohen Risiko für ihre Käufer. Denn Ramschanleihen stammen von Emittenten, also Herausgebern von Wertpapieren, mit geringer Bonität, oder sie werden in schwachen Währungen ausgegeben. Das Risiko von Ramschanleihen besteht für ihre Käufer in einem möglichen Ausfall der Zins- und Tilgungszahlungen. Gleichzeitig versprechen gerade diese Papiere eine Chance auf besonders hohe Renditen. Der Ramschstatus macht sie für risikoorientierte Anleger verlockend. Das Spannungsverhältnis zwischen Müll und Schatz macht ihr Spezifikum aus.
“Ramschländer” heißen im Jargon jene Länder, deren Staatsanleihen von Ratingagenturen der niedrigste Status zugewiesen wird. Die Ramschstatuszuteilung erfolgt über Buchstabenratings von A bis D mit einer Feinabstimmung innerhalb der Buchstaben. Sie reicht von einem vorzüglichen Triple-A-Rating bis hinunter zu einem D-Rating bei Zahlungsausfall. Ab einem Rating von B oder darunter wird von Ramschanleihen gesprochen.
Genau genommen ist “Ramsch”-Anleihe eine unzutreffende Bezeichnung für Schuldverschreibungen, die an Wert verloren haben, aber auch wieder an Wert gewinnen können. Ramsch landet im Müll, bestenfalls im Ein-Euro-Laden, aber nicht im Portefeuille eines Spekulanten. Und in ökonomischer Hinsicht wäre Ramsch eben nichts, was lohnt, gesammelt zu werden. “Ramsch”-Anleihen sind daher nicht echter Ramsch, sondern aktuell schlecht geratete Finanzprodukte mit einem Wertsteigerungspotenzial. Es sind Schuldverschreibungen, denen gegenwärtig fast niemand einen Wert beimisst, die aber billig zu haben sind und die Chance des großen Gewinns bieten.
Gewiefte Informanten
Die abwertende Bezeichnung Ramsch öffnet einen Bedeutungsraum, der von Beleidigung bis zu finanziellen Verlusten reichen kann. Wer bestimmt aber auf dem Finanzmarkt, ob etwas Ramsch genannt werden soll? Es sind zuerst die Ratingagenturen, welchen diese definitorische Macht in der Wirtschaft zukommt. Zu Ramsch wird etwas erst durch die Namensgebung. Das ist gleichsam ein performativer Akt.
Ratingagenturen erfüllen auf dem Papier eine wichtige Funktion, weil sie Informationen bereitstellen und so Wissensasymmetrien abbauen. Dies sollte ein effizienteres Funktionieren der Finanzmärkte fördern. Die Ratingagenturen sammeln Informationen und bewerten dann diese Daten. Oft verfügen sie über einen privilegierten Zugang zu privaten Informationen. Ihr Wissen resultiert etwa aus Gesprächen mit Regierungsvertretern oder Bankern. Ob die Ratingagenturen aber deswegen einen Informationsvorsprung haben, der ihre Leitfunktion rechtfertigt, ist zu bezweifeln. Von Staaten sind die wesentlichen wirtschaftlichen und politischen Parameter – Leistungsbilanz, Verschuldung, Inflation und so weiter – weitgehend bekannt, und die Einschätzungen zur zukünftigen Entwicklung bleiben auch unter ExpertInnen umstritten. Oft verkünden Ratingagenturen nur das öffentlich ohnedies Bekannte. Allein sie tun dies aus einer ihnen zugewiesenen Augurenstellung und erhalten viel an Aufmerksamkeit.
Der Bedarf nach einer vorgeblich objektiven Bewertung mit unabhängigen Bonitätsnoten durch Ratingagenturen ergibt sich aus verschiedenen Interessenlagen am Finanzmarkt. Die Emittenten wollen ihre Anleihen hoch geratet sehen, und die Anleger wollen eine realistische Sicht der Dinge. Ratingagenturen beeinflussen durch ihre Bewertungen die Anlageentscheidungen der Investoren und die Handlungen der Emittenten. Daher werden Ratingagenturen von privaten Emittenten und Staaten oft gefürchtet. Sie haben ein Stigmatisierungspotenzial, welches sich bereits in der Drohung einer Statusentwertung manifestiert. Gedroht wird mit einer Verramschung, wobei allein die Befürchtung dieser Drohung Staaten zum Handeln bringen kann.
