Recht unzureichend konstruiert

Ideengeschichtliches zum fehlerhaften Menschen

Kürzlich erzählte ein Bekannter von seinem Vater. Der Vater war Buchhalter. Als Computer in die Buchhaltung eingeführt wurden, war er ausgesprochen skeptisch und prüfte die Berechnungen des Computers anfangs allesamt persönlich auf dem Papier. Er traute der Maschine nicht und war der Meinung, ihre Rechenaktionen kontrollieren zu müssen. Offensichtlich glaubte er, weniger Fehler zu machen als ein rechnender Automat. Es gibt auch Menschen, die die Scheine zählen, die sie aus dem Geldautomaten gezogen haben. Auch hier besteht die Annahme, dass der Automat sich verzählen, einen Fehler machen könne. Aber wer würde bezweifeln, dass ein Taschenrechner zuverlässig rechnet – ganz im Unterschied zu den Menschen, die zudem das Kopfrechnen inzwischen meist ebenso verlernt haben wie das Sich-Einprägen von Telefonnummern.

Als elektronische Taschenrechner in den 1970er-Jahren auf den Markt kamen, fanden sie reißenden Absatz. Hausfrauen rechneten im Supermarkt ihre Einkäufe zusammen, verglichen den Preis unterschiedlicher Packungsgrößen; Kellner begannen, die Speisen und Getränke elektronisch zu addieren. Der Taschenrechner faszinierte ob seiner Geschwindigkeit, seiner Fehlerlosigkeit, seiner Perfektion. Er rechnet immer “hundertprozentig richtig” – vorausgesetzt man drückt die richtigen Knöpfe. Entstehen Fehler, so aufgrund des menschlichen Verhaltens, nicht aufgrund der Rechenfähigkeit des Automaten. Fehlerhaft ist demnach vor allem der Mensch, nicht die Technik – eine Einschätzung, die im Mensch-Technik-Verhältnis zu einem so simplifizierten wie verbreiteten Topos geworden ist. Die Einführung des Taschenrechners in der Schule wurde gar zu einer Frage der sozialen (Un)Gleichheit. Denn diejenigen, die sich das Gerät nicht leisten konnten, waren, so die damaligen Überlegungen, auf ihre eigenen (menschlichen) Fähigkeiten gestellt und damit benachteiligt.

Der Mensch als Mängelwesen und der prometheische Stolz

Dass der Mensch, im Unterschied zu Gott, nicht vollkommen ist, verkündet bereits die Bibel. Der Mensch ist ein fehlerhaftes Wesen, geistig, körperlich wie moralisch. Immanuel Kant befand, der Mensch sei aus krummem Holz, aus dem sich nichts Gerades zimmern ließe. Johann Gottfried Herder prägte im späten 18. Jahrhundert das Konzept des Menschen als Mängelwesen. Geradezu mitleiderregend schilderte er den Menschen als “das verwaisetste Kind der Natur”. Herder schrieb: “Als nacktes, instinktloses Tier betrachtet, ist der Mensch das elendste der Wesen. (…) Schwach und unterliegend, dem Zwist der Elemente, dem Hunger, allen Gefahren, den Klauen aller stärkern Tiere, einem tausendfachen Tode überlassen, stehet er da! Einsam und einzeln! (…) von allen Seiten also verloren.”

