Netzwerke der Medien: Medienkulturen, Konnektivität und die Globalisierung der Medienkommunikation
Media cultures, connectivity and globalization
Andreas Hepp untersucht, inwieweit neue technische Möglichkeiten und Globalisierung die Medienlandschaft völlig neu gestalten: Trotz aller Anzeichen von zunehmender “Interkonnektivität” wird das Konzept der “Translokalität” in diesem medienkulturellen Wandel von Bedeutung bleiben.
Wir leben in Zeiten der Globalisierung. Diese Formulierung ist gegenwärtig sicherlich über die verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen hinweg geteilter “common sense”. Doch was ist genau unter diesem schillernden Ausdruck Globalisierung zu verstehen? Und was bedeutet Globalisierung in Bezug auf Medien? Verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler argumentieren hier, dass Globalisierung selbst am besten als ein sich verstärkender Prozess des Schaffens einer komplexen weltweiten Konnektivität zu fassen ist (vgl. exemplarisch Tomlinson 2002). Ob man die Bereiche der Wirtschaft, Politik oder auch die (Medien-)Kultur nimmt, die letzten Jahrzehnte sind dadurch charakterisiert, dass die weltweiten ‘Verbindungen’ umfassend zugenommen haben.
Solche Überlegungen aufgreifend möchte ich im Folgenden argumentieren, dass der Prozess der Globalisierung der Medienkommunikation – verstanden als die Zunahme weltweiter, kommunikativer Konnektivitäten – auf umfassende Weise die verschiedenen Medienkulturen verändert hat. Deshalb wird es notwendig, Medienkulturen auf eine neue Art und Weise zu theoretisieren, nämlich als in erheblichen Teilen medienvermittelte, kulturelle Verdichtungen, die sich mit bestimmten Territorien (bspw. Nationalstaaten) decken können, die aber mit fortschreitender Globalisierung der Medienkommunikation nicht zwangsläufig müssen. Im Gegensatz zu einem solchen Verständnis besteht in traditionellen Ansätzen, die sich mit verschiedenen Medienlandschaften und Medienkulturen auseinander setzen, zumindest implizit die Tendenz, diese als “territoriale Objekte” (also als Medienkultur eines bestimmten Territoriums) zu beschreiben. Es ist aber gerade diese Tendenz zur Territorialisierung, die es unmöglich macht, deren Wandel in Zeiten der Globalisierung zu fassen. So erscheint es notwendig, eine “transkulturelle Perspektive” einzunehmen und das, was wir als “Medienkultur” bezeichnen, im zunehmend komplexer werdenden Konnektivitätsgefüge der Globalisierung von Medienkommunikation – in den verschiedenen “Netzwerken der Medien” – zu sehen. Hiermit wird es nämlich möglich, den Wandel von Medienkulturen selbst im herausragenden kulturellen Wandel der Globalisierung einzuordnen, nämlich dem der Deterritorialisierung.
Deterritorialisierung als kultureller Wandel
Wenn man die Arbeiten von Néstor García Canclini als Ausgangspunkt nimmt, lässt sich argumentieren, dass der herausragende kulturelle Wandel der Globalisierung die Deterritorialisierung ist: Vermittelt durch den Prozess der Globalisierung zeichnet sich ein zunehmendes Aufweichen der scheinbar natürlichen Beziehung zwischen Kultur und geografischen und sozialen Territorien ab (vgl. García Canclini 1995: 229).