Staaten, welche ein Downrating ihrer Anleihen befürchten, müssen eine höhere Rendite versprechen, um Interessenten zu finden, und dies schränkt ihren Gestaltungsspielraum in der Wirtschaftspolitik ein. So wird weniger Geld für Armutsbekämpfung und Sozialpolitik vorhanden sein. Manchmal ist eine Ramschdrohung der Ratingagenturen für Staaten sogar hilfreich. Sie erlaubt es den Staaten, jene marktorientierten Maßnahmen vorzunehmen, die sie ohnehin befürworten, aber nun auch als Sachzwang präsentieren können. Und einen Sündenbock haben sie auch zur Hand: den sanktionierenden Finanzmarkt.
Nur ist der Finanzmarkt in Hinblick auf Ratingagenturen nahezu das Gegenteil eines vollkommenen Marktes, denn die drei größten Agenturen teilen sich den Markt auf. Moody’s und Standard & Poor’s (SP) kontrollieren ungefähr achtzig Prozent des Marktes und die Agentur Fitch kommt auf etwa fünfzehn Prozent. Es ist ein oligopolistischer Markt, kein Konkurrenzmarkt. Demokratisch legitimiert ist die Machtstellung der Ratingagenturen sowieso nicht, und auch aus einer technokratischen Perspektive gesehen ist die Liste ihrer Fehlurteile lang.
Zum Ramschstatus Argentiniens
In den 1920er-Jahren zählte Argentinien zu den reichsten Ländern der Welt. Auf Grund seiner Bodenschätze schien der Weg in eine Zukunft des Wohlstands vorgezeichnet. Doch es kam anders. Staatsbankrotte waren in der Geschichte Argentiniens häufig. Bis heute durchlief das Land mehrere Male den schmerzhaften Prozess einer Staatspleite. Begonnen hat das 1827, gefolgt von einer Staatspleite 1890. In den 1950er-Jahren ging Argentinien gleich zwei Mal in Staatskonkurs und ebenso in den 1980er-Jahren. Doch die bislang größte Staatspleite erfolgte 2001. Vorangegangen war der Staatspleite eine tiefe Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank wie seit der großen Depression der 1930er-Jahre nicht mehr. Devisenengpässe und eine galoppierende Inflation waren die Folge. Politisch rutschte das Land ins Chaos. Über die Hälfte der Bevölkerung lebte zeitweise in Armut, und die Arbeitslosenquote stieg auf über zwanzig Prozent.
Die argentinischen Schuldtitel wurden 2005 und 2010 umgeschuldet und mehr als 92 Prozent der Gläubiger akzeptierten einen beachtlichen Schuldenschnitt. Sie erhielten für ihre verramschten Papiere im Umtausch BIP-indexierte Anleihen. Je höher das zukünftige Wirtschaftswachstum ausfallen würde, desto höher wäre dann der Kurs. Dies erwies sich als Erfolg versprechend, denn das BIP stieg im letzten Jahrzehnt deutlich an. Diese Anleihen verbanden die Interessen der nationalen Politik an einer günstigen volkswirtschaftlichen Entwicklung mit dem Ziel der internationalen Anleger an einer möglichst hohen Rendite. Es war demnach die überwiegende Mehrzahl ihrer Gläubiger, mit denen sich die Republik Argentinien im Lauf der 2000er-Jahre arrangieren konnte und welche den Schuldenschnitt akzeptierten. Doch sieben Prozent der Gläubiger waren nicht bereit das hinzunehmen und behielten ihre alten Schuldverschreibungen oder versuchten, sie an Anleger mit noch höherer Risikobereitschaft loszuwerden.
Trotz der langen Tradition an Konkursen und Schuldenschnitten in der Historie Argentiniens fanden sich immer wieder ausländische Käufer argentinischer Staatsanleihen, die sich durch die Möglichkeit von Zahlungsausfällen nicht abschrecken ließen. Argentinische Junkbonds waren hochriskant mit einer hohen Rendite und durchliefen einen klassischen Verramschungsprozess. Dabei ging es darum, auch weniger Wertvolles im Wirtschaftskreislauf zu halten und nicht auszuscheiden.
Mit Staatsanleihen muss man nicht erst auf einen Basar gehen, um sie loszuwerden. Ihre Verramschung wird bereits durch die Drohung einer negativen Benotung durch Ratingagenturen ausgelöst. Die Wirtschaftspolitik eines Landes muss sich dann in politisch-ökonomischer Hinsicht bewähren. Sie steht fortan “unter Beobachtung der Finanzmärkte”, wie gerne in den Wirtschaftszeitungen formuliert wird. Die Märkte verlangten eine niedrige Neuverschuldung, einen kompetitiven Wechselkurs und einen verschlankten Staat, heißt es dann. Der Finanzmarkt führe eine verfehlte Wirtschaftspolitik auf den Pfad der Tugend zurück.
