Klimawandel und Kapital
Ein indisches Kind verbraucht heute ein Neunzigstel der Energie seiner amerikanischen Altergenossen. Vergleiche wie dieser lassen an dem weit verbreiteten Konsens zweifeln, es sei die Aktivität des Menschen an sich, die für die globale Erwärmung verantwortlich zeichnet, schreibt Will Barnes. Das eigentliche Problem seien vielmehr die Formen des Konsums und der diesen zugrunde liegende Typus der gesellschaftlichen Entwicklung.
Kapitalistische Kriminalität
Mit der unschätzbar wertvollen Beihilfe moderner Wissenschaft und Technologie begeht das Kapital zurzeit ein Verbrechen, für das es keinen Namen gibt und für dessen Ungeheuerlichkeit in der Vergangenheit und – abgesehen von den literarischen Holocausts anti-utopischer Sciencefiction – bis heute kaum Bilder gefunden wurden.
Der kapitalistische Prozess, sei er nun expandierend oder schrumpfend oder von Krisen geschüttelt, intensiviert und verschärft den ökologischen Verfall lediglich. Die geistlose und über die Maßen zerstörerische Missachtung der ökologischen Konsequenzen der profitablen Jagd nach auszubeutenden “natürlichen Ressourcen” hat beispielsweise zur Nutzung kohlenwasserstoffbasierter fossiler Brennstoffe und damit zu einer Erderwärmung geführt, die die Polkappen schmelzen und den Meeresspiegel ansteigen lässt und so zahllose Küstenbewohner auf der ganzen Welt in ihrer Existenz bedroht. Sie hat die Abholzung tropischer Wälder veranlasst, die die Menschheit am Ende eines unermesslichen medizinischen Reichtums berauben wird. Sie ist für den Tagebau und den Kahlschlag riesiger Landstriche verantwortlich, die die Wüstenbildung begünstigen und die insgesamt zur Verfügung stehende landwirtschaftlich produktive Fläche dezimieren. Sie hat eine Biotechnologie geschaffen, die sich hauptsächlich auf Gentechnik konzentriert und Transgene produziert hat, die sich durch natürliche Interspezieskreuzungen verbreiten, wodurch resistente Supergetreide und Superschädlinge entstanden sind, die wiederum den Einsatz weiterer chemischer Gifte, sprich Herbizide und Pestizide, erfordern, die ins Grundwasser, in Wasserstraßen und Ozeane gelangen und die Nahrungskette vergiften. Die profitable Jagd nach nutzbaren “Ressourcen” der Natur hat weiterhin zur Industrialisierung der Geflügel- und Viehproduktion geführt, die im Interesse eines enorm gewachsenen Weltmarktes für den Fleischkonsum (Huhn, Rind, Schwein) lebensbedrohliche Arten antibiotikaresistenter Bakterien (E. coli, Campylobacter et cetera) und hochgradig pathogene, potenziell pandemische Viren hervorgebracht hat. Sie hat die massive und verbrecherische Ausrottung tierischer Spezies und mikrobiotischer Lebensformen zur Folge, was in außerordentlicher Weise der Grundlage des Lebens selbst zuwiderläuft. In kurzen Worten, die Jagd nach auszubeutenden “natürlichen Ressourcen” für die global agierende kapitalistische Produktion hat eine geologische und biologische Regression erzeugt, die auf eine Umkehrung der über Tausende und Millionen von Jahren verlaufenen natürlichen Evolution hinausläuft.
Neue Spezies entstehen und verschwinden: Menschen, abrupte Klimawandel und die – in geologischen Maßstäben gemessen seltenen – Naturkatastrophen, die von jenseits der Erde aus dem Sonnensystem kommen, bringen Tod und gelegentlich auch Massenvernichtung. Doch wenn der arktische Polarbär ausstirbt (weil er von seinen Nahrungsquellen abgeschnitten wird, wenn infolge der globalen Erwärmung die Packeisfelder schmelzen, auf denen er bisher große Distanzen zurückgelegt hat, und weil seine Jungen früh sterben, wenn sich PCBs aus industrieller Emission, die in der Arktis in der weltweit höchsten Konzentration niedergehen, in der Muttermilch anreichern), bedeutet dies den unnötigen Verlust einer majestätischen Kreatur, und zwar den endgültigen. Eine ausgerottete Spezies taucht in der Evolution kein zweites Mal auf. Und dennoch ist dieser nicht intendierte und nicht erwünschte Verlust nicht von gleicher Art und Größe wie jener, auf den die bürgerliche Zivilisation unwissentlich zusteuert. Das Problem liegt darin, dass die spezifisch kapitalistischen gesellschaftlichen Umwandlungen von einer objektiven Logik getragen werden, deren Resultat notwendigerweise die Zerstörung der natürlichen Welt in ihrer Autonomie, ihrem inneren Zusammenhang und ihrem Anderssein ist, also in ihrer abiotischen Kohärenz als Leben und als Voraussetzung insbesondere für das menschliche Leben: Es ist die natürliche Welt als Totalität der Natur der Erde (der Natur der Erde als Totalität und in ihrer Totalität), auf die die kapitalistische gesellschaftliche Umwandlung abzielt.