Trotz der Reichweite, die dieser Begriff der Deterritorialisierung in der Globalisierungsdiskussion hat, erscheint er in dieser Form für eine Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Medienkulturen nicht hinreichend. Dies hängt damit zusammen, dass García Canclini zwei Arten von Deterritorialisierung mischt. Als eine erste Art der Deterritorialisierung lässt sich die “physische Deterritorialisierung” ausmachen. Es ist diese Art der Deterritorialisierung, auf die die Arbeiten von Néstor García Canclini aber auch anderer Globalisierungsforscherinnen und -forscher orientiert fokussiert sind: Eine Vielzahl von Personen reist und migriert in Zeiten der Globalisierung, die Welt als Ganzes basiert in wesentlich höherem Maße auf Mobilität als die Jahrhunderte davor (vgl. exemplarisch Urry 2000). García Canclini fokussiert sich auf diesen Aspekt, wenn er mit Bezug auf Migranten den kulturellen Wandel in Lateinamerika bzw. den USA diskutiert. Hiervon ist allerdings eine zweite Art der Deterritorialisierung zu unterscheiden, die sich als “kommunikative Deterritorialisierung’ bezeichnen lässt. Der kulturelle Wandel der Globalisierung bezieht sich nicht nur auf die zunehmende Mobilität von Menschen und Gütern. Im Alltag ebenso zentral ist der fortlaufende Prozess der Globalisierung von Medienkommunikation. Mehr und mehr “Waren”, die über verschiedene Territorien hinweg verfügbar sind – Fernsehformate von Soaps und Quiz-Shows, auf ein transnationales Publikum zielende Filme oder Musik(videos) aber beispielsweise auch mit medial kommunizierten Images operierende Marken-Kleidung – sind “Medienprodukte” (vgl. Hall 2002: 95-101). Hierdurch wird Medienkultur zumindest partiell “deterritorial”: Verschiedene Sinnangebote insbesondere im Bereich der Jugend- und Populärkultur, die in Zeiten der Globalisierung mittels Medien kommuniziert werden, lassen sich nur noch in beschränktem Maße auf bestimmte Territorien rückbeziehen.
Sicherlich können physische und kommunikative Deterritorialisierung nicht gegeneinander gesetzt werden, sondern sind vielmehr auf verschiedenen Ebenen miteinander verwoben. Wenn man Diasporas als Beispiel für physische Deterrritorialisierung nimmt, so ist es offensichtlich, dass diese als nur deshalb stabile “exemplary communities of the transnational moment” (Tölölyan 1991: 3) sein können, weil ihre Mitglieder gemeinsame kulturelle Repräsentationen teilen. Und diese geteilten kulturellen Repräsentationen, wie beispielsweise bei der indischen Diaspora Bollywood-Filme oder das transnationale indische Fernsehen ZeeTV, sind letztlich zunehmend medial vermittelt.
Nichtsdestotrotz ist es heuristisch wichtig, physische und kommunikative Deterritorialisierung voneinander zu unterscheiden. Hierfür sprechen insbesondere drei Gründe:
Geschwindigkeit: Kommunikative Deterritorialisierung scheint wesentlich schneller stattzufinden als physische. Mediale Repräsentationen können in Zeiten einer globalen kommunikativen Infrastruktur viel schneller und billiger über verschiedene Territorien hinweg bewegt werden als materielle Güter und Menschen.
Flüchtigkeit: Kommunikative Deterritorialisierung scheint wesentlich “flüchtiger’ zu sein als physische Deterritorialisierung. Viele Aspekte der kommunikativen Deterritorialisierung sind schwer zu erkennen, beispielsweise “nationalisierte” Versionen transnational gehandelter Soap Operas oder Quiz-Shows (vgl. Hallenberger 2002; Müller 2002). Ein “Fremder” in der eigenen lokalen Nachbarschaft ist hier wesentlich “präsenter”.
Reichweite: In scheinbarem Widerspruch hierzu ist die Reichweite, mit der die kommunikative Deterritorialisierung das Alltagsleben durchdringt, wesentlich größer als die physischer Deterritorialisierung. Während in vielen Regionen der Welt die physische Mobilität geringer ist, als man vermutet, so sind auch dort Medienprodukte unterschiedlichster Kontexte zugänglich (vgl. Morley 2000: 86-104). Auf Grund ihrer Geschwindigkeit und Flüchtigkeit durchdringt die kommunikative Deterritorialisierung das Alltagsleben auf verschiedensten Ebenen.
Diese drei Gründe aufgreifend kann man argumentieren, dass das Konzept der “kommunikativen Deterritorialisierung” es möglich macht, den Wandel von Medienkulturen in Zeiten der Globalisierung zu verstehen – ein Wandel, der aktuell bereits stattfindet: Medienkulturen sind gegenwärtig wesentlich stärker involviert in Prozesse der Globalisierung als viele empirische Studien dies implizieren, da diese oftmals in einem analytischen Rahmen operieren, der es unmöglich macht, diesen Wandel zu verstehen (vgl. hierzu den Überblick in Hepp 2003; Hepp 2004, Kap. 3 und 4).