Die Verzinsung der argentinischen Anleihen war so hoch, weil sie eine Risikoprämie für einen möglichen Konkurs Argentiniens beinhaltete. Wer Ramschpapiere kauft, nimmt entweder diese Risiken bewusst in Kauf oder ist unkundig. Die hohen Zinsen zeigen schlicht die Wahrscheinlichkeit eines Staatskonkurses an. Zahlt ein Land eine Risikoprämie auf seine Schuld, dann steckt darin die Möglichkeit eines Konkurses. Je höher das Risiko, desto höher die Prämie.
Aasfresser sammeln nicht
In Adornos Porträt von Walter Benjamin als Sammler finden wir das Gegenbild zum Geier: “Er hatte aber zugleich etwas – wiederum ist es schwer, dafür ein richtiges Wort zu finden – von einem Tier, das in seinen Backen Vorräte sammelt. Das Moment des Antiquars und des Sammlers, das in seinem Denken eine hervorragende Rolle spielt, hat sich auch in seiner physiognomischen Erscheinung ausgeprägt.” Der Hamster schaut einem Geier nicht nur nicht ähnlich, sein Gebaren unterscheidet sich im Ganzen von jenem der Aasfresser. Er wird von Ökonomen geliebt, weil er in der guten Zeit für die schlechten Zeiten spart. Im Ökonomenjargon gesprochen “glättet er seinen Konsum übers Leben”. Die Aasfresser sind anders gestrickt und sammeln nicht für harte Winterzeiten, sondern verschlingen, was andere übrig lassen.
Im Sommer 2014, am 30. Juli, erhielten die Gläubiger von Argentinien keine Zahlungen mehr auf ihre Anleihen. Argentinien hatte zwar 539 Millionen US-Dollar in der Bank of New York Mellon eingelegt, aber die Bank durfte diese Mittel nicht an die Gläubiger überweisen. Was war geschehen? Argentinien wollte seine Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern erfüllen, doch der US-Bundesrichter Thomas Griesa aus New York erlaubte dem Land nicht, seine Schulden zu bedienen. Griesas Richterspruch fiel zugunsten der Ansprüche von Hedgefonds aus, die in New York geklagt hatten. Ihr einprägsamer Name: die Geierfonds. Die Geier hatten argentinische Schuldverschreibungen zu einem Schnäppchenpreis, sozusagen zu einem Ramschkurs gekauft. Sie zahlten nur einen Bruchteil des Nennwerts, das heißt des auf den Anleihen angegebenen Preises. Erhalten hatten sie diese Papiere von jenen Investoren, die zum resignativen Urteil gekommen waren, dass sie vielleicht für ihre Ramschpapiere gar nichts mehr bekommen würden. Die Geier hingegen kauften, wo andere die Nerven verloren. Sie zählten jedoch nicht zu einer no risk no fun-Fraktion, sondern vertrauten nüchtern kalkulierend auf Gesetze in den USA, nach denen sie die volle Bedienung ihrer Schuldscheine zu deren Nennwert einschließlich Zinsen einklagen konnten.
Der Ramschhändler ist das Gegenteil des Sammlers: Walter Benjamin verstand “die Haltung des Sammlers seinen Besitztümern gegenüber aus dem Gefühl der Verpflichtung des Besitzenden gegen seinen Besitz”.
Löwin gegen Geier
Geier sind beliebte Sündenböcke. Ihr abstoßendes Verhalten hilft, Fehler der Politik zu kaschieren und Verantwortungen zu vernebeln. Dass die Politik die Finanzmärkte liberalisiert hat und damit dem Markt das Feld der Wirtschaftspolitik überließ, wäre das substanzielle Thema.
Die mediale Inszenierung der argentinischen Regierung hatte in den letzten Jahren folgende Konturen: Hier ist ein armes Land im Süden, das bereit ist, seinen Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern nachzukommen, dem dies aber von einem US-amerikanischen Richter verboten wird. Auf der einen Seite die argentinische Präsidentin Kirchner als Löwin, die für ihr Vaterland kämpft, und auf der anderen lauernde gierige Geier, von Kirchner in die Flucht geschlagen (patria o buitres).
