France’s snap elections are the most spectacular sign that EU elections now matter. But whether the far right’s shift from fundamental opposition towards reform from within politicizes the EU in a positive way depends on the centre’s readiness to hold its ground.
Über europäische Öffentlichkeit und europäischen Journalismus
Ist die Krise der EU auch eine Krise der Massenmedien in Europa? Europa als Kommunikationsprojekt für Kommunikatoren
An dieser Stelle könnten eigentlich auch drei leere
Seiten folgen: Eine europäische Öffentlichkeit gibt es
bisher nicht, erst recht gibt es keinen europäischen Journalismus.
So ließe sich allenfalls darüber spekulieren, ob im Zeitalter
der sozialen Netzwerke, der Blogs und Diskussionsforen
allmählich eine europäische Öffentlichkeit ohne
europäischen Journalismus entstehen könnte – denn so
manche Internetgurus und Digitalisierungspropheten verheißen
uns ja seit Jahr und Tag, dass sich Öffentlichkeit in
der Demokratie auch ohne Journalismus herstellen lasse,
der auswählt, prüft und recherchiert (zuletzt: Jarvis 2013).
Vorerst sprechen die meisten empirischen Studien
allerdings eine andere Sprache. Auch wenn die sogenannten
‘Citizen Journalists’ da und dort bei Katastrophen
als Erste die zugehörigen Bilder über den Globus zwitschern,
ersetzen Twitter, Facebook & Co. nicht die Mainstream-
Medien, sondern dienen allenfalls als deren zusätzliche
Plattformen und Resonanzböden.
Öffentlichkeit wird auch im Internet-Zeitalter bislang
weitgehend vom Journalismus hergestellt. Journalisten
sind weiterhin wichtige Schleusenwärter der öffentlichen
Kommunikation. Wenn kluge Köpfe wie Julian Assange
oder Edward Snowden weltweit für ihre jeweilige Causa
Aufmerksamkeit erregen wollen, suchen sie in Amerika
die Zusammenarbeit mit der New York Times oder der
Washington Post und in Europa mit dem Guardian, dem
Spiegel sowie mit Le Monde und El País. So dürfte auch
die – wohl vorschnell bereits wieder abklingende – Vertrauenskrise,
in welche die Europäische Union in den
letzten Jahren geschlittert ist (Petersen 2013), letztendlich
stark von der Berichterstattung der Mainstream-Medien mit ausgelöst worden sein.
Wer Europa als Projekt noch nicht aufgegeben hat,
sollte sich zunächst fragen, wie es passieren konnte, dass
– Regierungen in EU-Europa sich nicht an Gesetze und
Vereinbarungen gebunden fühlen, die sie selbst erlassen
bzw. getroffen haben (zum Beispiel Maastricht-Kriterien
für die Staatsverschuldung);
– die Staatsfinanzen in halb Europa außer Rand und
Band geraten sind und aufgeplusterte, aber unsolide finanzierte
Rettungsschirme weiterhin die wirtschaftliche
Stabilität Europas gefährden;
– die EU zwar Bananen-Krümmungen und sonstige
Normvorgaben für Obst und Gemüse bis ins letzte Detail
regelt, trotz ihres “Regulierungswahns” (Enzensberger
2010) es ihr dagegen an vielen Stellen innerhalb der EU
nicht gelingt, rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien
gegen offensichtlichen Machtmissbrauch durchzusetzen;
– sich in Europa mafiöse, korrupte Praktiken ausbreiten,
also nicht der “Export von Stabilität” gelingt, “sondern
der Import von Instabilitäten” droht bzw. stattfindet
(Nonnenmacher 2005);
– damit einhergehend auch im Journalismus und in der
Medienbranche professionelle Spielregeln außer Kraft
gesetzt werden, nicht zuletzt, weil die Macht von Medienbaronen
wächst, welche Medienmacht für ihre eigenen
Zwecke politisch missbrauchen (Ku’s u. a. 2013).
