Osteuropa zwischen Kultur und Modernisierung

Culture, Modernisation and Various Eastern Europes

I

Die Kulturanthropologen haben die Vorstellung von einer sozialen Evolution weitgehend aufgegeben – und dies trotz des beunruhigenden Umstandes, dass ihre Kollegen von der Archäologie ständig mit der Realität von Entwicklungsstadien konfrontiert sind. Die meisten Kulturanthropologen geben heute einer multikulturellen Sichtweise den Vorzug, der zufolge alle Kulturen mehr oder minder gleichwertig sind (Kuper 1999). Wenn ich diesen methodischen Ansatz mit der These vom unvermeidlichen Konflikt der Zivilisationen gleichsetze, wie sie Samuel Huntington in seinem berühmten Buch The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order unter Berufung auf die Unverrückbarkeit der Grenzen zwischen den wichtigsten kulturellen Traditionen vertritt, so mag das seltsam anmuten; tatsächlich aber folgen beide Ansätze einer gemeinsamen Logik.1 Huntingtons umfassen weit mehr, als die meisten Ethnologen unter “Kulturen” () verstehen würden; für ihn existiert eine eindeutige Wertehierarchie, in der die westliche Welt als die moralisch überlegene, wenn auch derzeit gefährdete Zivilisation erscheint. Die Ethnologen lehnen heute eine solche Hierarchie ab bzw. neigen im Zweifelsfall dazu, sie umzukehren (Clifford / Marcus 1986). Beide Ansätze kommen indes darin überein, dass sie die Gültigkeit der alten funktionalistischen Evolutionstheorie bestreiten, welche die Geschichte der Menschheit als einen langen Marsch in Richtung auf einen gemeinsamen, modernen Gesellschaftstyp begreift, den der Westen als erster erreicht hat, der aber auch allen anderen Menschen zugänglich ist.

Die Geschichte des Wechsels der Kulturanthropologie von ihrer funktionalistisch-evolutionstheoretischen Ausgangsbasis am Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hin zu einer immer stärkeren postmodernistischen Ablehnung solcher evolutionstheoretischen Vorstellungen ist ein interessanter Prozess, der uns hier aber nicht weiter beschäftigen muss. Wichtig ist vielmehr, zu sehen, wie sehr dieser Positionswechsel Folge eines ideologischen Wandels ist, der in den späten sechziger Jahren seinen Anfang nahm. Nicht einfach neue Erkenntnisse führten dazu, dass die alte Theorie fallengelassen wurde, sondern eine politische Neuinterpretation, der die westeuropäische und amerikanische Kultur in zunehmendem Maße als imperialistisch, mechanistisch, entfremdend und unecht galt. Diese Haltung war keine neue Erscheinung im Geistesleben; sie hatte vielmehr ihre Wurzeln im aufklärungsfeindlichen, antiuniversalistischen und antimodernistischen Denken Rousseaus und vor allem Herders, die überzeugt davon waren, dass jede Kultur ihre eigene unverwechselbare Individualität hat und nur Schaden nehmen könne, wenn sie dem verderblichen Einfluss der anmaßenden Franzosen ausgesetzt wird. (Gellner 1992, S. 26-27; Chirot 1996)

Von der Zivilisation auszugehen, ist ebenfalls ideologisch, aber ein viel älteres Denken. Schon vor langer Zeit brandmarkten die alten Griechen die Perser als eine unheilbar despotische und finstere, bedrohliche asiatische Zivilisation, während sie die meisten anderen Nichtgriechen (die Mazedonier eingeschlossen) zu Barbaren erklärten (Green 1991, S. 6 f.; vgl. auch Aischylos’ Tragödie Die Perser). Die Griechen standen mit dieser Haltung allerdings keineswegs allein da. All die großen klassischen agrarischen Kulturen und Religionen, jedenfalls die führenden Schichten der jeweiligen Gesellschaften, waren felsenfest davon überzeugt, dass sie über die allein angemessene Methode verfügten, das Zusammenleben zu organisieren und ein richtiges Leben zu führen (Lewis 1995).

Wie damals läuft auch heute das ganze letzten Endes auf eine Frage des Geschmacks hinaus. Wenn es die westliche bzw. jetzt die amerikanische Lebensweise ist, die man verabscheut, dann stellt die multikulturelle Anthropologie, die allem Nichtwestlichen, Nichtmodernen und Antikapitalistischen den Vorzug gibt, die ideale Theorie dar. Schätzt man hingegen den westlichen und besonders den amerikanischen Individualismus, Fortschrittsglauben und Demokratiebegriff sowie den materiellen Erfolg, den der Kapitalismus mit sich bringt, dann sind jene Weltteile, die westliche Lebensformen nicht übernommen haben und vielleicht auch nie übernehmen können, entweder barbarische oder hoffnungslos vom “asiatischen Despotismus” beherrschte Regionen. Hinter den entsprechenden Diskursen verbergen sich zumeist nichts weiter als persönliche Vorlieben. Die Chefideologen auf beiden Seiten werfen den jeweils anderen Böswilligkeit, Bigotterie, Scheinheiligkeit oder schlicht und einfach Verblendung vor. Doch stimmen sowohl die Anhänger eines Huntington als auch die Multikulturalisten in ihren vielfachen Ausprägungen darin überein, dass die menschlichen Gesellschaften weder auf diesem Wege noch überhaupt in der Lage sind, sich in Richtung auf einen modernen Typ von Sozialstruktur mit einer im grossen und ganzen gemeinsamen modernen Kultur zu entwickeln.

Wie haltbar ist die Darstellung der Welt, die uns diese beiden durch eine ideologische Kluft getrennten Parteien jeweils liefern? Keine von beiden schneidet hier sonderlich gut ab, wenn auch aus entgegengesetzten Gründen. Die Multikulturalisten müssen so tun, als habe es keine Fortschritte gegeben; mehr noch müssen sie das fast universale Bedürfnis nach einem besseren materiellen Leben und nach größerer persönlicher Freiheit leugnen. Intellektuelle Kritiker (unter ihnen auch religiöse) mögen gegen den primitiven Geschmack und die vulgäre Kultur der Amerikaner wettern, gerade so, wie sich im 19. Jahrhundert die Antimodernisten über das industrielle England ereiferten; doch möchten die meisten Menschen überall auf der Welt so frei, so reich und so mobil sein wie die Amerikaner und möchten genauso leicht und unbekümmert Sex genießen, wie es deren Filme, Fernsehserien und Popmusik suggerieren. Vor mehr als einem Jahrhundert brachte bereits Nietzsche, mit seinem tiefen Hass auf die zunehmend verbürgerlichte Welt und mit seiner Verachtung für alles Englische, die aristokratische Geringschätzung auf den Begriff, die antimodernistische Intellektuelle für die industrielle Zivilisation und deren Art und Weise empfinden, den breiten Massen materielle Segnungen und demokratische Rechte zuteil werden zu lassen.

