“Machs dir doch selbst!” ist der Slogan eines syndikalistisch organisierten Kollektivs, welches in Österreich seit jüngster Zeit selbstermächtigt Nutzungseigentum schafft. Das sogenannte habiTAT will sich gegen die – gerade auf dem Wohnungsmarkt massiv auswirkende – Profitorientierung von Wohnbaukonzernen und global agierenden Immobilieninvestoren wehren, indem es die Fäden jetzt selbst in die Hand nimmt. Als ein solidarischer Zusammenschluss sozialgebundener Mietshausprojekte und -initiativen möchte dieser Verbund – nicht zuletzt durch seine ausgetüftelte Rechtskonstruktion – Wohn-, Arbeits- und Lebensraum aus der Wirkungsmacht kapitalistischer Logiken befreien. Dabei geht es – im altgenossenschaftlichen Gedanken übrigens – um die Vergemeinschaftung und selbstermächtigte Aneignung von (Wohn-)Raum, welcher nachhaltig aus dem Privateigentum gelöst und dadurch auch dem Spekulationsmarkt entzogen wird. Es ist auch der Widerstand der Aktivisten und Aktivistinnen gegen konventionelle und planmäßig vorgegebene Strukturen österreichischer Wohnraumkultur und durch das selbstverantwortliche Tätigwerden zeigt sich das klare Do-it-yourself-Grundverständnis der habiTäterInnen. Ein Bottom-up-Prozess der sozio-kulturellen Wohnlandschaft also, in welchem den Bedürfnissen der einzelnen AkteurInnen durch eine kollektive Aneignung von Häusern und direkte partizipative Gestaltungsmöglichkeit entsprochen wird. Es ist der Versuch aus der Mentalität einer Ellbogengesellschaft sowie des unreflektierten Mainstream- und Konsumverhaltens auszubrechen, um zeitgemäßen und selbstermächtigten Wohn- und Lebensformen Platz zu machen. By the way entsteht dabei auch noch ein solidarisches Netzwerk, das mit den patriarchalen Praktiken neoliberalen Wirtschaftens bricht.
Linz, Österreich. Photo: Stadtkommunikation Linz (Magistrat der Landeshauptstadt Linz). Source: Wikimedia
Alles nur geklaut!
… werden da Häuser besetzt? Oder: Wie bitte soll das gehen? Das habiTAT hat seit Anfang 2014 daran gearbeitet die Struktur der deutschen Mietshäuser Syndikats auf den österreichischen Rechtsraum zu übertragen. Denn das Mietshäuser Syndikat macht selbstverwaltetes und solidarisches Wohnen schon seit bald 25 Jahren vor. In diesem Dachverband organisieren sich derzeit über 100 Hausprojekte mit an die 3000 BewohnerInnen und er unterstützt auch ständig neue Projekte dabei sich Häuser kollektiv anzueignen. Die Idee des Syndikats wurde unter dem Druck steigender Repression und Zwangsräumungen in der HausbesetzerInnen-Szene am Anfang der 1980er in Freiburg (D) geboren. Theoretisch inspiriert wurden die AktivistInnen zum Gedanken einer Modellierung von selbstorganisierten Hausaneignungsstrukturen beispielsweise durch Impulse von Klaus Novy (Solidargemeinschaften für Wohnungsverwaltung und -neubau, 1982) und Mathias Neuling (Auf fremden Pfaden: ein Leitfaden der Rechtsformen für selbstverwaltete Betriebe und Projekte, 1980). Der wesentliche Gedanke des Syndikatmodells ist Eigentum seinen EigentümerInnen zu entziehen und zu vergemeinschaften, um über den eigenen Wohn-, Lebens- und Arbeitsraum (mit-)bestimmen zu können. Ein Haus soll also von jenen selbstverwaltet werden, die es nutzen und bewohnen. Dabei soll nicht nur die Handlungs- und Wirkungsmacht über die eigene Lebensumgebung zurückerobert werden, sondern in weiterer Folge auch leistbarer Wohnraum entstehen, welcher soziale Ungleichheiten ausbalanciert. Das Modell lichtet folglich eine politische Agenda ab, in der Fremdbestimmung vermieden wird und demokratische Verhältnisse auf Augenhöhe strukturell überhaupt erst entstehen können.