Dies alles verdichtet sich zum Befund Peter Sloterdijks
(2013), das Projekt Europa sei dabei, an Missmanagement
zu scheitern: “Als durchwegs ökonomisch ausgerichtete
Wohlstandsgemeinschaft ist Europa an seine
Grenzen gelangt.”
Perspektivisch gibt es zwei grundsätzliche Antworten,
um das Projekt Europa wieder zukunftsfähig aufzugleisen,
die eine zielt mehr aufs politische System, die andere
mehr auf den medial-kulturellen Bereich.
Erstens gilt es auf europäischer Ebene ein Demokratie-
Defizit zu beseitigen: Exekutive und bürokratische Apparate wachsen, ja wuchern – die parlamentarische Kontrolle
und auch die Bürgerbeteiligung funktionieren dagegen
höchst unzureichend.
Zweitens fehlt es an einer funktionierenden ‘vierten
Gewalt’, an einem unabhängigen, distanzierten Journalismus,
der mit hinreichender Recherche-Kapazität ausgestattet
ist (Marconi 2011) und das europäische Projekt
wohlwollend-kritisch begleitet.
Der erste Problemkomplex wurde breit und seit Langem
öffentlich erörtert (Grimm 1992;Wohlgemuth
2007; Enzensberger 2010; Schmidt 2010; vgl. auch Frey
2012; Neyer 2013; eher relativierend: Verheugen 2005),
der zweite dagegen bisher kaum thematisiert. Dieser Beitrag
fokussiert deshalb auf den zweiten Aspekt.
Zwar sind in kaum einer Kapitale der Welt mehr Journalisten
akkreditiert als in Brüssel (Marconi 2011, S. 4 f.),
aber ihre Zahl ist in den letzten Jahren dramatisch geschrumpft
(Castle 2010). Genauer besehen, ist in vielfältiger
Weise Journalismus-Versagen zu konstatieren: Die
Korrespondentenbüros sind ausgedünnt, die zahlreichen
Einzelkämpfer unter den Brüsseler Journalisten können
der geballten Übermacht der EU-Bürokratie und den
hochprofessionellen Lobbying- und PR-Aktivitäten in
deren Vorfeld kaum standhalten.
Aber selbst wenn die Brüsseler Korrespondenten eine
wichtige ‘Geschichte’ ausgegraben haben, besteht Gefahr,
dass die ebenfalls geschrumpften Redaktionen zu
Hause deren Relevanz nicht erkennen. Dazu ein Beispiel:
Noch im Herbst 2009, zu einem Zeitpunkt, als immerhin
der Vertrag von Lissabon in Kraft trat, widmete das
Nachrichtenmagazin Der Spiegel, wie eine Inhaltsanalyse
ergab, den Reformen der EU in etwa gleich viel Platz wie
der Wirtschaftspolitik Weißrusslands und einer Währungsreform
in Nordkorea (Petersen 2013).
Das hat sich seither infolge der Finanzkrise verändert,
ansonsten haben sich die Bedingungen aber drastisch verschlechtert.
Denn die Journalismus-Kulturen, die sich in
Europa auf nationalstaatlicher Ebene herausgebildet haben,
sind allesamt von Deprofessionalisierung bedroht, es
entsteht ein journalistisches Prekariat (Schnedler 2013).
Die Publika wandern scharenweise ins Internet ab und
sind dort weniger zahlungsbereit. Auch über Werbung
lässt sich anspruchsvoller Journalismus immer weniger finanzieren,
da die werbetreibende Wirtschaft zielgruppengenau
und ohne Streuverluste ihre Botschaften platzieren
möchte und Facebook, Google & Co. hier unschlagbare
Angebote machen können (Ruß-Mohl 2009, 2013).
