Poesie ist Sprache zum Quadrat
Erich Klein und Uldis Tirons im Gespräch mit Tomas Venclova
Der litauische Dichter Tomas Venclova über sein Land, Kriege, Ödipus und die Poesie.
Erich Klein&Uldis Tirons: Was denken Sie über den Ersten Weltkrieg, der auch für die litauische Geschichte entscheidend war? Litauen bekam nach Jahrhunderten wieder seine Unabhängigkeit.
Tomas Venclova: Nichts Gutes. Es wurde einmal gesagt, der Erste Weltkrieg sei nicht im Jahre 1918 zu Ende gegangen, sondern – wenn überhaupt – dann erst 1991. Außerdem wissen wir noch gar nicht, ob er tatsächlich schon zu Ende ist. Das 20. Jahrhundert hörte genau damit auf, womit es begann – mit Schüssen in Sarajevo. Darin gleicht unser Jahrhundert dem 17. Jahrhundert mit dem Dreißigjährigen Krieg. 1941 war die direkte Fortsetzung von 1914 und eine maßlose Radikalisierung dessen, was schon im Ersten Weltkrieg geschah.
EK&UT: Der Erste Weltkrieg hat im Diskurs der europäischen Intellektuellen heute große Bedeutung. Hätten Sie sich 1914 wie eine Reihe von Schriftstellern und Philosophen freiwillig an die Front gemeldet? Die Kriegsbegeisterung war überall unglaublich groß.
TV: Das wäre von vielen Faktoren abhängig gewesen: unter anderem von meiner Befindlichkeit in diesem Moment. Ich hätte verwirrt sein können, mich in einem Anfall von Idiotismus wohl auch freiwillig melden können. Grundsätzlich glaube ich aber, dass es sich nicht lohnt, als Freiwilliger in einen Krieg zu ziehen. Es mag zwar seltene Ausnahmefälle wie den Finnischen Winterkrieg gegen die Sowjets 1939 geben, aber auch hier bin ich nicht gänzlich überzeugt. Vielleicht wäre ich in diesen Krieg gegangen, auch als Nicht-Finne.
EK&UT: Sie wurden als letzter litauischer Dichter der Sowjetära bezeichnet. Diese Epoche ist heute vorbei. Verstehen Sie sich als Dichter einer nicht-existenten Zeit?
TV: Natürlich gehöre ich zur Sowjetzeit – ich würde mich aber natürlich nicht als sowjetischen Dichter bezeichnen. Ich bereite darüber ein Buch unter dem Titel “Winter-Gespräch” vor. Dieses Gespräch ist als Inversion eines berühmten litauischen Gedichtbandes angelegt. Der bekannteste litauische Gedichtband des 19. Jahrhunderts wurde von Maironis, einem spätromantischen Dichter, verfasst. Er ist ein Klassiker, den man in der Schule auswendig lernt. Eines seiner immer wieder aufgelegten Bücher heißt “Stimmen des Frühlings”. Dort sind viele Stimmen versammelt, bei mir gibt es nur ein Gespräch. Winter hat natürlich eine einfache symbolische Bedeutung. Es ist jenes Eis gemeint, in dem wir geboren wurden und unter Sowjetbedingungen lebten. Ich war lange Zeit meines Lebens zutiefst überzeugt, dass ich aus diesem Eis nie herauskommen würde. Außerdem dachte ich, dass nur das, was ich in der Sowjetära schrieb, Bedeutung hätte. Jetzt stellt sich heraus, dass ich einfach weiterschreibe. Es ging mir beim Schreiben darum, gegen dieses Eis zu schlagen, das war lange Zeit nicht nur meine Überzeugung, sondern auch die vieler anderer Leute. Zerbrochen ist es letztendlich ganz von selbst. Es gab zwar die Anstrengungen einiger sehr starker einzelner Menschen wie Andrej Sacharow, Alexander Solschenizyn oder Warlam Schalamow, aber sie spielten nicht wirklich die entscheidende Rolle für das Ende der Sowjetunion. Entscheidend war vielmehr eine allgemeine Ausrichtung des Schicksals, der Fluss der Zeit, der von den Menschen nicht abhängt, gewisse transzendente Momente. Das Eis ist gebrochen, und wir schwimmen zwischen den dahintreibenden Eisschollen und müssen lernen, damit umzugehen. Anfangs glaubte ich, ich könnte zwischen diesen Eisresten nicht leben, fast wollte ich wieder unter das Eis, aber zum Glück ist das alles ein Irrtum. Ich kann auch im Fluss leben.