Zur Konnektivität und Translokalität gegenwärtiger Medienkulturen
Das zentrale Argument an dieser Stelle ist, dass Medienkulturen und deren gegenwärtiger Wandel nur dann adäquat beschrieben werden können, wenn man analytisch bei den Konzepten der Konnektivität und Translokalität ansetzt.
Auf abstrakter Ebene kann jedes Medium als ein “konnektivitätsschaffend” begriffen werden: Sprache beispielsweise ist ein Werkzeug, das Menschen dazu verwenden, kommunikativ in Verbindung zu treten. So kann man – wie Carsten Winter und Werner Faulstich dies tun (vgl. Faulstich 1996; Winter 1996) – Bettelmönche und Wandermönche als “Menschmedien” begreifen, weil diese reisenden Personen kommunikative Verbindungen zwischen verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Regionen schaffen. Des Weiteren lassen sich elektronische Medien wie Film, Fernsehen, Radio und Internet als Werkzeuge der Etablierung von Konnektivität begreifen: Deren Repräsentationen konstituieren symbolische Verbindungen zwischen verschiedensten Menschen.
Diese Beispiele illustrieren zwei Aspekte. Erstens ist Konnektivität ein generelles Moment von Kommunikation. Es ist nichts Neues oder Spezifisches für elektronische Medien oder das Internet. “Netzwerke der Medien” lassen sich in der gesamten Mediengeschichte ausmachen. Dieser Umstand ist deshalb wichtig, weil viele gegenwärtige Konnektivitätstheorien wie beispielsweise die Netzwerk-Theorie von Manuel Castells dazu tendieren, diese historische Dimension über das Internet hinaus aus dem Blick zu verlieren (vgl. Castells 2001: 31-82). Zweitens hat sich allerdings etwas in diesen “Netzwerken der Medien” im Verlauf der Mediengeschichte verändert: Frühe Formen der Etablierung von kommunikativer Konnektivität basierten in hohem Maße auf “physischen Aspekten”, beispielsweise der Person, die reist. Im Gegensatz dazu basieren die Formen von Konnektivität, die in den letzten Jahrzehnten an Relevanz gewonnen haben, in wesentlich geringerem Maße auf “physischen Aspekten”. Selbstverständlich haben beispielsweise Internetverbindungen nach wie vor ihre “physische Basis” in elektronischen Kabelnetzwerken. Aber deren Formen der Konnektivität sind mehr und mehr losgelöst von dieser “Basis”: Die Inhalte, die in der Netzkommunikation über verschiedene Territorien hinweg zugänglich sind, scheinen kaum mehr auf deren ‘physische Basis” rückführbar. Es ist wichtig, gerade diesen letzten Punkt zu betonen, da hierin der Grund gesehen werden kann, warum der Wandel der kommunikativen Deterritorialisierung seine eigene Geschwindigkeit, Flüchtigkeit und Reichweite hat.
Aber wie sollte man solche medienvermittelten Konnektivitäten im Detail analysieren? Eine Antwort auf diese Frage bietet das Konzept der Translokalität. Grundlegend lässt sich das Wort “translokal” oder “Translokalität” als ein Konzept zur Analyse der Konnektivität von Medien in Zeiten der Globalisierung begreifen. Dieses Konzept erscheint für eine solche Analyse aus zwei Gründen angemessen, die man mit dem Wort “Lokalität” und dem Präfix “Trans-” verbinden kann: “Lokalität” betont, dass in Zeiten der Globalisierung die lokale Welt ebenso wie das Regionale und Nationale nicht aufhört zu existieren. Unabhängig davon, wie weit die kommunikativen Konnektivitäten an einer einzelnen Lokalität gehen – welche Fernsehkanäle, Internetangebote oder andere Medienerzeugnisse greifbar sind -, berührt dies nicht die Frage, dass eine Person ihr Leben zuerst einmal lokal lebt. Als auch physisches Wesen lebt jeder Mensch an einem bestimmten Ort. Sicherlich verändert ein solcher Ort mit wachsender kommunikativer Konnektivität seine Bedeutung, insbesondere wenn diese Konnektivität dazu tendiert, global zu sein. Das Zuhause ist nicht mehr der kommunikativ weitgehend abgeschlossene Raum, der es vor zwei Jahrhunderten war (vgl. Hepp 2002: 452-457). Dies minimiert aber nicht die Zentralität von Lokalität auch in Zeiten der Globalisierung. Gleichzeitig lenkt “Trans-” als Präfix den Fokus von Fragen der Lokalität (auf die sich beispielsweise insbesondere die Medienanthropologie fokussiert) auf Fragen der Spezifik von Konnektivität. Wenn die Auseinandersetzung mit Medienkulturen in Zeiten der Globalisierung sich also auf “Translokalität” richtet, so betont dies auf der einen Seite, dass das Lokale nach wie vor seine Bedeutung hat, dass auf der anderen Seite aber das Wie der gegenwärtigen physischen und kommunikativen Konnektivität analysiert werden sollte.
