Srebrenica. Ten years on
Am 11. Juli jähren sich die Gräuel von Srebrenica zum zehnten Mal. Das Massaker, bei dem serbische Truppen um die 8000 moslemische Jungen und Männer mordeten, gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Doch nur sehr langsam nimmt Serbien die Schuld an diesem und anderen Kriegsverbrechen an. Bis vor kurzem lag über den von serbischer Seite begangenen Verbrechen der Mantel des Schweigens. Bei einer Umfrage unter der serbischen Bevölkerung im letzten Jahr konnte fast niemand auch nur ein einziges serbisches Kriegsverbrechen nennen. Und auch der Präsident leugnete nach wie vor, dass es unwiderlegbare Beweise für von Serben begangene Kriegsverbrechen gibt.
Seit einiger Zeit wird von verschiedenen Seiten Druck zur Aufarbeitung der traumatischen Vergangenheit ausgeübt – auf die serbische Regierung und auch auf die allgemeine Öffentlichkeit. Wohl mit Erfolg, wie Obrad Savic vom Belgrade Circle in seinem Eurozine-Beitrag “Srebrenica Between Denial and Recognition” konstatiert. Denn bis Mitte 2005 ist immerhin schon die Hälfte der serbischen Bevölkerung bereit zu akzeptieren, dass mutmaßliche Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden müssen. Allerdings kann sich die Mehrheit der Bürger/innen der Republik Serbien und Montenegro immer noch nicht vorstellen, dass der serbische Staat – als alleiniger Hüter des Rechts – Täter solch monströser Verbrechen sein könne.
Mit dem Auftauchen eines Videos als Beweisstück im Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic Anfang Juni diesen Jahres, scheint das Ende des kollektiven Selbstbetrugs gekommen zu sein, das bisher den Serben half, sich als unschuldige Opfer zu stilisieren. Das Video zeigt wie sechs Menschen mit gefesselten Händen aufgereiht und von serbischen Soldaten in der Nähe von Srebrenica erschossen werden.
Nur wenige Tage vor dem Auftauchen des Videos hat eine Gruppe von NGOs, zu denen auch das Belgrade Circle gehört, der serbischen Nationalversammlung eine Erklärung zur Anerkennung der Opfer der Kriegsverbrechen vorgelegt, die Eurozine hier abdruckt und in die Obrad Savic mit seinem Text einführt. In der Erklärung, die von offizieller Seite abgelehnt wurde, werden das Massaker von Srebrenica und andere Verbrechen gegen die Menschheit durch die Serben anerkannt.
Eine kleine Sensation stellt das Gespräch dar, das die dänischen Autoren Jens-Martin Eriksen und Fredrik Stjernfelt mit zwei der Verfasser des so genannten “Memorandums” geführt haben, das die ideologische Grundlage für den serbischen Nationalismus bildete. Das Memorandum, das 1986 an der Serbischen Akademie der Künste und Wissenschaften publiziert wurde, fassten die anderen Teilrepubliken Jugoslawiens als Kriegserklärung auf. Es handelt von der angeblichen wirtschaftlichen und kulturellen Benachteiligung Serbiens und zeugt von ähnlicher Angst vor einer Verschwörung gegen Serbien wie die Blindheit gegenüber den serbischen Kriegsverbrechen der letzten Jahre.
Das Kosovo ist immer wieder einer der Streitpunkte zwischen Serben und Albanern gewesen. Einen historischen Abriss der Geschichte des Kosovo, von der Schlacht am Amselfeld bis zu den Unabhängigkeitsforderungen der Albaner heute, liefert Jean-Arnault Dérens, Chefredakteur des “Courrier des Balkans”.
Artikel:
Obrad Savic
Srebrenica: Between denial and recognition (en)
Recent footage showing murders taking place at Srebrenica has proved a catalyst for a change in the attitudes of the Serbian public towards Serbian war crimes. [2005-07-08]
Belgrade Circle, et al.
Declaration on the obligation of the state of Serbia… (en)
The declaration submitted to the Serbian government by a group of Belgrade NGOs, urging that guilt for war crimes be officially and publicly acknowledged. [2005-07-08]
Jens-Martin Eriksen, Frederik Stjernfelt
Das “Memorandum”: Wurzel des serbischen Nationalismus (da) (de) (en)
Jens-Martin Eriksen und Frederik Stjernfelt im Gespräch mit den Urhebern des Memorandums, Mihajlo Markovic und Vasilije Krestic, Belgrad im September 2003. [2005-07-08]
Jean-Arnault Dérens
Kriege um Erinnerungen (de)
Unmöglich: eine gemeinsame Geschichte des Kosovo
Albanian and Serbian nationalists alike assert an exclusive claim to Kosovo. A short history of the ongoing conflict from the Battle of Kosovo to the current Albanian independence movement. [2005-07-08]
Fahrudin Novalic
Srebrenicka regija i u miru ocekuje svoje Spasitelje (hr)
Srebrenica 1995. – 2005.
Published 8 July 2005
Original in German
First published by Eurozine
© Eurozine
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