EK&UT: Sie haben nach Ihrer Emigration im Jahr 1977 das Leben im Ausland als eines nach dem Tod bezeichnet. Als ein Leben, in dem Menschen zusammentrafen, von denen Sie früher gedacht hatten, dass sie einander nie kennen lernen würden; gleichzeitig waren aber jene, die Sie selbst in Litauen zurückgelassen hatten, für immer verloren, gleichsam gestorben.
TV: Ich war absolut davon überzeugt, dass ich jemanden wie Czeslaw Milosz, den ich als Dichter aus Vilnius über alles schätzte, nie zu Gesicht bekommen würde.
Ich wusste, dass mich die Sowjetmacht nie dorthin und ihn nie hierher lassen würde. Nichtsdestotrotz haben wir einander getroffen. Was die Menschen in Litauen betraf, die hier blieben, so war ich tatsächlich überzeugt, dass ich sie in meinem Leben nie mehr wieder sehe. Zum Beispiel meine Mutter. Es fällt mir ziemlich schwer, darüber zu sprechen – ich weiß tatsächlich nicht, wer damals wen für tot und begraben hielt. Sie mich oder ich sie. Grundsätzlich war es tatsächlich so – wir lebten in zwei verschiedenen Welten. Ich ließ außerdem meine dreijährige Tochter in Litauen zurück. Auch in ihrem Fall war ich überzeugt, dass ich sie nie mehr wieder sehe.
EK&UT: Was Sie hier sagen, klingt ziemlich religiös, wie im Himmel der katholischen Kirche oder wie in Platons “Phaidon”, wo Sokrates sagt, wenn in jener Welt alle berühmten Menschen sind, dann kann man sie ja dort ganz einfach treffen.
TV: Dante hat diese Art von Treffen tatsächlich beschrieben. Diese Unterhaltungen stellen bei Dante nebenbei eine höllische Mühsal dar. Ich befinde mich jetzt in einer sehr merkwürdigen Situation, die vielleicht in irgendwelchen buddhistischen Büchern beschrieben wurde. Wenn ich aus Amerika, wo ich arbeite und lebe, nach Litauen fahre, komme ich mir manchmal wie ein Geist vor, der sich zwischen verschiedenen Welten hin und her bewegt. In der umgekehrten Richtung verhält es sich genauso. Ich weiß dabei auch nicht, wo sich das Jenseits befindet, hier oder dort. Ich habe dieses merkwürdige Thema auch in einigen Gedichten behandelt. Als ich 1977 emigrierte, schrieb ich das Gedicht “Scheremetjewo”. Als mich eine Wachmannschaft durch den Flughafen begleitete, war ich voller widersprüchlicher Gefühle. Ich nahm vieles gar nicht wahr, erinnere mich aber daran, wie man mich fragte, warum ich denn die Bücher von Pasternak und Zwetajewa mitnehme. Normalerweise würden die aus dem Westen mitgebracht – “Sie aber führen sie aus”. Ich wusste keine Erklärung dafür, sagte den Grenzsoldaten aber, dass ich diese Bücher immer bei mir hätte, Tag und Nacht, und das würde auch in Amerika so sein. Sie antworteten: “Gut, es ist nicht verboten, diese Bücher auszuführen. Haben Sie irgendwelche Wertgegenstände?” Ich sagte: “Ja, eine goldene Armbanduhr.” – “Gut, die Uhr können Sie auch mitnehmen.” Die Uhr habe ich dann in Amerika gleich verloren. Ich ging also an den Grenzsoldaten vorbei, während meine Freunde und Bekannten eigentlich darauf warteten, dass ich mich von ihnen endgültig verabschiede. Das hätte ich aber vor dem Grenzposten tun müssen. Ich war, wie gesagt, aufgeregt, ging an den Grenzern vorbei, ohne irgendjemand die Hand zu geben. Also kehrte ich um, fragte die Soldaten: “Könnte ich vielleicht die zwei Schritte noch einmal zurückgehen, um die Hände zu schütteln, dann komme ich gleich zurück?” Die fragten aber: “Welchen Pass haben Sie? Eine Diplomatenpass?” – Ich antwortete: “Nein, einen ganz normalen.” – “Dann ist das verboten.” Ich habe die Situation später in einem Gedicht beschrieben – die Menschen dort und ich. Jemand von diesen beiden Gruppen ist Gefangener von Persephone, ein Gefangener einer Totenwelt. Ich weiß aber nicht, wer von uns – sie oder ich. Und ich weiß das bis heute nicht.
