Jeder Rentner ist sich selbst der Nächste

Die neo-konservativen Pläne der Bush-Regierung

In Deutschland ist die kapitalgedeckte Altersvorsorge seit dem
Börsen-Crash von 2002 out. In den USA hingegen ist sie im Kommen.
Präsident Bush plant die künftigen Rentenkonten als Bestandteil seines
Projekts einer “Eigentümergesellschaft”.

Im November 2004 verkündete George W. Bush, mit seiner Wiederwahl habe
er sich ein “politisches Kapital verdient”, das er auch zu investieren
gedenke. Mit einem neuen Mandat ausgestattet und mit einer Mehrheit in
beiden Häusern des Kongresses im Rücken, kündigte Bush denn auch sofort
eine Reihe innenpolitischer Reformen an. Die wichtigste ist sein Plan,
das System der öffentlichen Sozialversicherung (social security)
umzubauen, jenes allgemeine staatliche Rentensystem also, das ein überaus
bedeutsames sozialpolitisches Instrument im Sinne von kollektiver
Solidarität und Risikoverteilung darstellt.

Der Präsident kündigte weiter an, mit Hilfe dieser Reformen wolle er die
Grundlage für eine von ihm so genannte Eigentümergesellschaft schaffen.
Unter den Bush-Gegnern in aller Welt ist es schick, den US-Präsidenten
als einen sprachlich überforderten und intellektuell minderbemittelten
imperialistischen Haudrauf zu sehen. Doch die Konzeption einer
“Eigentümergesellschaft” ist das Herzstück einer raffinierten
neokonservativen Vision, deren Ziel eine radikale Umgestaltung der
innenpolitischen Landschaft ist, die sich deutlich von einem ordinären
Neoliberalismus abhebt – und die daher auch auf internationaler Ebene
enorme Bedeutung gewinnen kann.

Von den drei Säulen des US-Rentensystems ist die allgemeinen
Sozialversicherung die wichtigste. Dieses staatliche Rentensystem ist
zugleich die bedeutendste sozialpolitische Errungenschaft der
Roosevelt-Ära von 1933 bis 1945 und orientiert sich am Modell der
Bismarck’schen Rentenversicherung. Sie garantiert Menschen eine
Altersversorgung, die durch eine bestimmte Lebensarbeitszeit einen
entsprechenden Anspruch erworben haben.1

Die allgemeine Sozialversicherung stellt ein direkt aus den Beiträgen
finanziertes System dar. Was jährlich an Beiträgen aus den
Arbeitseinkommen eingenommen wird – derzeit von Arbeitgeber – wie von
Arbeitnehmerseite je 6,2 Prozent der Lohnsumme, wobei Arbeitnehmer bis zu
einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 90 000 Dollar
versicherungspflichtig sind –, fließt unmittelbar an die Rentner. Die
Altersbezüge liegen niedrig, bei etwa 25 bis 30 Prozent der zuletzt
erreichten Gehaltshöhe, allerdings mit zusätzlichen Leistungen für Witwen
und Invaliden. Dennoch hat diese Altersversorgung seit den 1930er-Jahren
die Altersarmut, die zuvor ein großes soziales Problem gewesen war,
merklich reduziert.

Diese Sozialversicherung ist nicht nur das wichtigste Element des
sozialstaatlichen Systems der USA, sondern auch das größte Programm, das
auf den Prinzipien gesamtgesellschaftlicher Solidarität und eines
staatlich organisierten Risikoausgleichs beruht. Heute allerdings steht
dieses System, wie die öffentliche Altersversorgung in Europa auch, vor
großen Finanzierungsproblemen. Da die Menschen länger leben, wird das
Verhältnis von arbeitenden Beitragszahlern zu Rentenempfängern
ungünstiger.

Derzeit gehen die Generationen des Babybooms der 1960er- und
1970er-Jahre, deren Beiträge die Altersbezüge der Rentner jahrzehntelang
finanziert hatten, selbst in den Ruhestand, während der Anteil der
erwerbstätigen Bevölkerung schrumpft. Die jüngste offizielle Schätzung
geht davon aus, dass die Zahlungen aus dem Sozialversicherungsfonds
bereits 2018 das Beitragsaufkommen übersteigen werden. Bis 2042 könnte
das ganze System bankrott sein.