Die Behauptung andererseits, dass nur die Menschen der westlichen Gesellschaft in den Genuss der Früchte der Modernisierung gelangen können, führt nicht weniger in die Irre. Es mag sein, dass die damals auf eine kleine Elite gemünzten griechischen und römischen Vorstellungen von individueller Freiheit und Privateigentum beim Wettlauf in Richtung Moderne dem westlichen Europa einen Vorsprung verschafften, wie das viele, unter ihnen auch David Landes (1998, S. 31 f.), meinen. Mit noch größerer Wahrscheinlichkeit dürfte, wie von Max Weber (1904/05) behauptet, die rationale Ethik einiger christlicher Gruppen im Westen von entscheidender Bedeutung für die kommerziellen, wissenschaftlichen und schließlich industriellen und politischen Umwälzungen gewesen sein. Aber erster zu sein hat noch nie bedeutet, dass nicht auch andere es dem Ersten gleichtun oder ihn gar übertreffen können. Die fragwürdige These, dass Japan den Westen nur deshalb nachahmen könne, weil seine Mischung aus Schintoismus und Buddhismus irgendwie “protestantisch” sei (Bellah 1957), ist längst ad acta gelegt. Wie die Artikel des Far Eastern Economic Review regelmäßig bezeugen, zählen einige wichtige chinesische Regionen, und zwar nicht nur Taiwan, sondern auch Hong Kong und die Küstenstädte von Kanton bis Shanghai, mittlerweile zu den dynamischsten wirtschaftlichen Gebieten der Welt, während die Gegend um Bangalore in Indien zu den weltweit führenden Industriezentren der Software-Produktion gehört. Malaysia, die Türkei und Brasilien haben sich zu wichtigen Industriestaaten entwickelt, mit einem Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung, das ihnen einen Platz im oberen Mittelfeld der internationalen Einkommensskala sichert (Weltbank 2000, S. 10-13, Tabelle 1.1). Dass sich einige der katholischsten Gegenden Europas, die einst weit hinter der Entwicklung herhinkten und als hoffnungslos fortschrittsfeindlich galten, wie etwa Spanien, Irland und Portugal, zu fortschrittlichen, modernen Wirtschaftsregionen entfaltet haben, sei dabei nur am Rande erwähnt.

Ebensowenig sind Demokratie und wachsende Achtung für die Rechte des Individuums ein ausschließlich westliches Privileg. Menschen in aller Welt, vom Iran bis nach Indonesien und Mexiko, fordern politische Freiheiten und Rechte, die weit über das hinausgehen, worauf im 19. Jahrhundert die überwiegende Mehrzahl der Menschen in Europa Anspruch erheben konnte, die aber unabdingbarer Bestandteil der fortlaufenden liberalen Revolution sind, ohne die der Modernisierungsprozess der letzten zwei Jahrhunderte undenkbar wäre.2

Mag sein, dass nicht die ganze Welt im Begriff steht, ein einheitliches Kulturmodell zu übernehmen; aber die Schlüsselelemente dessen, was uns heute als moderne, liberale, westliche, demokratische, individualistische kapitalistische Lebensform gilt, sind sehr weit verbreitet und verbreiten sich immer weiter. Nichts anderes als diese Tatsache verbirgt sich hinter der vielzitierten Globalisierung, und deshalb stellt für jene, die sich dem Trend entgegenstemmen, Globalisierung auch ein solches Reizwort dar (Friedman 1999). Wenn das so ist und wenn die Ablehnung des Globalisierungstrends weitgehend ideologisch begründet ist, lohnt dann überhaupt die Auseinandersetzung mit einer Themenstellung, die offenbar nichts weiter ist als das Resultat der Verdrehung von Tatsachen und eines falschen Verständnisses vom Wesen modernen sozialen Wandels? Die Antwort lautet eindeutig ja, und sei’s auch nur, weil auf der Basis solcher ideologischer Vorlieben und Missverständnisse politische Entscheidungen getroffen werden.

Nachdem 1996 Samuel Huntingtons The Clash of Civilizations erschienen war, vertraten zum Beispiel einige Intellektuelle in der Türkei die Position, der Westen verurteile sie zu muslimischer Rückständigkeit und Unwissenheit und deshalb könne die Türkei ihre Bemühungen um den Anschluss an Europa ebensogut aufgeben und sich der arabischen Welt annähern. Glücklicherweise hat diese Haltung in der Türkei an Boden verloren. Wie falsch es ist, Gruppen nach ihren angeblich tiefsitzenden kulturellen Prägungen einzustufen, zeigt die Tatsache, dass in der Türkei viele Islamisten den Anschluss an Europa suchen, weil sie sich davon den Schutz religiöser und bürgerlicher Rechte versprechen, während die angeblich westlich orientierten orthodoxen Kemalisten unter den Militärs aus genau den gleichen Gründen eine zunehmend nationalistische Richtung einschlagen und Europa den Rücken kehren. Sie möchten das autoritäre, militaristische System aufrechterhalten. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts widersetzte sich der sozialistische Ministerpräsident Bülent Ecevit mit Nachdruck dem Beitritt zur EU, weil Europa ihm zu kapitalistisch und ausbeuterisch war. Jetzt ist er erneut Ministerpräsident und setzt sich ebenso nachdrücklich für den Beitritt ein3. Ähnliche Skepsis gegenüber der Annäherung an Europa haben auch eine Reihe von russischen Intellektuellen geäußert, die sich durch Huntingtons Analyse zur christlich-orthodoxen Barbarei verurteilt sahen und das zum Vorwand nahmen, sich für eine neue Form von antikapitalistischer, antidemokratischer und antiwestlicher slawophiler Haltung stark zu machen. Wenn Russland versuche, sich zu verwestlichen, werde es ohnehin scheitern und beim Westen auf Ablehnung stoßen; es solle deshalb lieber seine eigene, unvergleichlich reine, von Gemeinschaftsdenken geprägte, typisch russische Version von Modernisierung kultivieren. Dass der Kommunismus diese Position aufgriff, verschaffte ihm bei russischen Nationalisten ein beträchtliches Maß an Anerkennung; das Scheitern des Kommunismus ließ diese “russische Idee” allerdings in der Versenkung verschwinden, aus der sie nur allmählich wieder auftaucht (McDaniel 1996). Sollte sich die Ansicht durchsetzen, Russland solle sich der Modernisierung westlichen Stils verweigern und sich auf seine Wurzeln besinnen, um seinen eigenen Weg zu finden (Ziuganov 1996; Khazanov 1997), würde dies Russland nur ein weiteres Jahrhundert Rückständigkeit und Elend bescheren.