Die gewaltigen Kapitalbewegungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts können nur einen Vorgeschmack auf eine Zukunft liefern, in der die Natur, weil für das Kapital Rohstoff der Warenproduktion, im besten Falle eine kontinuierliche und noch weiter gehende Homogenisierung erfährt. Wobei Homogenisierung im minimalistischsten Sinne die fortschreitende Zerstörung ökologischer Vielfalt, die Zerstörung spezienspezifischer ökologischer Nischen und in der Folge die Ausrottung von Arten bedeutet. Als Erstes zieht dies den Verlust der Natur als ästhetisch schöne Umgebung und als Kontext nach sich, in dem der Mensch und andere Lebensformen existieren. Zweitens zeichnet sich die Homogenisierung der Natur durch die Herausbildung und massive Verbreitung einer begrenzten Anzahl dominanter Arten aus (zum Beispiel Kojoten, Ratten, Stare und Kakerlaken), die durch ihre enorme Fähigkeit, sich an zerrüttete Habitate anzupassen, zunehmend störend auf die Lebenspraktiken anderer Arten einwirken werden. Drittens bedeutet Homogenisierung das allmähliche Verschwinden der eigentlichen, organischen Grundlagen für die menschliche (und allgemein tierische) Gesundheit und Medizin, wenn Zentren der Biodiversität (beispielsweise der Regenwald im Amazonasgebiet) verloren gehen oder kollabieren. Viertens wird die Homogenisierung der Welt, durch die Bewegung des Kapitals herbeigeführt, zur Entstehung einer Natur mit zwei Extremen tendieren: verunstaltete Rohstoffbecken (abgeholzte Wälder, offene Minen, desertifiziertes Grasland) am Anfang eines Warenproduktionszyklus und verseuchtes Ödland und Müllhalden (mit Abfällen aufgefüllte Feuchtgebiete, verfallene Stadtzentren, riesige, mit Plastikabfall bedeckte Ozeanflächen) am Ende des Zyklus, also nach Verbrauch der Rohstoffe und Waren. Die Menschen, die auf diese Art und Weise in der Natur agieren und interagieren, werden sich über mehrere Generationen hinweg zu einer organisch, physiologisch und vielleicht sogar anatomisch und morphologisch degenerierenden Spezies entwickeln.
Voraussetzung für eine homöostatische, biosphärische Natur (also Natur als selbstregulierende Totalität, die ihre einzelnen Momente intern zu modifizieren und zu regulieren in der Lage ist, um angesichts äußerer Veränderungen, steigender UV-Strahlung zum Beispiel, ihre Stabilität und ihr Gleichgewicht zu wahren) ist eine ausreichende innere Vielfalt. Dazu gehören neben anderen Faktoren und Beziehungen unterschiedliche Klimasysteme und -zonen, eine Vielzahl regionaler Landschaften und, ganz zentral, eine riesige Palette unterschiedlicher Lebensformen. Dennoch ist es genau diese innere Vielfalt, die durch die Bewegung des Kapitals zerstört wird, und zwar unabhängig vom Klimawandel, und es sind gerade die selbstregulierenden Fähigkeiten der Natur und des Lebens, die sich über viele Millionen Jahre herausgebildet haben, die nun im Begriff sind zu verschwinden.
Klimawandel
An diesem Punkt ist es wichtig zu erkennen, dass die Kriminalität des Kapitals über die gewaltigen und potenziell zerstörerischen Probleme hinausgeht, die infolge des Klimawandels auftreten. Selbst wenn die global agierenden Gesellschaften des Kapitals den derzeitigen Klimawandel auf eine Art und Weise in den Griff bekommen, der es ihnen erlaubt, die “Errungenschaften” des Kapitalismus (gewaltige Reservearmeen für die Industrie und sächliches Vermögen in Form von bebauter Umwelt, Produktionsmitteln und den Massen der zirkulierenden Waren) unter kapitalistischen Bedingungen zu erhalten, so ist der oben beschriebene allgemeine ökologische Kollaps der kapitalistischen Entwicklung selbst inhärent, namentlich der praktischen Degradierung der umgebenden Natur zu Rohmaterial für die kapitalistische Produktion.