Doch blieb Herder nicht bei dieser jämmerlichen Beschreibung des Menschen stehen. Er vollzog eine entscheidende Wendung. Denn, so insistierte er, der konstatierte Mangel des Menschen müsse einen tieferen Sinn haben: “Lücken und Mängel können doch nicht der Charakter seiner Gattung sein.” Ausgerechnet der Mensch soll das am schlechtesten ausgestattete Wesen sein? Nein. Vielmehr interpretierte Herder den biologischen Mangel des Menschen, der im Fehlen des Instinkts und, spezifischer, der Umwelt angepasster Fähigkeiten liege, als dessen Besonderheit, die auf seine Sonderstellung verweise. Denn anstelle der Instinkte habe der Mensch die Möglichkeit der Entwicklungsfähigkeit, die Möglichkeit zur Erfindung der Sprache, die Reflexionsfähigkeit, ja die Vernunft von der Natur erhalten. Der Mangel ist in Wahrheit ein Vorteil, denn er macht den Menschen zum “freidenkenden, tätigen Wesen”. Seine Bedürftigkeit als Tier führe dazu, dass er sich als Mensch zeigen müsse, so Herder. Der Mangel wird mithin zur Auszeichnung. Sein Mangel wird gar als Ausgangspunkt jeglicher Kultur interpretiert. Denn nur aufgrund seines körperlichen Mangels, meinte auch Arnold Gehlen im 20. Jahrhundert in Anlehnung an Herder, sei der Mensch von Anbeginn an gezwungen, sich zu entwickeln, zu handeln und sich zu entlasten. Gerade für die Funktion der Entlastung nimmt bei Gehlen, anders als bei Herder, Technik eine prominente Rolle ein. Gehlen interpretierte Technik als Organersetzung oder -erweiterung und damit als ein Mittel der Gestaltung und der Weltbeherrschung. Auch wenn Gehlen in seinen Überlegungen zur Technik feststellte, dass der Mensch dem Tier und der Technik unterlegen sei – so könne der Mensch beispielsweise nicht fliegen –, so sieht er darin jedoch keine Herabsetzung des Menschen. Der Gedanke an eine negativ konnotierte Fehler- oder Mangelhaftigkeit ist ihm fremd. Vielmehr unterstreiche der mit Technik kompensierte Mangel die menschliche Sonderstellung, denn “der Mensch” schaffe für sich die Technik, zum Beispiel das Flugzeug, mit dem er dann eben doch fliegen könne.

Technik wird hier nicht in Konkurrenz zum Menschen gesehen, sondern als dessen Verlängerung, Erweiterung und Verbesserung. Technik verbleibt in dieser Logik ganz in menschlicher Kontrolle; ihre Nutzung macht ihn, im Unterschied zum Tier, überhaupt erst zum Menschen. Das ist es, was Günther Anders als prometheischen Stolz bezeichnet hat, der Stolz des Menschen auf das, was er geschaffen hat, der Stolz, dass es Menschen sind, die als Schöpfer hervortreten und Dinge schaffen. Der prometheische Stolz ist der Stolz darauf, dass der Mensch seine Mängel aus eigenen Kräften zu kompensieren vermag und aus einem Mängelwesen zu einem scheinbar allen anderen Wesen überlegenen Geschöpf geworden ist, das die Natur zu beherrschen trachtet.

Die prometheische Scham

Doch ist dies nur die eine, ohnehin ambivalente Seite, die zugleich Schöpfung und Zerstörung impliziert. Gerade Günther Anders verfiel aber, gleichfalls in den 1950er-Jahren schreibend, im Unterschied zu Gehlen, nicht diesem prometheischen Stolz, sondern unterschied ihn von der prometheischen Scham, die er als Zeitdiagnose dem Stolz gegenüberstellte und zu einem der zentralen Begriffe seines Denkens machte. Anders beschrieb diese prometheische Scham anschaulich anhand seiner eigenen Tagebuchnotizen, in denen er das merkwürdige Verhalten eines Bekannten beim gemeinsamen Besuch einer nicht näher spezifizierten technischen Ausstellung festgehalten hatte. Sein Begleiter sei eigentümlich verstummt und betroffen gewesen. Anders deutete das Verhalten als eine Scham gegenüber der Maschine, deren Überlegenheit sein Bekannter auf beklemmende Weise empfunden habe. “Was die kann”, habe er geraunt. Das Gefälle zwischen Mensch und Technik zu beschreiben war ein Kernanliegen von Günther Anders, aus dem er die Feststellung der Antiquiertheit oder A-synchronizität des Menschen gegenüber der Maschine ableitete. Besonders drastisch veranschaulichte er dies an einem anderen Beispiel, nämlich am Fall des amerikanischen General McArthurs, dem, so beschreibt es Anders in sarkastischer, gleichwohl amüsant zu lesender Weise, Entscheidungen über weitere Maßnahmen im Korea-Konflikt von einem “electric brain” abgenommen worden seien. Um der menschlichen Subjektivität zu entgehen, sei ein Computer mit Daten gefüttert worden, um eine Verlust- und Gewinnrechnung zu erstellen. Aufgrund der Berechnungen, der Quantifizierung, habe der Computer als objektiv, und damit als den subjektiven Entscheidungen McArthurs überlegen gegolten. Nach, wie Anders schreibt, “lächerlich kurzer Zeit (…) elektrischen Tiefsinns” habe der Computer eine Lösung ausgespuckt, die noch dazu als “humaner” gelten könne als die McArthurs. Günther Anders deutete diese Anekdote als eine schmachvolle, ja als die “epochalste” Niederlage des Menschen. Der General sei “entmündigt” worden. Indem Anders hier die den Menschen durch Maschinen zugefügte Schmach beschrieb und ihre Unterlegenheit gegenüber Technik betonte, bediente er sich eines Topos, der das Mensch-Maschinen-Verhältnis im 20. Jahrhundert prägen sollte.

