Die Geister, die ich rief

Alles, was aus dem Ausland kommt, ist im Grunde schlecht, es entspringt böswilligen Absichten. Vor allem die EU ist eine willkürliche, machtgierige Bürokratie, die uns Schweizer nur ausnutzen und unserer Freiheit berauben will. Desgleichen die NATO, der sich unsere Armee klammheimlich unterwerfen will. Die Ausländer, die unser Gastrecht in Anspruch nehmen, wollen sich unseren zivilisierten Gepflogenheiten nicht anpassen und unsere Bräuche nicht achten. Sie mißbrauchen das Asylrecht, das wir im übrigen hochhalten, aber möglichst nicht anwenden wollen. Ausländer sind Kriminelle oder potentielle Kriminelle, nicht alle natürlich, aber von den andern reden wir nicht.

Schlechte Menschen sind übrigens auch Beamte, Lehrer, Psychologen, faul und korrupt wie die meisten Politiker. Vor allem das Kollegium des Bundesrats taugt nichts und ist dumm dazu. Politiker, linke zumal, haben nur ihre Macht im Sinne, wollen dem Steuerzahler das Geld aus der Tasche ziehen und in ihre eigene Tasche und die ihrer Klientele umverteilen, wollen unser freies Heimatland ans Ausland verkaufen und ergötzen sich masochistisch an der Zersetzung unserer ureigenen Kultur durch den Multikulturalismus. Auch gibt es eine Menge Parasiten, die sich am Volkskörper mästen, Leute, die nicht arbeiten wollen und statt dessen dem Steuerzahler auf der Tasche liegen. Einige von ihnen sind schwul, sonstwie pervers oder rauschgiftsüchtig. Gewisse Politiker haben Freude an ihnen, geben ihnen gratis, das heißt auch wieder auf Kosten der Steuerzahler, Rauschgift ab und schützen sie vor Strafe und Verfolgung.

Allerdings gibt es unter den Politikern auch Ausnahmen, senkrechte Menschen, die das Wohl des Volks im Sinne haben. Sie sind völlig selbstlos und werden von den anderen Politikern, den Linken und den unechten Bürgerlichen, lügenhaft verunglimpft. Gute Menschen sind auch die Steuerzahler, und dies obwohl Steuern an sich schlecht sind, denn Steuern sind das Raubgut der üblen Politiker. Der Steuerzahler ist ein leistungswilliger Mensch, er gibt das Beste für unser Land und möchte gerne etwas von den Früchten seiner Arbeit genießen. Aber das kann er nicht, weil der Staat ihm alles wieder stiehlt. Deshalb kann man es dem Steuerzahler nicht verargen, wenn er ab und zu Steuern hinterzieht.

Auch ausländische Steuerhinterzieher, die ihr Geld massenhaft auf unsere Banken bringen, sind angenehme Ausländer, denn sie bringen bloß ihr Geld, schaffen damit sogar Arbeitsplätze und belästigen uns weiter nicht mit ihrer Anwesenheit. Wir schützen ihr Geld mit unserem Bankgeheimnis, das tief im schweizerischen Volksempfinden verankert ist. Gewisse Politiker wollen es abschaffen. Sie nennen sich zwar Sozialdemokraten, um sich als Demokraten zu maskieren, aber sie sind Sozialisten, wie die Nationalsozialisten, was man schon an ihrem Namen erkennen kann. Sie sind auch Marxisten, sie stellen, genau wie Hitler und Stalin, das Kollektiv über das Individuum, vergöttern den Staat und sind irgendwie mitverantwortlich, daß Hitler die Juden und Stalin noch viel mehr Menschen umgebracht hat als Hitler.