Hier können wir sehen, dass die Haltung Huntingtons mit den Forderungen der Multikulturalisten vieles gemein hat. In indischen Intellektuellenkreisen, die den postmodernistischen Ideen besonders stark zuneigen (Chakrabarty 1992), trifft man auf die gleiche Art von antimodernistischer Reaktion, wie man sie bei islamischen Fundamentalisten in einigen Ländern der muslimischen Welt vorfindet, auch wenn die Betreffenden das heftig bestreiten würden. Dass sich beträchtliche Teile der indischen Bevölkerung durch die Modernisierung bedroht fühlen, verschafft diesen Intellektuellen ein Publikum und eröffnet die Möglichkeit politischer Fehlentscheidungen, die dem raschen ökonomischen Wachstum der letzten Zeit ein Ende bereiten und eine Rückkehr zu der auf Autarkie setzenden gescheiterten Politik bedeuten könnte, von der sich der Congress während der ersten vier Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit Indiens leiten ließ. In nichtwestlichen Gesellschaften zeigen sowohl diejenigen, die Huntingtons Ansichten folgen, als auch die Multikulturalisten der Modernisierung die kalte Schulter, weil sie darin einen westlichen Import sehen, der ihren Vorstellungen von einer guten Gesellschaft nicht entspricht; beide sind sich sicher, dass für ihre Gesellschaften das westliche Modell nicht taugt.

Wie sieht nun die Realität aus, und welcher theoretische Ansatz erklärt am besten die Mechanismen des sozialen Wandels in der modernen Welt? Seltsamerweise ist dies eben jene funktionalistisch-evolutionstheoretische Perspektive, die in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zuerst von der Kulturanthropologie und in der Folge dann von der Soziologie verworfen wurde.

Eine Betrachtung des gesellschaftlichen Wandels aus evolutionsgeschichtlich-funktionalistischer Perspektive gibt der Diskussion über den “Kampf der Zivilisationen” eine ganz andere Richtung, weil sie die Augen für die Tatsache öffnet, dass scheinbar unversöhnliche kulturelle Differenzen eher ein Ergebnis unterschiedlicher Geschwindigkeiten bei der Modernisierung als ein Ausdruck dauerhafter kultureller Grenzziehungen sind. Kulturen sind Codes, vergleichbar genetischen Codes, Regelsysteme, die sowohl die gesellschaftliche Organisation als auch das persönliche Verhalten steuern. Mag sein, dass sie weniger definitiv sind, und mit Sicherheit lassen sie sich durch bewusste menschliche Eingriffe verändern; die Parallele zur biologischen Evolution ist also nicht mehr als eine Analogie. Dennoch sind die Ähnlichkeiten wichtig. Im Laufe von Generationen bilden die Menschen Verhaltenskodizes aus, die in die Form von Bräuchen und Gesetzen, von Neigungen und Vorlieben, von Leitvorstellungen für das Verhalten unter bestimmten Anforderungen gegossen werden. Ständig finden neue Regeln, Vorlieben und Bräuche Aufnahme in die Kulturen, manche schnell, andere langsam. Die Neuerwerbungen haben vielleicht nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf die Gesellschaft, sie können segensreich und dem Überleben dienlich sein, sie können aber auch Schaden stiften. Entscheidend für das Verständnis sozialen Wandels ist, dass die Lebensumstände von Gesellschaften, mögen diese auch noch so isoliert und abgeschieden existieren, niemals auf Dauer fixiert sind. Mehr oder minder zufallsbedingt stellt sich heraus, dass bestimmte kulturelle Strukturen flexibler sind als andere und sich an Veränderungen des Klimas, des sozialen Milieus, der Technik und der Bevölkerungsdichte leichter anpassen. Kulturelle Strukturen, die zu unflexibel sind oder die keine erfolgreichen Lösungen für ernsthafte neue Probleme bieten, mit denen sich eine Gesellschaft konfrontiert sieht, führen zu Krisen. Diese können fatale Folgen haben, können aber auch zu größerer Flexibilität führen. Wie bei der biologischen Evolution ist das Tempo der Veränderungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht konstant, sondern ungleichförmig, ein Fall von “unterbrochenem Gleichgewichtszustand”, bei dem Perioden relativ langsamen Wandels plötzlich von Bündeln neuer Herausforderungen abgelöst werden (Sahlins / Service 1960; Boserup 1981).

Vor vielen Jahren hat Shmuel Eisenstadt zu zeigen versucht, dass es starke Übereinstimmungen zwischen allen Agrarreichen der Vergangenheit gibt; später vertrat er allerdings auch die irrige These, jede der großen Weltreligionen habe die ihrem Einfluss unterworfene Sphäre irgendwann auf eine Richtung eingeschworen, von der praktisch keine Abweichung mehr möglich gewesen sei (Eisenstadt 1963, 1986). In der Tat haben alle agrargesellschaftlichen Königreiche und Großreiche früher oder später einen Kriegsadel ins Leben gerufen, weil sich mit ihm erfolgreich Kriege führen ließen und weil die Berufskrieger, die daraus hervorgingen, über die körperliche Kraft verfügten, ihren Bauern den Zehnt abzupressen. Nur in entlegenen Berggegenden oder in auf andere Art geschützten Regionen konnten demokratischer organisierte Stammeskulturen überleben. Hierbei handelte es sich um eine universale Entwicklung, die alle angeblich radikalen Unterschiede zwischen den klassischen Zivilisationen relativierte. Ebenso traten auch überall städtische Kaufleute in Erscheinung, die stärker als die sie umgebenden Territorialherren und Bauern dazu neigten, ihre Umwelt zu quantifizieren und rational zu erfassen. Und allenthalben zeigten religiöse Eliten die Tendenz, kriegerische Tugenden und kaufmännische Berechnung abzuwerten, während Beamte im Dienste herrschender Dynastien gewöhnlich Bildung und Verwaltung hochhielten. Diese Verbindungen zwischen bestimmten Klassen und Wertvorstellungen traten mit überraschender Regelmäßigkeit immer wieder auf, weil die entsprechenden Berufe und Einstellungen gefragt waren und am besten dazu taugten, entwickelte Agrargesellschaften funktionsfähig zu erhalten (Weber 1922).

