Hinter den Kulissen

Eine Typologie von Oligarchen

Seit beinahe zwanzig Jahren sind die Oligarchen-Clans wesentlich am Aufbau der ukrainischen Gesellschaft, wie sie sich heute darstellt, beteiligt. Sie sind ein Produkt der Umverteilung des ehemals sowjetischen Eigentums und haben die traditionell geprägten Roten Direktoren” abgelöst. Die einander an der Macht abwechselnden Oligarchen-Clans tragen die Verantwortung für den Verfall der ukrainischen Politik, der im Winter 2013/14 schließlich zu Gewalt und Blutvergießen geführt hat. Allerdings wären die Erfolgschancen für die Proteste ohne jene Oligarchen, die sich auf die Seite der Opposition gegen Wiktor Janukowytsch geschlagen haben, wohl kaum so hoch gewesen.

Interior of main building of Mezhyhirya, the former residence of ex-president Viktor Yanukovich, now open to the public. Photo:karnizz/Shutterstock. Source:Shutterstock

Markenzeichen der ukrainischen Oligarchen ist eine Ansammlung von Attributen unterschiedlichen Kalibers, die ihren Status und ihren Einfluss bestimmen. Dazu gehören Anteile an Massenmedien, Fußballklubs, Beziehungen zur Kirche, Privatflugzeuge und Abgeordnetenmandate ebenso wie Kunstsammlungen. Außer mit ihren beträchtlichen finanziellen Ressourcen üben die Oligarchen auch mit dieser Art Kapital Einfluss auf die Politik des Landes aus, sprich sie verdienen mit Politik Geld und schaffen so einen geschlossenen Kreislauf der Bereicherung.

Prozesse führen die Oligarchen lieber in London, da sie der heimatlichen Justiz, die sie seit vielen Jahren korrumpieren, nicht trauen. Ihre Kinder schicken sie zur Ausbildung in das Schweizer Privatinternat “Le Rosey” oder an die London School of Economics, weil sie vom einheimischen Bildungssystem nichts halten. Von der Außenwelt schotten sie sich durch Dutzende Leibwächter ab, weil sie an Sicherheit in einer Gesellschaft, die sie durch Korruption zugrunde richten, nicht glauben. Den Sommer verbringen sie auf ihrer Jacht im Mittelmeer, auf Sardinien oder an der Côte d’Azur, den Winter im französischen Courchevel. An ihrem Geburtstag lassen sie sowjetische Schlagerstars oder ehemalige Idole aus dem Westen auftreten. Am genauesten hat dieses Phänomen der ehemalige amerikanische Botschafter in Kiew John Herbst in einem Gespräch mit mir beschrieben: “Der schönste Ort, um den Reichtum, den man seinen Mitbürgern gestohlen hat, zu genießen, ist nicht die Ukraine, sondern Paris, London oder New York.”

Als ersten ukrainischen Oligarchen könnte man Aleksander Wolkow betrachten, der einer der Architekten des Sieges von Leonid Kutschma bei der Präsidentenwahl 1994 war. Kutschma war damals Oppositionskandidat und verfügte über keine ihm loyalen Medien. Wolkow, dem der Fernsehkanal “Gravis” – einer der ersten Privatfernsehkanäle – gehörte, stellte Kutschma diesen als Plattform zur Verfügung und wurde in der Folge mit dem Amt des persönlichen Referenten des Staatspräsidenten belohnt. Zum Dienstantritt erschien er, wie er später prahlend berichtete, mit einem Mercedes 600 und einer Rolex am Handgelenk.

Wolkows Ruf war nicht ganz untadelig. Er war in sowjetischer Zeit vor- bestraft und widmete sich nach dem Zerfall der Sowjetunion unterschiedlichen Geschäften. In Belgien wurde gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet. Obwohl Wolkow seinen Posten beim Präsidenten später verlor, mischte er noch viele Jahre lang in der Politik mit. 2004 vermittelte er zwischen Boris Beresowski und Julija Tymoschenko und trug damit zur Finanzierung der Orangen Revolution bei. Und selbst heute, zwanzig Jahre nach der Wahl Kutschmas, ist er noch immer Abgeordneter im ukrainischen Parlament, wo er stellvertretender Vorsitzender des Budgetausschusses ist.

Der zweite Oligarch der anbrechenden Ära der primären Kapitalakku- mulation war Wadym Rabinowytsch, der großen Einfluss auf den Fern- sehkanal 1+1 ausübte. Da er es aber verabsäumte, sein Interesse durch den Erwerb eines entsprechenden Aktienpakets nachhaltig abzusichern, und sich auf die Vermarktung der Werbezeiten beschränkte, verlor er mit der Zeit diesen Einfluss. Instruktiv ist das Buch Der Oligarch des deutschen Journalisten Jürgen Roth, in dem es um Rabinowytschs Beziehungen zu kriminellen Kreisen, zu Waffenhandel und anderen Geschäften geht.

Eine Einteilung der Oligarchen in verschiedene Kategorien wird in gewisser Weise immer willkürlich sein, da ihr gesellschaftlicher Status informell ist und durch keinerlei Rechtsnormen definiert wird. Dennoch kann man in der heutigen Ukraine drei Typen von Oligarchen unterscheiden, je nach den Ausgangsbedingungen, die ihnen diesen Aufstieg ermöglicht haben: regionale Oligarchen, Gasoligarchen und Familienoligarchen (Verwandte der Präsidentenfamilie).