Die Zeitschrift, der ich dieses Weltbild entnehme, heißt “Schweizerzeit”. Ihr Gründer ist Nationalrat Ulrich Schlüer von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), und ihr gegenwärtiger Herausgeber ist Thomas Meier, Fraktionschef dieser Partei im Zürcher Gemeinderat. Momentan führt er einen Prozeß gegen die sozialdemokratisch geführte Regierung der Stadt – das heißt diese hat ihn eingeklagt, weil er behauptete, die Stadtregierung habe “eine kriminelle Klientele”. Damit meinte Meier wohl Chaoten, die die Stadt vollsprayen, oder Rauschgiftsüchtige, vielleicht noch schlimmere Elemente, man weiß das nicht genau. Allerdings scheint die SVP ihrerseits eine seltsame Klientele zu haben, von der einen Brief zu erhalten ich kürzlich das Vergnügen hatte.

Das war so gekommen: Ich hatte einen Leserbrief geschrieben, in welchem ich die Bergier-Kommission verteidigte und die SVP-Nationalräte Blocher und Schlüer auf die Schippe nahm. Die Bergier-Kommission ist – für jene, die das nicht wissen – eine Kommission von Historikern, die vom Bundesrat beauftragt wurde, die Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu untersuchen. Die Kommission kam, grob gesagt, zum Schluß, daß die Schweiz in jenen Jahren in mindestens 30,000 registrierten Fällen Juden an der Grenze abgewiesen und in den sicheren Tod geschickt hatte, daß das Schicksal der Juden unter dem Naziregime den Behörden bekannt war und daß dieses Hitlerdeutschland gefällige Verhalten zur Rettung der Unabhängigkeit des Landes nicht notwendig war, hingegen eine gehörige Portion Antisemitismus dabei eine Rolle spielte. Der damalige Chef der Fremdenpolizei befürchtete die “Verjudung” der Schweiz. Die Resultate der Untersuchung wollten Nationalrat Schlüer und vielen bürgerlichen Respektabilitäten gar nicht gefallen. Schlüer ließ sich dazu hinreißen, die Autoren der Studie öffentlich als “Lausbuben, die eine gehörige Tracht Prügel verdienen” zu bezeichnen. So viel etwa stand in meinem Leserbrief.

Der Drohbrief, den ich wenige Tage danach bekam, trug die Unterschrift einer “Nationalen Initiative Schweiz”, und diese Leute bezeichneten sich selbst als “Neonazis bester Sorte”: “Studierte linke Pisser, welche die Aktivdienstgeneration beschimpfen und die SVP beleidigen, werden ab jetzt gnadenlos gejagt”, hieß es da, man werde mich totschlagen, und meiner Frau wurde Vergewaltigung angedroht. Herr Nationalrat Schlüer sei “immerhin ein vom Volk gewählter Nationalrat.”

Viele Journalisten oder Leute, die sich um die Integration von Immigranten bemühen, bekommen heute ähnliche Briefe. Mancher wird sich fragen, ob man gewisse Leute überhaupt noch gefahrlos kritisieren kann, und es vorziehen, den Mund zu halten. Ein Klima der Angst entsteht. Die Bundespolizei hat kürzlich einen Untersuchungsbericht über den Rechtsextremismus in der Schweiz veröffentlicht und festgestellt, daß sich die Skinhead-Szene stark ausbreitet und organisiert. Eine akute Gefahr für unser gesellschaftliches System sei jedoch nicht gegeben. Die Rechtsextremisten seien isoliert. Das wird ein Opfer, das von Skinheads spitalreif geschlagen wird, allerdings wenig beruhigen.

Gewiß, sämtliche Parteien verurteilen einhellig Rassismus und Rechtsextremismus. Auch sind Hitler und Hakenkreuze in diesem Land tatsächlich nicht populär, damit sind keine Stimmen zu machen. Der Protest gegen solchen Wahnsinn kommt daher billig zu stehen. Doch Rechtsradikalismus braucht weder Hakenkreuze, noch hat er Hitlers Geburtstag zu feiern, er versteht sich dem Zeitgeist anzupassen. Er beginnt beispielsweise in der Sprache.