Die großen kulturellen Barrieren, die man zwischen den wichtigsten kulturellen Zusammenballungen, genannt Zivilisationen, zu erkennen geglaubt hat, waren weitgehend das Produkt zufälliger Unterschiede in der Verteilung der Macht zwischen den immer gleichen konkurrierenden Gruppen aus Königen, Kriegsadel, Kaufleuten, Beamten, Priestern, Bauern und angrenzenden Berg- oder Wüstenstämmen, die am Rande der etablierten Agrargesellschaften ihr Leben fristeten. Die Geographie, die zufällige Nähe einer Wanderroute oder Handelsstraße, die Fruchtbarkeit des Bodens und die Häufigkeit, mit der das Land Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Dürren ausgesetzt war, die Nachbarschaft nomadischer, weniger zivilisierter Grenzstämme – das alles bewirkte unterschiedliche Entwicklungen. Gewiss, es gab kulturelle Unterschiede, aber die Grundstrukturen waren sich in allen Agrarstaaten sehr ähnlich, abgesehen davon, dass zufallsbedingt bestimmte Gruppen mancherorts mächtiger waren als anderswo.

So war es zum Beispiel die zufallsbedingte Unabhängigkeit von Handelsstädten in Westeuropa, die zusammen mit der Tatsache, dass die besten Agrarflächen Westeuropas keinen häufigen extremen Klimaschwankungen oder nomadischen Überfällen ausgesetzt waren, das “europäische Wunder” begründete (Jones 1981). Die größere Unabhängigkeit von Städten und Kaufleuten beförderte das Aufkommen einer rationalen Ethik, während die langfristige Stabilität in der landwirtschaftlichen Erzeugung, die von Störungen weitgehend verschont blieb, den Aufbau einer Kapitalbasis erlaubte, wie er sich (außer vielleicht in einem gewissen Maß in China) nirgends sonst findet. Schließlich ermöglichte die anhaltende Zersplitterung Europas (im Unterschied zu China, das immer wieder zur Einheit zurückkehrte) einen als Anreiz für beschleunigte Veränderungsprozesse fungierenden technischen, wirtschaftlichen und geistigen Wettstreit. Die kulturellen Elemente aber, aus denen die westliche Zivilisation im Mittelalter bestand, waren die gleichen wie andernorts, und kleine Unterschiede in der relativen Gewichtung der einzelnen Elemente genügten, um für eine andere Entwicklung zu sorgen (Chirot 1986).

Keine Agrargesellschaft vermochte das Problem des zyklischen Bevölkerungswachstums zu lösen. In guten Zeiten ließ das Bevölkerungswachstum den technischen Fortschritt hinter sich und sorgte für sinkende Pro-Kopf-Erträge in der Lebensmittelerzeugung sowie für eine übermäßige Zunahme habgieriger Adliger. Daraufhin kam es zu Kriegen, Seuchen und Hungersnöten, bis sich das Verhältnis wieder normalisiert hatte. Diese endlose zyklische Bewegung ist für einen Großteil der Dramatik der klassischen Geschichte verantwortlich, von China über Indien und den Vorderen Orient bis nach Europa und sogar zu den klassischen Zivilisationen Mittelamerikas. Hier liegt auch der Grund dafür, dass seit der Entstehung ackerbautreibender Gesellschaften im Altertum bis zum späten Mittelalter das menschliche Bevölkerungswachstum relativ langsam verlief (McEvedy / Johnes 1978, S. 342-351).

Vom 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts bildete die Erforschung der Art und Weise, wie es dem Westen gelang, aus diesem Schema auszubrechen, eine zentrale Fragestellung der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung. Erst in den letzten Jahrzehnten, zumindest im Bereich der Soziologie, traten dann z.B. die Vertreter der Weltsystem-Theorie in Erscheinung, um das Problem mit der Behauptung abzutun, die Westeuropäer seien keine kulturellen Neuerer, sondern nur bessere Diebe; hingegen bestritten die Vertreter des Postmodernismus, dass der Westen überhaupt etwas von Wert erfunden habe (Wallerstein 1974; Abu-Lughod 1989; Lyotard 1979). Das ändert indes nichts daran, dass etwas im Westen passiert sein muss, das die Welt ebensosehr veränderte, wie das die agrarische Revolution in der Zeit vor ca. 3000 v. Chr. getan hatte. Wie bei dieser früheren Revolution begann auch jetzt die menschliche Bevölkerung, rasant zu wachsen, und die menschlichen Gesellschaften machten einen dramatischen Wandel durch. Der größte Unterschied liegt darin, dass sich diese zweite große Transformation in äußerstenfalls drei oder vier Jahrhunderten vollzogen hat statt im Laufe von drei oder vier Jahrtausenden (Diamond 1997, S. 176-191, 215-292).

Einmal mehr sieht sich die Menschheit heute mit einer ganzen Reihe von Herausforderungen konfrontiert; sie ist gezwungen, sich den neuen Verhältnissen durch die Schaffung neuer Typen gesellschaftlicher Organisation, neuer Kulturen, anzupassen. Nicht anders als in der agrargesellschaftlichen Vergangenheit gibt es nur eine relativ kleine Anzahl praktikabler Optionen, auch wenn im Bemühen, alte Gewohnheiten mit den neuen Anforderungen in Einklang zu bringen, allenthalben alle möglichen Experimente unternommen wurden und auch weiterhin werden. Der moderne Transformationsprozess bietet noch weniger gangbare Lösungen als die Umbrüche zuvor, und zwar deshalb, weil sich ein einheitlicher Weltmarkt entwickelt und weil das Kommunikationstempo sich ungeheuer beschleunigt hat. Das Szenario ist simpel: Gesellschaften und Systeme, die sich nicht anpassen, fallen zurück, die Menschen, die ihnen angehören, beginnen zu rebellieren, und am Ende steht das Scheitern.

Ein Unterschied mag heute darin bestehen, dass Fehlschläge sich nicht mehr unbedingt in militärischen Niederlagen, Knechtschaft, Hungersnöten und Zwangsvertreibungen ausdrücken müssen. Es genügt, dass die Bräuche, Gesetze, Ideologien und Organisationsformen, die den freien Austausch von Ideen und Technologien, von Waren und Kapital behindern, zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums führen, und schon steigt die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Wer den neuen Anforderungen ablehnend gegenübersteht, vermutet vielleicht, dass sich die reichen kapitalistischen Mächte unter Führung der USA gegen die betreffende Gesellschaft verschworen haben. Aber tatsächlich bedarf es gar keiner Verschwörung oder direkter Intervention. Fundamentalistische muslimische Regime, rechte korporatistische Autokratien, korrupte, nach außen abgeschottete Plutokratien oder andere Überbleibsel aus dem späten agrargesellschaftlichen Zeitalter sind sich durch ihr Festhalten an schlecht angepasste soziale und ökonomische Systeme selbst der ärgste Feind. Normalerweise ist ihren Führern das auch klar; dennoch klammern sie sich verzweifelt an die Macht, weil sie fürchten, dass jede Anpassung an die neuen Erfordernisse auf ihren Sturz hinausläuft. Wovor sie sich deshalb am meisten fürchten, ist der freie Austausch von Ideen und Informationen, der den von ihnen beherrschten Menschen ihr Versagen nur noch offenkundiger machen muss.