Widmen wir uns dennoch hier und jetzt dem Klimawandel. Die Erde, wie wir sie unmittelbar wahrnehmen, was wir als Biosphäre bezeichnen, stellt eine Einheit dar, deren unterschiedliche Teilsysteme (Wetter, Ozeane, Atmosphäre, abiogene Materie, organisches Leben einschließlich des Menschen) voll integriert und voneinander abhängig sind. Sie ist ein selbstregulierendes “System”, dessen innere Vielfalt (also genau das, was das Kapital ohne Rücksicht auf den Klimawandel im Begriff ist zu zerstören) eine eigene Kohärenz herstellt und die Erhaltung des Lebens auf der Erde sichert. Als “äußere Hülle” der Erde reguliert dieses System den konstanten Zustrom von Energie aus dem Weltraum (Solarenergie), von dem es abhängig ist. Im Laufe geologischer Zeitalter hat sich die Beschaffenheit der Biosphäre der Erde, ihre Zusammensetzung, qualitativ verändert, und damit auch ihre Struktur (beziehungsweise die “Gesetze”, die ihr “Verhalten” bestimmen). Gleiches wäre für jede sich entwickelnde, echte Totalität der Fall. Die Grundlage für die Erde als selbstregulierendes System ist physikalisch zu verstehen: Aus dieser Perspektive ist die Erde ein Energiesystem, das Selbstanpassungen vornimmt, um das Energiegleichgewicht zu erhalten (der Zustrom von Sonnenenergie entspricht auf lange Sicht dem Abfluss derselben). Der Mechanismus dieser Anpassung ist Klimawandel, und Klima ist der unmittelbare Ausdruck dieser Beschaffenheit der irdischen Biosphäre.
Um Klima und Klimawandel zu begreifen, müssen wir die Umgestaltungen der geografischen Verfassung der Erde im geologischen Zeitrahmen betrachten. Die Erde mit ihren ungefähr 3,8 Milliarden Jahren ist Schätzungen zufolge fast genauso alt wie das Sonnensystem selbst, doch ernsthafte geologische Datierungen setzen erst vor 570 Millionen Jahren mit der Entstehung wirklich komplexer, hoch entwickelter Lebensformen ein (Fische, Insekten, Reptilien). Für die gesamte geologische Zeitspanne von damals bis in die Gegenwart können wir “kalte” und “warme” Klimamodi auf der Erde belegen. Dazu bietet sich ein einfacher Bestimmungsfaktor an: das Vorhandensein von Eis – wobei die Spanne von Zeiten mit starker Vergletscherung (ausgehend von den Polen mit ihren permanenten Eiskappen) bis zu Phasen reicht, in denen es selbst in großen Höhen nur jahreszeitlich bedingt kalt ist. Die größte Rolle bei der Entstehung starker Kälte und insbesondere der Vergletscherung spielen tektonische Aktivitäten, die Landmassen von der Größe eines Kontinents zu verschieben in der Lage sind. Vergletscherung nämlich entsteht nur dann, wenn es ganz in der Nähe der Pole oder auf den Polen Landmassen gibt. Es ist davon auszugehen, dass es im Verlauf dieser unvorstellbar langen geologischen Zeitspanne phasenweise Landmassen in der Nähe oder auf den Polen gegeben hat und phasenweise nicht.