Das Andere des Menschen: Vom Tier zur Technik

Betrachtet man die kurz skizzierten Konzepte, so fällt neben der Konstanz der Definition des Menschen als fehlerhaft beziehungsweise als Mängelwesen vor allem auf, dass sich die Konzeption der Fehlerhaftigkeit, der Unvollkommenheit, des Mangels des Menschen wandelte. Die Rede vom Fehler wirft die Frage der Bestimmung des Fehlers auf. Wann ist etwas ein Fehler? Wann ist der Mensch fehlerhaft? Die Beantwortung der Frage bedarf stets einer normsetzenden Vergleichsfolie, etwas, an dem der Mensch gemessen wird. “Fehler” bezeichnet eine Abweichung von einem als optimal definierten Zustand, einen Mangel, Defekt oder eine Schwäche, die immer nur im Vergleich zu bestimmen sind. Genau hier lässt sich ein historischer Wandel beobachten, der für das Verständnis der Gegenwart zentral ist. Vergleicht die Bibel den Menschen mit Gott, dessen Vollkommenheit er nie erreichen kann, so bestimmen Herder und Gehlen, wie im Übrigen die philosophische Anthropologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Menschen in Abgrenzung zum Tier. Im Vergleich zu den Tieren erscheint der Mensch zuallererst mangelhaft; er entbehrt aller Instinkte, Sinne und Fertigkeiten, die die Tiere in ihren spezifischen Umwelten lebensfähig machen. Gleichwohl erwächst gerade aus diesem Mangel, wie beschrieben, seine Sonderstellung, indem er – das nicht festgestellte Tier – sich entwickeln müsse und somit Kultur schaffe.

Bereits im 19., vor allem aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Menschen jedoch vermehrt, ursprünglich in der Arbeitswelt, nicht mit dem Tier verglichen, sondern an der Technik gemessen, die in der Folge zunehmend ihre Sonderstellung zu gefährden drohte, da sie die menschliche Unterlegenheit eindrücklich demonstrierte, so jedenfalls vielfach die Wahrnehmungen und Befürchtungen. In der Fabrik des 19. Jahrhunderts, inmitten der Maschinen, wurde die “Schwäche” des Menschen offensichtlich. Das “Talent” des Arbeiters werde “verdrängt”, die “Virtuosität in (der) Führung (des Arbeitswerkzeugs)” gehe “vom Arbeiter auf die Maschine über”, so Karl Marx. Auch der Maschinenbauingenieur Franz Reuleaux konstatierte im 19. Jahrhundert “die auffallende Abnahme der Geschicklichkeit der Arbeiter. (…) Die Maschine ist in dem Punkte der Selbstthätigkeit so weit gebracht worden, dass sie stellenweise für vernunftbegabt gehalten werden könnte; sie tritt fast vollständig an die Stelle des Menschen; (…) der Mensch aber, ihr Diener – grausige Ironie – sinkt auf die Stufe der Maschine herab.”