EK&UT: Was sind die entscheidenden Orte Ihres Lebens?
TV: In meinem Leben gibt es zwei Pole: Klaipeda und Vilnius. Ich liebe beide Städte. In Klaipeda wurde ich geboren, mein Leben lebte ich in Vilnius. Klaipeda – das ist eine verschlossene, düstere Landschaft, trotz des Meeres. Das Meer war ja verschlossen, es war Grenzzone der Sowjetunion, ich hatte sozusagen ein geschlossenes Meer vor Augen. Außerdem war es dort immer kalt. Ich habe in Klaipeda nach dem Krieg gelebt, als ich elf, zwölf Jahre alt war. Man sah damals noch die Schiffswracks aus dem Krieg. Das ist die düstere Seite meiner Lebenslandschaft. Die Wilnaer Landschaft – das ist etwas ganz anderes. Hier finden sich das Barock, die Renaissance – das ist mein positiver Pol. Ich würde sogar sagen: alles andere gehört zur negativen Seite. In meinem Leben geht es immer um Vilnius. Ich war immer in Vilnius, wohin auch immer ich fuhr: nach Rom, der Petersdom, die Hauptkirche des Christentums – Vilnius ist mir trotzdem näher. Alles, wofür ich mich interessiere, wie schön etwas auch sein mag – für mich zerfallen die Dinge immer wieder, Vilnius fügt immer alles zusammen.
EK&UT: Interessieren Sie sich eigentlich überhaupt für das Fremde?
TV: Im Großen und Ganzen ja. Sogar sehr – ich versuche alles zu sehen, was es auf der Welt gibt. Das ist sogar eine meiner größten Ambitionen – nicht zu sterben, bevor ich nicht alles auf der Welt gesehen habe.
EK&UT: Das ist aber ein ziemlich schwieriges Unterfangen.
TV: Zweifellos. Ich kann diese Begierde auch nicht befriedigen, aber – es gibt dafür den vulgären russischen Ausdruck “Bevor du nicht alle Frauen gevögelt hast, weißt du gar nichts”. Du musst danach zumindest streben, obschon ich weiß, dass das nicht möglich ist. Es gibt drei wichtige Länder, die ich noch nicht gesehen habe – Indien, Nepal und Indonesien. Ich war auch noch nie in Argentinien, dem Land von Borges und Gombrowicz. In gewisser Weise ist heute auch Vilnius für mich fremd. Ich habe hier außer zwei, drei Menschen, die ich seit meiner Jugend oder sogar frühesten Kindheit kenne, praktisch keine Freunde. Ich habe in Vilnius nie irgendwelche anderen Menschen näher kennen gelernt. Wenn ich hierher komme, gehe ich auf die Straße hinaus, trinke im ersten Café, an dem ich vorbeikomme, eine Tasse Café oder ein Glas Wein. Meine Frau sorgt dafür, dass ich möglichst wenig trinke, womit sie auch Recht hat, weil ich eine Zeit lang in meinem Leben wirklich viel trank. Ich schlendere also herum. Manchmal kommt mir dabei eine Idee, die Monate später in einem Gedicht wieder auftaucht. Gedichte entstehen heute nicht mehr so einfach, gleichsam nebenbei. Das Schreiben fällt mir ziemlich schwer, ich schreibe langsam und am Schreibtisch, nicht im Gehen. Ein Gedicht dauert eine Woche oder länger. Ich brauche dafür ernsthafte Erlebnisse, einen Blitz im Hirn, wobei sich diese nicht in diesem Moment selbst zu erkennen geben, sondern sehr viel später.
