Seit im März der Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Tröglitz eskaliert ist, hat die kleine Ortschaft in Sachsen-Anhalt traurige Berühmtheit erlangt. Zunächst trat der ehrenamtliche Bürgermeister des Ortes nach Drohungen aus der rechten Szene zurück, dann wurde Feuer in der geplanten Flüchtlingsunterkunft gelegt, und schließlich musste der zuständige Landrat nach Todesdrohungen unter Polizeischutz gestellt werden. Und doch sehen wir hier bloß eine Momentaufnahme einer seit zwei Jahren andauernden Mobilisierung fremdenfeindlicher Ressentiments. Sie richtet sich gegen die Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen und ereignet sich vor allem – aber nicht nur – in den ostdeutschen Bundesländern. Dabei tritt ein Rassismus in Erscheinung, der sich zunehmend pragmatisch und bürgernah gibt und auf offenen Neonazismus weitgehend verzichtet. Genau das macht ihn so gefährlich – für die Flüchtlinge, aber auch für alle, die sie willkommen heißen wollen.
Feindbild Kommunalpolitiker
Denn der Tröglitzer Bürgermeister Markus Nierth steht mit seinen unangenehmen Erfahrungen nicht alleine. Kommunalpolitiker, lokal engagierte Bundestagsabgeordnete und Journalisten geraten immer wieder ins Visier der Rechten. Nierths Fall kommt daher exemplarische Bedeutung zu.
Der parteilose Politiker war von seinem Amt mit der Begründung zurückgetreten, er wolle und könne seiner Familie den von der regionalen NPD entfachten Druck auf ihn nicht länger zumuten. Dem Rücktritt waren in Tröglitz seit Januar 2015 andauernde Demonstrationen gegen die Unterbringung von Asylbewerbern vorausgegangen, unter Führung eines NPD-Kreistagsmitgliedes. Nierth hatte für eine menschenwürdige Versorgung der Flüchtlinge geworben und sich für ihre Integration stark gemacht. Der sachsen-anhaltinische Burgenlandkreis hatte ursprünglich 40 Flüchtlinge in dem gut 2800 Einwohner zählenden Ort unterbringen wollen. Nach dem Brandanschlag, bei dem das frisch renovierte Mehrfamilienhaus unbewohnbar wurde, sollten zunächst noch zwölf Menschen privat Aufnahme finden.
Local initiatives are clearly in evidence; wider public support less so, writes David Begrich. Photo: depone. Source: Flickr
Bundespolitiker von SPD, Linken und Grünen sahen im Rücktritt Nierths ein Indiz dafür, dass die Demokratie vor den Einschüchterungsversuchen von Neonazis zurückweiche. Der Innenminister Sachsen-Anhalts, Holger Stahlknecht, eilte nach Tröglitz und versicherte, man werde alles tun, um kommunale Mandatsträger zu schützen. Wenige Tage später veröffentlichte sein Innenministerium einen entsprechenden Erlass. Der enthielt jedoch keine neue Regelung, sondern fasste nur die bisherigen Schutzmöglichkeiten zusammen. Gegenüber der psychologisch wirkenden Einschüchterung durch lokale Neonazis und rassistische Wutbürger ist die Reichweite behördlichen Handelns ohnehin begrenzt. Doch fehlt es Kommunalpolitikern wie Markus Nierth in Tröglitz an Unterstützung für einen offenen Umgang mit Flüchtlingen, erodiert die Demokratie vor Ort.
Zerstörte und beschmierte Wahlkreisbüros, Drohbriefe mit voller Absenderadresse und nächtliche Aufzüge vor den Privatwohnungen von Politikerinnen und Politikern belegen das offenkundig grenzenlose Selbstbewusstsein, mit dem Neonazis agieren. Das zeigen auch die Fälle der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke), des Oberbürgermeisters von Magdeburg, Lutz Trümper (SPD) sowie des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke). Pau, die sich gegen rassistische Mobilisierungen in ihrem Berliner Wahlkreis engagiert, bekam ungebetenen Besuch von Neonazis vor ihrem Haus. Trümper war öffentlich einem rechten Aufmarsch anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Magdeburgs entgegengetreten. Nach wiederholten Drohungen erhielt er in diesem Frühjahr polizeilichen Personenschutz. Zuletzt sorgten die Morddrohungen gegen Ramelow für Aufsehen, dessen rot-rot-grüne Landesregierung es “gewagt” hatte, die Einrichtung einer dritten Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge im thüringischen Gera zu prüfen.