Jenseits von “Containern” und “territorialen Kulturen”
Wenn man sich ausgehend von den bisher gemachten Argumenten mit gegenwärtigen Studien befasst, die sich mit “Medienkulturen” auseinander setzen, so fällt auf, in welchem Maße immer noch eine – wie man in Anlehnung an Ulrich Beck formulieren kann (vgl. Beck 1997: 49-55) – Container-Perspektive der Auseinandersetzung mit Medien im Allgemeinen bzw. Medienkulturen im Speziellen etabliert ist. Im Zentrum einer solchen Perspektive steht das Verständnis, dass (National)Staaten gewissermaßen als “Container” anzusehen sind, innerhalb derer soziokulturelle Phänomene zu fassen sind. Der “Container-Staat” ist der unhinterfragte Rahmen der Beschreibung von Mediengesellschaft und Medienkultur: Das politische Mediensystem wird als nationales Mediensystem theoretisiert, Medienmärkte als nationale Märkte und Medienkulturen als nationale Kulturen (vgl. Abbildung 1). Insgesamt reflektiert eine solche Container-Perspektive kommunikative Konnektivität damit nur als ein territoriales Phänomen: Gebunden an den Container des Nationalstaates hat jede kommunikative Konnektivität ihr spezifisches Territorium. Und falls eine Auseinandersetzung hiermit in einem internationalen Rahmen stattfindet, so geht es darum, solche territorial gebundenen Mediensysteme, -märkte und -kulturen vergleichend zu beschreiben.
Nehmen aber – wie bisher argumentiert wurde – mit der Globalisierung der Medienkommunikation weltweit die kommunikativen Konnektivitäten zu, so erscheint eine solche Container-Perspektive unzureichend, um gegenwärtige Medienkulturen zu fassen. In Zeiten der Globalisierung ist vielmehr eine andere Perspektive notwendig, die man als “transkulturelle Perspektive” bezeichnen kann und auf die letztendlich die Analysekategorie der Translokalität verweist (vgl. Welsch 1994; Hepp und Löffelholz 2002). Man kann diese Perspektive deshalb transkulturell nennen, weil sie auf eine medienvermittelte, kommunikative Konnektivität fokussiert ist, die über “territorial gebundene” nationale Kulturen hinausgeht (vgl. Hepp 2004, Kap. 5). In dieser Perspektive ergibt sich ein gänzlich anderes Bild von Mediengesellschaft und Medienkultur als in der Container-Perspektive. Zuerst einmal ist kommunikative Konnektivität in Zeiten der Globalisierung von Medienkommunikation nichts, das in einem “nationalen Container” territorialisiert werden kann. Auf Ebene der Ökonomie wird sie mehr und mehr von einem globalen Medienkapitalismus getragen. Innerhalb dieses globalen Medienkapitalismus sind die verschiedenen Staaten zu lokalisieren und das Phänomen, das problematischerweise nach wie vor am stärksten territorialisiert zu sein scheint, sind deren politische Mediensysteme.
Sobald man sich aber auf Fragen der Medienkultur fokussiert, stellt man fest, dass durch die gegenwärtige kommunikative Konnektivität “kulturelle Verdichtungen” mehr und mehr deterritorialisieren: Viele medienvermittelte, kulturelle Phänomene, in deren kommerziellen Aspekten (zum Beispiel Jugendkulturen oder Lebensstile), ethnischen Aspekten (zum Beispiel die bereits genannten Kulturen der Diaspora) und politischen Aspekten (zum Beispiel die Umweltschutzbewegung bzw. die globalisierungskritische Bewegung) sind Verdichtungen, die über verschiedene Territorien – und auch verschiedene Sprachen – hinweg bestehen. Nichtsdestotrotz gehen sie nicht in einer globalen Kultur auf, sondern bleiben als unterscheidbare kulturelle Verdichtungen bestehen (vgl. dazu die Beiträge in Winter et al. 2003). Sie sind translokale Phänomene, die nicht territorial fassbar erscheinen.
