Im digitalen Death Valley

Netz/Sprache - B@bel, Aymara.org und das Internet als Sprachenfriedhof

Der Blick auf das Internet ist immer auch ein Blick durch ein Vergrößerungsglas auf das, was wir gemeinhin Globalisierung nennen. Der Vorgang, der auf unserem Planeten alles zusehends näher rücken lässt, der alles miteinander gleichschaltet, vernetzt und verbindet, wird durch das Internet vorangetrieben und verstärkt. Alles, was mit ihm einhergeht, wird durch das Internet sichtbarer – in Folge eines Zu-Tage-Tretens oder eines dramatisierenden Verzerrens. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Sprache. Immerhin wird in der gegenwärtigen Phase der Globalisierung jenes Modell in Frage gestellt und neu verhandelt, in dessen Rahmen Sprache als ideologisches Konstrukt maßgeblich modelliert wurde: der Nationalstaat. Er konnte seine homogenisierenden Ansprüche nur mit einer Nationalsprache legitimieren – was etwa Spanisch, Französisch oder Deutsch ist -, war niemals natürlich gegeben, sondern musste im Zuge des Nation-Building erst mühsam konstruiert werden. Dieser Prozess ging auf Kosten von Vielfalt innerhalb des jeweiligen Sprachsystems aber auch auf Kosten von anderen Sprachen. Beispielhaft dafür ist wohl Spanien mit insgesamt vier weiteren Sprachen innerhalb der eigenen Landesgrenzen, die gegenüber dem zur Nationalsprache avancierenden Castellano systematisch zurückgedrängt wurden.

In letzter Zeit ist viel davon zu hören, dass Sprachen sterben. Andrew Dalbys rezenter Publikation “Language in Danger” (Allen Lane, 2002) zufolge wird die Welt jede zweite Woche um eine Sprache erleichtert. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass einige wenige Sprachen, allen voran Englisch, ihre gebiets- und nationenübergreifende Dominanz bedenklich ausweiten. Somit scheint die geopolitische Hegemonie der G8 auch eine linguistische Dimension zu haben: Weniger wettbewerbsfähige Nationen werden nicht nur auf ökonomisch-militärischer, sondern auch auf linguistischer Ebene von einigen wenigen dominiert – im Zuge eines Echos des Kolonialismus bis hin zu neokolonialistischen Tendenzen.1 So sehr dies die homogenisierenden Entwicklungen im Bereich der Sprachen auf globaler Ebene erklären mag, so wenig sagt dies letzten Endes über den gegenwärtigen Status der Sprache als ideologisches Konstrukt aus. Schließlich wird die aktuelle Phase der Globalisierung nicht nur maßgeblich von mächtigen Nationalstaaten geprägt, sondern auch von gleichermaßen mächtigen Konzernen und NGOs, die als vergleichsweise junge Global Player ihre Identität nicht per se innerhalb der linguistischen Domäne definieren.

Dieser blinde Fleck reproduziert sich in der Rede vom Verschwinden der Sprachenvielfalt auch in der Diskussion, die zu diesem Thema in Bezug auf das Internet geführt wird. Das grundsätzliche Problem besteht aber in der Reproduktion an sich. Sicher, es gibt Offline-Entwicklungen, die sich auch in der Online-Sphäre spiegeln – entscheidend ist jedoch, wo die Parallelen enden, genauer: wo der Spiegeleffekt seine Bedeutung verliert und wo die Übersetzung beginnt. Es liegt auf der Hand, dass sich nationalsprachlich orientierte Gemeinschaften im Cyberspace bilden. Man orientiert sich eben auch im Internet am ehesten an Angeboten in seiner Muttersprache; entsprechend ist von “virtual language communities on the WWW” die Rede. Mehr noch: Die Kontrolle des Internets in Ländern wie China oder Myanmar erinnert bisweilen an Bemühungen des modernen Nationalstaats. Schließlich bewirken die Filter-Initiativen eine national ausgerichtete Sprachhomogenisierung, die in einem vermeintlichen grenzenlosen Verbund von Netzwerken die anachronistisch anmutenden Grenzen des Territorialstaats rekonstruieren.