Maschinen begannen Menschen zu ersetzen und die Dinge besser zu machen. Der Automatisierungsingenieur John Diebold bezeichnete den Menschen im Kontext der frühen Automatisierung in den 1950er-Jahren als “im Hinblick auf die Ausführung industrieller Aufgaben (…) im allgemeinen doch recht unzureichend konstruiert”. Gerade Ingenieure betonten dies häufig. Sie nahmen den Menschen als Grenze der Automatisierung wahr, konstatierten, dass die Technik ihm in einer Weise überlegen sei, dass die technische Entwicklung auf den unvollkommenen Menschen Rücksicht nehmen müsse. 1946 war in der Zeitschrift Fortune ein viel zitierter Artikel mit dem Titel “Machines Without Men” erschienen. Die kanadischen Autoren J. J. Brown und Eric W. Leaver beschrieben darin eine automatisierte Fabrik, in der flexible Maschinen billige Produkte herstellen und Menschen überflüssig seien. Sie schwärmten von Maschinen, die besser als die menschlichen Sinne funktionieren, besser sehen, besser hören, besser tasten und besser Information verarbeiten können. Sie bräuchten keinen Schlaf, hätten keine Leistungshochs und -tiefs, arbeiteten durchgängig präzise, streikten und protestieren nicht.

Mit der Thematisierung der Müdigkeit, des Hungers, der Erschöpfung und Begrenzung der körperlichen Leistungsfähigkeit, der Proteste und emotionalen Ablehnungen, auf die der Maschineneinsatz in der Arbeitswelt traf, zeigte sich bereits Mitte der 1950er-Jahre ein Argumentationsmuster, das sich durchgängig bis heute findet. Das Körperliche, Emotionale, Irrationale erweist sich als das, was Menschen im Unterschied zur Technik auszeichnet, und gleichzeitig als das, was sie unvollkommen und fehlerhaft macht.

Vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit dem Computer und der Künstlichen-Intelligenz-Forschung, trat der Mensch immer wieder in Wettbewerb zur Maschine. Der Turing-Test 1948 institutionalisierte diese Konkurrenz, die gerade im Hinblick auf den Computer vielfach aufgenommen wurde. Als der IBM-Computer Deep Blue 1996 den Schachweltmeister Garri Kasparow schlug, war, ganz ähnlich wie Günther Anders dies im Hinblick auf McArthur und die Entscheidungen zur Kriegsführung im Koreakrieg beschrieben hatte, die Rede von einer Jahrhundertniederlage. Vor allem in den Medien wurde das Spiel des Computers gegen den Schachweltmeister zu einem Zweikampf von Mensch und Maschine stilisiert. Vor dem Spiel 1997 sprach Kasparow pathetisch davon, dass er die “Ehre der Menschheit” retten wolle. Bislang, so Kasparow, hätten die “Mensch-Maschine-Wettkämpfe” immer den “Beweis der Überlegenheit menschlicher Hirne” geliefert. Er sei sicher, dass ein Computer ihn niemals schlagen würde. Von Kasparow blieb nach dem Wettkampf allerdings, so ein Zeitungsartikel, nur “ein Häufchen Elend” übrig. Mit der Niederlage sei, so der Duktus 1997, der Mensch “als klügster Geist des Universums” abgetreten. Verloren hatte der Mensch gegen die Maschine, weil er Fehler machte, weil er emotional war und Nerven gezeigt hatte, so lautete damals die Diagnose. Anders als Kasparow sei der Computer stets “völlig unbeeindruckt” geblieben. Ob er in Bedrängnis geraten sei oder sogar verloren hatte – er blieb stets “cool”. Der Computer litt, so die anthropomorphisierenden Beschreibungen, weder unter Psychostress noch unter Erschöpfung und auch das Gefühl der Angst beeinträchtigte ihn nicht. Der Mensch, so die Verallgemeinerung, verliere aber, weil er sich mental nicht immer im Griff habe. Das offensichtlich Menschliche, die Emotionen, Schwankungen im Gefühl, in der Konzentrationsfähigkeit, Erschöpfung und Müdigkeit, machten, so die öffentliche Wahrnehmung, den als unbesiegbar geltenden Schachweltmeister einer Maschine unterlegen.
Doch zu offensichtlich ist, dass der Mensch stets freiwillig in Konkurrenz geht zu einer Maschine. Denn ungeachtet aller Reden vom Cyborg, der Verschmelzung des Menschen mit Technik, genügt ein kurzer Blick auch auf aktuelle gesellschaftliche Debatten, um zu bemerken, dass es vor allem der Topos der Konkurrenz ist, des Wettbewerbs, eben der Vergleich von Mensch und Technik im 20. Jahrhundert, der die Menschen beunruhigt und zur permanenten Betonung ihrer Fehlerhaftigkeit führt. Interpretiert, gedacht und bewertet wird der Mensch von der Technik her. Der reibungslose Ablauf, die Perfektion, die Berechenbarkeit, die Effizienz, die Geschwindigkeit, zu der Technik in der Lage ist, lassen ihn überhaupt erst zum Problem werden. Diese Überlegenheit der Maschine dient häufig zugleich als (politische) Legitimation für weitere Automatisierung, auch umstrittener Gebiete. Insbesondere in der hochemotional aufgeladenen Debatte um den Einsatz militärischer Drohnen wird dies in geradezu paradoxer Weise deutlich. Nach der Einschätzung des Drohnentheoretikers Grégoire Chamayou ist es in den Vereinigten Staaten das Ziel des Verteidigungsministeriums, die Rolle menschlicher Kontrolle und Entscheidungen zu verringern, den Menschen also gänzlich “out of the loop” zu nehmen und das automatisierte Töten anzustreben. Chamayou zitiert den Robotiker Ronald Arkin, der hierbei mit typisch menschlichen Eigenschaften und der damit verbundenen menschlichen Fehlerhaftigkeit und Unzuverlässigkeit argumentiert. Die Emotionslosigkeit der Roboter sei von großem Vorteil. Anders als Menschen würden sie nicht aus Angst, Wut oder Rachegefühlen heraus handeln. Weder Emotion noch Leidenschaft würden ihre “Entscheidungen” beeinflussen, vielmehr würden sie schlichtweg klar definierte Regeln befolgen. Daher, so die Argumentation weiter, könne man gar davon ausgehen, dass Drohnen humaner, das heißt ethischer, töten als Menschen. Die Maschine ist in dieser Logik dem emotionalen Menschen im Krieg überlegen. Gerade das Fehlen genuin menschlicher Eigenschaften wie Emotionen wird angeführt, um die Maschine als “menschlicher”, das heißt paradoxerweise, rational tötend, zu definieren. Chamayou bemerkte zu Recht, dass es eine äußert merkwürdige Vorstellung von ethischem Handeln sei – man müsste ergänzen von “humanem” Handeln –, wenn dieses darin bestünde, sich regelhaft exakt nach mechanischen Vorschriften zu verhalten. Eine “geistlose Fügsamkeit” der Maschine, ihre Fehlerlosigkeit im Regelbefolgen, werde zu einer Tugend erhoben, die sie angeblich über den Menschen erhebt und den Einsatz der Drohne legitimieren soll. Gerade im deutschen geschichtlichen Kontext ist diese Argumentation mehr als erschreckend.

“Desertieren ins Lager der Geräte”

Günther Anders zufolge gleicht diese Argumentationsweise, die sich beispielsweise auch hinsichtlich des automatischen Fahrens oder der automatischen Steuerung von Flugzeugen findet und die er ja, wie oben erwähnt, selbst im Hinblick auf die Objektivität der Entscheidung des “electric brains” im Vergleich zum menschlichen General McArthur beschrieben hat, einem “Desertieren ins Lager der Geräte”. Waren es bei Herder, und auch bei Gehlen, noch die fehlenden Instinkte, die im Mensch-Tier-Vergleich offensichtlich wurden, so offenbart nun der Mensch-Technik-Vergleich andere Unzulänglichkeiten, Defizite und Grenzen des Menschen, die vor allem in seinen körperlichen Eigenschaften und Bedürfnissen (Hunger, Müdigkeit, Erschöpfung), aber auch in der menschlichen Emotionalität, den Leidenschaften und möglichen Irrationalitäten gesehen werden. Diese werden geradezu als gefährlich, zumindest als hinderlich oder bedrohlich für den für die technische Kultur so wichtigen reibungslosen Ablauf bis hin zum effizient-rationalen Töten im angeblich sauberen Krieg definiert.