Regionale Oligarchen: Rinat Achmetow, Ihor Kolomojskyj, Kostiantyn Schewago

Der reichste Ukrainer und seiner Herkunft nach Tatare Rinat Achmetow (mit 15,4 Milliarden Dollar nahm er Anfang 2014 auf der Forbes-Liste Platz 47 ein) ist einer der engsten Vertrauten des geflüchteten Ex-Präsidenten Janukowytsch.

Achmetow gilt zu Recht als der “König des Donbas” – hier zählt sein Wort mehr als alles andere, und in seinen Betrieben arbeiten Hunderttausende Menschen. Im Westen mag man sich über die Geschichte seines Aufstiegs zum Milliardär wundern. 1995 wurde sein Freund Alik Grek, eine kriminelle Autorität, in einem Fußballstadion von einer Bombe zerrissen. Die Leiche eines der mächtigsten Männer dieser Zeit konnte nur anhand der Armbanduhr identifiziert werden, die an einem seiner weggerissenen Arme geblieben war. Achmetow übernahm im Clan das Ruder und häufte in anderthalb Jahrzehnten ein Kapital an, das die Summe der Aktiva von Rupert Murdoch und Ronald Lauder übersteigt.

Im heutigen ukrainischen Parlament kontrolliert Achmetow etwa fünfzig Abgeordnete, zu denen auch sein ehemaliger Fahrer, der Chef seines Sicherheitsdienstes und der Anwalt der Familie gehören. Diese Gruppe unterstützte bis zuletzt alle diktatorischen Launen von Präsident Janukowytsch, die schließlich in Blutvergießen und den Tod von mehr als hundert Bürgern mündeten.

Während er das eigene Land dem eurasischen Projekt preisgab, bevorzugt er für den persönlichen Gebrauch die westlichen Länder. Er ist Eigentümer der teuersten Wohnung der Welt: Für seine dreistöckige Londoner Bleibe hat er mehr als 200 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt. Hier in London leben auch seine Frau und seine beiden Söhne, von denen einer studiert und der andere die Londoner Firma Achmetows leitet. Büros unterhält er auch in Den Haag und Genf, und kürzlich hat er sich im französischen Skiort Courchevel, der Lieblingsdestination der russischen Neureichen, für 30 Millionen Dollar ein Chalet zugelegt. Obwohl er aufgrund seiner zweifelhaften Vergangenheit Einreiseverbot in die USA hat, konnte er im Bundesstaat West Virginia ein Kohleunternehmen erwerben, für das er eine Milliarde Dollar bezahlte.

Achmetow wurde noch unter Präsident Leonid Kutschma zum Oligarchen. 1996 kommt ein weiterer einflussreicher Geschäftsmann aus dem Gebiet Donezk ums Leben, der Parlamentsabgeordnete Jewgeni Schtscherban. Die Karten auf dem Markt der Kohle- und Metallindustrie werden neu gemischt. Um die regionalen Eliten nicht zu beunruhigen, ernennt der damalige Ministerpräsident Pawlo Lasarenko den Achmetow nahestehenden Wiktor Janukowytsch zum ersten stellvertretenden Chef der Oblast-Administration. Ein Jahr später, 1997, übernimmt Janukowytsch dann das allerhöchste Amt im Oblast. Die nächsten fünf Jahre stehen unter dem Zeichen der von Janukowytsch begünstigten Steigerung der finanziellen und politischen Macht von Achmetows Clan.

2002 finden Parlamentswahlen statt, bei denen der Block der herrschenden Parteien nur auf den dritten Platz kommt – und auch das nur dank des hervorragenden Wahlergebnisses im Oblast Donezk. Achmetows Clan sieht die Stunde gekommen, dem Präsidenten vorzuschlagen, Wiktor Janukowytsch zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Trotz seiner kriminellen Vergangenheit – Janukowytsch wurde zweimal wegen Raubes und Körperverletzung verurteilt – bestätigt das ukrainische Parlament seine Kandidatur. Damit war der Grundstein für die Karriere des künftigen ukrainischen Diktators gelegt.

Mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Janukowytsch beginnt für Achmetow ein “Goldenes Zeitalter”. Mithilfe seines Schützlings sowie der Stimmen seiner Abgeordneten setzt Achmetow ein Gesetz durch, das die Privatisierung der Bergwerksindustrie in seinem Sinne regelt. Die gesamten Eisenerzvorkommen gelangen ohne öffentliche Ausschreibung in die Hände einiger weniger Menschen. Achmetow verfügt nun über gigantische Rohstoffe für seine Hüttenwerke. 2004, wenige Monate vor dem Ende der Amtszeit von Präsident Kutschma, kauft Achmetow, wiederum ohne öffentliche Ausschreibung, eines der größten Eisenhüttenkombinate, Kryworischstal (Krywyj Rih), wobei er sich den Schwiegersohn des Präsidenten, Wiktor Pintschuk, zum Partner nimmt. Wie lächerlich der Kaufpreis von 800 Millionen Dollar war, wird ein Jahr später klar, als nach der Orangen Revolution dasselbe Unternehmen nach einer korrekten Ausschreibung für 4,2 Milliarden Dollar an den indischen Unternehmer Lakshmi Mittal weiterverkauft wird.