Ungleich schwerer haben es jedoch all jene, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge und gegen Rechtsextremismus einsetzen. Eine Gefährdung engagierter Bürgerinnen und Bürger vermögen Ordnungsbehörden und Polizei vielfach noch immer nicht zu erkennen. Dabei begehen Neonazis Brandanschläge auf die Autos ihrer Gegner oder betreiben ein regelrechtes Stalking. Jenseits von Gewalt geht es Neonazis darum, ihre Widersacher langandauernd zu zermürben und so zur Aufgabe ihres Engagements zu bewegen. Dem sozialen Druck von Neonazis zu widerstehen, fällt umso schwerer, je kleiner der Sozialraum ist, in dem sich die Akteure begegnen. Während eine Metropole ein relativ hohes Maß an Anonymität bietet, sind die sozialen Beziehungen in einer Kleinstadt engmaschiger.
Schlecht ergeht es auch Medienmachern, die sich kontinuierlich und kritisch mit rechten und rassistischen Aktivitäten beschäftigen. Nicht erst seit den Pegida-Demonstrationen werden Journalisten und Fotografen beschimpft, in ihrer Arbeit massiv behindert und unter Umständen körperlich angegriffen, wenn sie sich mit der rechten Szene oder rassistischen Bürgerprotesten befassen. Journalisten berichten von blankem Hass, der ihnen etwa bei der Dokumentation von Bürgerversammlungen zum Thema Flüchtlinge entgegenschlage. Anderswo wird journalistische Arbeit unter dem Schlagwort “Lügenpresse” denunziert, etwa wenn sich in den Kommentarspalten der Onlinemedien ungefiltert rassistische Vorurteile, Verschwörungstheorien und Verachtung “der Politiker” Bahn brechen. Hier mischen sich postdemokratische Ohnmachtserfahrungen mit Rassismus und Ressentiments gegen das Establishment.
Eine Mobilmachung wie in den 1090ern?
Oft ziehen Beobachter eine Parallele zwischen den heutigen rassistischen Mobilmachungen und der Situation in den 90er Jahren. Das ist insofern zutreffend, als die Flüchtlingszahlen in vergleichbarem Maße steigen. Doch sollten darüber nicht die wichtigen Unterschiede vergessen werden: Die Debatte um Flüchtlinge ist heute eine andere, und zugleich tritt der Rassismus inzwischen anders in Erscheinung.
Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2014 knapp 203 000 Anträge auf Asyl verzeichnet hat, geht es für 2015 von einem Anstieg auf 250 000 aus. Darin schlagen sich die zahlreichen Krisen rund um die EU wie der syrische Bürgerkrieg nieder. Angesichts dessen hatten die Ministerpräsidenten der Länder auf ihrer Konferenz am 26. März 2015 in Potsdam ihre Forderung bekräftigt, der Bund müsse umfassend für die Flüchtlinge aufkommen. Bundesmittel sollten nicht nur für Unterkünfte, sondern auch für soziale Teilhabe, etwa zur Förderung des Spracherwerbs, aufgebracht werden. Dem war ein Streit um die reale Zahl der 2015 zu erwartenden Flüchtlinge vorausgegangen, in dem die Länder dem BAMF vorwarfen, zu niedrig zu kalkulieren.
Der Handlungsdruck der Länder ist in der Tat hoch. Für Frust sorgt bei Kommunen und Landkreisen aber der Eindruck, die Länder reichten die Schwierigkeiten bei Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge einfach an sie weiter. Damit liegen sie nicht so falsch: Zwar kam in der Woche nach dem Brand in Tröglitz SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in die Kreisstadt Naumburg, um Landrat Götz Ulrich zu treffen; im Anschluss versprach Gabriel mehr Geld vom Bund für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen in den Kommunen. Aber nur einen Tag später stellte die Bundesregierung klar, dass die bereits geschlossene Vereinbarung zwischen Bund und Ländern weiter Gültigkeit habe. Demnach erhielten die Länder für dieses und das kommende Jahr zusätzlich eine Milliarde Euro. Daran soll sich vorläufig nichts ändern – obwohl absehbar ist, dass diese Summe bei weitem nicht ausreicht.
Doch trotz alledem ist die politische Debattenlage eine andere als zu Beginn der 1990er Jahre, als nach exzessiver rassistischer Gewalt das Asylrecht eingeschränkt wurde. Seinerzeit agierten Neonazis im Fahrwasser einer offensiven rassistischen Rhetorik in Politik und Medien. Heute hingegen wird zumindest Kriegsflüchtlingen aus Syrien und anderen Krisengebieten in den Medien Empathie entgegengebracht. Zudem finden sich, anders als in den 1990ern, in zahlreichen Kommunen und Landkreisen Bürger in ehrenamtlichen “Willkommensinitiativen” zusammen. Sie wollen das Zusammenleben mit Flüchtlingen durch Hilfsangebote bei der Orientierung im deutschen Alltag positiv gestalten und rassistische Mobilisierungen dadurch von Beginn an in die Schranken weisen. Diesen von Bürgern, Kirchen, Vereinen und Verbänden getragenen lokalen Initiativen fehlt es jedoch an öffentlicher Unterstützung. Ihre Arbeit steht im Windschatten von medialen Konjunkturen der Themen Rechtsextremismus und Rassismus. Dies verhindert eine differenzierte Betrachtung der Entwicklung gerade in den ostdeutschen Bundesländern. Stattdessen dominieren eingefahrene Wahrnehmungsmuster vom “braunen Osten”.