Antarktika hat sich von dem alten Großkontinent Gondwana abgelöst (der das heutige Australien, Antarktika, Südamerika, Afrika, Kleinasien und Arabien umfasste) und vor über dreißig Millionen Jahren seine derzeitige Position eingenommen. Als es den von uns so benannten Südpol erreichte, hatte die Vergletscherung (als Reaktion auf tektonische Veränderungen, das Anheben der Platte und Vulkanismus) bereits begonnen. Die Entstehung des Südpolarmeers als offene Wasserstraße (mit den begleitenden Winden) um den Südpol herum hat zur Isolierung der Antarktis geführt und eine atmosphärische Barriere gegen Wettersysteme jenseits des Kontinents geschaffen. Bis vor kurzem hat die Antarktis ihr Klima weitgehend selbst gemacht, ein sehr kaltes und trockenes Klima, das wiederum zur Abkühlung einer Erde beigetragen hat, die bis dahin (vor der Abtrennung und der Drift Antarktikas) warm und feucht war, als nämlich Gondwana hauptsächlich aus gemäßigtem Regenwald bestand. Vor ungefähr zwanzig Millionen Jahren (nach der Entstehung der Kontinente, wie wir sie heute kennen) ist die Erde in eine bis heute andauernde Periode erheblich verminderter tektonischer Aktivität eingetreten, sodass diese in der jetzigen geologischen Zeit nur noch geringe Auswirkungen auf die Bildung des Klimas hat. (Mit der Kontinentaldrift wurden gewaltige Landmassen in die Nähe der Pole befördert, wodurch es, bedingt durch die exzentrische Umlaufbahn der Erde, zum zyklischen Auftreten der Eiszeiten kam.) Die kühleren, trockeneren Bedingungen haben sich insbesondere in Afrika bemerkbar gemacht. Unter diesen sich neu formierenden klimatischen Verhältnissen sind einige Spezies, vor allem einige der wirklich großen Arten (Vorfahren vieler großer Säugetiere, die wir heute kennen und die nur noch zwergenhafte Ausführungen ihrer Ahnen sind), ausgestorben und neue sind entstanden. Dazu gehören auch hominide Linien einschließlich solcher mit größeren Gehirnen, die allem Anschein nach unsere Vorfahren sind.
Vor ungefähr zweieinhalb Millionen Jahren hat sich die dynamische Klimastruktur, die “Gesetze”, die die jüngste geologische Epoche charakterisieren, zu stabilisieren begonnen. Wie also sieht die geologisch betrachtet “heutige” klimatische Struktur aus?
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir auf physikalische Theorien zurückgreifen, die sich die Lösung des Problems der wiederkehrenden Eiszeiten (Vergletscherung) zum Ziel gesetzt haben. Unser heutiges Verständnis von der Vergletscherung in der geologischen Zeit, in der wir leben (und die vor ungefähr fünfzehn Millionen Jahren langsam begonnen hat), geht grob von drei großen Zyklen aus, die die klimatische Variabilität der Erde steuern. Die Umlaufbahn der Erde um die Sonne ist eine Ellipse, deren Exzentrizität in Zyklen von 100 000 Jahren variiert. Am Punkt der größten Entfernung von der Sonne, die bestimmt wird durch eben jene Exzentrizität der Erde, erreichen 2030 Prozent weniger Strahlung (Hitze) die Erde als am Punkt des geringsten Abstands zwischen Erde und Sonne. Es ist also das Verhältnis von Sonne zu Erde, das in den letzten zwei Millionen Jahren in regelmäßigen Abständen Eiszeiten hervorgebracht hat. Der zweite Zyklus ist durch die Neigung der Erde auf ihrer Achse, die Erdschiefe, bedingt. Diese Neigung bestimmt, wo die größte Sonnenstrahlung auf die Erde trifft. Die Veränderung des Neigungswinkels verläuft in Zyklen von 42 000 Jahren. Während sich die Erde um die Sonne dreht, entstehen durch ihre Neigung die Jahreszeiten. Der dritte, kürzeste Zyklus von 19 000 bis 23 000 Jahren hängt mit dem “Schwanken” der Erde, Präzession genannt, zusammen. Diese entsteht durch die ungleiche und nicht-zentrierte Verteilung der magnetischen Masse zwischen innerstem Erdkern und Mesosphäre und bewirkt durchschnittlich alle 21 700 Jahre eine Verlagerung des “echten (himmlischen) Nordens” (Norden hier im Unterschied zum geografischen Nordpol bestimmt durch die Erdachse) vom Polarstern zur Wega. Diese Verlagerung hat Auswirkungen auf die Intensität der Jahreszeiten (zum Beispiel heiße Sommer, extrem kalte Winter). Wie bei allen orbitalen Zyklen werden die Schwankungen der Strahlungsmenge, die die Erde erreicht, durch die (mehr oder weniger große) Menge jener Gase verstärkt, die die Sonnenstrahlung in der Atmosphäre festhalten, insbesondere des Kohlendioxids.
Wir wissen, dass sich mit Beginn der gegenwärtigen Erwärmung, also des derzeitigen Interglazials (die letzte Eiszeit endete vor ungefähr 11 600 Jahren), die ersten “archaischen”, noch staatenlosen Gemeinschaften bildeten. In der Frühzeit dieses Interglazials (das durch die Erwärmung infolge der Treibhausgasemissionen in den letzten 150 Jahren eine effektive Verlängerung erfährt) entstanden zum ersten Mal in der Geschichte die Grundzüge sesshafter, landwirtschaftlicher Gesellschaftsformen, Staat und Zivilisation.