EK&UT: Ihr Vater war als Verfasser der litauischen Hymne ein offizieller sowjetischer Dichter. Sie selbst waren praktisch Dissident. Wie soll man sich Ihr Verhältnis zu ihrem Vater vorstellen. Ödipal?
TV: Jemand hat mir einmal gesagt: “Sie haben in einem Land gelebt, wo die Marxisten gewonnen hatten und die Ideen der Marxisten in die Praxis umgesetzt wurden. Sie wissen, dass das alles sehr schlecht war. Es wäre aber noch viel schlimmer, wenn die Freudianer gewonnen und die Regeln Freuds in die Tat umgesetzt hätten. In einem solchen Land hätte jeder seinen Vater umbringen und seine Mutter heiraten müssen. Und das wäre doch ziemlich schwierig.” Ich gestehe aber, dass ich meinen Vater in mir manchmal wieder erkenne. Es war tatsächlich ein schwieriges Verhältnis, man sollte hier aber viel mehr als an Freud an die Formalisten erinnern. Wiktor Schklowskij sprach davon, dass jede Autorengeneration die Väter ablehnt und sich für die Großväter oder Onkel interessiert. Ich wurde öfter nach meinem Vater gefragt – wir sind grundsätzlich sehr unterschiedliche Menschen. Wir hatten entgegengesetzte Ansichten, ein gänzlich verschiedenes poetologisches Programm. Aber nicht nur zu meinem, sondern auch zu seinem Erstaunen ist es uns gelungen, nicht nur ein korrektes, sondern sogar ein gutes Verhältnis miteinander zu bewahren. Und darüber habe ich mich sehr gefreut. In Litauen wirft man mir meine Herkunft vor. Ich bin aber überzeugt, dass das nicht ehrlich ist. Ich habe einen Großteil meines Lebens damit zugebracht, zu beweisen, dass ich mich von meinem Vater in jedem Sinn des Wortes unterscheide. Außerdem bleibt der Vater der Vater. Ich erkenne manche seiner Charakterzüge an mir, das ist nicht immer sehr erfreulich, dagegen kämpfe ich auch an. Wen ich in mir wirklich wieder erkenne, das ist mein Großvater, der Vater meiner Mutter. Er war Professor für klassische Philologie. Er unterrichtete in Kaunas und Vilnius Latein und Griechisch. Es gibt eine schöne Geschichte über ihn. Nach dem Abschluss des Gymnasiums fuhr er nach Petersburg, um die Universität zu besuchen. Er lief die langen Gänge der Universität entlang, kam in einen Hörsaal, wo hunderte Studenten saßen. Dort wurde Chemie unterrichtet, der Professor war der berühmte Mendelejew. Mein Großvater sagte sich, wenn da so viele Leute sind, dann ist das nicht gut. Der nächste Hörsaal war noch überfüllter, dort unterrichtete der legendäre Physiologe Pawlow. Auch das war meinem Großvater zu populistisch. Also ging er zu den Philologen, wo er einen Professor mit einem einzigen Studenten im Saal vorfand. Er setzte sich nieder, der Professor freute sich und sagte: “Wenn wir zu dritt sind, dann können wir mit der Arbeit beginnen.” Der Lehrer war einer der bekanntesten russischen Philologen, Tadeusz Selinskij. Mein Großvater war von meinem Vater absolut verschieden. Jeglicher Macht und Ideologie war er skeptisch gegenüber. Er hat nebenbei nicht wenig getrunken, was ihn nicht im Geringsten davon abhielt, ziemlich viel zu arbeiten, zu unterrichten und zu übersetzen. Er hat Platon, Lukrez und Erasmus von Rotterdam ins Litauische übersetzt. Das ist in gewisser Hinsicht der Mensch, an dem ich mich orientiere. Er hat mir Latein und ein wenig Griechisch beigebracht.
