Strategischer Konsum statt nachhaltiger Politik?
Ohnmacht und Selbstüberschätzung des "klimabewussten" Verbrauchers
Der ökologische Diskurs in den entwickelten Industrieländern zeichnet sich durch eine tiefgreifende Skepsis sowohl gegenüber dem Veränderungswillen als auch den Möglichkeiten institutionalisierter Politik aus. Die Notwendigkeit “umweltfreundlichen” Handelns wird dementsprechend durchgängig auf zwei Ebenen zugleich thematisiert. Gefragt sei nicht nur eine konsequente Umweltpolitik, vonnöten seien mindestens ebenso sehr auch Bewusstseins- und Verhaltensänderungen im Alltag eines jeden Einzelnen. Die Verknüpfung dieser beiden Diskursstränge prägt die Debatte bereits seit dem Aufstieg der Umweltbewegung in den 1970er Jahren. Eine ähnliche, die Alltagsdimension sogar deutlich privilegierende Argumentationsfigur lässt sich bis zur Lebensreformbewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. Und auch bei der zentralen ökologischen Frage unserer Zeit, dem sich bereits vollziehenden Klimawandel, gilt klimabewusstes Alltagshandeln mindestens als notwendige Ergänzung, wenn nicht gar als Voraussetzung für eine konsequente Klimapolitik.
Doch im gegenwärtigen Boom von Klimaratgebern und öko-Lifestyle- Internetportalen, im Kauf von Autos mit Hybrid-Antrieb oder dem Wechsel zu ökostrom-Tarifen drückt sich nicht nur ein fehlendes Vertrauen in den Politikbetrieb aus, sondern zugleich auch eine immense Überschätzung politisierter Alltagspraxis. Denn der aktive Versuch, im Vollzug des eigenen Alltags Impulse für “mehr Nachhaltigkeit” zu setzen und dadurch nicht nur die persönliche Umweltbilanz zu verbessern, sondern auch positiv auf Politik, Unternehmen und Mitmenschen einzuwirken, gelangt häufig kaum über die Sphäre der symbolischen Ökonomie eines Avantgarde-Bewusstseins hinaus. Auch die direkt messbaren Klima-Effekte fallen meist bescheiden aus.
Die prominente Rolle, die dem “kritischen Verbraucher” in der Klimadebatte zugeschrieben wird, ist nicht nur unangemessen, sie befördert auch Tendenzen einer Moralisierung und De-Politisierung des Nachhaltigkeitsdiskurses. Für die anzustrebende Wende hin zu einer Low Carbon Economy wäre es deshalb hilfreich, wenn der Einzelne seine gesellschaftliche Verantwortung nicht primär als Konsument wahrzunehmen versuchen würde, sondern als Bürger, der sich in seinem Agieren wieder direkt auf das politische Feld bezieht.
Differenziertes Umweltbewusstsein
Dass sich der Wunsch nach einer klimabewussten Lebensführung keineswegs von selbst versteht, zeigt schon der Blick auf die nationalen Differenzen innerhalb Europas. Das in Meinungsumfragen ermittelbare Maß an Umweltbewusstsein fällt bei den Bevölkerungen West- und Nordeuropas in der Regel höher aus als in Ost- und Südeuropa1. Dies spiegelt sich zum Teil auch in den Präferenzen der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten wieder. Während die 2004 und 2007 aufgenommenen Neumitglieder beim Klimaschutz eher auf die Bremse treten, sind es vor allem Frankreich, Deutschland und Großbritannien, die die EU auf eine ambitionierte Politik verpflichten wollen. Doch selbst in den Staaten, in denen der Klimaschutz weit oben auf der Agenda steht, ist die Motivation, den eigenen Alltag entlang einer politischen Leitidee zu organisieren, selbstredend nicht in allen gesellschaftlichen Schichten gleich stark verankert. Auch wenn in der Diskussion um den Klimawandel oft und gern hervorgehoben wird, dass das “Überleben der Menschheit” auf dem Spiel stehe, so hat eine Mehrzahl der Bürger offensichtlich drängendere Alltagssorgen. So ist zwar das Umweltbewusstsein in den deutschsprachigen Ländern traditionell relativ stark ausgeprägt, in einer veränderten Alltagspraxis schlägt sich dies jedoch nach wie vor nur bei den wenigsten nieder – ein Umstand, der eine ganze Generation von Umweltpädagogen und -psychologen nicht nur zur Verzweiflung, sondern auch in Lohn und Brot gebracht hat.