Globale Ungleichheiten in den “Netzwerken der Medien”
Die bis hierher gemachten Argumente lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass in Zeiten der Globalisierung “translokale Medienkulturen” am ehesten als spezifische kulturelle Verdichtungen betrachtet werden sollten, die in einigen Aspekten territorialisiert sind, in mehr und mehr Aspekten aber als kommunikativ deterritorialisierte Phänomene erscheinen. Übersieht eine solche Perspektive auf die Globalisierung der Medienkommunikation aber nicht Fragen des Konfliktes und der Ungleichheit, wie sie beispielsweise in der Tradition des kulturellen Imperialismus diskutiert werden? Ist eine solche Perspektive nicht harmonisierend und beschönigend?
Diese Fragen sind wichtig, dass eine Reihe von Konnektivitätstheorien eine solche Tendenz zur Harmonisierung haben. Allerdings möchte ich an dieser Stelle argumentieren, dass die Analysekategorie der Translokalität einen neuen Ansatz für die Beschreibung der Ungleichheit der Globalisierung von Medienkommunikation bietet. Ungleichheiten der Globalisierung von Medienkommunikation lassen sich am besten als “Ungleichheit translokaler kommunikativer Konnektivität” beschreiben. Dies kann exemplarisch sowohl auf der Ebene der Produktion gezeigt werden als auch auf der Ebene der Aneignung.
Knoten der Produktion
Wenn man die Frage stellt, welche Medienorganisationen insbesondere die Medienprodukte produzieren, die kommunikative Konnektivitäten über verschiedene Territorien hinweg konstituieren, so stellt man fest, dass es eine eher beschränkte Zahl von Unternehmen ist, die “global agieren”, d.h. Medienprodukte produzieren, die in einer großen Zahl von kulturellen Kontexten verfügbar sind (vgl. Hachmeister und Rager 2002).
Sieht man sich die Struktur solcher Organisationen wie beispielsweise Sony, AOL Time Warner oder Bertelsmann an, so stellt man fest, dass diese selbst keine “integrierten Unternehmen” darstellen, sondern eher komplexe Netzwerke von Tochterfirmen und – teilweise gemeinsamen – sind. In gewissem Sinne muss man deren Struktur wieder translokal und nicht territorial fassen: Zentral für die verschiedenen Tochterunternehmen und Joint Ventures dieser “deterritorialen Medienkonzerne” erscheint eine beschränkte Zahl “globaler Medienstädte’ (vgl. Krätke 2002). Man kann diese Städte auf zwei Ebenen als “globale Medienstädte” kategorisieren: Erstens sind diese Städte die zentralen Knoten in den Netzwerken der “deterritorialen Medienkonzerne”. Die “globalen Medienstädte” sind nicht nur die Lokalitäten, an denen viele der global orientierten Medienprodukte “entwickelt” werden, sie sind auch die Lokalitäten, an denen die Entscheidungszentralen in diesen Netzwerken zentriert sind. Zweitens sind die “globalen Medienstädte” die zentralen Knoten der Infrastruktur und Distribution der globalen medienvermittelten kommunikativen Konnektivität. Wie eine Visualisierung der herausragenden “globalen Medienstädte” zeigt, besteht damit eine doppelte Ungleichheit: Erstens sind diese “globalen Medienstädte’ zwar nicht ausschließlich westliche Städte, bleiben jedoch ungleich über die Welt verteilt. Zweitens besteht eine erhebliche Ungleichheit zwischen den “globalen Medienstädten” und dem Rest der Länder und Regionen, in denen diese lokalisiert sind.