EK&UT: Wozu braucht man in einer Welt, in der es keine Götter mehr gibt, eigentlich noch Poesie?
TV: Erstens ersetzt die Poesie die Götter in gewisser Weise. Zweitens ist die Poesie Sprache zum Quadrat. Poesie ist verdichtete Sprache, Sprache, auf eine viel höhere Ebene gehoben. Der Mensch hebt sich aus der ihn umgebenden Welt nur mittels der Sprache ab. Das heißt, die Poesie hebt ihn von der Welt in noch höherem Maße ab. Diese Idee stammt nicht von mir – es ist eine Idee von Jossif Brodskij. Brodskij sagte, die Sprache drückt das Wesen des Menschen als biologische Spezies aus, die Poesie noch viel mehr, da es sich um eine Sprache zum Quadrat handelt.
EK&UT: Gibt es außer der Poesie noch etwas, womit es sich zu beschäftigen lohnt?
TV: Außer der Dichtung? Wahrscheinlich hätte es Sinn, Arzt zu sein.
EK&UT: Das soll interessant sein?
TV: Ich weiß nicht, ob interessant, aber notwendig.
EK&UT: Für wen?
TV: Für die Kranken. Sieht man einen schwer kranken Menschen, will man ihm ja helfen. Und wenn ein Arzt helfen kann, so muss er das tun.
EK&UT: Das klingt so, als wären Sie gerne der Psychiater von Litauen
?
TV: Ich habe das schon einmal gesagt. Ja, ich versuche tatsächlich, Litauens Psychotherapeut zu sein. Die freudianische Arbeit, die litauischen Komplexe aufzudecken und freizulegen, habe ich längst begonnen. Ich spreche von den nationalen Komplexen. Sobald diese einmal bewusst werden, wird man entsprechend der klassischen freudschen Theorie entweder geheilt oder die Neurosen werden zumindest abgeschwächt.
EK&UT: Dann wird dieser Therapeut auch geliebt werden.
TV: Das nennt man Übertragung.
EK&UT: Liebt man Sie in Litauen?
TV: Nein, natürlich nicht. Allerdings muss man dabei bedenken, dass die Übertragung vermieden werden soll. Sie ist sehr schädlich. Ich habe keine klassische Psychoanalyse gemacht, war aber einmal mit einer Psychotherapeutin befreundet. Sie hat mir gleich vorgeschlagen, mich zu behandeln. Natürlich habe ich mich in dieses Mädchen verliebt. Herausgekommen ist dabei nichts.
EK&UT: Worin besteht Ihrer Meinung nach das Trauma Litauens, wenn es ein solches gibt?
TV: Es mag etwas vereinfacht klingen, aber Litauens Trauma besteht darin, dass Litauen schon im 16. Jahrhundert seine Eigenstaatlichkeit verlor. Dasselbe geschah noch einmal Ende des 18. Jahrhunderts – darin besteht nebenbei auch der Unterschied zwischen Litauen und Estland und Lettland. Die haben ihre Eigenstaatlichkeit erst 1940 verloren. Litauen hingegen drei Mal. Wenn so etwas drei Mal geschieht, dann wird das schon zu einem schweren Trauma.
EK&UT: Was interessiert Sie im Leben noch außer Gedichten?
TV: Die Gedichte von anderen. Mich interessiert es am meisten, gute Lyrik zu lesen. Und es gibt natürlich eine Menge von guten Poeten, die ich nicht kenne. Ich freue mich auf den Moment, wo ich jemand Neuen entdecke. Konstantin Kavafis war für mich ein unglaubliches Erlebnis. Ich war gerade mit meiner Frau in Portugal und muss leider zugeben, dass ich Fernando Pessoa bisher kaum kannte. Ich bin gespannt, wie sich diese Lektüre auf meine eigene Arbeit auswirkt. Vielleicht ist das Leben deshalb interessant, weil ich heute Pessoa und morgen noch jemand anderen lesen kann, von dessen Existenz ich noch gar nicht weiß.
Published 16 September 2002
Original in Russian
Translated by
Erich Klein
Contributed by Wespennest © Wespennest eurozine
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