Wo bleibt unter diesen Voraussetzungen der “Kampf der Zivilisationen”? Aus evolutionstheoretisch-funktionalistischer Sicht spricht alles dafür, dass der “Kampf” weitgehend eine Funktion des unterschiedlich fortgeschrittenen Modernisierungsprozesses ist und deshalb wohl auch nicht viel länger fortgesetzt wird. Er ist weder der Vergangenheit noch der Zukunft als ewiger Konflikt einbeschrieben. Angesichts dessen mutet die These Huntingtons, dass in bestimmten Kulturen Modernisierung ausgeschlossen sei, gleichermaßen historisch kurzsichtig wie theoretisch seicht an. Und die multikulturalistische, postmodernistische Ablehnung der Modernisierung als Inbegriff westlicher Vorherrschaft scheint das tatsächliche Geschehen völlig zu verfehlen. Was demgegenüber am Platze scheint, ist eine Rückkehr zu der älteren evolutionstheoretisch-funktionalistischen Tradition, die in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts in Talcott Parsons ihren Höhepunkt fand (Parsons / Smelser 1956). Wenn wir die Probleme der heutigen ökonomischen Modernisierung aus dieser Perspektive ins Auge fassen und die sog. Modernisierungstheorie rehabilitieren (am bündigsten formuliert von Walt W. Rostow in seiner 1960 vorgelegten Ausarbeitung eines Modells von Stufen ökonomischen Wachstums), dann wird uns das helfen, die heutigen Ungleichheiten im Bereich der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie die Optionen für die Zukunft besser zu verstehen.

II

Was lässt sich aus unseren bisherigen Überlegungen für die Debatte um “Ost-” und “Mitteleuropa” gewinnen? Aus modernisierungstheoretischer Sicht erscheint sie ebenso irreführend wie kleinkariert. Man muss zugeben, dass die Einführung der Unterscheidung zwischen Ost- und Mitteleuropa ein brillantes Stück antisowjetischer Propaganda war, das viel dazu beitrug, den antikommunistischen Widerstand unter den Intellektuellen zu stärken.4 Insofern der Wunsch, als “Mitteleuropa” anerkannt zu werden, gleichbedeutend war mit dem Wunsch, zum “Westen” zu gehören, ging es dabei um die Segnungen, die den Menschen im Westen zuteil wurden, während sie denen unter kommunistischer Herrschaft versagt blieben – ökonomische Modernisierung und Wohlstand, stabile demokratische Verhältnisse und Achtung für die Rechte des einzelnen. Aber natürlich sind das Dinge, nach denen es die Mehrzahl der Menschen überall auf der Welt verlangt, auch wenn ihre politische Führung vielerorts versucht, sie ihnen unter dem einen oder anderen Vorwand vorzuenthalten. Nicht nur die Menschen im Westen und die Mitteleuropäer streben nach diesen Errungenschaften. Wenn die intellektuellen Aktivisten Mitteleuropa beschworen haben, weil sie beanspruchten, dem Westen näher zu sein als andere Europäer oder Nichteuropäer und die Befreiung vom Kommunismus ihnen so erlauben würde, schneller zum Westen aufzuschließen als zum Beispiel die Rumänen oder Russen, dann war das durchaus plausibel. Bedeutete ihre Berufung auf Mitteleuropa hingegen, dass Menschen, die in einem bestimmten Teil Europas zur Welt gekommen waren, im Unterschied zu anderen aus irgendeinem Grund über die Fähigkeit verfügten, an der Moderne teilzuhaben, dann war das Humbug. Taiwan und Südkorea sind tatsächlich “westlicher” als der größte Teil Mitteleuropas, selbst heute noch, gemessen an ihren stabilen Demokratien und dem hohen Stand ihrer ökonomischen Modernisierung.5 “Westlich” ist in diesem Fall nichts weiter als ein Synonym für “modernisiert”.

Wer die Tatsache, dass zwischen verschiedenen Teilen der postkommunistischen Welt Unterschiede im wirtschaftlichen Erfolgsniveau bestehen, auf tiefgreifende kulturelle Traditionen und Erbschaften zurückzuführen sucht, der verkennt die wahren Gründe für diese Unterschiede und lässt sie außerdem unverrückbarer erscheinen, als sie in Wahrheit sind. Wir wissen mittlerweile, dass für eine nachhaltige Modernisierung drei Generationen genügen, vielleicht sogar weniger. Einige rückständige Gebiete Osteuropas, wie zum Beispiel Rumänien oder Bulgarien, bringen alle Voraussetzungen für eine rasche Modernisierung mit. Wäre Serbien nicht von seinen irregeleiteten Intellektuellen (die felsenfest an eine besondere “serbische Mission” glaubten) und vom Regime Milosevic in ein katastrophales politisches Abenteuer verstrickt worden, das Land hätte aus der kommunistischen Ära auf dem gleichen Entwicklungsniveau wie Polen hervorgehen können. Die Unterschiede im Modernisierungsgrad, die zwischen Rumänien oder Bulgarien und, sagen wir, Ungarn oder Polen bestehen, lassen sich binnen ein, zwei Generationen beseitigen. Und Ähnliches gilt für die Gesamtheit des postkommunistischen Europa, das durchaus imstande ist, mittelfristig zum Entwicklungsniveau Westeuropas aufzuschließen.

Schließlich hätte in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts niemand den rückständigen Ländern Spanien, Portugal, Griechenland und Irland zugetraut, dass sie bis zum Jahr 2000 das Modernitätsniveau der fortgeschrittensten westlichen Gesellschaften erreichen würden. The Economist zufolge belief sich im Jahr 2000 das irische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung auf 29 800 Dollar, gegenüber 25 900 Dollar in Großbritannien! (2001, S. 84 f.) Wenn man bedenkt, dass Irland zu Beginn des 20. Jahrhunderts als kulturell und wirtschaftlich rückständig galt und dass noch in den siebziger Jahren der ökonomische Entwicklungsstand des Landes als ungefähr dem ungarischen vergleichbar galt (Zauberman 1976, S. 611 f.), ist das bemerkenswert. Im Jahre 2000 betrug in Ungarn das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt 5 830 Dollar (The Economist 2001, S. 85).