Den Versuch eines “nachhaltigen Lebensstils” unternimmt lediglich eine kleine, wenn auch diskursmächtige Minderheit, die sich nicht zuletzt durch eine Kombination von höheren Bildungsabschlüssen und mindestens durchschnittlichen Einkommen auszeichnet. Doch selbst diese Minderheit bildet keineswegs einen monolithischen Block. Während sich der eine Teil an einer – in der Umweltbewegung seit jeher weit verbreiteten – Verzichtsethik nach der Maxime “Gut leben statt viel haben” orientiert, hat in den letzten Jahren auch eine Haltung an Gewicht gewonnen, die globales Verantwortungsbewusstsein mit ausgesprochener Konsumfreude kombiniert. Das Alltagshandeln der sogenannten LOHAS (abgeleitet von “Lifestyle of Health and Sustainability”) richtet sich nicht auf die Minimierung von Material- und Energieflüssen, sondern auf deren Umlenkung in nachhaltigere Bahnen. Im Mittelpunkt steht nicht die persönliche Einschränkung, sondern der “strategische Konsum”. Das Motto des wichtigsten deutschsprachigen öko-Lifestyle-Portals utopia.de lautet dementsprechend: “Kauf Dir eine bessere Welt”.
Doch ganz gleich, welcher Fraktion das klimabewusste Individuum angehört, die gesteigerten Selbstansprüche sind nur um den Preis einer Verkomplizierung der eigenen Alltagspraxis einzulösen. Schließlich ist beinahe jede menschliche Handlung in irgendeiner Weise klimarelevant, weil mit dem Ausstoß von Treibhausgasen verbunden. Während die Gestaltung alltäglicher Lebensführung im gesellschaftlichen Normalfall primär auf dem Prinzip der Komplexitätsreduktion sowie einem praktischen Sinn (Bourdieu) für die fortwährende Nützlichkeit der eigenen Routinen beruht, geht die Öko-Avantgarde zunächst einmal den umgekehrten Weg. Ihr entsteht, verglichen mit dem Mainstream, nicht nur ein deutlich erhöhter Bedarf an Orientierungswissen. Sie muss sich zudem mit dem selbstgewählten Anspruch herumschlagen, dieses Wissen trotz vielfacher Widerstände auch tatsächlich handlungsleitend werden zu lassen.
Den Angehörigen von Milieus, in denen die dazu notwendigen Kapazitäten zeitlicher, kognitiver und finanzieller Art eher schwach ausgeprägt sind und in denen dementsprechend auch keine soziale Anerkennung für die Übernahme individueller Verantwortung “für das große Ganze” zu erwarten ist, wird ein klimabewusster Lebensstil fremd bleiben müssen. Ein solcher ist aus Sicht des Einzelnen nur dann erstrebenswert, wenn die eigenen Anstrengungen auch mit positiven Bedeutungskonnotationen versehen werden können. Diese “emotionale Rendite” kann oft schon allein durch das Gefühl realisiert werden, einen positiven Beitrag für die Zukunft der eigenen Kinder geleistet zu haben. Am sichersten gelingt diese Operation jedoch noch immer im beständigen Vergleich mit anderen, weniger umweltbewussten Existenzen – sei es in der moralisierenden Abwertung der Ignoranten in der eigenen Nachbarschaft (“so ein Spritfresser, das muss doch wirklich nicht sein”), sei es in der selbstgerechten Verurteilung von China, Brasilien und den USA, die in Europa gern unter Generalverdacht gestellt werden, “unser Klima zu ruinieren”. Dass sich in solchen Haltungen manifestierende Distinktionsbedürfnis geht in der Regel mit einer Individualisierung und Moralisierung der ökologischen Frage einher, die soziale und ökonomische Dimensionen des Klimaschutzes tendenziell ausblendet. Aus Sicht der Öko-Avantgarden ist das eigene Verhaltensrepertoire das Maß der Dinge.
Das Problem mit der Komplexität
Man könnte über die zum Teil sehr fragwürdigen Motivlagen getrost hinwegsehen, wenn sie denn spürbar positive Effekte für den Klimaschutz nach sich ziehen würden. Dies aber ist allzu häufig nicht der Fall, vor allem deshalb, weil der Einzelne der Komplexität klimapolitischer und energiewirtschaftlicher Funktionszusammenhänge meist nicht gewachsen ist, seine subjektiven Handlungsintentionen dementsprechend nicht immer mit den materiellen Folgewirkungen korrespondieren.