Bezogen auf die letzten über zwei Millionen Jahre der “gegenwärtigen” geologischen Zeit sind historisch entstandene Wettermuster, zum Beispiel die Regelmäßigkeit der Jahreszeiten mit je eigener, vorhersagbarer Struktur, heute in Auflösung begriffen. Wettermuster, die über Jahrtausende Bestand hatten, verlieren ihre Gültigkeit, und “das Wetter” selbst wird weniger vorhersagbar. Klimatische “Regime”, die für bestimmte geografische Regionen charakteristisch waren (zum Beispiel gemäßigte Regionen mit milden Sommern und kalten Wintern), verlieren die sie definierenden Merkmale, die Regime werden “elastischer”. Diese Destabilisierung unter den Bedingungen eines durch globale Erwärmung angetriebenen Klimawandels begünstigt das immer häufigere Auftreten von Wetterextremen (Verstärkung der Hurrikane im Golf und der El-Niño-Effekte), weil sich durch die Erwärmung der Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre radikal erhöht und so extremes Wetter produziert. (Die Unvorhersagbarkeit und die Radikalität der globalen Erwärmung ist mit Beispielen für eine aus historischer Sicht festgestellte “Normalität” durchaus vereinbar, beispielsweise mit der extremen Kälte im letzten Winter in Moskau. Außerdem sei angemerkt, dass solche Extreme nicht fix sind. Was heute als Extrem gilt, mag in fünf Jahren “normal” sein, und was dann extrem ist, ist heute vielleicht schlichtweg unvorstellbar. Theoretisch ist die einzige Voraussetzung für eine solche Erwärmung, dass die jährliche Durchschnittstemperatur des Planeten über Jahre hinweg schnell ansteigt.)
Die Folge: eine “neue Natur”?
Klimawandel und insbesondere Erderwärmung kann, wie wir sie heute verstehen, abrupt auftreten, über Jahre und Jahrzehnte und nicht über Jahrtausende (oder gar über Hunderttausende oder Millionen von Jahren). Ein abrupter Klimawandel kennt bestimmte “kritische Punkte”, die den Wandel “erzwingen”. Unter den gegenwärtigen geologischen Bedingungen gibt es drei Komponenten des selbstregulierenden Systems der Erde, die für die Entstehung einer, wenn man so will, “neuen Natur” maßgeblich sein werden, also für ein neues Regime des Klimas, der Jahreszeiten und des Wetters. Es sind dies das Anhalten der thermohalinen Zirkulation im Nordaltantik (also des Golfstroms, der Europa erwärmt und dessen Ausbleiben für Großbritannien und Nordeuropa katastrophale Folgen hätte), die Zerstörung des Regenwaldes im Amazonasgebiet und die Freisetzung von Gashydraten (Clathraten in Form von in Eiskristallen gefangenem Methan, einem kohlenstoffbasierten Gas) aus den Meeresböden. Alle drei drohen infolge der aus der weltweiten kapitalistischen Aktivität resultierenden Erderwärmung wahr zu werden. Eine ausreichende Erwärmung beispielsweise (sagen wir, nicht später als 2080) könnte genügend Eis vom grönländischen Eisschild abschmelzen, um den nordatlantischen Golfstrom zum Erliegen zu bringen (durch die Schmelze wird Süßwasser in den Strom eingespeist, einem riesigen Förderband für heißes Wasser aus dem Golf, wodurch das schwerere, weil salzighaltige Golfwasser verdünnt wird und daher nicht mehr im Gebiet von Island auf den Meeresgrund absinkt, wodurch der Strom wiederum kein warmes Wasser mehr mit sich reißen und somit effektiv zum Stillstand kommen würde). Das Anhalten des Golfstroms würde zu einer Abkühlung führen, die wiederum das Abschmelzen des Eisschilds stoppen könnte, was die Strömung auf lange Sicht wieder in Gang setzen und eine erneute Erwärmung hervorrufen würde. Dieser Prozess könnte sich über Jahrhunderte fortsetzen, bis die Eisreserve einen Schwellenwert erreicht hat, an dem nicht mehr genug Süßwasser abgegeben werden kann, um die Zirkulation anzuhalten. Eine solche klimatische Pendelbewegung ist eine mögliche und unter den gegenwärtigen Bedingungen wahrscheinliche Folge der Erwärmung. Sie bedeutet jedoch nicht die gesetzmäßige Entstehung einer “neuen Natur”, beispielsweise eines “warmen” oder “kalten” Klimamodus; besser gesagt, solange die Pendelbewegung anhält, kann sich ein neuer Modus nicht etablieren, da das Klima zumindest in einigen Teilen der Welt weiterhin zwischen den beiden Modi schwankt. (Andererseits stellt die massive Freisetzung von Clathraten aufgrund einer ausreichenden Erwärmung der Ozeane, die ein Artensterben vom Ausmaß des permotriassischen Massensterbens zur Folge hätte, einen diesmal abrupten Wandel dar, der in wenigen Jahrzehnten ein neues Klimaregime herbeiführen könnte.)