Zentral an diesem Punkt ist, dass nur eine transkulturelle Perspektive, die bei Fragen des Translokalen ansetzt, die Augen für solche mehrfach geschichteten Ungleichheiten globaler Medienproduktion öffnet. Diese können nicht einfach kulturell territorialisiert werden, wie es in der Kulturimperialismuskritik gerne gemacht wird: Ist beispielsweise Sony Pictures “japanisch” oder “amerikanisch”, weil der Hauptsitz im Großraum L.A. ist? Oder wie wäre Bertelsmanns Random House mit Hauptsitz New York einzuordnen? Ist dies “deutsch”? Das Beispiel “deterritorialer Medienkonzerne” und “globaler Medienstädte” zeigt, wieso die Ungleichheiten global orientierter Medienproduktion als translokale Phänomene gefasst werden sollten: Auf der einen Seite sind diese Netzwerke konzentriert in spezifischen “globalen Medienstädten”, die auf der anderen Seite nicht notwendigerweise Teil des Westens bzw. innerhalb dessen gleich verteilt sind. Ein translokaler Ansatz macht es möglich, solche Ungleichheiten zu diskutieren, allerdings in einer Art und Weise, die “deterritorialisierte Medienkonzerne’ und “globale Medienstädte” nicht von vornherein kulturell in Bezug auf das Land territorialisiert, in dem sie lokalisiert sind.
Infrastrukturen der Aneignung
Ein weiterer Aspekt der Ungleichheit von Konnektivität kann auf der Ebene der Infrastruktur der Medienaneignung gesehen werden. Dies ist die Ebene, auf der gewöhnlicherweise Fragen des so genannten “digital divide” diskutiert werden (vgl. Norris 2001). Hierbei geht es bezogen auf Infrastruktur um die Auseinandersetzung damit, wie viele Computer mit Internetzugang in einem Land bzw. einer Region verfügbar sind und wer dazu Zugang hat, – eine Frageperspektive, die man auch auf Fernsehgeräte, Satellitenschüsseln oder Videorekorder ausweiten kann (vgl. Balnaves et al. 2001: 46-53; Diplomatique 2003: 16-18). Der zentrale Punkt hier ist, dass solche Statistiken nicht immer wirklich hilfreich sind, indem in ihnen die Infrastruktur aber auch der Prozess der kulturellen Aneignung zu früh territorialisiert wird. Sicherlich wäre es irreführend zu behaupten, es gäbe keine Differenzen der Infrastruktur der Aneignung zwischen verschiedenen Ländern. Problematisch wird jedoch die häufig anzutreffende Ausschließlichkeit eines territorialen Fokus auf diese, durch den weitere Ungleichheiten nicht greifbar werden.
Dieses Argument lässt sich insbesondere am Beispiel der Netzkommunikation untermauern. Hier stellt man eine paradoxe Struktur fest. Erstens sind auf globaler Ebene Differenzen der Infrastruktur von Konnektivität eher ein lokales denn ein territoriales Phänomen: Lokalitäten mit einer ausgeprägten kommunikativen Infrastruktur sind in Afrika, Lateinamerika, Asien aber auch Europa insbesondere die Städte. Während es technisch prinzipiell möglich ist, überall Zugang zum Internet zu bekommen, scheint eine Tendenz dahingehend zu bestehen, dass sich die Infrastruktur der Netzkommunikation eher in Städten denn auf dem Land konzentriert (siehe auch Zook 2000). Dies überrascht nicht in der so genannten “Dritten Welt”, da Städte dort das Gebiet sind, wo man Telefonverbindungen bzw. einen Stromanschluss findet und wo die Menschen leben, die sich einen Computer leisten können (vgl. Afemann 2002). Es überrascht aber, dass sich solche Tendenzen auch in einzelnen Regionen Europas abzeichnen (vgl. Vogelgesang 2002). Ein Fokus auf Translokalität macht hier also mehr Ungleichheiten greifbar als ein Fokus auf Territorialität.