Das Twitter-Hashtag #Griesafault demonstriert die zeitweilige enorme internationale mediale Beachtung dieser Auseinandersetzung im Cono Sur, am Ende der Welt. Beide Seiten nutzten sie für ihre jeweiligen Interessen, inszenierten eine herzzerreißende Moralkampagne. Während die Geierfraktion in den USA die Verfehlung einer starrköpfigen argentinischen Präsidentin geißelte und einen Staatskonkurs mit desaströsen Folgen für Argentinien an die Wand malte, inszenierte die argentinischen Regierung ein nationalistisches Feuerwerk und interpretierte die Verramschung der argentinischen Staatsanleihen als Beleidigung des Volkes. Doch den Hedgefonds ging es nicht um die Lebensbedingungen der Menschen in Buenos Aires nach einer neuerlichen Staatspleite, sondern um einträgliche Geschäftsinteressen. Und die argentinische Regierung glaubte natürlich auch nicht wirklich, dass Geier die stolze Nation Argentinien demütigen wollten. Doch als Inszenierung funktionierte die Geschichte: Der Appell an den Nationalstolz mit Demonstrationen an historisch bedeutsamen Plätzen in Buenos Aires verhallte nicht ungehört, sondern verhalf Kirchner zu einem erheblichen Popularitätsschub als Politikerin. Auf der anderen Seite unkten Manager der Hedgefonds vor der Gerichtsentscheidung am 30. Juli 2014 um so intensiver, welche fürchterlichen Folgen ein zweiter Konkurs innerhalb von dreizehn Jahren für die Menschen in Argentinien haben würde. Doch die lokalen Finanzmärkte funktionierten weiter klaglos.
Soap-Opera der Eliten
Hedgefonds sind jene Gruppe von Anleihegläubigern, die aggressiver und beharrlicher als andere Geldgeber handeln. Sie sind machtvoller als Kleinanleger, und es gibt unter ihnen solche, die sich auf Ramschanleihen spezialisieren. Paul Singer ist vermutlich einer der bekanntesten. “Der Mann, der Staaten ruiniert” betitelte die deutsche Tageszeitung taz einen Artikel zu Singer und Argentinien. Paul Singer ist ein generöser Finanzier der republikanischen Partei in den USA, ein Mann, der nicht das Rampenlicht sucht. Seine Firma NML Capital ist eine Tochter von Elliot Management und investierte 48 Millionen US-Dollar in argentinische Staatsanleihen. Singer kaufte die billigsten dieser Schuldpapiere angeblich um fünfzehn Cent pro einem US-Dollar; das heißt er zahlte weniger als ein Sechstel vom Nennwert. Gemäß der Rechtsprechung von Griesa sollte er nun 832 Millionen US-Dollar erhalten. Dies entspricht einer Rendite von mehr als 1600 Prozent.
In Folge der Staatspleite versuchte Singer, öffentliches Vermögen der Republik Argentinien zu beschlagnahmen, wo immer er dessen habhaft werden konnte. Aufsehenerregend war etwa die Pfändung eines Schiffes der argentinischen Kriegsmarine in Ghana. Ein lokales Gericht hatte Singers Anspruch vorübergehend Recht gegeben, bis der internationale Seegerichtshof anders entschied. In den 1990er-Jahren hatte Singer peruanische Schuldpapiere zu einem Ramschpreis erworben und vor Gerichten in den USA und Europa geklagt. Tatsächlich wurde ihm von US-Gerichten das Recht zugesprochen, in den USA peruanisches Vermögen beschlagnahmen zu lassen. Die peruanische Regierung zahlte schlussendlich enerviert und ließ sich auf einen Vergleich mit Singer ein. Aber auch gegen die Republik Kongo war er mit seiner juristischen Klagestrategie erfolgreich.
Nahezu einhellig wird den Hedgefonds in der Öffentlichkeit “unmoralisches Handeln” attestiert. Aber von “Moral” zu sprechen, ist in Bezug auf Ramschanleihen aus mindestens zwei Gründen eine Themenverfehlung. Der Begriff suggeriert, dass das Geschehen auf den Finanzmärkten grundsätzlich angemessen sei, dass es aber bedauerliche Exzesse gebe (exzessive Bonuszahlungen, Spekulation, Schattenbanken). Doch Geier werden auch dann nicht zu Adlern, wenn sie nur 10 Prozent Rendite statt 1600 Prozent anstreben. Zweitens ist die simple Dichotomisierung zwischen “Gewinnern” und “Verlierern” zu eng gefasst, weil sie nur auf die Eliten bezogen ist. Arme halten bekanntlich keine Staatsanleihen, weder auf Ramsch- noch auf Triple-A-Niveau, und ihnen hilft ihr Staat nur, sofern er nicht nur korrupt die eigene Klientel bedient.