Stellen wir die Überlegungen zur Ausgestaltung einer “neuen Natur” für einen Moment zurück und wenden wir uns einigen Charakteristika der zurzeit stattfindenden Erderwärmung zu. Dazu gehören unter anderem eine steigende Häufigkeit und Intensität extremer Wetter (Eisstürme, Hurrikane oder Wirbelstürme und Tornados, die aus Hurrikanen entstehen, et cetera), der Anstieg der Meeresspiegel und möglicherweise die Abkühlung Nordeuropas (ganz zu schweigen von den andernorts nach Norden in gemäßigte Zonen vordringenden subtropischen Jahreszeiten und Temperaturen).
Selbst für den unbeteiligten Beobachter in den Vereinigten Staaten ist eine qualitative Häufung extremer Wetterlagen seit den 1980er-Jahren feststellbar. Im Jahr 2005 zum Beispiel hat der Nordwesten der USA eine schwere Winterdürre erlebt, in den westlichen Staaten gab es im Juli eine Rekordhitzewelle, im Südwesten wurden durch die deutliche Zunahme von Winterstürmen Rekordmarken an Regen und Schnee erzielt, die zentralen Staaten litten im Sommer unter extremer Dürre, der Süden und Südosten verzeichnete eine Rekordzahl an Hurrikanen – vierzehn insgesamt, von denen sieben als stark eingestuft wurden – und im Nordosten gab es Fluten im April und Rekordniederschläge im Oktober. In zwanzig Jahren wird der steigende Meeresspiegel ein Viertel der Landmasse Bangladeschs überfluten, und Dhaka, heute zirka 220 Kilometer vom Meer entfernt, wird bis auf 100 Kilometer an die Bengalische Bucht heranrücken, dreißig Millionen Menschen werden vertrieben werden, zahllose sterben. Schon heute sind die Süßwasserquellen südlich von Dhaka zunehmend salzig geworden, das Wasser ist kaum noch trinkbar. Auch Teile von Sydney, angefangen beim Hafen, werden in zwanzig Jahren unter Wasser stehen. Während wir diesen Text schreiben (28. Februar 2007), beträgt die Temperatur in London (auf 51,52° nördlicher Breite) 8 Grad Celsius, in der Gegend von Moosonee (51,31° nördlicher Breite) im Osten Ontarios an der Südspitze der James Bay liegt sie bei -13 bis -10 °C. Beides sind ungefähre jahreszeitliche Durchschnittswerte. Und während London aufgrund seiner dichten Bebauung vielleicht 6 °C generiert, spiegelt Moosonee das Schicksal Londons unter den Bedingungen eines Stillstands der thermohalinen Zirkulation im Nordatlantik.
Der Klimawandel – von Menschen gemacht?
Der überwältigende Konsens unter Wissenschaftlern und Sprechern kapitalistischer Staaten (der selbst in den USA, Australien und Bangladesch, die zu den schwergängigsten Ländern gehören, widerwillig akzeptiert wird) lautet, im Sinne des Verursacherprinzips zeichne “der Mensch” für den durch Erderwärmung induzierten Klimawandel verantwortlich.
Die Beweise sind nicht zu widerlegen, doch die Zuschreibung der Schuld und die Identifizierung des haftbar zu machenden Verursachers ist effektiv ideologisch und dient der Verschleierung der wahren Täterschaft und Verantwortung. Doch zuerst die Beweise.