Wenn in Redaktionen gespart werden muss, trifft das
meist zuerst die Auslandsberichterstattung. Brüssel ist
einfach weiter weg als die eigene Hauptstadt und der eigene
lokale Kirchturm. Selbst wenn in den letzten Jahren
ereignisbedingt mehr über die EU und die jeweiligen europäischen
Nachbarländer berichtet wurde, so hat die
Kompetenz der Berichterstattung oder gar deren aufklärerisch-
kritische Qualität gewiss nicht zugenommen. Im
Gegenteil, krisenbedingt brachen europaweit Nationalismen,
Klischees und Stereotype in den Medien durch, wie
wir sie eigentlich nicht mehr für möglich gehalten hätten
– seien das Pauschalurteile über ‘die’ faulen und kriminellen
Griechen oder Italiener, seien das Versuche vieler
Medien in Südeuropa, Angela Merkel in die Nazi-Ecke
zu stellen und ‘den’ Deutschen neue Weltherrschaftsgelüste
anzudichten.
Noch einmal Peter Sloterdijk (2013): Dieser Kontinent
kommt “mit all seiner amüsanten Diversität, seiner
konstitutiven Uneinigkeit, seiner sympathischen Entschlussschwäche,
seiner prekären Symbiose zwischen
Norden und Süden usw. immer noch eher dem Pol der
lose gekoppelten Unterhaltungsgemeinschaft nahe, erkennbar
an der herrlichen Beliebigkeit der Themen, am
Vorrang der Urlaubsweltansichten und einer alles durchdringenden
Ernstfallferne”.
Vernichtender könnte eine Journalismus-Kritik in Europa
kaum ausfallen – Europas Krise ist somit auch eine
Krise des Journalismus in Europa. Wenn es andererseits
weiterhin der Journalismus ist, der Öffentlichkeit herstellt,
dann hätte eine europäische Öffentlichkeit einen
funktionierenden europäischen Journalismus zur Voraussetzung.
Die wenigen Versuche, Medien zu etablieren, die europaweit
als europäische und nicht als nationalstaatliche
Stimmen wahrgenommen werden, sind indes allesamt gescheitert.
Robert Maxwells The European, Orchideen wie
Lettre international und Le monde diplomatique, Sender
wie Euronews und Eurosport waren und sind jedenfalls
keine Erfolgsgeschichten. Auch ein paar Titel wie GEO,
Gala oder Auto-Bild, die in mehrere Sprachen übersetzt
und an die nationalen Lesekulturen angepasst werden,
machen noch keinen europäischen Frühling. Der enge
Markt international ausgerichteter Tageszeitungen in
Europa wird – mit Ausnahme des Guardian und der
Financial Times – von amerikanischen Titeln dominiert
wie USA Today, Wall Street Journal Europe und der International
Herald Tribune (Ruß-Mohl 2004), die demnächst
zur europäischen Ausgabe der New York Times mutieren
wird.
Statt eines europäischen Journalismus gibt es weiterhin
eine Vielzahl von Journalismus-Kulturen in Europa.
Um zu begreifen, wie unterschiedlich diese und die Mediensysteme
ausgeprägt sind, genügt ein Blick auf die
jährlichen Rankings zur Pressefreiheit (Reporter ohne
Grenzen 2013) sowie auf einige komparative Forschungsprojekte,
die in den letzten Jahren die Journalismen in
Europa etwas genauer vermessen haben (vgl. Sievert
1998; Hallin/Mancini 2005; Hanitzsch u. a. 2010; Anagnostou
u. a. 2010; Fengler/Eberwein 2013).1
Im Pressefreiheits-Ranking bilden nord- und mitteleuropäische
Länder wie Finnland (Platz 1), Niederlande (Platz 2) und
Norwegen (Platz 3) die Spitze, süd- und osteuropäische
EU-Mitglieder wie Ungarn (Platz 56), Italien (Platz 57),
Griechenland (Platz 84) und Bulgarien (Platz 87) sind
dagegen die Schlusslichter in Europa. Die vergleichenden
Forschungsprojekte belegen, dass ähnlich stark fast alle
Variablen oszillieren, mit denen sich Qualitäten von Mediensystemen
und Journalismuskulturen dingfest machen
lassen.