Aber warum vergleichen sich Menschen stets mit der Maschine? Warum desertieren sie gar in das Lager der Geräte und treten dann, geradezu trotzig, immer wieder in Wettkämpfe gegen sie an? Menschen brauchen offensichtlich eine Vergleichsfolie; sie können sich nicht von sich aus, (sich) nicht ohne Vergleich denken. Der Mensch müsse aufgrund seiner Unfertigkeit von Geburt an zu sich selbst Stellung nehmen, “wozu eben ein ‘Bild’, eine Deutungsformel notwendig” sei, so hatte bereits Arnold Gehlen formuliert. Etwas, was Nicht-Ich ist, dient als Maßstab. In einer technischen Kultur ist dieses Bild, an dem man sich misst, nicht mehr Gott, nicht mehr das Tier, sondern die Technik. Wie Käte Meyer-Drawe betont hatte, zeigt sich “im Umgang mit Maschinen auch, daß Menschen sich hier spiegeln, daß sie sich selbst verdoppeln, ihr Rätsel lösen wollen”. Selbst Cyborg-Theorien, die beanspruchen, den Menschen nicht in Differenz zu denken, implizieren noch immer den Vergleich und darin die Betonung der Mangelhaftigkeit des Menschen im Vergleich zur Technik. Technik bietet in dieser Logik die Möglichkeit der Verbesserung des unzulänglichen Körpers, schließlich war dies auch die Grundintention, als der Cyborg-Begriff in den 1960er-Jahren geprägt wurde. Damals erforschten Wissenschaftler, wie sie den Menschen so weiterentwickeln könnten, dass er weltraumtauglich sei, ohne auf eine künstliche Umwelt angewiesen zu sein, die er mit sich führt. So wie Arnold Gehlen glaubte, Technik sei als Organersatz und -erweiterung Mittel des Menschen zur Menschwerdung, so entspricht es auch der Cyborg-Konzeption, das Mängelwesen Mensch zu kompensieren und es heute, darüber hinaus, zu überwinden. Im Jahr 2010 berichtete eine junge Frau auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs von ihren Ambitionen, ihren Körper zu überwinden. Sie spiele mit Schrott, erklärte sie. Der Schrott, von dem sie sprach, war ihr Körper. In diesen schnitt sie Löcher und stopfte etwas hinein, wie sie sagte, zum Beispiel in ihren Finger Magneten mit dem Ziel, elektromagnetische Felder zu spüren und schließlich “ein Gefühl für Norden” zu bekommen und damit einen körpereigenen Kompass zu besitzen. Sie desertiert in das Lager der Geräte.

Das Paradigma des Technischen

Diese seit dem 19. Jahrhundert konstatierte “Fehlerhaftigkeit” des Menschen im Vergleich zur Technik verweist insbesondere auf drei Aspekte:

Erstens ist zu sagen, dass in einer technischen Kultur die Technik die maßgebliche Vergleichsfolie für die “Richtigkeit” des Menschen geworden ist. Ob dies in einer technischen Kultur inzwischen wohl unumgänglich ist? Denn gleich ob die menschliche oder die maschinelle Überlegenheit betont wird – stets bildet Technik einen Referenzpunkt, denn der permanente Umgang mit Technik, ihre Allgegenwart, erweitert nicht nur menschliche Fähigkeiten, entlastet und erzeugt Bequemlichkeiten, sondern konfrontiert Menschen tatsächlich auch mit den eigenen Unzulänglichkeiten. So gilt nicht zufällig das “menschliche Versagen” als Standarderklärung bei technischen Unfällen, auch wenn sie, wie der Organisationsforscher Charles Perrow eindrücklich gezeigt hat, viel zu simpel ist.