Wenn man Wirtschaftswunder sucht, braucht man nicht bis nach Taiwan oder Südkorea zu gehen, auch wenn man nicht vergessen sollte, dass diese Länder 1950 Pro-Kopf-Einkommen hatten, die unter dem des westafrikanischen Ghana (damals noch Goldküste) lagen und auch niedriger waren als das rumänische. Eine preisbezogene Bereinigung ergibt sogar, dass Ghana noch zu Anfang der fünfziger Jahre ein im Vergleich mit Taiwan annähernd doppelt so hohes Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt erzielte, während Rumänien nur wenig ärmer war als Japan. (Summers / Heston 1984)

Kulturelle Traditionen für bedeutungslos zu erklären, wäre gewiss eine grobe Übertreibung. Im größten Teil Afrikas südlich der Sahara zum Beispiel haben der Mangel an schriftkulturellen oder staatsbürokratischen Traditionen, ein schwach ausgebildeter Sinn für das Recht auf Privateigentum und die fast durchgängige Bereitschaft, die haltgebende gesellschaftliche Struktur in der Sippe zu gewahren, korrupte, von Nepotismus beherrschte, ineffektive Regierungsapparate hervorgebracht, die eine wirtschaftliche Entwicklung fast unmöglich machen (Jackson / Rosberg 1982). Für Osteuropa haben jüngste Forschungen von Andrew Janos nachgewiesen, dass die Kluft zwischen Ostkirche und katholischer Kirche einen wichtigen politischen und ökonomischen Unterschied markiert und dass die katholischen Gebiete in der Region vor 1989 dem Kommunismus größeren Widerstand entgegengesetzt und danach ökonomisch besser abgeschnitten haben (Janos 2000, S. 38 f., 326 f.). Diese Empirie ist nicht zu vernachlässigen, darf aber auch nicht dazu missbraucht werden, solche Unterschiede für aufgrund ihrer tiefen Verwurzelung unveränderlich zu erklären.

Ich meine, dass die Macht kultureller Traditionen nicht überbewertet werden darf, weil sie sich unter günstigen Umständen binnen weniger Generationen brechen lässt. Griechenland und der griechische Teil Zyperns zum Beispiel haben eine ebensolche ostkirchliche Tradition wie die osteuropäischen Gebiete, die unter die Herrschaft des Kommunismus gerieten. Weil sie aber in der Einflusssphäre des Westens verblieben, haben diese beiden Länder im letzten halben Jahrhundert einen tiefgreifenden Modernisierungsprozess durchlaufen und rasche ökonomische Fortschritte gemacht. Im Jahre 2000 betrug das griechische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung 12 400 Dollar und übertraf damit das ungarische um mehr als das Doppelte, während es sich 1950 nur erst auf bestenfalls 60 % des ungarischen belief. Rumänien, das 1950 über ein Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt verfügte, welches 80 % des griechischen entsprach, kommt heute auf kaum noch 15 % des griechischen (The Economist 2001, S. 84 ff.; Summers / Heston 1984). Die Auswirkungen des orthodoxen Glaubens und des Kommunismus haben sich in Kombination offenbar als besonders schädlich erwiesen, wohingegen in Griechenland der enge Kontakt zum Westen die negativen Wirkungen der orthodoxen Tradition weitgehend kompensieren konnte. Janos (2000) und McDaniel (1996) haben beide erklärt, warum die orthodoxe Kirche und der Kommunismus sich in ihrer Entwicklungsfeindlichkeit wechselseitig verstärkten, doch das bedeutet nicht, dass sich die Notlage in den postkommunistischen Gesellschaften, die zum Einflussbereich der orthodoxen Kirche gehören, aus irgendeinem althergebrachten Charakter dieser Religion herleitet.

Wenn wir zu den Ursachen zurückgehen, die verantwortlich waren für die frühe Modernisierung des Westens zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, dann lässt sich geltend machen, dass zwischen dem fortschrittlichen Nordwesten einerseits und dem Süden wie auch dem Osten Europas andererseits eine zivilisatorische Kluft existierte. Tatsächlich besaß die Region Europas, die als “der Westen” bekannt wurde, Einzigartigkeit. Die Gründe für ihren Aufstieg sind bereits angedeutet worden. Im Vergleich mit ihr verfügten die nordöstlichen Teile Osteuropas über primitivere Ackerbautechniken, eine geringere Bevölkerungsdichte und, im Ganzen betrachtet, schlechtere Böden und härtere klimatische Bedingungen. Was das unter osmanischer Herrschaft stehende Südosteuropa betraf, so lässt sich nicht sagen, dass es durch irgendein besonderes Charakteristikum seiner kulturellen Traditionen oder durch die Osmanen zur Rückständigkeit verurteilt war. Das Gebiet war im Gegenteil von einer Reihe ganz normaler, Ackerbau und Viehzucht treibender Gesellschaften besiedelt, die denselben, katastrophisch verlaufenden demographischen und ökologischen Zyklen unterlagen wie alle anderen vergleichbaren Gesellschaften. Die Herrschaftssphäre der Osmanen entsprach dem Durchschnitt und wirkte rückständig nur im Verhältnis zu jener einzigartigen nordwesteuropäischen Region, die in ihrer Entwicklung als erste über das agrargesellschaftliche Stadium hinausgelangte. Gebiete, die weiter im Norden und im westlichen Teil Osteuropas lagen und im unmittelbaren Kontakt mit dem Westen standen, zogen Nutzen aus der Übernahme technischer Errungenschaften und erreichten höhere Niveaus landwirtschaftlicher Produktivität als das abgelegene Südosteuropa und die entfernteren Teile Osteuropas wie etwa Russland (Adnair 1989; Gunst 1989). In den Unterschieden des materiellen Entwicklungsstands spiegelten sich gewiss auch kulturelle Unterschiede, aber statt aus dem Rahmen zu fallen und rückständig zu sein, glichen die osteuropäischen Gesellschaften, Russland eingeschlossen, Agrargesellschaften in anderen Teilen der Welt und waren wie diese zu langsamem Wachstum, heftigen Schwankungen zwischen Blütezeiten und Krisen und chronischer Unsicherheit verurteilt, die dem Kapitalwachstum und Verbesserungen hemmend im Weg standen.