Der Journalismus ist in Europa somit eine bemerkenswert
diverse und zugleich ‘lokale’ Veranstaltung geblieben.
In aller Regel findet er innerhalb eines Sprachraums
statt. Es wäre nicht nur ein aussichtsloses, sondern womöglich
kontraproduktives Projekt, einen europäischen
Journalismus und eine europäische Öffentlichkeit herstellen
zu wollen.
Das darf und kann indes nicht heißen, dass alles so
bleiben soll, wie es ist. Im Gegenteil, jede Strategie, die
dem Projekt Europa aufhelfen möchte, hätte zunächst bei
den Kommunikatoren anzusetzen. Nur wenn es gelingt,
unter Journalisten und anderen Medienschaffenden weiterhin
eine weltoffene europäische Grundorientierung zu
verankern, wird das Projekt Europa auch in den nächsten
50 Jahre florieren.
Auch wenn dies unrealistisch erscheinen mag: Wir
bräuchten in Europa dringend
– mehr Journalisten, die gelernt haben, über den Kirchturm
des eigenen Sprengels hinauszugucken, die zwei
oder drei europäische Sprachen sprechen, die sich nicht
nur in einem Land zu Hause fühlen und die Vorurteile
abbauen helfen, statt Stereotype weiterzuverbreiten; und
– auch mehr Journalisten, die sich in EU-Europa auskennen,
vor allem im Dickicht der Brüsseler Administration
und der vorgelagerten Lobbying-Aktivitäten;
– professionelle Mindeststandards, das heißt gut ausgebildete
Journalisten, die diese einhalten, die für Pressefreiheit
kämpfen und die wissen, dass Pressefreiheit auf
Dauer ohne verantwortungsvollen Umgang mit ihr, also
ohne ‘Media accountability’ und ohne funktionierende
Selbstkontroll-Instanzen (Fengler u. a. 2013) nicht zu
haben ist;
– sowie mehr journalistische Aufklärung über Medien
und Journalismus, auch um voneinander über Sprach- und
Kulturgrenzen hinweg zu lernen.
In der Journalistenaus- und -weiterbildung stößt bislang
der Blick über den Tellerrand der eigenen Journalismus-
Kultur schnell an Sprachbarrieren. Immerhin sind
im Gefolge von Erasmus-Programmen erste internationale
Curricula und Kooperationen von Journalistik-Instituten
entstanden, die zur Horizonterweiterung ihrer Absolventen
beitragen dürften. Das gälte es, auszubauen.
Europäische Denkweisen und gemeinsame europäische
Mindeststandards bei der journalistischen Professionalisierung
ließen sich am ehesten in institutionellen
Kontexten entwickeln, in denen Nachwuchsjournalisten
und -medienforscher aus verschiedenen europäischen
Ländern sich austauschen und gemeinsam über das eigene
Metier und über Europas Zukunft nachdenken,
zum Beispiel
– in europäischen Fellowship-Programmen für Journalisten
(Reuters Institute for the Study of Journalism,
Oxford University; European Journalism Fellowships,
FU Berlin);
– an europäischen Weiterbildungsstätten und Universitäten
(European Journalism Center in Maastricht
– wobei dessen Angebote nur ein Tropfen auf den heißen
Stein sind und es verwundert, weshalb europäische
Universitäten wie das European University Institute in
Florenz oder die Viadrina in Frankfurt/Oder nicht gezielt
Programme für Journalisten anbieten);
– im Rahmen vergleichender Journalismusforschung, die
in den letzten Jahren erfreulich expandierte und weiter
ausgebaut werden sollte, zum Beispiel durch interdisziplinäre,
europäische Doctoral Schools in der Medienforschung.
Man mag einwenden, das sei ein elitäres Programm.