Dabei ist die Rechtsstruktur des Modells von sehr zentraler Bedeutung, denn durch diese wird zum einen sichergestellt, dass die BewohnerInnen kein persönliches Eigentum am Haus erwerben, trotzdem aber selbstverwaltet und autonom leben können. Zum anderen wird ausgeschlossen, dass das Haus jemals wieder in Privatbesitz gelangt und damit der Spekulation und Gentrifizierungsprozessen entgegengewirkt wird. Dies gelingt – fast schon ironischerweise – durch die Gründung einer Hausbesitz-GmbH, bei der der Eigentumstitel des selbstverwalteten Hauses liegt. Als GesellschafterInnen der GmbH treten dabei der Hausverein – bestehend aus den BewohnerInnen bzw. MieterInnen – und der Dachverband des Syndikats – in Österreich eben das habiTAT – auf. Dabei übernimmt der Hausverein die Geschäftsführung, die Hausverwaltung, besitzt ein Vetorecht gegen den Verkauf des Objekts und entscheidet über alle Belange des täglichen Zusammenlebens. Der syndikalistische Verbund hingegen besitzt lediglich ein Vetorecht gegen einen Verkauf des Hauses oder etwaige Gewinnausschüttungen und wird dadurch zur Kontrollinstanz, um eine Spekulation mit dem Objekt auszuschließen. Mit der Übertragung des Werteigentums auf eine so gestaltete juristische Person werden alle Rechte natürlicher Personen soweit eingeschränkt, dass niemand aus einem Verkauf des Hauses Profit schöpfen kann. Aus privatem Kapital, dessen – oft einziger – Zweck die eigene Vermehrung ist, entsteht ein Nutzungseigentum, das auf den Erhalt und die Verbesserung der Lebensqualität ausgerichtet ist. Die BewohnerInnen des Hausprojekts sind gleichzeitig MieterInnen und dabei ihre eigenen VermieterInnen. Es wird kein privater Besitz erworben, sondern weiterhin Miete bezahlt, und gleichzeitig kann über den eigenen Wohnraum selbst bestimmt und dieser frei gestaltet werden.
Solidarität!
Der Dachverband hat neben den Vetorechten gegen die Verwertung der Immobilien noch eine weitere zentrale Aufgabe. Er dient als Solidarnetzwerk, welches innerhalb bestehender Projekte, vor allem aber für neue Projekte den Transfer von Know-how und finanziellen Mitteln sicherstellt. Eine wichtige Basis dieses Austausches ist der Solidarbeitrag, der in die Mieten bestehender Projekte eingerechnet ist. Dieser fließt in den Syndikatsdachverband, um neue Projekte in der Anschubfinanzierung zu unterstützen und die kapitalmäßige Beteiligung des Dachverbands an den einzelnen Projekt-GmbHs zu ermöglichen. Der Grundgedanke ist dabei, dass ein Teil des durch die Tilgung der Kredite über die Jahre entstehenden finanziellen Freiraums dazu verwendet werden soll, noch mehr Häuser vom Markt zu nehmen oder auch neue Gebäude zu bauen.
Es entsteht somit ein Netzwerk vieler Hausprojekt-GmbHs, welche durch das Syndikat solidarisch miteinander verbunden sind. Je mehr bestehende Projekte es gibt, desto mehr neue Projekte können entstehen. Die Gründung eigenständiger Gesellschaften gewährleistet die Autonomie jedes Hausprojektes und birgt den Vorteil, dass das Risiko im Falle einer Insolvenz eines einzelnen Projektes und die dadurch entstehende Gefährdung der Dachorganisation ausgeschaltet wird.
Der Solidarbeitrag soll jedoch keine rein bürokratische Verpflichtung sein, die persönlichen Lebensrealitäten und unterschiedlichen sozioökonomische Ressourcen der verschiedenen Projekte und deren BewohnerInnen verlangen nach einem menschlicheren, prozesshafteren und auch demokratischeren Zugang. Solidarzahlungen stehen deshalb in den Plena des Dachverbands zur Diskussion und können angepasst, ausgesetzt oder gestundet werden.
Lieber Tausend FreundInnen im Rücken – als eine Bank im Nacken!
… und trotzdem stellt sich die große Frage nach der Finanzierung solcher Mietshausprojekte. Wie können Menschen gemeinsam ein Haus kaufen, wenn sie nicht über das nötige Kapital verfügen? Damit zeigt sich mit dem Finanzierungskonzept eine weitere wesentliche Säule der Syndikatsmodellierung. Es soll vorrangig eine gleichberechtigte Teilhabe aller BewohnerInnen – somit unabhängig der kapitalmäßigen Einlage – garantieren. Jedoch benötigt die Hausbesitz-GmbH – selbst um für eine Bank kreditfähig zu werden – ein gewisses Eigenkapital, welches mittels Direktkrediten aufgebaut wird. Direktkredite sind Darlehen von privaten Personen, die ihr Geld – statt bei einer Bank – in ein Projekt ihres Vertrauens einlegen. Ein Crowdinvesting also, bei dem viele kleine Beträge gesammelt werden, um den Eigenanteil beim Hauskauf aufzubringen. Natürlich sind die einzelnen Direktkredite zeitlich limitiert – per Kündigungsfrist oder Laufzeit – und werden nach Ablauf oder Kündigung einfach durch neue Direktkredite ersetzt.
Dementsprechend sind in den Finanzierungsplänen auch immer Rücklagen vorgesehen, welche ein rasches Auswechseln der Darlehen erlauben. Auch hier profitiert man von den jahrelangen Erfahrungen des deutschen Mietshäuser Syndikats. Seit dessen Gründung Anfang der 1990er Jahre ist es erst ein einziges Mal zu einer Insolvenz eines Projektes gekommen. Grund war in diesem speziellen Einzelfall, dass zu Beginn der Projektplanung die Substanz des Objekts falsch bewertet wurde und die ursprünglich kalkulierten Umbaukosten um ein Vielfaches übertroffen wurden. Trotz dieses Falles hat sich das Finanzierungssystem bei allen anderen Projekten gut bewährt und ermöglicht mehreren Tausend Menschen – fernab von sozialem Status und Eigenkapital – selbstbestimmtes und -ermächtigtes Wohnen.