Auf der anderen Seite hätten wir das Gespenst der Weltsprache. In dieser Eigenschaft ist Englisch buchstäblich in aller Munde, auch das Internet hat diesem Gespenst Obdach gewährt. Dort kann es seinen Anspruch auf eine Präsenz im Weltmaßstab unter den Bedingungen eines Mediums entfalten, das nicht nur den gleichen Anspruch, sondern diesbezüglich auch einen besonders effektiven Mythos gesponnen hat. Der Multiplikatoreneffekt hat nicht nur Bewunderer, sondern auch Kritiker auf den Plan gerufen. Der Medientheoretiker Geert Lovink etwa zitiert Adorno herbei (“Das Ganze ist immer das Unwahre”), um zu unterstreichen, dass es “niemals einen geeinten Planeten mit einer geeinten Menschheit geben [wird], die nur eine Sprache spricht.”2 Trotzdem ist die Weltsprache zu einer Utopie für viele “Netizens” geworden. Sie übt selbst in den Reihen jener eine Faszination aus, die gegen das Sprachsterben sind. Immerhin liegt ihr der Gedanke einer harmonischen Weltgemeinschaft zu Grunde und das Versprechen, Teil dieser Gemeinschaft zu werden. Lovink unterstellt diesen Träumern jedoch, dass für sie die Globalisierung lediglich “eine billige Ausrede” dafür ist, “sich nicht länger mit der Stagnation und der Langeweile lokaler (und besonders nationaler) Ebenen”3 auseinander setzen zu müssen. Doch sind jene, die sich auf eben diesen Ebenen engagieren, ohne Vorbehalt als unsere Helden zu akzeptieren?

Nehmen wir zum Beispiel das UNESCO-Projekt B@bel. Es hat sich der Vielsprachigkeit im Internet verschrieben und zielt als Initiative darauf ab, die linguistische Einöde im Cyberspace – 90 Prozent des Internet-Contents sind in lediglich zwölf Sprachen verfügbar – zu re-zivilisieren. Aus der Wüste soll eine blühende Landschaft werden, zumindest, wenn die computerisierte Spracherkennung aus dem unterentwickelten Stadium von 400 verbreiteten Sprachsystemen den 6.000 weltweit verfügbaren Sprachen näher kommt. So richtig die Diagnose und das Ziel sein mögen, so problematisch ist doch der Ansatz dieser Initiative: B@bel – allein der Namen suggeriert Medienkompetenz, und die avisierten Direktiven erwecken ebenfalls den Anschein von entsprechend profilierten Maßnahmen, doch ist die Überbrückung des Digital Divide sowie die substantielle Erhöhung der Spracherkennungssysteme tatsächlich das Allheilmittel in diesem Zusammenhang? Man sollte sich spätestens an dem Begriff der Präservierung stoßen, der von den Machern ins Feld geführt wird. Denn ob off- oder on-line – es kann nicht alleine darum gehen, Sprachen zu “erhalten”. Es bedarf keiner Museen, in denen das aufgrund mangelnden Sauerstoffs nur noch in ausgestopfter Form vorliegende Reptil konserviert wird, sondern es müssen Existenzgrundlagen für eine Vielzahl von Organismen geschaffen werden. Denn das Sprachen eben dies sind – Organismen -, fällt häufig und wohl auch in diesem Zusammenhang unter den Tisch.

Die Konsequenz: Multilinguismus-Kampagnen, die Sprachenvielfalt im Internet zum Ziel haben, schaffen lediglich die Grundlage dafür, eine Sprache online zu stellen. Sie schaffen es aber nicht, darüber nachzudenken, welches Environment das Internet abgesehen von seiner Uniformität für die jeweilige Sprache und ihre Entfaltung eigentlich darstellt. Ein Beispiel wäre das Projekt Aymara.org – pathetisch apostrophiert mit “From High Andes to Cyberspace”. Die dreisprachige Website (Aymara, Spanisch, Englisch) ist nicht nur ein Beispiel dafür, wie ethnische Minoritäten sich eine Repräsentanz im Internet verschaffen können. Sondern vor allem dafür, dass die in diesem Fall altertümliche Sprache, die die Imperien der Inka und Spanier überlebte, im Internet seinen vorweggenommenen Tod gefunden hat. Vorweggenommen, weil es derzeit noch rund 1,5 Millionen Menschen gibt, die diese Sprache sprechen. Tod, weil von einer mediengerechten Übersetzung, wie sie etwa Lev Manovich mit dem intellektuellen Schlachtruf “new media requires a new critical language”4 für die Theoriebildung fordert, nicht die Rede sein kann – das Internet hat hier bestenfalls eine museale Funktion übernommen.

Die Unfähigkeit, das Problem der Sprachen im Internet und das der Netzsprache zusammenzudenken, lässt gegenwärtige Bemühungen rund um den Multilinguismus im Cyberspace ebenso einäugig erscheinen wie eine Diskussion um Sprache und Globalisierung, die den Prozess, der auf unserem Planeten alles zusehends näher rücken lässt, der alles miteinander gleichschaltet, vernetzt und verbindet, lediglich auf die Rolle des Nationalstaats hin befragt.

Vgl. beispielsweise Dieter Lesage: Weird translations. On language, nationalism, federalism and postcolonialism in Belgium. http://translate.eipcp.net/strands/04/lesage-strands01

Geert Lovink: Dark Fiber. Auf den Spuren einer kritischen Internetkultur. Bonn 2003, S. 117.

Ebd., S. 118.

Lev Manovich: "The Language of New Media". In: nettime (Hg.): Readme! New York 1999, S. 46.

Published 16 May 2006
Original in German
First published by Springerin 2/2006

Contributed by Springerin © Krystian Woznicki/Springerin Eurozine

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