Kann das Internet von seinen Nutzern verwaltet werden?

Eine Antwort auf Dan Hind

Die kommerzielle Kolonisierung der Sozialen Medien ist dem öffentlichen Interesse offensichtlich abträglich. Gleichwohl geht der Ruf nach einer „Informationsallmende“ zu weit. Eher sollten die Besitzer der neuen Informationskanäle demokratisch legitimierten Regeln unterworfen werden.

Unter welchen Bedingungen kann sich die Demokratie wirksam gegen die Konzentration von Macht und Reichtum behaupten? Wann ist Demokratie – Selbstherrschaft des Volkes – möglich? Dan Hinds Analyse der Rolle von Medienordnungen bei der Strukturierung des Umfangs und der Grenzen des zulässigen Diskurses, macht auf brillante Weise deutlich, wie große Plattformen wie Google oder Facebook sich den alten Imperativen der Macht anpassen. Die neuen Bosse unterscheiden sich kaum von den alten. Allerdings bezweifle ich, ob die Antwort, die Hind anbietet, nämlich eine „Architektur für eine öffentliche Plattform […], die transparent und sicher ist und die direkt von jenen gelenkt wird, die auf sie angewiesen sind“, unsere Aufmerksamkeit dorthin fokussiert, wo sie am notwendigsten wäre.

Nehmen wir Wikipedia, die globale Enzyklopädie, welche offen ist für jeden, der an ihr mitschreiben will. Sie ist die einzige nichtkommerzielle Website, die zu den zehn meistbesuchten in der Welt zählt. Sie verkörpert alles, was sich Hind wünscht: Wikipedia ist eine öffentliche Plattform, deren Arbeit fast übertrieben transparent ist, die relativ sicher ist (obwohl ich vermute, dass ihre Systemadministratoren mir hier eher nicht beipflichten würden) und die von einer streitlustigen Gemeinschaft von ehrenamtlichen Redakteuren unter einem ebenfalls ehrenamtlichen Präsidium betrieben wird. Viele von uns glauben, dass diese Plattform von allen Online-Unternehmen, die wir haben, einer öffentlichen Infrastruktur, sei es eine öffentliche Bibliothek oder ein allen zugänglicher Park, am nächsten kommt.

Leider wird Wikipedia nicht aus öffentlichen Geldern unterstützt, doch dank seiner riesigen Basis von Kleinspendern hat sie niemals dem Druck nachgegeben, ihre Nutzer zu überwachen oder ihre Daten zu vermarkten. Zugleich sind ungeachtet jüngster Anstrengungen, mehr Frauen zu rekrutieren, fast neun von zehn RedakteurInnen der englischen Version männlichen Geschlechts. Die Auseinandersetzungen, wie Wikipedia zu betreiben sei, sind endlos. Man denkt an Oscar Wildes Diktum, dass das Problem mit dem Sozialismus ist, dass er zu viele Abende kostet.

Oder nehmen wir das Internet selbst. In seinen frühen Jahren wurde es von der Internet Engineering Task Force gemanagt, einer offenen internationalen Gemeinschaft von Entwicklern, Ingenieuren, Anbietern und Forschern, der sich jeder anschließen konnte (und immer noch kann). Sie betrachteten es als ihre Aufgabe, Standards und Protokolle zu entwickeln, die einem „Netzwerk von Netzwerken“ ermöglichten, sich selbst zu organisieren und auszubreiten. Ein Ökosozialist wie Hind wäre von diesen Ingenieure wohl entzückt, von denen einer einmal denkwürdigerweise erklärte: “Was wir ablehnen, sind Könige, Präsidenten und Abstimmungen. Woran wir glauben, ist ungefährer Konsens und Code auszuführen.“

Als die neoliberale Clinton-Gore-Regierung die schicksalsträchtige Entscheidung traf, die Kommerzialisierung des Internet zu erlauben, haben wir etwas Wertvolles verloren. Diese Entscheidung beruhte auf dem irrigen Glauben, dass die Regierung die Kosten für die der steigenden Nachfrage entsprechende Verbreitung der zugrundeliegenden Kommunikations-Infrastruktur weder übernehmen konnte noch sollte. Tatsächlich war es so, dass, nachdem einem Unternehmen die Erlaubnis erteilt wurde, das Internet zu kommerziellen Zwecken zu nutzen, ein Konkurrent sich beschwerte, dass man ja dann ebenso gut „Kmart einen öffentlichen Park übergeben“ könnte. Seitdem haben Marktkräfte das Internet in genau derselben Weise übernommen wie man sich das vorstellen könnte, wenn Trumps Weißes Haus entscheiden würde, zum Beispiel den Yosemite Park zu privatisieren.

Kurz, ich bin ganz und gar für die Wiederbelebung und Erweiterung einer wahrhaft öffentlichen digitalen Infrastruktur. Ich bin tief besorgt darüber, dass wir in den letzten zwei Jahrzehnten das einst unberührte Territorium unseres Denkens und Handelns blind einer neuen Sorte von Raubrittern zur Kolonisierung überlassen haben, die uns mit leeren Versprechungen von unbegrenzter Information und von zahllosen Annehmlichkeiten hinhalten. Doch anders als Hind bin ich mir nicht sicher, ob wir eine Infrastruktur brauchen, die „die direkt von jenen gelenkt wird, die auf sie angewiesen sind“ – so wenig wie die meisten von uns wohl für den Betrieb unseres U-Bahn-Netzes oder die Leitung von Schulen zuständig sein wollen.

Ich würde eher dafür plädieren, dass jene, die für solche Einrichtungen Verantwortung tragen, Regeln unterworfen werden, die im Zuge demokratischer Prozesse aufgestellt werden. Das Problem ist nicht, dass unserer Medien undemokratisch sind, vielmehr ist es unsere Politik.  Sie ist fast gänzlich in die Hände der Finanzwirtschaft geraten, und die Philanthropie hat den politischen Aktivismus weitgehend vereinnahmt. Alles, was uns bleibt ist, dass wir uns selbst organisieren.

Published 17 March 2020
Original in English
Translated by Klaus Nellen
First published by Public Seminar; Eurozine (English version) / Eurozine (German version)

© Micah Sifry / Public Seminar / Eurozine

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