Während der Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko in den Jahren 2005 bis 2010 verliert Achmetow zwar Kryworischstal, wird aber Miteigentümer von Venco Prykerchenska, einem Unternehmen, das im Schwarzen Meer Gas fördert. Nach dem Amtsantritt von Präsident Janukowytsch beginnt allerdings eine besonders glückliche Periode: Achmetow übernimmt nach undurchsichtigen Ausschreibungen eine Reihe privatisierter regionaler Energieversorger, die beiden Wärmekraftwerksgiganten Dneproenergo und Sapadenergo, er wird zum Gesellschafter des Iljitsch-Eisenhüttenkombinats in Mariupol und kauft einem fiktiven österreichischen Eigentümer den Telekommunikationsriesen Ukrtelekom ab. Von den Mitgliedern der neuen Regierung unterhielt Achmetow Beziehungen zum späteren Interimspremier Arsenij Jazenjuk, der keinerlei Schritte unternahm, um seinen Geschäftsinteressen Schranken zu setzen.

Der zweite Oligarch, dessen Machtbasis regional verankert ist, ist Ihor Kolomojskyj, dessen Interessen sich auf den Oblast Dnipropetrowsk konzentrieren. Nach dem Zerfall der Sowjetunion handelte er mit Computern. Eines seiner ersten Unternehmen benannte er nach der Insel Sentosa in Singapur. Die von ihm Anfang der Neunzigerjahre gegründete Privatbank wurde zur Basis seines Imperiums, das er sich mit einem anderen Geschäftsmann aus Dnipropetrowsk, Hennadij Boholjubow, teilt. Heute ist sie die größte Bank der Ukraine, was Kolomojskyj gegen Repressionen von Seiten Janukowytschs unverwundbar gemacht hat: Fühlt er sich in die Enge gedrängt, kann er das Finanzsystem des Landes einfach zum Einsturz bringen.

Neben der Bank kontrolliert Kolomojskyj seit vielen Jahren Ukrnafta, das sich mit der Gewinnung, Verarbeitung und dem Verkauf von Erdölprodukten befasst. Obwohl der Staat ein Aktienkontrollpaket hält, war die Regierung noch immer mit der Ernennung von Managern, die die Interessen der Privatbank vertreten, einverstanden.

Kolomojskyj stellte sich gleich nach dem Beginn des Maidan offen auf die Seite der Opposition. Als Führungspersönlichkeit der jüdischen Gemeinde in der Ukraine zerstörte er den Mythos vom starken Einfluss der Nationalisten und Antisemiten in der neuen Regierung. Trotz äußeren Drucks war sein Fernsehkanal 1+1 auf Seiten der Demokratie, und auch seine Leute, wie Gennadi Korban und Boris Filatow, unterstützten den Maidan in Dnipropetrowsk.

Kolomojskyj besetzte die Oppositionsrolle, weil Janukowytsch nach der Übernahme des Präsidentenamts die Interessen der regionalen Eliten in Dnipropetrowsk vernachlässigt hatte. Als Gouverneur setzte Janukowytsch einen Manager aus Achmetows Donezker Konzern ein. Die Dnipropetrowsker, die davor viele Jahre lang die Ukraine regiert hatten, empfanden dies als Ohrfeige und ließen die Möglichkeit, es Janukowytsch heimzuzahlen, nicht ungenutzt. Nach dessen Sturz rückte Kolomojskyj an die Spitze des Oblast auf. Gerechtfertigt wurde die Ernennung des Oligarchen zum Gouverneur mit der Notwendigkeit, die separatistischen Stimmungen in der Region zu ersticken.

Noch ein Oligarch, der gleichzeitig Parlamentsabgeordneter ist und dessen Firmensitz sich im Oblast Poltawa befindet, nämlich Kostiantyn Schewago, unterstützte, wenn auch nicht so offen, die Revolution. Er verbringt seit langem die Hälfte seiner Zeit in London, wo seine Kinder studieren. Um in der britischen Gesellschaft Fuß zu fassen, finanziert er Alphabetisierungskampagnen in den Armenvierteln von London. Schewago selbst schwieg während der Revolution, aber seine persönliche Rechtsberaterin Anschelika Labunska ergriff für die Protestierenden das Wort, und sein ehemaliger Manager Oleh Babajew, nunmehriger Bürgermeister der Stadt Krementschug, sprach im Stadtrat Janukowytsch sein Misstrauen aus.
Schewago gehört das Bergbau- und Aufbereitungskombinat Poltawa, dessen Aktien an der Londoner Börse gehandelt werden. Öffentlicher Handel mit Aktien ist im Übrigen unter den größten ukrainischen Oligarchen eine Ausnahme. Außerdem ist Schewago Eigentümer des Fußballklubs Worskla. Im Medienbereich verfügt er über keine großen Ressourcen, hat aber die Gründung der Zeitung Gazeta poukrainski und der Zeitschrift Krajina unterstützt.

Im Unterschied zu vielen Oligarchen, die auf direkte politische Betätigung verzichtet haben, ist Schewago Abgeordneter, doch ist seine Anwesenheit im Parlament rar. Nur an 5 % der Sitzungen hat er teilgenommen, keinen einzigen Gesetzesvorschlag eingebracht, und kein einziges Mal hat er am Rednerpult gestanden. Das Mandat ist für ihn nur ein Schutz – Parlamentsabgeordnete dürfen in der Ukraine ohne Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten selbst dann nicht verhaftet werden, wenn sie auf frischer Tat ertappt werden.