Kommt Zeit, kommt Rat,…
… kommt habiTAT! Nach vielen Tausend Arbeitsstunden ist es – in enger Zusammenarbeit mit dem Mietshäuser Syndikat in Deutschland und dessen Arbeitsgruppe International – nun in Österreich als erstem weiteren europäischen Land gelungen, das Modell zu überführen. Das Engagement der habiTäterInnen zeigt das Bedürfnis nach einem Ausbruch aus der Vereinzelung von Wohn- und Lebensverhältnissen und der Isolierung der Kleinfamilie auf, hin zu einer kollektiven Gegenkultur, die einen Kontrast zu kapitalistischen und individualistischen Strukturen schafft. Durch die Säulen der Selbstverwaltung, Solidarität und Kapitalneutralisierung im Syndikatsmodell soll eine Organisationsstruktur aufgebaut werden, in der eine reale soziale Gleichheit für einzelne Personen möglich ist und die Schaffung mündiger, demokratischer und zeitgemäßer Wohn-, Lebens- und Arbeitsverhältnisse erzielt wird. Zusätzlich bietet es einen konkreten und beharrlichen Ansatz, welcher sich der Generationenaufgabe einer sukzessiven Entmarktung der Welt gestellt hat. Analog zu dem von Foucault geprägten Begriff der Heterotopie werden mit dieser Konstruktion Widerlager und Gegenplatzierungen in bereits existierende Orte gezeichnet und fassbare Utopien realisiert. Durch den Versuch, das Feld des Denkbaren neu zu definieren und einen souveränen Umgang mit sozial determinierten Grenzen zu finden, wird ein geschützter Raum erschaffen, der sich durch eine Widerstandsfähigkeit gegen institutionelle Abrichtung auszeichnet.
Free Willy*Fred!
… oder: her mit dem guten Leben! Das habiTAT fungiert nun seit 2015 bundesweit als Dachverband mehrerer Hausprojektinitiativen und einem ersten konkreten Pionierprojekt. Das erste Haus wurde Ende 2015 gekauft, heißt Willy*Fred und steht in Linz. Mitten im Zentrum – zwischen Bank, Puff und gegenüber einer Kirche – ragt das vierstöckige, teilweise über 350 Jahre alte Haus hervor, welches ursprünglich erbaut am alten Stadtgraben nun über einer Hauptverkehrsroute thront. Mit seinen 1.650m2 Wohnfläche bietet es genug Platz für über 30 BewohnerInnen und mehrere Gewerbeflächen. Gut ein Drittel der Wohnflächen sind und bleiben an AltmieterInnen vermietet, die damit Teil des Hausvereins werden. Die restlichen Wohnungen wurden zuvor als Hotelwohnungen vermietet, wodurch es für die ursprüngliche Projektgruppe möglich war, auch in das Haus einzuziehen. Die freien Gewerbeflächen werden von den gemeinnützigen Vereinen das kollektiv. kritische bildungs-, beratungs- und kulturarbeit von und für migrantinnen und FIFTITU% – Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst und Kultur in OÖ bespielt. Zudem findet hier auch der Verein VIMÖ – Verein intersexueller Menschen Österreich seinen Heimathafen und es sind noch weitere vielfältige Projekte in Planung. Schon jetzt also ist das Willy*Fred Hausprojekt – übrigens benannt im Gedenken an eine Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus im Salzkammergut – ein gelungenes Pionierprojekt des habiTAT und bereichert die sozio-kulturelle Landschaft in Linz. Mit einer nur dreimonatigen Kampagne ist es der Projektgruppe gelungen, über eine Million Euro an Direktkrediten als Eigenkapital der Willy-Fred Hausbesitz-GmbH für den Hauskauf zu sammeln. Letztendlich war es spätestens dieser Rückenwind, der gezeigt hat, dass auch hierzulande die Zeit reif ist, neue Pfade der Wohnformen zu erkunden.
Auch in Wien sind mit den Gruppen Stadtklan und SchloR bereits Menschen mit dem Aufbau selbstbestimmter Wohn- und Lebensräume beschäftigt und gestalten das habiTAT aktiv mit. Da Wien stark im Fokus internationaler AnlegerInnen ist, wird auch hier mit Nachdruck versucht, Häuser freizukaufen und leistbares Wohnen möglich zu machen. Auf Hinweise auf potenzielle Objekte freuen sich die Projektinitiativen und 2016 wird somit ein spannendes Jahr, in dem hoffentlich auch der eine oder andere Freikaufvertrag unterschrieben wird.
Weitere Infos und Kontaktmöglichkeiten gibt es unter: http://habitat.servus.at, http://habitat.servus.at/willy-fred, http://stadtklan.org, http://schlor.org.