Präsident Bush hat sich aus diesen Annahmen ein “Krisenszenario”
gebastelt, mit dem er eine neokonservative Reform des
Sozialversicherungssystems vorantreiben will. Im Zentrum dieses Plans
steht die Idee, dass jüngere Arbeitnehmer 4 Prozent ihrer Lohnsteuer –
und zunächst jährlich maximal 1 000 Dollar – in ein privates
“persönliches Rentenkonto” einzahlen.

Der Markt ersetzt den Generationenvertrag

Dieses Konzept will er mit folgenden Argumenten verkaufen: Erstens
würden solche nach Marktprinzipien organisierten Konten höhere Erträge
abwerfen als die Treuhandfonds der staatlichen Sozialversicherung, die
nur in ertragsschwache Staatspapiere investieren dürfen. Ältere Arbeiter,
deren Bezüge auf dem existierenden Niveau garantiert sein sollen, wären
an diesem neuen System nicht beteiligt. Auch jüngere Arbeitnehmer könnten
sich für das existierende System und gegen ein persönliches Konto
entscheiden, werden dies aber wahrscheinlich nicht tun, weil sie Zweifel
an der Überlebensfähigkeit der staatlichen Sozialversicherung haben und
davon ausgehen, dass ihre Altersbezüge im Lauf der Zeit gekürzt werden.

Zweitens würde der Vorteil des neuen Systems für den Inhaber des
Rentenkontos darin bestehen, dass ihm die Einlagen “persönlich gehören”
und dass er entscheiden kann, wie diese Gelder angelegt werden sollen.
Und drittens hat der Bush-Plan eine wichtige Dimension, die ihn für viele
– insbesondere auch für manche Demokraten – annehmbar machen könnte. Er
sieht die schrittweise Einführung einer “progressiven” Reduzierung der
Altersbezüge für die Mittelklassen vor, wobei mit den eingesparten
Geldern für ärmere Beitragszahler, denen die Behörden Bedürftigkeit
bescheinigen, eine Mindestrente finanziert werden soll.2

Die Gegner des Bush-Plans argumentieren zunächst prinzipiell: Kollektive
Solidarität und ein gesamtgesellschaftlicher Risikoausgleich seien
bewährte Ansätze, an denen man besser nichts ändern sollte. Außerdem
gehen viele Kritiker davon aus, dass es die “Krise” des
Sozialversicherungssystems gar nicht gibt und dass eine “Anpassung” des
bestehenden Systems die Probleme zumindest mittelfristig beherrschbar
macht. So könnte man etwa das Rentenalter anheben und die Möglichkeiten
der Frühverrentung einschränken, was weitere Mittel frei machen würde.

Auch könnten die Lohnsteuersätze steigen und könnte die Obergrenze für
die obligatorische Altersversicherung deutlich über die geltenden 90 000
Dollar Jahreseinkommen angehoben werden, um auch Besserverdienende
heranzuziehen. Des Weiteren berufen sich die Gegner des “persönlichen
Kontos” auf die Erkenntnisse von Ökonomen, wonach neue Investoren an den
Aktien- und Rentenmärkten aufgrund falscher oder unzureichender
Informationen falsche Entscheidungen treffen und damit Geld verlieren
könnten.

Der wichtigste praktische Einwand gegen den Bush-Plan betrifft jedoch
die Kosten des Systemwechsels. Denn zunächst werden die Beiträge statt in
die allgemeine Sozialversicherung, die noch die laufenden Renten zahlt,
auf die persönlichen Konten umgeleitet. Dies würde eine
Finanzierungslücke von mehr als einer Billion Dollar aufreißen. Wo das
Geld herkommen soll, ist noch völlig unklar. Die Regierung denkt offenbar
an eine höhere Staatsverschuldung – just in einer Zeit, da Bush mit
seinen Steuerkürzungen bereits ein fatal hohes Staatsdefizit
herbeigeführt hat.