Gasoligarchen: Igor Bakai, Julija Tymoschenko, Dmitro Firtasch

Die Gaslieferungen an die Ukraine waren und sind der Boden, auf dem oligarchische Clans bestens gedeihen. Das in dieser Branche zirkulierende Geld floss unweigerlich auch in die Politik.

Mitte der Neunzigerjahre bildeten sich gleichzeitig mehrere große Konzerne, die sich auf den Export russischen und zentralasiatischen Gases spezialisierten. Einer der ersten Gasoligarchen war Igor Bakai, Absolvent einer forstwirtschaftlichen Fachschule. Er gründete die Unternehmen Respublika und Intergas, die den Brennstoff in Turkmenistan kauften. Aufgrund der Wirtschaftskrise nach dem Zerfall der UdSSR wurde das Gas nicht mit Geld, sondern mit Naturalien bezahlt. Geschickt verstand es Bakai, im Rahmen der Bartergeschäfte nach Zentralasien nicht nur dringend benötigte Konsumgüter zu liefern, sondern etwa auch Galoschen, die als verstaubte Ladenhüter in ukrainischen Lagern herumlagen. Und zwar in Mengen, die die Bevölkerungszahl Turkmenistans übertrafen. Die überhöhten Preise, zu denen sie gegen das Gas verrechnet wurden, ließen nicht nur den Oligarchen reich werden, sondern auch die Politiker, die dieses Prozedere abgesegnet hatten.

Mit seinem für damalige Verhältnisse gigantischen Vermögen wurde Bakai erster Chef des staatlichen ukrainischen Energiemonopolisten Naftogaz of Ukraine. Mit der Zeit übernahm er Medienanteile, wie die Zeitung Segodnja oder den Fernsehkanal ICTV. Im Jahr 2000 allerdings wurde Julija Tymoschenko, die in Konkurrenz zu Bakais Gasbusiness gestanden hatte, Vizepremier für Energiefragen. Sie erreichte seine Entlassung. Ein paar Jahre später wurde er unter Kutschma Leiter der Wirtschaftsabteilung der Präsidentenadministration und tat sich dabei durch illegale Veräußerung von Staatseigentum hervor. Nach der Orangen Revolution flüchtete er nach Russland, wo er von Putins Gnaden die russische Staatsbürgerschaft annahm.

Weit dramatischer verlief das Schicksal der Gasoligarchin Julija Tymoschenko. 1995 wurde Pawlo Lasarenko Erster Vizepremier der Ukraine, und Julija Tymoschenko gründete die United Energy Systems of Ukraine. Ein Jahr später wurde Lasarenko Ministerpräsident, was den Status des unter seinen Fittichen stehenden Unternehmens noch festigte. Unter Lasarenkos Schirmherrschaft übernahm es die Gasversorgung in den Regionen der Ukraine, wo sich zahlungskräftige Betriebe befanden, etwa im Oblast Dnipropetrowsk, Heimat sowohl Tymoschenkos als auch Lasarenkos. Im Gegenzug zu seiner Protektion zahlte Tymoschenko an Lasarenko die Hälfte ihrer Einkünfte. Wie das FBI feststellen sollte, überwies sie über eine zypriotische Offshore-Gesellschaft mindestens 100 Millionen Dollar auf seine Transferkonten. Nach dem Rücktritt Lasarenkos als Premier stürzten er und Tymoschenko sich erst recht in die große Politik. Sie führten die Partei Hromada an, die sich zur Opposition gegen den damaligen Präsidenten Kutschma erklärte und auf die Parlamentswahlen vorbereitete. Traditionsgemäß legten die beiden Partner sich eigene Massenmedien zu. Lasarenko und Tymoschenko kontrollierten bzw. finanzierten zu jener Zeit den Fernsehkanal JUTAR sowie die Zeitungen Pravda Ukrainy, Vseukrainskie vedomosti und Kievskie vedomosti. Sie erwarben sogar ein Aktienpaket der unabhängigen Wochenzeitung Zerkalo nedeli, konnten der Redaktionspolitik ihren Stempel allerdings nicht aufdrücken.

Nach dem Einzug ins Parlament blieben sie weiter in der Opposition und setzten sich als nächstes Ziel die für Ende 1999 geplanten Präsidentschaftswahlen. Doch floh Lasarenko schon im Februar des Jahres in die USA, wo er auf die Gewährung politischen Asyls hoffte. Stattdessen klagte man ihn jedoch wegen Geldwäsche an. Ein Geschworenengericht befand ihn letztendlich schuldig und er wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Erst Ende 2012 kam er frei, woraufhin er die amerikanische Regierung bat, ihn nicht in die Ukraine abzuschieben, sondern ihm das Recht zu gewähren, mit seiner jungen Frau, die während seines Prozesses als Dolmetscherin gearbeitet und ihm während seines fünfjährigen Hausarrests drei Kinder geboren hatte, in Amerika zu leben. Im Augenblick der Abfassung dieser Zeilen ist die entsprechende Entscheidung der amerikanischen Behörden noch nicht bekannt, ebenso wie es noch keine gerichtliche Entscheidung über die von der amerikanischen Justiz eingefrorenen 250 Millionen Dollar gibt, die Lasarenko in diversen Offshore- Zonen angelegt hatte.