Rassismus in biederem Gewand
Tatsächlich aber präsentiert sich der Rassismus heute anders als vor 20 Jahren. Die Pegida-Bewegung mit ihrer ostentativ zur Schau gestellten Bürgerlichkeit bietet dafür nur ein Beispiel. Ihren Demonstrationen in Dresden und anderswo gingen zahlreiche massive und andauernde Proteste gegen Flüchtlinge voraus. Dazu zählen etwa die rassistisch motivierten sogenannten Lichtelläufe im sächsischen Schneeberg im Jahr 2013. Laut der Amadeu Antonio Stiftung haben die Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte 2014 stark zugenommen. Doch im Unterschied zu den 1990er Jahren bricht sich der Rassismus heute nicht nur in Form von gewalttätigen Übergriffen und Brandanschlägen Bahn. Vielmehr bedient sich rassistisch motivierter Protest seit einigen Jahren zivilgesellschaftlicher Formen im Gewand bürgerschaftlichen Engagements. An die Stelle dumpfer Ressentiments treten Unterschriftensammlungen und Faltblätter, die mit dem Wertverlust von Immobilieneigentum, der Furcht vor Kriminalität und dem sozialen Gleichgewicht eines Viertels argumentieren.
Den offenen und gewalttätigen Rassismus zurückzuweisen, fällt der Politik angesichts des demographischen Wandels und der unter dem Primat der Nützlichkeit geführten Debatte um Einwanderung leicht. Viel schwerer ist es hingegen, dem Rassismus in Form des auch von Pegida viel zitierten “gesunden Menschenverstandes” entgegenzutreten. Dieser appelliert besonders in Ostdeutschland erfolgreich an Traditionen kulturell-lebensweltlicher Homogenität. Anhänger solcher Vorstellungen zeigen sich unduldsam gegenüber nichtkonformen Lebensweisen und erwarten eine strikte Unterwerfung unter die ortsüblichen kulturellen Gepflogenheiten. Dieser pragmatische Rassismus verzichtet oftmals auf eine explizit völkische Tonlage.
Auch deswegen ist absehbar, dass einige der Motive und Themen, die die Pegida-Proteste in Sachsen und darüber hinaus antreiben, in anderen Formen wiederkehren werden. Postdemokratische Repräsentationsdefizite und rassistische Einstellungen bilden nicht nur den Nährboden für regressive Protestformationen, sondern auch für die Formierung eines rechtspopulistischen Blocks. Da ist es kein Zufall, dass die ganz rechten Töne in der Alternative für Deutschland (AfD) aus den ostdeutschen Bundesländern kommen. Rechte Politik- und Deutungsangebote sind dort seit mehr als einem Jahrzehnt Teil des politischen Betriebs und stabil in sozialen Milieus verankert. Die im Osten bis zu 50 Prozent erreichende Wahlenthaltung dokumentiert die Entfremdung von den Ritualen der repräsentativen Demokratie. Diese fällt dort so stark aus, weil die Identifikation mit den demokratischen Institutionen und Abläufen seit der Wiedervereinigung nie besonders stark gewesen ist.
Geschliffene Tabus
Zudem hat in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die parlamentarische Repräsentanz der NPD über mehr als ein Jahrzehnt die Tabus gegenüber den Rechten geschliffen. Deren Politik- und Gesellschaftskonzepte gelten als diskursfähig und haben sich weithin normalisiert. Von dieser Vorarbeit der im politischen Abstieg begriffenen NPD kann die pragmatischere AfD profitieren. Gelingt es ihr dauerhaft, die Zustimmungsbereitschaft zu ihren kulturrassistischen Konzepten im Milieu der Nicht-Wählerinnen und -Wähler zu stabilisieren, sind die Barrieren für die Etablierung der Rechten in der politischen Kultur endgültig gefallen.
Angesichts dessen ist es dringend geboten, der öffentlichen Empörung über die fremdenfeindlichen Übergriffe auf Menschen und Flüchtlingsunterkünfte auch ein politisches Umdenken folgen zu lassen: Die Länder und insbesondere die Kommunen benötigen mehr Unterstützung für Unterkunft, Versorgung sowie für Bildungs- und Kulturangebote für Asylbewerber. Und nicht zuletzt müssen jene Bürgerinnen und Bürger massiv gestärkt werden, die rassistischer Stimmungsmache mutig entgegentreten.