Nur ein Beispiel: Dem gesunden Menschenverstand scheint es zwingend, dass Stromsparen im Haushalt zu einer Verminderung des globalen CO2-Ausstoßes führen wird. Dem ist jedoch mitnichten so. Denn das EU-Emissionshandelssystem ist so konstruiert, dass das Gesamtvolumen der Emissionsberechtigungen, die von Kraftwerksbetreibern und ausgewählten Industriezweigen erworben werden müssen, schon auf Jahre hinaus festgelegt ist, mit schrittweise sinkender Tendenz. Eine verminderte Elektrizitätsnachfrage privater Haushalte ändert nichts an der Gesamtzahl der ohnehin knappen Zertifikate. Zwar kann durch individuelles Stromsparen zunächst der CO2-Ausstoß eines nahegelegenen Kohle- oder Gaskraftwerks sinken. Dies führt jedoch letztlich nur dazu, dass die Zahl der vom betreffenden Kraftwerksbetreiber zu erwerbenden Emissionsberechtigungen sinkt, möglicherweise gar so weit, dass dieser bereits erhaltene, nun aber überschüssig gewordene Zertifikate an der Strombörse verkaufen kann. Die Emissionen werden also lediglich verlagert. Je mehr die umweltbewussten Haushalte einsparen, desto günstiger die Zertifikatspreise auf den Emissionshandelsmärkten. Davon profitieren in erster Linie energieintensive Industrien wie die Stahl- oder die Aluminiumbranche, für die der Druck zur Anpassung ihrer Produktionsprozesse ein wenig abgemildert wird. Das muss in volkswirtschaftlicher Hinsicht nicht das Schlechteste sein. Der klimabewusste Verbraucher hat jedoch wohl anderes im Sinn, wenn er sich eine effizientere Waschmaschine zulegt.
Die Liste alltäglicher Beispiele für nicht-intendierte Effekte oder nur unzureichend durchschaute Zusammenhänge ließe sich beinahe beliebig verlängern. Welcher Verbraucher versteht schon, dass ein Großteil der auf dem Markt angebotenen ökostromtarife keinerlei positive Umwelteffekte mit sich bringt, da diese Tarife meist nicht zu einem Neubau von Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung führen, sondern lediglich den europaweiten Handel mit Ökostromzertifikaten ankurbeln? Wer vermag schon mit Sicherheit zu sagen, ob Biogemüse aus Spanien gegenüber konventionell angebautem aus der Region zu bevorzugen wäre? Wer würde erwarten, dass die Produktion von Rindfleisch in ökologischer Aufzucht bisweilen “klimaschädlicher” ist als in der konventionellen Landwirtschaft? Wer kann schon einschätzen, wie es um die CO2-Bilanz verschiedener Sorten von biogenen Treibstoffen bestellt ist und welchen Einfluss auf die weltweiten Nahrungsmittelpreise deren Förderung tatsächlich hat?
Selektive Wahrnehmungsmuster
Eine Minderheit – gewissermaßen die Avantgarde der Avantgarde – konsultiert in solchen Fragen nicht nur eifrig die einschlägigen Fachmedien, mit noch größerem Eifer diskutiert sie darüber in zahllosen Online-Foren, ohne dass dies zwingend zu eindeutigen Antworten führen müsste. Die Mehrheit der Umweltbewussten aber steigt an genau diesem Punkt aus, flieht vor dem “Green Noise”, der unüberschaubaren Menge sich widersprechender Verhaltensratschläge. Schließlich hält der Alltag in der Spätmoderne noch ganz andere Herausforderungen bereit, als einen wohlinformierten und über alle Zweifel erhabenen Öko-Lebensstil zu pflegen2. Das beginnt bei der zeitraubenden und kompromissfördernden Notwendigkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten und endet nicht zuletzt in einer Vielzahl von alltagspraktischen Zielkonflikten. Nur die wenigsten Umweltbewussten werden so weit gehen wollen, ihre Mobilität drastisch einzuschränken, permanent den Fleischkonsum des Ehepartners zu kritisieren oder ihre Kinder ausschließlich mit Naturtextilien einzukleiden und sie damit zielsicher auf eine innerschulische Außenseiter-Position festzulegen. Für den Einzelnen erweisen sich die Modi alltäglicher Lebensführung in der Spätmoderne als zu komplex, gestalten sich die Ansprüche, die auf das Individuum in einer Vielzahl von Sub-Sinnwelten einwirken, insgesamt als zu widersprüchlich, als dass erfolgversprechend der Versuch unternommen werden könnte, das eigene Leben konsequent an einer einzigen Meta-Erzählung auszurichten. Wer es dennoch versucht, riskiert eine massive Einschränkung der eigenen Handlungsspielräume, im schlimmsten Fall gar die soziale oder kulturelle Ausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft.