Diese Einwände und Gegenvorschläge basieren auf der Annahme, dass es der
Bush-Regierung darum gehe, das dauerhafte Überleben des
Sozialversicherungssystems zu sichern. Doch das Hauptziel dieser Reform
ist ein ganz anderes: Sie will die Verpflichtung auf die Prinzipien der
Solidarität unter den Staatsbürgern und des sozialen Risikomanagements
durch die öffentliche Hand untergraben und letztlich abschaffen. Bush
selbst hat es in seiner schlichten Art so ausgedrückt: “Wer etwas
besitzt, hat ein vitales Interesse an der Zukunft unseres Landes. Je mehr
Besitz es in Amerika gibt, umso mehr Vitalität haben wir, und umso mehr
Menschen haben ein vitales Interesse an der Zukunft unseres Landes.”3

Ein Gegenteil von neoliberal

Entscheidend ist dabei, privates Eigentum so stark wie möglich in der
Gesellschaft zu verankern, das heißt über den Besitz des eigenen Hauses
hinaus (69 Prozent der US-Bürger haben ein eigenes Haus, das ihren
größten Vermögenswert darstellt) auf andere Werte wie Aktien und
Rentenpapiere auszuweiten. Die vorgeschlagenen persönlichen
Altersvorsorgekonten sollen dieses Projekt vorantreiben. Und die
“progressive” Umverteilung der Leistungen, die im Lauf der Zeit erfolgen
soll, hat zwar angeblich zum Ziel, die langfristigen
Finanzierungsprobleme der Sozialversicherung zu beheben, aber sie soll
auch die mittleren Einkommensklassen stärker als bisher in die private
Alterssicherung hineindrängen. Damit würden sich aber zugleich die
Vorbehalte dieser Mittelklasse gegenüber den Subventionen für die Armen
derart verstärken, dass die Unterstützung für die Logik der solidarischen
Versicherung auf breiter Front schwinden dürfte.

Hinter diesem ganzen Konzept steht eine auf John Locke (1632-1704)
zurückgehende Überzeugung, die bei vielen Amerikanern eng mit dem
historischen “New Frontier”-Erlebnis zusammenhängt. Demnach gehen die
Besitzer von Eigentum, ob Einzelpersonen oder Familien, mit ihrem Besitz
sorgsamer um als die Regierung. Deswegen fördern Regierungsprogramme die
Fähigkeiten der Menschen nicht, sondern machen die Empfänger nur
abhängiger.

Wahre “Freiheit”, um Bushs Lieblingswort zu benutzen, beruht auf den
Ressourcen und der Fähigkeit, grundlegende Entscheidungen im Hinblick auf
die individuelle wie die Zukunft der Familie selbst zu treffen. Diese
Begriffe verhalten sich spiegelverkehrt zu den Vorstellungen des
“linksliberalen Lagers” der USA und der europäischen Sozialdemokraten,
die angesichts sozialer Ungerechtigkeit, versagender Marktmechanismen und
der Notwendigkeit, das “Gemeinwohl” zu sichern, auf staatliche
Intervention, Schutzprogramme und öffentlicher Leistungen setzen.

Bei alldem darf man eines nicht außer Acht lassen: Die
“Eigentümergesellschaft” ist eine neokonservative und nicht etwa eine
neoliberale Formel im Sinne der Thatcher-Politik.4 Besonders deutlich wird dies an der Rolle der Regierung, die nach Auffassung der Neokonservativen an vielen Stellen auf die Gesellschaft einwirken muss, um den Bürgern auf die Sprünge zu helfen – sie also zu motivieren, Besitz zu akkumulieren und ihnen beizubringen, wie man diesen intelligent investiert. Daraus ergibt sich ein weiterer Unterschied hinsichtlich der Haushaltspolitik. Solche neokonservativen Programme können gigantische
neue Staatsausgaben nötig machen. Die Neokonservativen betreiben also
nicht nur auf internationaler Ebene eine aktive Interventionspolitik,
sondern auch innenpolitisch – zumindest insoweit, als sie “freie”
neokonservative Individuen schaffen wollen, denen moralische Kategorien
einer umfassenden gesellschaftlichen Solidarität zuwider sind.

Die USA haben ihren “New Deal” und ihren “Fair Deal” erfunden, sie
hielten es mit der “Great” und der “Good Society”, mit dem “Compassionate
Conservatism” und ähnlichen Parolen.5 Deshalb könnte man die “Eigentümergesellschaft” als eine der rhetorischen Formeln abtun, die von
den Regierungen in Washington ständig produziert werden, um die
Banalität oder die Leere ihrer Programme möglichst bombastisch zu
überdecken. Doch man würde die Durchschlagskraft der US-Neokonservativen
unterschätzen, wenn man dieses Schlagwort oder zumindest die ihm zugrunde
liegenden Vorstellungen nicht ernst nehmen würde. Ebenso wichtig ist die
Erkenntnis, dass die Bush-Meute die aktuellen Trends in der politischen
Landschaft und in der Gesellschaft wittert, die unter den geeigneten
Umständen eine neue Strategie zur Durchsetzung der Eigentümergesellschaft
möglich machen könnten.