Das Bild Argentiniens als eines schwachen Staates im Süden im Kampf gegen böse Spekulanten im reichen Norden, im Vorzeigeland des Kapitalismus, lädt zu solch verfehlten Dichotomien ein. Doch der argentinische Staat hatte seine Anleihen bewusst unter US-Gesetzen emittiert, weil er sich davon Vorteile versprach. Die Entscheidung, die Anleihen in US-Dollar unter amerikanischem Recht auszugeben, sollte das fehlende Vertrauen in argentinische Papiere wettmachen. Erst so wurden die Anleihen für reiche amerikanische Anleger attraktiv, und genau deshalb muss sich die Republik Argentinien nun mit Hedgefonds vor US-Gerichten streiten. Für Arme in Argentinien bleiben die Korruption des Staates, die hohe Inflation und die Arbeitslosigkeit die drängenden Probleme. Dass sich hinter der offiziellen Inszenierung auch Machtverschiebungen auf globaler Ebene verbergen, welche ihre Chancenlosigkeit perpetuiert, wird verschleiert.
Das Argument der argentinischen Präsidentin Kirchner lautete, von einem Konkurs könne keine Rede sein. Denn wer in Konkurs gehe, begleiche bekanntlich seine Schulden nicht, während Argentinien ja auf ein Bankkonto der Bank of New York eingezahlt habe. Dass die Auszahlung an die Gläubiger nicht möglich war, lag daher nur am Verbot auf Basis der Gerichtsentscheidung.
Der Kampf einer Löwin gegen Geier, ein knallharter US-Richter Griesa oder ein erbarmungsloser Spekulant Singer, der bereits ein lateinamerikanisches Land erfolgreich geklagt hat: das sind Erfolgsingredienzien für eine lateinamerikanische Soap-Opera. Als Ramsch, als wertlos betrachtet zu werden, kränkt. Bei Staatsanleihen lässt sich diese Kränkung in patriotische Bahnen umlenken und von einer Verletzung des Nationalstolzes sprechen. Doch die symbolische Kränkung der Verramschung, verbunden mit moralischen Kategorien, verschleiert nur das eigentliche ökonomische Machtthema.
Ramsch ist ein Geschäft
Das kapitalistische Credo lautet, dass insolvente Schuldner einen Neustart benötigen. Schuldenschnitte und Umschuldungen sichern das Funktionieren von Finanzmärkten in Krisenzeiten. Seit den 1970er-Jahren können auch private Anleger, zum Beispiel Hedgefonds, säumige Staaten in den USA bei Gericht verklagen. Dies bedeutet eine einschneidende Machtverschiebung weg vom Staat hin zur Wirtschaft.
Die Rechtsprechung des US-Richters Griesa im Fall Hedgefonds gegen Republik Argentinien käme, genau betrachtet, dem Verbot eines Staatskonkurses gleich und würde daher Prinzipien des Kapitalismus konterkarieren. Denn im kapitalistischen System ist Scheitern immanent vorgesehen und wird sogar gefeiert, wenn es einen Neuanfang initiiert. Ein Schuldenerlass soll eine reinigende Wirkung haben und wurde historisch unzählige Male praktiziert.
Die Akteure auf den Finanzmärkten unterschieden daher zwischen einem echten Zahlungsausfall, bei dem Anleihen tatsächlich zu Ramsch werden, und einem “Griesafault”. Die Zinssätze für verschiedene Formen von argentinischen Unternehmenskrediten reagierten erst gar nicht auf die US-Rechtsprechung. Erwartet hätte man, dass sie sich nach oben bewegen. Kritik an der Rechtsprechung von Griesa kam nicht nur von Argentinien, sondern auch aus dem Zentrum der Finanzwelt, etwa vom Großinvestor George Soros. Aber auch der Nobelpreisträger Robert Solow warnte in einem offenen Brief,1 dass souveräne Regierungen nach alternativen Ländern für die Emission ihrer Papiere suchen könnten, etwa Großbritannien. Demnach wäre eine Geschäftsschädigung der USA zu befürchten.