Gleichwohl, so gängig der Mensch-Technik-Vergleich ist und so häufig die Unterlegenheit des Menschen dabei betont wird, so spiegelt der Blick auf Unzulänglichkeit, die Unvollkommenheit, die “A-Synchronizität” des Menschen nur die eine Seite. Denn würde man, einem Gedankenexperiment gleich, die Perspektive umkehren und die Maschinen auffordern, aus ihrer Sicht die Menschen zu beschreiben, müssten auch sie sich, bei allem Können, doch häufig unterlegen und depraviert fühlen. Gelingt es beispielsweise inzwischen Computern Texte zu produzieren, zum Beispiel kaufmännische Berichte oder einfache journalistische Artikel zu Sportereignissen, so verbleibt ihr Können doch im Bereich standardisierter, regelhafter Texte. Gleiches gilt für Computer-Musik, die eher unterkomplex wirkt. Würde ein Computer einem menschlichen Gespräch folgen müssen, so würde er an der Komplexität, zu der Menschen fähig sind, verzweifeln, wenn er denn verzweifeln könnte. Mit diesem Gedankenexperiment soll allerdings nicht der Wettkampf zwischen Mensch und Maschine aufgenommen und umgekehrt auf die Unzulänglichkeiten der Maschine verwiesen, sondern vielmehr auf die Absurdität dieses inzwischen so verbreiteten Vergleichs, der zur normativen und unhinterfragten Selbstverständlichkeit geworden ist, aufmerksam gemacht werden. Denn festzustellen ist zweitens, dass offensichtlich kein anderer Vergleich als der von Mensch-Maschine mehr denkbar ist und dass darüber hinaus dieser Vergleich – sowie das Vergleichen insgesamt – per se in seiner normierenden Wirkung nicht in Frage gestellt wird.

Schließlich wird drittens mit dieser Vergleichsfolie das Menschliche zu einer Restfunktion des Technischen. Denn im Diskurs gilt je das als das genuin Menschliche, was (noch) nicht-technisiert ist. Es wird dabei häufig zugleich das Problematische, nämlich körperliche Schwäche, Emotionalität und damit vor allem Unberechenbarkeit. Dies impliziert allzu offensichtlich eine technizistische Reduktion des Bildes, des Nicht-Ich, an dem sich Menschen reiben oder messen, insofern die Vergleichsfolie der Technik die Parameter der Effizienz, Leistungsfähigkeit, der Perfektion und Makellosigkeit vorgibt. Es ist aber ja genau dieses Paradigma der Maschine, das den Menschen überhaupt erst zu etwas Unvollkommenem, Fehlerhaftem macht. Aldous Huxley hat dies bereits in seiner Dystopie Brave New World überzeichnet dargestellt. In der schönen neuen Welt, in der die Menschen künstlich erzeugt sind, genormt und je nach Kaste unterschiedlichen Vollkommenheitsstufen angehören, besteht ein habitualisierter Ekel vor Menschlichem, vor Unvollkommenheit, vor Altern, vor Krankheit, vor Ineffizienz, symbolisiert im “Wilden”, der aus der alten Welt kommt und als widerliches Kuriosum besichtigt werden kann. In seinem Roman The Circle kontrastiert Dave Eggers die perfekte, technisierte Welt ähnlich holzschnittartig und kontrastreich mit einer alten, geradezu lächerlichen Welt, in der alternde und unperfekte Menschen auf einem alten, klapprigen Kahn auf Plastikstühlen nur sitzen, nichts “Sinnvolles”, nicht Effizientes tun, sondern still für sich Seehunde beobachten, denen sie auch noch Namen geben.

Dies wird im Roman als mindestens so skurril dargestellt wie uns heute die Überlegung erscheint, Computerergebnisse prüfend auf dem Papier nachzurechnen.

Published 12 November 2015
Original in German
First published by Wespennest 169 (2015)

Contributed by Wespennest © Martina Heßler / Wespennest / Eurozine

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