Doch die faktische Kapitulation vor der Komplexität des Alltags schlägt sich bei denjenigen, die auf eine umweltbewusste Lebensführung achten, meist nicht in einem spürbaren Zurückfahren der Ansprüche an die Wirkmächtigkeit des eigenen Handelns nieder. Weil aber der Alltagsverstand nichts mehr fürchtet als fortwährende Ambivalenzen, wird das Wissen einfach den eigenen Möglichkeiten und Präferenzen angepasst. Die Systemausschnitte für die möglichst positive Bewertung der eigenen Alltagspraxis werden so gewählt, dass der Vorreiter-Anspruch gewahrt und das Gewissen beruhigt bleibt. Dieses Phänomen lässt sich nicht nur in den vielfältigen Bemühungen um eine ökologisch nachhaltige Lebensweise beobachten, sondern auch in anderen Varianten einer politisierten Alltagspraxis, etwa bei dem in Akademikermilieus nicht seltenen Versuch, Paarbeziehungen so zu gestalten, dass sie mit den eigenen geschlechterpolitischen Grundsätzen konform gehen3.
Einem Teil der Gutwilligen mag es genügen, “im Kleinen” einen Unterschied zu machen – öfter mal im Bio-Supermarkt einkaufen, hin und wieder das Auto stehen lassen, Flüge nur noch in Kombination mit den angebotenen Projekten zur CO2-Kompensation buchen (auch wenn man es zu Recht ein wenig dubios findet). Wer über ein ausreichendes Haushaltseinkommen verfügt und sorgfältig plant, kann aber auch mit nur wenigen “strategischen” Kaufentscheidungen beträchtliche Distinktionsgewinne erzielen – mit einer Solaranlage auf dem Dach selbstredend leichter als mit einer Modernisierung der im Keller versteckten Heizungsanlage. Und das neue Auto sollte nicht nur über einen als klimafreundlich geltenden Hybrid-Antrieb verfügen, sondern als solches auch deutlich zu erkennen sein. Der Erfolg des Toyota Prius, dem globalen Referenzmodell in der Kategorie der Hybrid-Autos, dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass sich die Konstrukteure – im Unterschied zu den Hybrid-Varianten von Honda oder Ford – nicht darauf beschränkten, einen speziellen Motor in ein sonst fast unverändertes Standardmodell zu integrieren, sondern dem Prius eine eigenständige Karosserie verpassten, was den Wiedererkennungswert des Wagens als Hybrid drastisch erhöht und ihm damit in der ersten Boomphase dieses Teilmarkts einen unschätzbaren Konkurrenzvorteil verschafft hat. Nicht ganz zufällig begründeten Anfang 2007 nicht weniger als 57% der amerikanischen Prius-Käufer ihre Entscheidung mit einem schlichten “Makes a statement about me”, mit Abstand der am häufigsten genannte Grund, noch weit vor “lower emissions”4. Was aber in der Begeisterung, den der Kauf eines Prius inzwischen auch bei LOHAS in Europa ausgelöst hat, völlig untergeht: Für den Klimaeffekt des Autofahrens ist nicht der durchschnittliche CO2-Ausstoß eines PKW entscheidend, sondern dessen Kombination mit den tatsächlich zurückgelegten Fahrzeugkilometern.
Die Praxis, bei der ökologischen Bewertung des eigenen Handelns den Kaufakt in den Mittelpunkt zu stellen, nicht aber die anschließende Nutzung, verbunden mit der Tendenz, die ökologischen Effekte der Produktion neuer Waren und Güter gar nicht erst in die alltäglichen Kalkulationen mit einzubeziehen, macht insbesondere die LOHAS zu einem bevorzugten Objekt des Konsumgütermarketing. Mit einem entsprechenden Produktangebot bietet sich Unternehmen nicht nur die Chance, neue Konsumtrends zu kreieren. Mit der erfolgreichen Durchsetzung einzelner Leitmarken kann zudem auch der Hersteller selbst eine enorme symbolische Aufwertung erfahren. So hat sich etwa Toyota mit dem Erfolg des Prius in den letzten Jahren ein zunehmend ökologisches Image erworben, und dies, obwohl das Unternehmen als weltweit größter Automobilhersteller hauptsächlich konventionelle Modelle vertreibt, als Nr. 2 auf dem US-Markt gar einen sehr hohen Anteil “spritschluckender” Pickups und Geländewagen.