Aber letztlich waren es auch bisher Eliten, die das europäische
Projekt vorangetrieben haben. Gerade weil es insgesamt
mit dem Journalismus bergab geht, gilt es, durch
solche Initiativen gegenzusteuern. Die europäische Politik
ist gefordert, wenn Machtzusammenballungen im Mediensektor Vielfalt und Wettbewerb gefährden. Sie
sollte aber auch dazu beitragen, dass europaweit Infrastrukturen
entstehen, die gerade jetzt unter den schwierigen
ökonomischen Rahmenbedingungen dem Journalismus
in Europa zu einem soliden professionellen
Fundament verhelfen. Um das zu bewirken, sollte sich die
EU zur Regel auferlegen, für jeden Euro, den sie für Werbung
und PR-Aktivitäten – bis hin zur Manipulation von
Umfragen (Kühn 2012) – ausgibt, zwei Euro in einen
Fonds zur Finanzierung solcher Infrastrukturen einzuzahlen.
Das würde dem Journalismus aufhelfen und den
Aufwand der EU für Selbstbeweihräucherung mit Steuergeldern
auf ein erträgliches Ausmaß reduzieren.
Es wäre allerdings falsch, allzu große Erwartungen an
die Institutionen der EU zu richten. Ohne zivilgesellschaftliches
Engagement, ohne private Stiftungen, ohne
Idealismus und Bereitschaft zur ehrenamtlichen Selbstausbeutung
von Journalisten und Medienforschern kann
es nicht gelingen, das Europa der Kommunikatoren zu
bauen. Nicht zuletzt bedarf es neuer Netzwerke, in denen
über die Sprach- und Kulturgrenzen innerhalb Europas
hinweg kommuniziert wird.
Ein Beispiel hierfür ist das European Journalism
Observatory (EJO). In der neuen, konvergenten und
webbasierten Medienwelt hilft es Journalisten, Medienmanagern
und anderen Interessierten, sich fachlich zu
orientieren. Es beobachtet Trends im Journalismus, in der
Medienbranche sowie in der Medienforschung. Es baut
Brücken zwischen den Journalismus-Kulturen, vor allem
in Europa und in den USA, und will einen Beitrag zur
Qualitätssicherung im Journalismus leisten.
Zunächst an der Universität Lugano beheimatet, ist
das EJO heute ein Netzwerk, in dem Partner aus zehn
europäischen Sprachräumen und 13 Ländern zusammenwirken
– darunter das Reuters Institute for the Study of
Journalism an der Universität Oxford und das Erich-
Brost-Institut für Internationalen Journalismus der TU
Dortmund sowie die Turiba Business School in Riga, die
Universität Wroc/law und die Universität Tirana.
Gerade für fachliche Information gewinnt das Internet
an Bedeutung. Das EJO hat sich von Anfang an als
Online-Plattform verstanden, das mit seiner Website
(www.ejo-online.eu), seinen Facebook- und Twitter-
Accounts nicht nur eigene Veröffentlichungen in zehn
Sprachen abrufbar macht, sondern auch Information aggregiert
und seine Nutzer mit anderen anregenden Websites
verlinkt. Übersetzt werden Texte dann, wenn sie für
den jeweiligen Sprachraum interessant erscheinen. Weitere
europäische Sprachversionen (Französisch, Spanisch,
Bulgarisch) sind in Vorbereitung und werden realisiert,
sobald sich Sponsoren gefunden haben.
Die Vision ist, das EJO weiter als multilinguale Plattform
auszubauen, die relevante Erkenntnisse der Medien-
und Journalismusforschung für die Medienpraxis
lokal und europaweit erschließt – mit einem Schwerpunkt
auf die eigene Journalismus-Kultur des jeweiligen
Sprachraums, aber doch auch mit einem hohen Anteil
übersetzter und adaptierter Texte der Partner. Dies ist die
mutmaßlich preiswerteste Form, europaweit den Zugang
für Journalisten zu Fachwissen zu erweitern und die Reflexionskompetenz
von Medienpraktikern zu trainieren.
Zugleich entsteht ein zeitgemäßes Informationsangebot,
das vorhandene, in der Produktion teurere Journalismus-
Fachzeitschriften ergänzt.