Während Lasarenko in amerikanischen Gefängnissen saß, machte Tymoschenko in der Ukraine rasant Karriere. Nach der Flucht ihres Chefs sagte sie sich von ihm los, wurde in der Regierung Juschtschenko Vizepremier, dann im Zusammenhang mit der Bestechung Lasarenkos verhaftet und wieder freigelassen, ging in Opposition zu Präsident Kutschma und unterstützte bei den Präsidentschaftswahlen 2004 Juschtschenko. Sie wurde zum Symbol der Orangen Revolution, was ihr 2005 den Posten der Ministerpräsidentin einbrachte. Sie geriet in Konflikt mit Juschtschenkos anderem nächsten Kampfgefährten Petro Poroschenko, verlor so ihr Amt, setzte aber vorzeitige Parlamentswahlen durch und kehrte auf den Posten der Ministerpräsidentin zurück. Die Präsidentschaftswahlen 2010 verlor sie und wurde wegen der angeblich für die Ukraine nachteiligen Gasverträge, die sie mit Russland abgeschlossen hatte, verurteilt. Sie verbrachte zweieinhalb Jahre in Haft, kam unmittelbar nach der Flucht Wiktor Janukowytschs frei und erklärte ihre Absicht, bei den für Mai 2014 angesetzten Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Sie verlor mit weitem Abstand gegen Petro Poroschenko.

Ein anderer einflussreicher Oligarch aus der Umgebung von Wiktor Janukowytsch ist der im März dieses Jahres auf Antrag des FBI verhaftete Dmitro Firtasch. An die absolute Spitze geschafft hatte es der in der Vergangenheit wegen Schmuggels festgenommene ehemalige Feuerwehrmann dank seiner Beziehungen zu dem israelischen Mafiaboss Semjon Mogilewitsch, dessen Name sich auf der Top-10-Liste der vom FBI meistgesuchten Verbrecher findet.

Groß ins Gasgeschäft kam Firtasch, als Jurij Bojko die Leitung von Naftogaz of Ukraine übernahm und Serhij Lewotschkin Erster Persönlicher Referent von Staatspräsident Kutschma wurde. Damit lief der Gasimport aus Zentralasien in die Ukraine über das von Firtasch gegründete zweifelhafte Unternehmen Eural Trans Gas, das Mogilewitsch für ihn in einem ungarischen Dorf hatte registrieren lassen.

Als in der Presse Alarm geschlagen wurde, weil der Profit aus dem Gashandel auf den Konten einer undurchsichtigen Firma landete, wurde das Geschäft von Eural Trans Gas auf RosUkrEnergo übertragen, das die Orange Revolution nicht nur heil überstand, sondern seine Position sogar ausbauen konnte. Man beließ dem Unternehmen nicht nur die zentralasiatischen Lieferungen, sondern positionierte es auch auf dem innerukrainischen Markt, wo es die Aufgaben der staatlichen Naftogaz of Ukraine übernahm.

Firtaschs Probleme begannen, als es ihm nicht gelang, mit Julija Tymoschenko, die ihn 2009 aus dem Markt warf, eine gemeinsame Sprache zu finden. Allerdings konnte er nach Janukowytschs Sieg, zu dessen Sponsoren er gehörte, die Verluste wiedergutmachen. Im vertrauten Kreis gestand Firtasch, dass Janukowytsch 50% all dessen gehört, was Firtasch nach dessen Wahl zum Präsidenten erworben hat.

In den letzten Jahren bemühte sich Firtasch im Westen um Anerkennung trotz seiner zweifelhaften Vergangenheit. Er hat die Ukrainistik-Studien an der Universität Cambridge gestiftet und 2,5 Millionen Dollar für die Errichtung eines Denkmals für die Opfer des Holodomor in der amerikanischen Hauptstadt Washington gespendet. Sogar den britischen Konservativen ließ er über seine Manager Geld zukommen. Im ukrainischen Parlament kontrolliert Firtasch ein Dutzend Abgeordnete, zu denen auch der Chef seiner Leibwache gehört. Und bis zuletzt stellte sich keiner von seinen Leuten gegen den Willen von Janukowytsch. Der Firtasch gehörende größte Fernsehkanal des Landes Inter befand sich während des Maidan unter vollständiger Kontrolle der offiziellen Propaganda.

Im März 2014 wurde Firtasch in Wien auf Antrag des FBI unerwartet verhaftet. Mehr als eine Woche blieb er in Haft und kam erst gegen die in Österreich noch nie dagewesene Rekordkautionssumme von 125 Millionen Euro frei. Die amerikanische Regierung legt ihm fünf Punkte zur Last, darunter Geldwäsche und Nötigung. Firtasch wird beschuldigt, indische Beamte mit mehr als 10 Millionen Dollar bestochen zu haben, um eine Lizenz für den Abbau von Ilmenit, dem Ausgangsstoff für Titan, zu erhalten. In der Folge sollte dieses an die Boeing-Werke in den Vereinigten Staaten geliefert werden. Unter den Mitgliedern der kriminellen Gruppierung befindet sich auch der ehemalige Direktor der umstrittenen Gasfirma Eural Trans Gas, der Ungar András Knopp, der die Verhandlungen über die Titanlieferungen führte und die Bestechungen einfädelte. Die in Amerika erhobenen Anschuldigungen würden für Firtasch eine Haftstrafe von mindestens zwanzig Jahren, eine Geldstrafe in Höhe der Bestechungsgelder sowie die Beschlagnahmung sämtlicher Aktiva in der ganzen Welt bedeuten. Allein die Liste der betroffenen Firmen umfasst elf Seiten. Zum gegebenen Zeitpunkt ist die Entscheidung über eine etwaige Auslieferung Firtaschs noch nicht bekannt.