Zunächst einmal ist daran zu erinnern, dass die Wähler in den USA George
W. Bush und den Kongressfraktionen der Republikaner einen rauschenden
Wahlsieg beschert haben. Allein dies zeigt schon, dass der
innenpolitische Widerstand gegen ein neokonservatives Programm nur sehr
schwach ausgeprägt ist. Hinzu kommt, dass es in den USA für eine
Eigentümergesellschaft ein solides Fundament gibt, insofern das
Engagement für umfassende Sozialprogramme immer höchst begrenzt war. In
der jüngeren Geschichte hat es so etwas wie eine gesamtgesellschaftliche
Solidarität im Grunde nur für die Gruppe der Älteren gegeben.

Dagegen waren die Programme zugunsten der Einkommensschwachen – trotz
weit verbreiteter Armut – erstens knapp gehalten und zweitens als Strafe
konzipiert, das heißt weniger auf Integration als auf Stigmatisierung
angelegt. Die Krankenversicherung ist eher privat als öffentlich
organisiert, wobei dennoch 15 Prozent der Bevölkerung ohne jeden
Versicherungsschutz bleiben. Dazu ist sie teurer als irgendwo sonst auf
der Welt und erwiesenermaßen äußerst ineffizient.6

Selbst die “working poor” sollen Eigentum erwerben

Die Reformen der jüngsten Zeit haben diese Tendenzen noch gefördert und
zugespitzt. Als die von Clinton geplante Gesundheitsreform den Bach
runterging, blieb den meisten Amerikanern nur die individuelle
Entscheidung für eines von vielen privaten Versicherungsprogrammen. Deren
Palette reicht von äußerst luxuriösen bis zu minimalistischen Lösungen.
Der Rest blieb mangels finanzieller Ressourcen völlig unversichert.

Die Reform des sozialen Systems von 1995 verschärfte die Straffunktion
des Armutsbekämpfungsprogramms und verstärkte die Anreize in Richtung
einer “Eigentümergesellschaft” sogar für die working poor, die
Beschäftigten mit geringem Lohneinkommen. 7 Das Gesetz über verschreibungspflichtige Arzneimittel, das Bush in seiner ersten Amtsperiode auf den Weg brachte, führte teure Programme ein, die den älteren Bürgern einen Teil ihrer medizinischen Ausgaben ersetzen und zugleich starke Anreize enthalten, um sie in private Krankenversicherungen zu drängen.

Zudem wurden eine Reihe ergänzender Steuergesetze verabschiedet, die
ebenfalls in Richtung “Eigentümergesellschaft” weisen. Sie brachten etwa
größere Steuerersparnisse für Leute, die Hypotheken aufnehmen oder
wohltätige Spenden geben, billige Kredite, die einen Teil der
Studiengebühren abdecken sollen, sowie verschiedene Arten von “Vouchers”
und andere Instrumente, die eine “individuelle Wahl” der schulischen
Ausbildung begünstigen sollen. 8

Für solche Reformen in Richtung einer “Eigentümergesellschaft” findet
die Bush-Mannschaft einen fruchtbaren sozialen Untergrund vor. Gut
bezahlte industrielle Arbeitsplätze werden in rasantem Tempo abgebaut;
das Ergebnis sind immer mehr working poor, die kaum gewerkschaftlich
organisiert sind und nur selten zur Wahl gehen. Die Gruppen, die
politisch und gesellschaftlich zählen, machen die solide “Mittelklasse”
aus. Diese umfasst die obersten 20 Prozent der Einkommensempfänger wie
auch etwas weniger bemittelte Schichten, die aber reale oder eingebildete
Gründe für die Erwartung haben, dass sie oder ihre Kinder einmal in die
Mittelklasse aufsteigen.