Ein Treppenwitz: Das meiste Geld für das Projekt
kommt bisher aus einem Land, das gar nicht zur EU gehört,
von dem aber Europa viel in puncto konstruktiver
Zusammenarbeit über Sprachgrenzen hinweg lernen
könnte, nämlich aus der Schweiz: Die Stiftung des
Corriere del Ticino, der größten Regionalzeitung der italienischen
Schweiz, hat die Gründung des EJO 2004
ermöglicht. Als erste staatliche Forschungsförderungs-
Institution hat der Schweizerische Nationalfonds seit
2011 sechs osteuropäische EJO-Websites sowie einen Teil
der bisherigen Aktivitäten in der Schweiz finanziert. Ansonsten
engagieren sich mit der Stiftung Presse-Haus
NRZ, der Robert Bosch Stiftung und der FAZIT-Stiftung
vor allem private deutsche Förderinstitutionen.
Schaut man auf die Finanzierungsseite, ist das EJO also
noch weit davon entfernt, ein wirklich europäisches
Projekt zu sein.
Und doch ist es ein erster Schritt, über Journalismus
und über Medien eine ‘europäische Öffentlichkeit’ herzustellen
– zumindest für Journalisten und Medienmanager,
für Medienforscher und andere Medienexperten, und last
not least für den Nachwuchs in diesen Berufsfeldern.
Letztlich bleibt auch zu hoffen, dass die Forschungsförderungseinrichtungen
umsteuern und für Wissenschaftler
mehr Anreize zum Mittun schaffen: Wer öffentliche
Gelder für seine Forschungsprojekte erhält, sollte
auch in die Pflicht genommen werden, die Öffentlichkeit
an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Ein Dreispalter
in der FAZ oder taz über ein Forschungsprojekt
sollte bei der Neubewerbung um Drittmittel nicht weniger zählen als eine Publikation der Ergebnisse in einem
‘peer reviewed journal’, die nur von einer Handvoll hoch
spezialisierter Fachkollegen zur Kenntnis genommen
wird. Nur so ließe sich wohl verhindern, dass viele Forschungsergebnisse
in Bibliotheksregalen verstauben und
in Web-Depositorien verschwinden, statt öffentlich zugänglich
zu werden und in der Praxis Früchte zu tragen.
Ein europäischer Journalismus und eine europäische
Öffentlichkeit wird sich aus derlei Aktivitäten zwar nicht
entwickeln, sofern das EJO-Netzwerk weiter floriert und
es gelingt, seine Finanzierung zu sichern, könnte es aber
immerhin dazu beitragen, dass sich europaweit die Kommunikation
unter Kommunikatoren verbessert. Vergleichbare
Plattformen könnten vermutlich auch in anderen
Bereichen helfen, dass Forschungsergebnisse besser
genutzt werden, sich ‘best practices’ über Sprachgrenzen
hinweg ausbreiten und sich europaweit professionelle
Mindeststandards durchsetzen.
Gerade die neuen sozialen Netzwerke eröffnen europäischen
Initiativen und Institutionen nie gekannte Kommunikationsmöglichkeiten.
Die Kommunikation unter
den Kommunikatoren, aber auch zwischen Medienforschern
und -praktikern ist ausbaufähig. Dank besseren
Informationsaustausches könnte dereinst vielleicht doch
so etwas wie eine hoffentlich vielfältige, facettenreiche
‘europäische Journalismus-Kultur’ entstehen, die sich in
puncto professioneller Standards mit der amerikanischen
messen kann.
Das wäre ein Silberstreif am Horizont – auch wenn
es im Moment eher so aussieht, als würden Europa und
seine Journalismus-Kulturen weiter von schweren Unwettern
heimgesucht.
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Verwiesen sei zusätzlich auf folgende Projekt-Websites: www.mediaact.eu;
www.mediadem.eliamep.gr; www.worldsofjournalism.org
Published 29 January 2014
Original in German
First published by Gegenworte 30 (2013)
Contributed by Gegenworte © Stephan Ruß-Mohl / Gegenworte / Eurozine
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