Sicherlich erscheint es aber zweitens nicht angemessen für eine Frageperspektive, die auf translokale Medienkulturen fokussiert ist, Fragen der Infrastrukturen der Aneignung ausschließlich auf einer solchen technischen Ebene zu diskutieren. Wie jeder Aspekt von Technologie ist die Infrastruktur der Aneignung kommunikativer Konnektivität kulturell eingebettet. Auf dieser Ebene lässt sich so etwas wie ein Prozess der Aneignung von Ungleichheit ausmachen. Hierdurch werden Ungleichheiten in der Infrastruktur von kommunikativer Konnektivität nicht eliminiert, jedoch wird es möglich hierüber zu erklären, dass eine geringe Infrastruktur kommunikativer Konnektivität nicht zwangsläufig eine Exklusion aus der Globalisierung der Medienkommunikation insgesamt bedeutet. Ethnografische Berichte zeigen beispielsweise, dass die Konnektivität der Netzkommunikation in Afrika auf eine spezifische Weise angeeignet wird (vgl. Cornu 2002). So wird das Internet wesentlich häufiger als in Europa in städtischen Internet-Cafés bzw. öffentlichen Zugangsstellen genutzt. Die Lokalitäten der Netzkommunikation sind in wesentlich stärkerem Maße öffentliche Räume. Gleichzeitig werden diese Möglichkeiten des Zugangs durch ein spezifisches Set kultureller Praktiken lokalisiert – Praktiken, die die Konnektivität der Netzkommunikation mit der Konnektivität der alltäglichen Face-to-Face-Interaktion verbinden. In Ländern Zentralafrikas ist es möglich, einen Taxi-Fahrer dafür zu bezahlen, Nachrichten aufzunehmen und sie via Internet an eine bestimmte Adresse schicken, wenn man auf dem Land lebt, keinen Zugang zum Internet hat und ein Familienmitglied im Ausland erreichen möchte. Der Taxi-Fahrer nimmt diese Nachricht mit sich, versendet sie und bringt später die Antwort zurück, wenn es eine gibt. Ähnliche Beispiele können für die Aneignung des Fernsehens im ländlichen Indien gefunden werden, wo die Besitzrate von Fernsehgeräten eher gering ist, die Rate des Zugangs zum Fernsehen jedoch vergleichsweise hoch (vgl. Johnson 2000). In beiden Fällen können diese Umstände als Formen der kulturellen Aneignung der Infrastruktur von kommunikativer Konnektivität interpretiert werden.
Dies zeigt wiederum, dass Muster der Ungleichheit wesentlich komplexer sind, als eine territoriale Perspektive suggeriert. Sicherlich bestehen große Differenzen bei der Infrastruktur kommunikativer Konnektivität, die möglicherweise in den meisten der Fälle ökonomische Ungleichheiten reflektieren. Berücksichtigt man jedoch die öffentliche und kollektive Nutzung von Medien, ist es nicht möglich daraus zu folgern, dass die Globalisierung der Medienkommunikation als Zunahme einer weltweiten kommunikativen Konnektivität ausschließlich ein “westliches Phänomen’ ist. Zunehmende “Netzwerke der Medien” sind weltweit auszumachen.
Transkulturalität und Translokalität als Perspektive
Meine bisherige Argumentation war eher ein zusammenfassender Einblick in das, was ich als Netzwerktheorie der Medien bezeichnen möchte (vgl. dazu Hepp 2004). Wie ich versucht habe deutlich zu machen erscheint eine solche Netzwerktheorie der Medien in hohem Maße geeignet, die zunehmenden kommunikativen Konnektivitäten in Zeiten der Globalisierung von Medienkommunikation mit einer historischen Perspektive auf den medienkulturellen Wandel zu verbinden. Hierzu ist allerdings ein Perspektivenwechsel hin zu einem “transkulturellen Begriffsrahmen” notwendig, in dem dem Konzept der Translokalität eine zentrale Bedeutung zukommt. Ein solches Ansetzen bei Fragen der Translokalität erlaubt es, nicht nur bei der immer wieder gemachten Feststellung stehen zu bleiben, dass wir in einer globalisierten Welt mit auch zunehmender medienvermittelter Konnektivität leben. Darüber erlaubt es ein solcher Analyserahmen, diese Konnektivität und den sich hieraus ergebenden kulturellen Wandel der kommunikativen Deterritorialisierung von Medienkulturen auf unterschiedlichen Ebenen zu fassen, ohne “nationale Medienkulturen” aus dem Blick zu verlieren. Gerade deshalb ist das Konzept der Translokalität ein angemessenes Hilfsinstrument, um die vielschichtigen Netzwerke der Medien analytisch und kritisch zu beschreiben.
Anmerkung
Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Vortrag am Centre for Research in Media and Cultural Studies der University of Sunderland, den ich während eines Gastaufenthalts im März 2003 gehalten habe. Für die Einladung zu diesem Aufenthalt und viele konstruktive Diskussionen möchte ich den Mitgliedern des Centres danken, namentlich Andrew Crisell, Shaun Moores und John Storey.
Literatur
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Published 21 June 2004
Original in German
Contributed by Kulturbuch quadratur © Kulturbuch quadratur Eurozine
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