Nachdem indes der Westen eine Vormachtstellung in der Welt errungen hatte und sein Einfluss sich auszubreiten begann, fingen diese alten Unterschiede an, sich aufzulösen. Es brauchte besondere Umstände, um aus dem alten agrargesellschaftlichen Schema auszubrechen, aber nachdem das westliche Vorbild einmal vorhanden war, fiel die Schaffung weiterer moderner Industriegesellschaften nicht mehr so schwer. Sie entstanden zuerst im 19. Jahrhundert in jenen Teilen Osteuropas, die dem westlichen Einfluss am stärksten ausgesetzt waren, und dann im 20. Jahrhundert auch in den abgelegeneren südosteuropäischen Regionen. Wie einst der Sprung von den voragrarischen, unstaatlichen Gesellschaften im Laufe einiger Jahrtausende auf dem ganzen Erdball vollzogen wurde, so vollzieht sich die industriegesellschaftliche Transformation ebenso weltweit binnen einiger Jahrhunderte; noch stecken wir mitten in diesem Prozess.

Verglichen mit dem Westen tat sich Mitteleuropa mit der Industrialisierung schwer; Deutschland allerdings schaffte dann rasch den Anschluss. Böhmen und Mähren, die heutige Tschechische Republik, bildete nach Deutschland den am stärksten verwestlichten Teil Mitteleuropas. Auch wenn seine Ökonomie hinter den reichen westeuropäischen Volkswirtschaften zurückstand, zählte sie doch im Bereich des industriellen Exports zur führenden Gruppe; zahlreichen sozialen Indikatoren zufolge kam die Region westlichen Standards nahe (Janos 2000, S. 130-140). So waren auch in Polen die Gebiete, die Deutschland am nächsten lagen und von dort am stärksten beeinflusst wurden, im 18. Jahrhundert bereits entwickelter als die polnischen Gebiete im Osten (Kochanowicz 1989).

Die enormen Unterschiede in der industriellen und technologischen Leistungskraft, dem Grad der Verstädterung und der Bildung sowie all den anderen Indikatoren für Modernität, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen dem östlichen und dem westlichen Europa bestanden, lassen leicht vergessen, dass ein Jahrhundert zuvor auch der größte Teil des Westens noch ungebildet, arm und bäuerlich war. Und man darf auch nicht aus dem Auge verlieren, dass dort, wo die Moderne eine Chance bekam, Fuß zu fassen, wie etwa in Teilen des Habsburger Reiches, im russischen Teil Polens und in bestimmten Regionen des Baltikums, nicht zu vergessen St. Petersburg und einige andere Gegenden in Russland, die Entwicklung viel rascher vonstatten ging als ursprünglich, nämlich in der Zeit zwischen 1500 und 1800, in Westeuropa. In den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg machte Russland bemerkenswerte Fortschritte im industriellen Wachstum und im Bildungswesen und schuf so eine feste Grundlage für die Modernisierung, auch wenn die Sowjets steif und fest behaupteten, dergleichen habe nie existiert (Grossman 1973).

Selbst der Erste Weltkrieg und die aus ökonomischer Sicht unsinnigen Grenzziehungen, von denen er gefolgt war, brachten die wirtschaftliche Modernisierung Osteuropas nicht zum Stillstand. Tatsächlich setzte die Modernisierung in vielen Teilen des Balkans in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein. Dabei handelte es sich nicht einfach nur um die Einrichtung neuer Staaten mit ihren Bürokratien und Militärapparaten, sondern es kam tatsächlich zu Fortschritten im Bildungswesen, in den landwirtschaftlichen Anbautechniken und sogar bei der Schaffung eines gewissen industriellen Potentials (Chirot 1989b). Wäre es nicht zum Zweiten Weltkrieg und, schlimmer noch, zur anschließenden Errichtung einer kommunistischen Herrschaft gekommen, wenige Teile Osteuropas, wenn überhaupt, wären dazu verurteilt gewesen, in Rückständigkeit zu verharren. Vielmehr hätten sie an den gleichen rasanten Fortschritten teilgehabt, wie sie die Iberische Halbinsel, Griechenland, Zypern und Irland seit 1950 erlebten.

Auf den ersten Blick scheint das merkwürdig. Der Kommunismus hatte ja nicht das Ziel, die Entwicklung aufzuhalten, sondern beanspruchte im Gegenteil, sie zu beschleunigen. Verstädterung, Bildung für breite Volksschichten, Industrialisierung – das alles wurde vorangetrieben. Was aber fehlte, war der substanziellere Teil der Modernisierung, dass nämlich die Menschen lernten, wie man sich unter den Bedingungen des freien Marktes verhält statt unter denen traditioneller Gemeinschaften. Indem der Kommunismus diesen Teil des Programms vernachlässigte, schuf er das äußere Gerüst des modernen Lebens, ohne die Einstellung der Menschen hinlänglich zu verändern. Zu den bizarren Aspekten des Kommunismus zählt die Art und Weise, wie er die traditionellen sozialen Erwartungen konservierte, während er gleichzeitig die Produktionsmethoden zu revolutionieren suchte. Gemeinschaftsbewusstsein statt individuelle Verantwortung und gesellschaftlich festgesetzte statt über den Markt ermittelte Preise herrschten vor und brachten ein zutiefst mangelhaftes, ineffizientes System hervor. Der Kommunismus verband die schlimmsten Züge von Entfremdung, die der westlichen Moderne eigneten, mit der Beibehaltung vormoderner gesellschaftlicher Verhaltensweisen.

Fest steht, dass dadurch die kulturelle Kluft zwischen den westlichen und östlichen Teilen Europas, soweit es denn eine gab, verstärkt wurde, und zwar just zu der Zeit, da sich die Unterschiede zwischen dem nordwestlichen und dem südwestlichen Europa (einschließlich Griechenlands) einebneten. Was Osteuropa betrifft, so haben sich jene Teile im Nordosten, die vor 1939 den Vorzug einer drei Generationen anhaltenden Modernisierung genossen, seit 1989 mit ziemlicher Geschwindigkeit vom Kommunismus erholt. Sie hatten sich einen Fundus an Kenntnissen bewahrt über den Umgang mit dem Markt und mit einer Welt, in der Menschen für sich selbst Verantwortung tragen und diese Verantwortung nicht kollektiven Fürsorgesystemen überlassen. Sie verfügten über genug Personen mit unternehmerischen und technischen Fähigkeiten, um die nachkommunistische Gesellschaft in Schwung zu bringen.