In den heutigen USA ist diese politisch entscheidende Mittelklasse
gezwungen, auf den Erwerb der Art von “Vermögenswerten” zu setzen, die
von den Verfechtern der “Eigentümergesellschaft” propagiert werden, also
von privaten Immobilien, die mit der Zeit an Wert gewinnen, persönlichen
Ersparnissen (in der Regel in Gestalt privater Pensionspläne) und
Steuerkrediten für die Versorgung und Ausbildung der Kinder. Hinzu kommt,
dass die Einkommen in den USA seit 1980 immer ungleicher geworden sind
als in anderen reichen Gesellschaften (wo die Ungleichheit ebenfalls
erheblich zugenommen hat), während sich zugleich die soziale Mobilität
erheblich verlangsamt hat. 9

Diese Entwicklungen haben zu einer neuen Unsicherheit beigetragen und
bei der Mittelklasse einen wilden Ehrgeiz geschürt, die eigenen
materiellen Erfolge an den Nachwuchs weiterzugeben. Das gilt vor allem
für die Leute, die bereits genügend “Werte” angesammelt haben, um
aussichtsreiche Investitionen in den relativen Erfolg ihrer Kinder
vorzunehmen. Diese Familien mit den nötigen Mitteln denken lange und
gründlich darüber nach, wo sie ein Haus kaufen, damit sie die Chancen
ihrer Kinder verbessern, in sicherer Umgebung aufzuwachsen und gute
Kindergärten, Schulen und nachbarschaftliche “Netzwerke” vorzufinden. Die
besten US-Universitäten eröffnen die besten Karrierechancen, doch die
Aufnahmekriterien sind streng, weshalb die Eltern über Jahre hinweg
gezielte Förderungsprogramme organisieren. Doch da die
Spitzenuniversitäten private Unternehmen sind und pro Studienjahr
mindestens 40 000 Dollar kosten, haben sich US-Bürger der Mittelklasse
damit abgefunden, dass sie im Alter von 45 oder 50 Jahren einen Teil
ihrer Immobilien verkaufen oder Kredite aufnehmen müssen, um den Kindern
“das College zu zahlen”.

Die Hoffnung auf sozialen Aufstieg ist in den heutigen USA zu einer Art
“Würfelspiel” geworden, wobei der finanzielle Einsatz sehr hoch, der
Erfolg aber in keiner Weise garantiert ist. Und schließlich ist auch das
Ende des ganzen Spiels – in Form eines langen und auskömmlichen
Ruhestandes – nur selten gesichert. Doch das ganze System verstärkt
entschieden die Parole “Jeder ist sich selbst der Nächste”, mit der auch
die Werbung für die “Eigentümergesellschaft” arbeitet.

Science-Fiction? Die Neue Rechte meint es ernst

Das Konzept mag schrecklich sein und nach politischer Science-Fiction
klingen – doch für die heutigen USA ist die “Eigentümergesellschaft”
keineswegs eine nur entfernte Möglichkeit. Bei allen Erfolgen, die sie
schon errungen hat, ist die US-amerikanische Neue Rechte immer noch
hungrig, ehrgeizig und intellektuell ernst zu nehmen. Die geschlagene
Linke einschließlich der Demokratischen Partei ist schwächer und
intellektuell ärmer, als es ihr selbst – und den meisten ausländischen
Beobachtern – bewusst ist.

Viele Amerikaner wissen, dass ihnen die harte neoliberale Politik, die
das Wall Street Journal und andere Organe der Wirtschaft propagieren,
ein sehr hartes Leben bringen wird. Diese Sackgasse der konservativen
Strategie vermeidet die “Eigentümergesellschaft”, indem sie einen aktiven
Staat und öffentliche Ausgaben zulässt, die Rahmenbedingungen schaffen
sollen, innerhalb deren die Bürger sich für die ein oder andere Art von
Investitionen ihrer privaten Mittel entscheiden. Die zentralen Begriffe
dieses Konzepts plädieren denn auch eher auf einer moralischen – und
nicht so sehr auf einer ökonomischen oder religiösen – Ebene für eine
neue “rechte Gesellschaftsordnung”. Sie liefern also die ethische
Rechtfertigung für eine Gesellschaft, die Armut stigmatisiert, einen von
der Mittelklasse getragenen Konsens herstellt und es den Reichen
gestattet, noch reicher zu werden.