Familienoligarchen: Wiktor Pintschuk, Petro Poroschenko, Aleksander Janukowytsch

Eine hervorragende Ausgangsbasis für den Aufstieg zum Oligarchen sind verwandtschaftliche Beziehungen.

Das erste Beispiel ist Wiktor Pintschuk, zunächst Partner, dann Ehemann der Tochter von Präsident Kutschma. Als er Jelena Frantschuk kennenlernte, die damals mit dem Sohn eines wichtigen Politikers, nämlich des Ministerpräsidenten der Autonomen Republik Krim, verheiratet war, war Pintschuk allerdings bereits ein ziemlich einflussreicher Geschäftsmann.

Ohne diese Heirat jedoch wären ihm die Geschäftserfolge, wie sie sich ihm auftaten, nachdem er Teil der Präsidentenfamilie geworden war, verwehrt geblieben. Ein Jahr vor dem Ende von Kutschmas Amtszeit kaufte Pintschuk ohne öffentliche Ausschreibung das Eisenlegierungswerk in Nikopol. Und da der Appetit erst beim Essen kommt, kaufte Pintschuk wenige Monate vor dem Abtritt seines Schwiegervaters, wiederum ohne öffentliche Ausschreibung, das gigantische Eisenhüttenwerk Kryworischstal, das dann nach der Orangen Revolution zu einem fünfmal höheren Preis weiterverkauft werden sollte.

Eine der wichtigsten Aufgaben von Oligarchen ist die Reinwaschung ihres Rufs. Nicht alle kümmerten sich darum, aber Pintschuk war der erste, der diese Sache in globalem Maßstab anging. Er hat sich ein Netzwerk auf allerhöchster Ebene geschaffen, indem er als Sponsor der Global Foundation von Bill Clinton auftritt, der er jährlich eine Million Dollar spendet. Außerdem erhält die Stiftung des britischen Ex-Premiers Tony Blair jährlich einen Betrag von 500 000 Dollar und das Programm des israelischen Präsidenten Shimon Peres eine vergleichbare Summe.

Mit der Elite der Welt bekannt zu sein, reicht allerdings nicht aus, um seine Geschäftsinteressen zu schützen. Potentielle Angreifer müssen um diese Beziehungen wissen und von ihren aggressiven Plänen abgeschreckt werden. Diesem Zweck dienen zwei von Pintschuk jährlich organisierte Veranstaltungen: die weltpolitischen Problemen gewidmete jährliche Konferenz Yalta European Strategy (YES) und der Ukrainische Lunch während des Weltwirtschaftsforums in Davos.
Pintschuk hat zwar keinen Fußballklub gekauft, investierte aber mit nicht weniger Ehrgeiz in das nach ihm benannte Zentrum für moderne Kunst in Kiew. Und zur Absicherung gegen Attacken aus der Politik hat er seine Medienholding, zu der die Fernsehkanäle STB, Novy, ICTV und QTV, Musikkanäle, die Zeitung Fakty sowie das Businessportal Delo zählen.

Der zweite Oligarch auf verwandtschaftlicher Basis ist Petro Poroschenko. Er war Gründungsmitglied der Partei der Regionen, unterstützte 2001 jedoch den damaligen Ministerpräsidenten und Reformer Wiktor Juschtschenko und blieb ihm auch während und nach der Orangen Revolution treu. Poroschenko gehört die Schiffswerft Leninska Kuznya sowie die Karl-Marx-Süßwarenfabrik (jetzt Roshen), beide, wie aufgrund der Namen leicht zu erraten, privatisierte ehemalige Staatsbetriebe.

Mit seiner Finanzkraft und seinem oppositionellen Fünften Kanal fasste Poroschenko im Umfeld von Juschtschenko rasch Fuß. Nach dem Maidan 2004 war er einer der beiden aussichtsreichsten Anwärter auf den Posten des Ministerpräsidenten. Juschtschenko setzte aber auf Julija Tymoschenko. Möglicherweise beging Juschtschenko schon an seinem ersten Tag im Präsidentenamt einen verhängnisvollen Fehler, indem er seine politische Konkurrentin mit Regierungsvollmachten ausstattete. Poroschenko blieb das Amt des Sekretärs des Sicherheits- und Verteidigungsrates. In den sieben Monaten, in denen er den Posten bekleidete, platzierte er Dutzende seiner Leute auf strategischen Posten und trat bei einer Reihe von Wirtschaftskonflikten in Erscheinung, bei denen es um die Umverteilung von Eigentum ging.

Im September 2005 wurde Poroschenko der Erpressung beschuldigt, woraufhin Juschtschenko sowohl ihn als auch Tymoschenko entließ. Einige Jahre später kehrte Poroschenko zweimal in die Politik zurück: Noch unter Juschtschenko wurde er Außenminister und unter Präsident Janukowytsch Wirtschaftsminister. 2013 unterstützte Poroschenko den Euromaidan und erklärte 2014 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl, die er im Mai in der ersten Runde gewann.

Der anrüchigste Oligarch, der seinen Status verwandtschaftlichen Beziehungen zu verdanken hat, ist der Sohn des vierten ukrainischen Präsidenten, Aleksander Janukowytsch.