Südosteuropa und die durch die Russische Revolution in die Sowjetunion eingegliederten Gebiete hatten weniger Glück. Was vor 1917 in Russland während eines Zeitraums von bestenfalls einer Generation an Modernisierung stattgefunden hatte, wurde durch 80 Jahre Kommunismus ausgelöscht. In einem Land wie Rumänien, wo man mit der Modernisierung erst nach dem Ersten Weltkrieg begonnen hatte, reicht das Werk einer einzigen Generation nicht aus, um die Schäden wiedergutzumachen, die zwei Generationen Kommunismus angerichtet haben. Diese benachteiligten Regionen müssen noch einmal ganz von vorn anfangen und werden gut und gerne drei Generationen brauchen, um wieder Tritt zu fassen. Aber drei Generationen sind keine Ewigkeit, und jeder Versuch zu behaupten, es gebe grundlegende zivilisatorische Unterschiede zwischen Zentral- und Osteuropa, führt geradeso in die Irre wie einst die Annahme, die katholischen Iren seien zu primitiv, zu abergläubisch, zu weibisch oder umgekehrt zu brutal, und vielleicht auch zu trunksüchtig, kurz: zu schwach, gefühlsbeherrscht und rückständig, um je das Niveau der englisch-protestantischen Zivilisation erreichen zu können. Solche Überzeugungen waren gang und gäbe und bilden bis heute den harten Kern der stereotypen Vorurteile, die in Nordirland Protestanten und Katholiken trennen. Wenn Erinnerungen an alte Religionskriege künstlich aufgefrischt werden, so dient das nur als Vorwand, um eine angebliche zivilisatorische Differenz bestätigt zu finden, die sich im wirtschaftlichen Aufschwung des katholischen Irland längst verflüchtigt hat.

Wie sollen wir nun jene beurteilen, die es sich dennoch nicht nehmen lassen, zu behaupten, es gebe ein Mitteleuropa und ein östliches Europa, welche durch eine tiefe zivilisatorische Kluft voneinander getrennt seien? Manche von ihnen machen es zu ihrem Geschäft, kleine Differenzen um des ästhetisch-dramatischen Effekts willen stark herauszustellen. Dagegen ist nichts zu sagen, es kann sogar erhellend sein. Man gewinnt dadurch Einsichten, die interessant sind, solange wir nicht den begrenzten historischen und prognostischen Wert einer solchen literarischen Perspektive aus den Augen verlieren. Andere allerdings verfolgen schädlichere Absichten. Sie wollen die Balkanländer, die mittlerweile ärmer sind als sie, ausschließen, und wollen Rache an ihren früheren Unterdrückern, den Russen, üben. Sie haben ein Interesse daran, jene Teile Europas rückständig zu halten. Damit könnten sie auch Erfolg haben, denn ein Ausschluss Südosteuropas und der slawischen Gebiete der ehemaligen Sowjetunion aus Europa kann sehr wohl die Modernisierung dieser Regionen verzögern. Und damit nicht genug, kann er auch die Position jener verblendeten Intellektuellen etwa in Rumänien oder Russland stärken, die ihre Kulturen für derart einzigartig halten, dass sie sie vor einer Verwestlichung bewahren wollen. Genau dieses Streben nach einem nichtwestlichen, nichtdemokratischen, nichtindividualistischen, nichtbürgerlichen Weg zur Modernisierung hat ja den Kommunismus möglich gemacht und jahrzehntelang an der Macht gehalten. Die Überzeugung von der eigenen Einzigartigkeit und das Ressentiment gegen die englische und französische bürgerlich-demokratische Modernisierung waren es ja auch, die dem romantischen deutschen Nationalismus seine hässlichsten Züge verliehen und den Siegeszug des Nationalsozialismus so wesentlich begünstigten (Stern 1958). Und es sind diese Gefühle, die den schlimmsten Aspekten des islamischen Fundamentalismus Vorschub leisten.6 Es wäre in der Tat eine Tragödie, wenn solche Ideologien Einzug in irgendeinen Teil von Europa hielten, nur weil man diesen von der Zugehörigkeit zu West- oder Mitteleuropa ausgeschlossen hat.

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Auch wenn Huntingtons Buch ein hinter der Maske historischer Interpretation vorgetragenes Plädoyer für eine stärker isolationistische amerikanische Außenpolitik ist, haben sich als folgenreich doch eher die geschichtswissenschaftlichen Implikationen seiner These als seine politischen Empfehlungen erwiesen.

Ein Blick in die Dokumentationsabteilung im Büro des Hochkommissars für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen ( www.unhchr.ch) liefert einen ersten Hinweis darauf, wie ernst eine wachsende Zahl von Ländern in der Welt die Menschenrechte mittlerweile nehmen, und sei es auch nur, um internationalen Ansprüchen zu genügen und der Verurteilung zu entgehen.

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass die Islamisten eine proeuropäische Haltung einnehmen würden, wenn sie an der Macht wären, sondern nur, dass der politische Wettstreit die Menschen zwingt, ursprüngliche ideologische Positionen neu zu überdenken und im Laufe der Zeit vielleicht auch echte Positionswechsel zu vollziehen. Siehe die türkischen Zeitungen Radikal und Yeni Safak, um die Winkelzüge und Volten dieser Debatten nachzuvollziehen. Siehe auch Kasaba / Watts (2001) sowie Yavuz (1999).

Milan Kundera erfand den Begriff "Mitteleuropa" zwar nicht, aber belebte ihn ohne Frage neu und verlieh ihm einen gewandelten Sinn, als er ihn Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts in brillanter Form propagandistisch nutzte (Kundera 1984).

Es ist nützlich, sich daran zu erinnern, wie rasch und wie nachdrücklich das ostasiatische Wirtschaftswunder sich nach 1950 gegen die antikommerziellen Bedenken des Konfuzianismus durchsetzte, um die Region zu modernisieren und zu verwestlichen (Vogel 1991).

Das zieht sich als Thema durch das 1998 erschienene Buch von Fouad Ajami, The Dream Palace of the Arabs. Angesichts des Scheiterns in ihren eigenen Nationen geben arabische Intellektuelle in zunehmendem Maße dem Westen die Schuld an der Entwicklung; während sie ihm einst nacheifern wollten, werfen sie ihm jetzt vor, sie im Stich gelassen zu haben. Vor der Unfähigkeit und Brutalität ihrer eigenen politischen Führer verschließen sie lieber die Augen und flüchten sich in modernitätsfeindlichen, antiwestlichen Zorn, der sich von Frustration nährt und den muslimischen Fundamentalismus als einzige Lösung erscheinen lässt.

Published 11 January 2002
Original in English
Translated by Ulrich Enderwitz

Contributed by Transit © Transit

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