Für eine De-Politisierung der Alltagspraxis
Misst man den Ansatz einer ökologisch ausgerichteten Alltagspolitik an seinen eigenen Ansprüchen, so fällt die Bilanz der letzten 30 Jahre relativ bescheiden aus. Versuche einer ökologisch orientierten Lebensführung haben zwar sicherlich mit dazu beigetragen, das Deutungsmuster der Nachhaltigkeit in westlichen Industriegesellschaften zu verankern. Davon aber, dass “kritische” oder inzwischen auch “strategische” Konsumenten die Unternehmen zu einer signifikant ökologischeren Produktpolitik “gezwungen” hätten, kann kaum die Rede sein. Nicht einmal Energiesparlampen und verbrauchsarme Autos haben sich bislang am Markt durchsetzen können, allem Umweltbewusstsein in der Bevölkerung zum Trotz. Ohnehin greift der bei der Öko-Avantgarde dominierende Blick auf die Qualität der Endprodukte zu kurz, denn auf die mindestens ebenso wichtigen Dimension der Energie- und Materialeffizienz von industriellen und landwirtschaftlichen Produktionsprozessen haben Endverbraucher keinerlei Einfluss. Weder verfügen sie über die entsprechenden Informationen, noch wäre zu erwarten, dass solche Informationen ein entsprechendes Kaufverhalten nach sich ziehen würden5. Eine “Individualisierung von Verantwortung” kann deshalb nicht zum Ersatz für den grundsätzlich erfolgversprechenderen Weg einer politischen Regulierung werden. Es hat sich als wenig effektiv erwiesen, energie- und klimapolitische Entscheidungen mit gruppenspezifischen Moralvorstellungen aufzuladen, ganz gleich, ob diese auf Konsumverzicht oder den bewussten Einsatz von Konsum gerichtet sind. Weitaus zielführender ist es, durch politische Rahmensetzungen vermehrt Anreize für professionelle Akteure zu schaffen, eine Vielzahl von energieeffizienten und klimafreundlichen Lösungen zu entwickeln und diesen im größeren Maßstab zum Durchbruch zu verhelfen. Eine klimapolitisch gebotene, fundamentale Veränderung der Stoffströme wird sich nicht über freiwillige Selbstverpflichtungen einer zahlenmäßig immer noch überschaubaren Öko-Avantgarde bewirken lassen, sondern letztlich nur über das in ökologischer Hinsicht intentionslose Handeln breiter Bevölkerungsschichten.
So ist etwa der vergleichsweise hohe Ausbaustand bei erneuerbaren Energieträgern in Deutschland keineswegs einer besonders großen Zahl an bewussten ökostromkonsumenten zuzuschreiben, sondern dem regulatorischen Modell der Einspeisevergütung, das den neuen Anbietern ein hohes Maß an Planungssicherheit verschafft, indem es die großen Energieversorger dazu zwingt, die Gesamtproduktion an Wind- und Solarstrom zu staatlich festgelegten Preisen in die Elektrizitätsnetze einzuspeisen und die anfallenden Kosten “ungefragt” auf alle Stromkunden umzulegen – und zwar ohne dass der auf diesem Weg geförderte Strom als ökoenergie vermarktet werden darf. Und seit die EU im vergangenen Jahr beschlossen hat, den Anteil der erneuerbaren am Energieverbrauch bis 2020 auf 20% zu steigern, investieren auch die großen Energieversorger massiv in diesen Sektor. Nicht etwa deshalb, weil sie plötzlich von tiefstem Herzen “grün” geworden wären, sondern weil dieses Geschäftsfeld aufgrund politischer Grundsatzentscheidungen ökonomisch lukrativ zu werden verspricht6. Die von der EU beschlossene Verschärfung der Effizienzkriterien für Leuchtkörper wird nicht nur binnen weniger Jahre das Ende für herkömmliche Glühbirnen einleiten, ohne dass auch nur ein einziger Haushalt mühsam von den Vorzügen alternativer Beleuchtungssysteme überzeugt werden müsste. Aufgrund ihrer Gültigkeit für einen Binnenmarkt von 500 Millionen Konsumenten dürfte diese Entscheidung auch technische Innovationssprünge auslösen, die die derzeit handelsüblichen Energiesparlampen mit ihrer nach wie vor beschämenden Lichtqualität schon bald vergessen machen könnten.