Dass das heutige Amerika marschiert – und zwar im Wortsinne –, bekommen
allemal diejenigen mit, die das Geräusch ihrer Marschstiefel im Ohr
haben. Wenn man Amerika verstehen will, muss man aber erkennen, dass es
auch im metaphorischen und kulturellen Sinne marschiert, und zwar in dem
Takt, der durch die Dynamik der Globalisierung vorgegeben wird. Freilich
hat man bisher über die neokonservative Musik, die diesen Marsch
begleitet, noch nicht hinreichend nachgedacht. Wer die neokonservative
Schule amerikanischen Typs als naives Hayek’sches Credo abtut, wonach die
Märkte alle Probleme lösen, verhält sich auf gefährliche Weise
kurzsichtig. Entsprechend ihrer besonderen Sicht der Welt muss man sie
als eine aktivistische, staatlich gesteuerte und oft sehr teure
Interventionspolitik ansehen, mit dem Ziel, eine Massenbasis zu schaffen
und zu erhalten, die alles ablehnt, was nach “kollektiv” riecht, egal ob
es sich um Konzepte der Vergangenheit (wie die Sozialversicherung) oder
um Rezepte für die Zukunft handelt.

Und wenn “die Leute” dieses Konzept noch nicht zurückweisen, dann geht
es jetzt eben darum, “die Leute zu verändern”, bis sie mitmachen. Die
geplante Reform der Sozialversicherung wird womöglich kurzfristig,
während der Amtszeit von George W. Bush, noch nicht zustande kommen, weil
sie nach wie vor ein viel zu heißes Eisen ist. Doch das neokonservative
Gedankengut hat bei der Eroberung Amerikas schon große Erfolge erzielt,
und es wäre ausgesprochen töricht, darauf zu setzen, dass diese Vision
irgendwann wieder in der Versenkung verschwindet.

Wahrscheinlich werden die USA sehr hartnäckig versuchen, das Konzept der
“Eigentumsgesellschaft” als Modell für die Organisation des sozialen und
des politischen Systems auch zu exportieren. Wichtige Interessengruppen
außerhalb der USA und insbesondere in Europa könnten veranlasst
werden, sich mit diesem Modell anzufreunden. Es steht also sehr viel auf
dem Spiel – das Jahrhunderte währende Bemühen, den Kapitalismus zu
humanisieren und zu demokratisieren. Die Gefahr steht uns deutlich vor
Augen, doch vorgewarnt sein bedeutet leider nicht automatisch, dass wir
dagegen auch gewappnet sind.

Die beiden anderen Säulen des Rentensystems beruhen auf Marktprinzipien. Es sind die selten gewordenen unternehmensfinanzierten privaten Alterspensionen einerseits und die erst seit kurzem bestehenden individuell angelegten "Ruhestandskonten" andererseits. Dazu: Jacob Hacker, "The Divided Welfare State", Cambridge (Cambridge University Press) 2002.

"The New York Times", 30. 4. 2005.

Zitiert nach der Presseerklärung des Weißen Hauses vom 9. 8. 2004.

Margaret Thatcher beharrte darauf, dass für sie die Konzeption von "Gesellschaft" völlig bedeutungslos sei. Für sie zählte nur der Markt.

"New Deal": US-Präsident Roosevelts Wirtschaftsprogramm von 1933 zur Überwindung der Großen Depression. "Fair Deal": Präsident Trumans Bürgerrechts- und Sozialprogramm von 1948. "Great Society": Präsident Johnsons Programm von 1965 mit der Gründung der Krankenversicherungen Medicare und Medicaid. "Good Society": "Menschenfreundliches" Konzept des Kommunitaristen Robert Bellah nach seinem gleichnamigen Buch von 1991. "Compassionate Conservativism": Präsident George W. Bushs These von 2001, nach der Bedürftige von Kirchen und Staat "erlöst" werden. Die Bezeichnung "mitfühlender Konservatismus" stammt von dem Publizisten Marvin Olasky (Anm. d. R.).

Siehe Paul Krugman, "Passing the Buck in U.S. Health Care", "International Herald Tribune", 23./24. April 2005, S. 6.

Dass Präsident Clinton sich dieser Reform verschreiben musste, um die Chance auf eine Wiederwahl zu haben, zeigt nur, wie stark die US-Wähler in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf sozialpolitische Fragen nach rechts abgedriftet sind.

Dazu Christopher Howard, "The Hidden Welfare State", Princeton (Princeton University Press) 1997.

Dazu in knapper Form der "Economist", 1. 1. 2005, S. 22-24.

Published 20 June 2005
Original in English
Translated by Niels Kadritzke
First published by Le Monde diplomatique 6/2005

Contributed by Le Monde diplomatique © George Ross/Le Monde diplomatique Eurozine

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