Vom Beginn des derzeitigen Interglazials vor 11 600 Jahren bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts sind die durchschnittlichen globalen Oberflächentemperaturen sehr, sehr langsam, aber stetig gestiegen. Dieser Anstieg, das sei gesagt, ist relativ. In einem Diagramm der Durchschnittstemperaturen ab dem Peak der letzten Eiszeit (dem letzten glazialen Maximum) vor 22 000 Jahren ist der zunehmende Anstieg ab zirka 9600 v. Chr. bis 1760 unserer Zeit nicht feststellbar. Betrachtet man aber die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur von 1760 bis 1870, steigt die Linie in einem Winkel von 15 Grad an. Zieht man den Temperaturanstieg von 1760 bis in die Gegenwart heran, wächst der Steigerungswinkel auf ungefähr 45 Grad. Geht man weiter zurück und verzeichnet die Durchschnittstemperaturen von 8000 v. Chr. bis in die Gegenwart, zeigen die letzten 235 Jahre einen fast vertikalen Anstieg.
Man beachte die Daten: Wie bereits erwähnt, datieren wir um das Jahr 8000 v. Chr. den Beginn der ersten sesshaften, landwirtschaftlichen Lebensformen, der sozialen Untergliederung und der Bildung von Staaten. 1760 wiederum markiert den Beginn der Mechanisierung der westlichen Industrie (namentlich im kapitalistischen England). Die ersten sesshaften Lebensformen und das dadurch bedingte Wachstum der Bevölkerung hatten einen vom Menschen gemachten Ausstoß von Methan (CH4) und Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre zur Folge, der zwar vor 1760 eine Vergletscherung nicht hätte aufhalten können, der aber auf kurze Sicht zunehmend bemerkbar war. Die Entwicklung kapitalistischer Industrieproduktion nach 1760 jedoch hat den chemischen Aufbau der Welt realiter verändert: Die CO2-Werte in der Atmosphäre schwanken, im geologischen Maßstab betrachtet, zwischen Tiefständen von 200 Teilen pro Million (ppm) zu Zeiten massiver Vergletscherung und Höchstwerten von 280300 ppm während der warmen Interglaziale. Heute liegt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei etwas über 380 ppm und steigt mit einer für geologische Standards außergewöhnlichen und noch nie da gewesenen Rate, ohne dass zum jetzigen Zeitpunkt ein Ende in Sicht wäre. Die besten Schätzungen verorten den kritischen Punkt (eine qualitative Beschleunigung der Eiskappenschmelze) bei nur 480 ppm, die selbst mit modernen Emissionsreduktionen noch vor 2080 erreicht sein könnten. Hier haben wir also den größten Beweis für die anthropozentrisch induzierte Erderwärmung.
Wenden wir uns zweitens der Zuschreibung der Täterschaft und entsprechend der Verantwortung für den Klimawandel zu. Das Intergovernmental Panel on Climate Change, auch Weltklimarat genannt, erklärt uns, “der Mensch” und “sein” Handeln verändere das Klima. In diesem Zusammenhang ist das äußerst schlichte, aber vielleicht nahe liegende Argument vorgebracht worden (wenn auch nicht vom IPCC), die schiere Größe der Erdbevölkerung von 6 Milliarden Menschen und die aus dem Handeln dieser Massen resultierenden Emissionen trügen eine direkte Verantwortung. Zwar könnte der Wunsch nach menschlicher (sowie tierischer und pflanzlicher) Lebensqualität sehr wohl einen Grund für die Eindämmung des Bevölkerungswachstums liefern, globale Erwärmung jedoch entsteht nicht einfach als Folge der Aktivitäten der Menschen, und seien es noch so viele, unabhängig vom Grad ihrer gesellschaftlichen Entwicklung: Ein indisches Kind (wobei der indische Subkontinent zu den am dichtesten besiedelten Regionen der Erde zählt und Indien das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung der Welt ist) verbraucht heute pro Jahr ein Neunzigstel der Energie seiner amerikanischen Altersgenossen. Das Problem liegt also in der Art und Weise des Verbrauchs, in der ineffizienten Energienutzung (ganz zu schweigen von der Energieverschwendung) und in der Art der Entwicklung, die dem Verbrauch zugrunde liegt.