Eine De-Politisierung der Alltagspraxis wäre nicht gleichbedeutend mit dem Ende von Umweltpolitik, ganz im Gegenteil. Sie brächte dem umweltbewussten Einzelnen nicht nur eine Entlastung von faktisch uneinlösbaren Ansprüchen an sein individuelles Handeln. Sie könnte zugleich auch eine Re-Politisierung des Umweltbewusstseins beflügeln. Die entscheidenden Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Veränderungen werden nicht auf dem Feld des privaten Konsums ausgetragen, sondern auf dem der institutionalisierten Politik.
Bürger oder Konsument?
Ambitionierte klimapolitische Ziele werden sich nur erreichen lassen, wenn Gesellschaften über wirkmächtige und am Gemeinwohl orientierte Steuerungsinstanzen verfügen. Dass Regierungen und Parteien bislang nur einen bescheidenen klimapolitischen Leistungsnachweis vorzuweisen haben, gibt Anlass zu großer Skepsis, kann jedoch nicht bedeuten, das Potential staatlicher Regulierung schlicht zu negieren und statt dessen auf die scheinbare Macht des mündigen Verbrauchers zu bauen. Begreift man den sich vollziehenden Klimawandel, ähnlich wie auch die globale Finanzkrise, als Ausdruck eines weitreichenden Marktversagens, so bietet er auch eine Chance für die Wiedergewinnung des Politischen. Die Rolle des nachhaltigkeitsorientierten Einzelnen wird deshalb nicht zuletzt darin bestehen müssen, auf den regelsetzenden Teil des professionalisierten Politikbetriebs Einfluss zu nehmen. Angesichts der Eigeninteressen der Akteure im politischen Feld ist allerdings mehr als fraglich, ob entscheidende politische Impulse tatsächlich von (im weitesten Sinne) ökologisch motivierten Konsumentscheidungen zu erwarten sind7. Eine Re-Politisierung des Umweltbewusstseins erfordert deshalb nicht zuletzt auch eine veränderte Selbstauffassung des an weitreichenden klimapolitischen Veränderungen interessierten Individuums. Der Einzelne sollte sich dementsprechend nicht länger primär als Konsument in Beziehung zur Gesellschaft setzen, sondern vielmehr als Bürger. Er sollte sich nicht ausschließlich an der Qualität der Umwelt interessiert zeigen, sondern auch an der Qualität der Demokratie.
Vgl. Jürgen Gerhards / Holger Lengfeld, "Das ökologieskript der Europäischen Union und seine Akzeptanz in den Mitglieds- und Beitrittsländern", in: Zeitschrift für Soziologie, 2006, Heft 35, S. 24-40.
Vgl. Angelika Poferl, Die Kosmopolitik des Alltags. Zur ökologischen Frage als Handlungsproblem, Berlin 2004.
Vgl. Cornelia Koppetsch / Günter Burkart, Die Illusion der Emanzipation. Zur Wirksamkeit latenter Geschlechtsnormen im Milieuvergleich, Konstanz 1999.
Vgl. Micheline Maynard, "Say 'Hybrid' and Many People Will Hear 'Prius'", New York Times, 06.07.2007. S. 1.
Vgl. Ines Weller, "Konsum im Wandel in Richtung Nachhaltigkeit? Forschungsstand und Perspektiven", in: Hellmuth Lange (Hg.), Nachhaltigkeit als radikaler Wandel. Die Quadratur des Kreises?, Wiesbaden 2008, S. 43-70.
Vgl. Oliver Geden / Severin Fischer, Die Energie- und Klimapolitik der Europäischen Union. Bestandsaufnahme und Perspektiven, Baden-Baden 2008.
Vgl. Pierre Bourdieu, Das politische Feld. Zur Kritik der politischen Vernunft, Konstanz 2001.
Published 13 March 2009
Original in German
First published by Transit 36 (2009)
Contributed by Transit © Oliver Geden / Transit / Eurozine
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