Der älteste Sohn des Präsidenten verkörpert die sogenannte “Familie” in einer der “Familie” Jelzins vergleichbaren Weise. Nach Angaben von Forbes betrug das Kapital des ausgebildeten Zahnarztes im November 2013 eine halbe Milliarde Dollar. Nach inoffiziellen Schätzungen lag der tatsächliche Wert seines Vermögens jedoch sechs- bis achtmal höher.

Aleksander Janukowytschs Einfluss ging weit über seine Rolle als Geldbeschaffer der “Familie” hinaus. So sollen die staatlichen Gewaltorgane und sogar die Scharfschützen, die den Maidan auseinandergetrieben haben, unter seiner Kontrolle gestanden haben.

Die “Familie” Janukowytschs hatte nach dem Vorbild des frühen Roman Abramowitsch auch ihren eigenen Kassier, nämlich Serhij Kurtschenko, auch wenn dessen Aufstieg nicht so weit führte wie jener des Vorbilds. Kurtschenkos Methode beruhte auf dem Schmuggel von Erdölprodukten. Seine auf fremde Namen eingetragenen Unternehmen führten Benzin ein, das aufgrund fiktiver Dokumente zum Reexport bestimmt war, wodurch keine Steuern zu zahlen waren, während es in Wirklichkeit über ein Netz von Tankstellen in der Ukraine verkauft wurde. Außerdem war Kurtschenko in Geschäfte mit Flüssiggas verwickelt. Im Haus des ehemaligen Generalstaatsanwalts Wiktor Pschonka wurden unter anderem Papiere gefunden, die darauf hinweisen, dass er der Pate dieser Branche war. In internen Papieren war von untergebenen Beamten auch vermerkt worden, dass Kurtschenko Schulden nicht zurückzahlte und sich dabei auf die Protektion durch den Generalstaatsanwalt berief.

Der “Familie” ist es gelungen, auch im Westen Wurzeln zu schlagen. Janukowytschs Sohn eröffnete Firmen in Genf, die mit Kohle – auch solcher aus illegalen Bergwerken – handelten, während Kurtschenko in Deutschland ein Tankstellennetz kaufte. Nach der Flucht des Präsidenten im Februar 2014 wurden all diese Geschäfte genau ins Visier genommen. Zudem hatte sich die “Familie” mehrere Medienholdings zugelegt, indem sie unter anderem Partner des amerikanischen Verlags Forbes wurde. Gleich nachdem die “Familie” Janukowytschs dort in ihre Rechte eingesetzt wurde, begannen Zensurmaßnahmen, die einem Dutzend Journalisten den Job kosteten.

Nach der Flucht Janukowytschs hat die EU gegen seinen Sohn und auch gegen Kurtschenko Sanktionen erlassen, ihre Konten und Aktiva beschlagnahmt. Kurtschenko selbst verschwand zuerst, wurde zur Fahndung ausgeschrieben und tauchte dann in Russland auf, voller Pläne, seine Aktivitäten unter den neuen Schirmherren fortzusetzen. Kurtschenkos Büro in Kiew wurde geschlossen, aber die Journalisten fanden in den Papierkörben die geschredderte Finanzdokumentation seines Korruptionsimperiums.

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Dem oligarchischen Regime in der Ukraine liegt ein geschlossener Zirkel zugrunde. Das Großkapital beginnt die Politik zu finanzieren, wodurch es die Möglichkeit bekommt, die Regierung zu beeinflussen. Konkret geschieht dies durch die Einsetzung von Protegés in wichtige Ämter, die sodann für eine Umverteilung der gesellschaftlichen Ressourcen zum Vorteil des jeweiligen Clans sorgen.

Umverteilt werden Eigentums- und Verfügungsrechte an ursprünglichem Staatseigentum mittels intransparenter oder konkurrenzfreier Ausschreibungen. So geschehen im Falle der Privatisierung von Kryworischstal im Interesse der Holding von Wiktor Pintschuk und Rinat Achmetow oder der Privatisierung der Ukrtelekom zum Nutzen der “Familie” Janukowytschs. Dasselbe gilt auch für Verfügungsrechte ohne formelle Privatisierung, wie bei der Übergabe von Titanlagerstätten an Dmitro Firtasch.

Auch um die Verteilung finanzieller Ressourcen des Staates geht es. So etwa, wenn der Staat seine Ankäufe zum Vorteil bestimmter oligarchischer Clans tätigt. Ein typisches Beispiel sind die staatlichen Kohlekraftwerke, die ihren Brennstoff in den Betrieben Achmetows und der “Familie” Janukowytschs einkaufen.

Darüber hinaus werden auch immaterielle Werte, aus denen die Clans Geld machen, verteilt, etwa Frequenzen oder Lizenzen. So wurden Abbaulizenzen für Bodenschätze und Gas an den Familienclan von Janukowytsch vergeben oder Fernsehfrequenzen an Medienunternehmen, die unter seiner Kontrolle stehen.

Ihren politischen Einfluss üben die Oligarchen über mehrere Kanäle aus.

Am ergiebigsten ist es in einer Präsidialrepublik, wenn man jemanden von den eigenen Leuten auf den Sessel des Staatspräsidenten hievt. Auf diese Weise entstanden die Imperien von Wiktor Pintschuk und Aleksander Janukowytsch. Auch Rinat Achmetows Unternehmensgruppe machte einen Riesensprung, als seine Kreatur Wiktor Janukowytsch zum Präsidenten gewählt wurde. Sein eigenes Abgeordnetenmandat wurde daraufhin zweitrangig. Tatsächlich legte Achmetow 2012 sein Mandat nieder, wobei er in den fünf Jahren als Parlamentarier insgesamt nur bei einer (!) Sitzung der Verchovna Rada anwesend gewesen war, und zwar bei der allerersten, als er den Text seines Amtseides unterschreiben musste. Aleksander Janukowytsch war überhaupt nie Abgeordneter.