Aleksej, der Protagonist in Dostojewskis Roman Der Spieler, weiß: “Kaum fange ich an zu gewinnen, gehe ich gleich ein Risiko ein, ich kann mich nicht beherrschen.” Das Handeln der Geierfonds hatte nichts mit Roulettespiel im Kasino zu tun, denn die Geier konnten sich gedulden. Sie hatten sich für alle Fälle mittels Credit Default Swaps (CDS) abgesichert, Kreditausfallversicherungen, die gegen das Risiko eines Konkurses schützen. Der Sicherungsgeber verpflichtet sich, gegen eine Prämie (CDS-Spread) bei Zahlungsausfall oder -verzug eine Ausgleichszahlung an den Sicherungsnehmer zu leisten. Die Höhe der CDS-Prämie hängt vor allem von der Bonität des Referenzschuldners, der Definition des Kreditereignisses und der Laufzeit des Vertrags ab. Falls Anleihen wertlos werden, werden die Gläubiger ausbezahlt. Daher haben Geierfonds auch CDS erworben. Mit diesem Finanzinstrument in der Tasche hatten sie einen geringeren Anreiz, mit den Schuldnern eine Einigung zu erzielen. Sie gewinnen in jedem Fall.
Nichts für die Armen
Bei den Urteilen der Ratingagenturen geht es weniger um einen aktuellen Befund als um Veränderungen über die Zeit. Es geht um Verramschung und um Veredelung. Alles kann zu Ramsch werden, aber vieles wird auch wieder den Ramschstatus verlieren. Der Beurteilungsrahmen des Marktes ist zwar starr an der hegemonialen Ideologie – Finanzmarkt ist gut, Sozialstaat ist schlecht – ausgerichtet, aber die Verramschung selbst kann an vielen Stellen ansetzen, einem schwächelnden Wechselkurs, einer explodierenden Staatsverschuldung oder einer zu hohen Inflation. Dem Ramschurteil soll eine wirtschaftspolitische Reparatur folgen, die auf den Pfad der marktförmigen Tugend zurückführt. Das Wort “Ramsch” in Zusammenhang mit Anleihen und Ländern muss daher über die Zeit und komparativ beurteilt werden: ramschiger und weniger ramschig.
Die Verramschung ist jener Prozess, der zur Läuterung des Schuldners führen soll. Der “Griesafault” erschütterte die Finanzwelt nicht. Die argentinische Tragödie von 2001 wiederholte sich auch nicht als schräge Komödie. Doch deswegen ein “Don’t cry for me Argentina” anzustimmen wäre übertrieben, weil abscheuliche Geschichten von Geiern die Lebenssituation der Armen und auch des Mittelstandes nicht einmal streifen. Die Mehrheit der Bevölkerung darf den medial als Pokerspiel inszenierten Streitereien von staatlichen Eliten und Finanzeliten nur zusehen und sie darf, wie bei einem Fußballspiel, der eigenen Nation die Daumen halten. In Vergessenheit gerät dabei die Kritik an einer Politik, die zu sozialen Verwerfungen führt. Die mediale Arm-Reich-Inszenierung zwischen Nord und Süd, USA und Argentinien, verharmlost das Verteilungsthema innerhalb Argentiniens und konzentriert sich in moralisierender Weise auf das Schuldthema. In Shakespeares Hamlet riet Polonius seinem Sohn Laertes: “Kein Borger sei und auch Verleiher nicht; / Sich und den Freund verliert das Darlehen oft, / Und Borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab.” Diese Hamletwelt kommt ohne die große Gruppe der Vermögensarmen und Vermögenslosen aus: Denn diese haben zumeist weder etwas zu verborgen noch erhalten sie einen Kredit, weil sie keine Sicherheiten haben. Und erhielten sie einen Kredit auf ihre – spekulativ vorübergehend wertvoll gewordenen – Immobilien, dann geht das Konsumieren auf Pump schief, wie die US-Krise zeigte.
Moral und Beschämung haben ihre Funktion in der Inszenierung der Verramschung, aber sie bleiben Oberflächenphänomene, ein reiner PR-Gag des “Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern”. Doch Schuld ist nicht das Synonym für Sünde. Im Finanzkapitalismus ist die Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger schlicht eine soziale Beziehung, in der die Machtverhältnisse stets neu ausgehandelt werden.
Published 6 May 2015
Original in German
First published by Wespennest 168 (2015) (German version); Eurozine (English version)
Contributed by Wespennest © Martin Schürz / Wespennest / Eurozine
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