Wenn wir uns auf die Ebene eines Verstehens erheben, auf der es intuitiv offensichtlich ist, dass die menschliche Bevölkerung, sei es im zeitgenössischen oder im historischen Rahmen (über die letzten 10 000 Jahre betrachtet), oder beides, weder der Akteur noch, in der Konsequenz, verantwortlich für den Klimawandel ist, haben wir eine Täuschung bereits aufgelöst. “Der Mensch” (hier im Sinne der menschlichen Bevölkerung im Allgemeinen) ist ein rein formales Konzept ohne eindeutigen realen Referenten. Vielleicht ist es dann das “industrielle System”. Oder vielleicht “der Mensch” innerhalb des “industriellen Systems”. Doch in beiden Fällen haben wir es mit leeren Abstraktionen zu tun. Das eigentliche Thema ist vielmehr die historisch spezifische Konstellation verschiedener Gruppen lebender Männer und Frauen, die innerhalb dieses “industriellen Systems”, das heißt der kapitalistischen Produktionsweise, arbeiten. Genauer gesagt geht es um die Gruppe, die die Produktion beherrscht. Die Rede ist also von den Personifikationen ökonomischer Kategorien, den Kapitalisten (sowie den Klassen, die sie hinter sich herziehen). Kapitalisten (und Staaten, die ansonsten disparate oder konkurrierende Kapitale zusammenbringen) treffen Entscheidungen über die Allokation von Geldern und Kapital, darüber, welche “natürlichen Ressourcen” wie ausgebeutet und genutzt werden, und über die Technologien, mit denen dies geschieht. Dennoch stellt der Klimawandel nicht nur diese Entscheidungen in Frage, sondern das gesamte System der sozialen Beziehungen. In diesem Sinne ist es das Subjekt Gesellschaft (als Teil der Natur, der diese dennoch lediglich als Rohmaterial für die Warenproduktion wahrnimmt), das als Akteur die Verantwortung für den Klimawandel trägt. Nicht “der Mensch” verändert die Biosphäre; diese Veränderung ist vielmehr ein Produkt seiner eigenen vergegenständlichten und entfremdeten Macht. Diese Macht ist Kapital: Unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise ist das eigentliche Subjekt der menschlichen Gesellschaft das Kapital (wahre Vorherrschaft).
Zum “Preis” verheerender menschlicher und sozialer Kosten könnte ein abrupter Klimawandel die Geografie und Soziologie des gesellschaftlichen Zusammenlebens verändern: eine über Jahrzehnte hinweg qualitativ ansteigende Reglementierung und Unterdrückung der eigenen Bevölkerungen, um für drakonische Einschränkungen des Energieverbrauchs Gefügigkeit herzustellen; Dürre und Hunger, massenhaftes, unnötiges Sterben; Entvölkerung der Küstengebiete auf der ganzen Welt, erzwungene Umsiedelung, Entstehung riesiger Grenzzonen am Rande der Zivilisation und Vertriebenenlager entlang der Staatengrenzen, Millionen von Flüchtlingen in elenden Lebensbedingungen ohne Hoffnung, Rohstoffkriege zwischen den Staaten, ethnische Säuberungen und Genozide als Normalfall des täglichen Lebens.
Dennoch, während das Kapital den ökologischen Kollaps, den es durch seine eigene Bewegung erzeugt und in dem der Klimawandel stattfindet, nicht wird abwenden können, so kann es doch, und wird es unserer Ansicht nach, Mittel und Wege finden, mit der durch die Erwärmung ausgelösten Klimakrise umzugehen. Was immer geschehen mag, die sozialen Beziehungen innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise werden im Mahlstrom des Klimawandels weder aufbrechen noch verschwinden.1 Die eigentliche Frage ist, ob das Kapital – unter unvorstellbaren menschlichen Kosten – die Bedingungen diktieren wird, unter denen es diesem Wandel begegnet, oder ob wir das tun sollten.
Im imperialistischen Zentrum des globalen Kapitalismus, das von der rückständigsten, starrsinnigsten aller Regierungen geführt wird, hat sich das Kapital bereits zu Wort gemeldet. Während wir diesen Text verfassen, wird die TXU Corp., ein in Texas ansässiger Energiekonzern, an eine Gruppe privater Finanzinvestoren verkauft. Es ist dies das größte Private-Equity-Geschäft aller Zeiten. Die neue Investorengruppe hat versprochen, acht von elf geplanten Kohlekraftwerken nicht zu bauen und die Investitionen in Windkraft und Energieeffizienz zu erhöhen, um so den Schadstoffausstoß qualitativ zu senken. Zur gleichen Zeit haben die Regierungen von fünf westlichen Bundesstaaten, darunter Kalifornien, unabhängig von der Bundesregierung eine Vereinbarung zur Minderung der Treibhausgasemissionen unterzeichnet.
Published 19 November 2007
Original in English
Translated by
Heike Steffen
First published by Mute vol. 2 no. 5 (2007) (English version)
Contributed by Wespennest © Will Barnes / Wespennest / Eurozine
PDF/PRINTNewsletter
Subscribe to know what’s worth thinking about.