Die SVP, die rund ein Drittel der schweizerischen Wählerschaft hinter sich versammeln kann, bedient sich heute einer Sprache und vor allem auch einer Bildersprache, die im sonst gemütlichen schweizerischen Politikbetrieb ziemlich neu ist. Die Vereinigung der Public-Relations-Manager und Werber hat diese neue Form der politischen Kommunikation als vorbildlich professionell und zeitgemäß gelobt. Mißt man den Erfolg an Einschaltquoten und Wählerstimmen, ist dieses Lob zweifellos hoch verdient.

Kürzlich veröffentlichte die Zürcher SVP ein Inserat unter dem Titel Das ist linke Politik!: “Bei den Senioren nehmen, um den Kulturschmarotzern zu geben.” Im Visier waren dabei – das wurde der Klarheit halber präzisiert – die Subventionen ans Zürcher Schauspielhaus. “Kulturschmarotzer”: Der Begriff erinnert an die Zeit, als Deutschlands literarische Elite – “jüdische Parasiten” und “Kulturschmarotzer” war die Bezeichnung dafür – emigrieren mußte. Zum Teil fanden diese Emigranten Aufnahme am Zürcher Schauspielhaus und machten für kurze Zeit dieses Theater zum kulturellen Leuchtturm Europas.

Maßstäbe dieser neuen politischen Kultur und Sprache hat nicht zuletzt Christoph Blocher gesetzt, der charismatische Volkstribun der SVP. In einem Zeitungsinterview verglich er die Boykottdrohung jüdischer Organisationen gegen die Schweizerbanken mit dem Boykott der Nazis gegen jüdische Geschäfte. Er hat sie nicht nur verglichen, er hat beides ausdrücklich gleichgesetzt. “Den Juden geht es nur ums Geld”, titelte die “SonntagsZeitung” die Besprechung einer Rede Blochers und erhielt von einem Gericht bestätigt, den Inhalt des Vortrags korrekt zusammengefaßt zu haben.

Wo eine solche Sprache geführt wird, kann es nicht erstaunen, daß kaum eine Woche vergeht, ohne daß die Boulevardpresse einen neuen peinlichen Fall bei der SVP aufdeckt. Parteimitglieder werden als Skinheads, neonazistische Spinner, Holocaustleugner entlarvt, und jedesmal hatten die Parteioberen keine Ahnung, was sich da wieder für ein zweifelhaftes Element bei ihnen eingenistet hatte. Sie geben sich entrüstet, wenn ihnen vorgeworfen wird, diese Unterwanderung zuzulassen oder ihr gar Vorschub zu leisten. Nein, Extremismus gibt es nur auf der Gegenseite, beim Zürcher Stadtpräsidenten Estermann vielleicht mit seiner “kriminellen Klientele”. Schließlich ist die SVP die Partei des freundlich lächelnden “Sünneli”, des “Buurezmorge”, der Treicheln und Trachten. Ist ein größerer Gegensatz zu Hitlergruß und schwarzen SS-Uniformen denkbar? Oder erleben wir womöglich eine neue Realsatire von Biedermann und die Brandstifter?

Natürlich darf man den Wortführern der SVP glauben, daß sie mit Nazibrimborium und Skinheadschlägern nichts zu tun haben, daß ihnen diese braune Gefolgschaft, die in ihrem Kielwasser mitschwimmt, lästig ist. Aber wer tagtäglich mit Haßpropaganda operiert, wird sie einfach nicht mehr los, sondern zieht sie an wie Schmeißfliegen. Die SVP ist nicht identisch mit ihren rechten Scharfmachern. Sie kann auf eine alte Tradition zurückblicken, vor allem im Kanton Bern, wo sie noch unter dem Namen “Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei” Inbegriff konservativer Bürgertugend war. Die Traditionalisten unter ihren Anhängern fühlen sich rücksichtslos – einige sagen mit totalitären Methoden – in den Hintergrund gedrängt. Händeringend sehen sie zu, wie die SVP in den Rechtsradikalismus abgleitet, und verstehen vielleicht langsam, daß mehr als nur die Einheit ihrer Partei auf dem Spiel steht.

Published 20 December 2000
Original in German
First published by Du

Contributed by Du © Alexander Böckli / Du / Eurozine

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