Eine zweite Art des politischen Einflusses ist die Delegierung von Vertretern ins Parlament. Diese verteidigen die Interessen der entsprechenden Gruppierung sowohl in der Gesetzgebung, indem sie eine Lobby für die benötigten Gesetze bilden, als auch in der Regierung, sofern die Verfassung zum gegebenen Zeitpunkt eine Mischform von Präsidialrepublik und parlamentarischer Republik vorsieht. Neben passenden Ministern ist es für die Oligarchen wichtig, ergebene Leute auch an den Schaltstellen der staatlichen Regulierungsbehörden zu haben, egal, ob es um den Energiemarkt oder die Telekommunikation geht.

Ebenso ist es für die oligarchischen Clans von Bedeutung, dass sie in den staatlichen Gewaltorganen ihre Vertreter haben. Rinat Achmetow hatte seinen ersten stellvertretenden Generalstaatsanwalt Renat Kusmin, Petro Poroschenko hatte Wiktor Schokin, und Pawlo Lasarenko hatte Grigori Worsinow.

Sich einen eigenen Fußballklub zu kaufen, dient nicht nur der Befriedigung des persönlichen Ehrgeizes, sondern auch als Möglichkeit, das Volk zu erreichen. Fußball ist eine Kommunikationsplattform, eine solide Grundlage für Beliebtheit in der jeweiligen Region. Wenn man hinzunimmt, dass ein Oligarch in seinen Betrieben möglicherweise Zehn-, wenn nicht Hunderttausende Wähler beschäftigt, so steht dadurch seiner Wahl zum Parlamentsabgeordneten – oder der seiner Manager – nichts mehr im Wege.

Zudem kann man als Eigentümer eines Fußballklubs die öffentliche Meinung hervorragend manipulieren, indem man im Bewusstsein der Menschen die Interessen des Oligarchen mit jenen des Klubs, und somit mit jenen der ganzen Region, gleichsetzt und auf diese Weise auf Regionalpatriotismus setzt. Ein Musterbeispiel für diese Methode bietet der Klub Schachtjor Donezk, den sein Eigentümer Rinat Achmetow dazu benutzt, sich die Sympathie der Bevölkerung in der Region zu sichern.

Ein dritter Faktor, neben dem Einfluss auf Politik und Bevölkerung, ist der Einfluss, der auf die Medien ausgeübt wird. Diese können instrumentalisiert werden, um ein bestimmtes politisches Ziel zu erreichen. So spielte der Fernsehkanal Inter 2009 eine entscheidende Rolle im Wahlkampf von Wiktor Janukowytsch. Medien können aber auch in den Dienst konkreter Geschäftsinteressen gestellt werden, wie 2005, als Wiktor Pintschuk mithilfe des Fernsehkanals ICTV die Attacken der Regierung Tymoschenko abwehren konnte, die das Eisenlegierungskombinat in Nikopol wieder verstaatlichen wollte.

Durch die parallele Beeinflussung von Regierung, Bevölkerung und Massenmedien stehen den Oligarchen mächtige Mittel zur Verfügung, die eigenen Interessen zu fördern.

Wirksame Mittel zur Beseitigung des oligarchischen Einflusses könnten ein Antimonopolkomitee sein sowie eine zu schaffende nationale Untersuchungsbehörde, die sich dem Kampf gegen die Korruption auf höchster und mittlerer Ebene verschreibt.

Hilfreich bei der Bekämpfung der Oligarchie wäre auch eine Infrastruktur zum Schutz der Medien vor Missbrauch durch die oligarchischen Clans. Dies könnte vor allem durch die Gründung eines sowohl von der Regierung als auch von den großen wirtschaftlichen Interessen unabhängigen öffentlichen Fernsehkanals erreicht werden. Durch objektive Berichterstattung könnte ein solcher Fernsehkanal ein Korrektiv für die gesamte Branche sein. Sobald es nämlich einen unabhängigen Sender gäbe, müssten auch die Medien, die in der Hand der Oligarchen sind, ihre allzu einseitige Berichterstattung aufgeben, sofern sie nicht an Reichweite verlieren wollen.

Eine weitere Maßnahme zur Zurückdrängung der Oligarchen wäre ein Transparenzgesetz für die Medien, sodass das Publikum wüsste, wem letztendlich dieses oder jenes Medium gehört. Im letzten Jahr von Janukowytschs Herrschaft sind mehrere Zeitungen und Fernsehkanäle mit undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen auf den Markt gekommen. Erst nach dem Zusammenbruch des Regimes wurde klar, dass hinter der Zeitung Kapital der erste Vizepremier und Kassier von Janukowytschs “Familie” Serhij Arbusow, und hinter dem Fernsehkanal 112 der ehemalige Innenminister Witalij Sachartschenko steht.

Die Lösung des Problems der Oligarchie erfordert eine umfassende und langfristige Strategie. Möglicherweise werden mehrere Generationen daran arbeiten müssen, doch gibt es keine Alternative dazu, wenn die Ukraine eine gerechte Gesellschaft aufbauen möchte, in der die europäischen Werte und nicht die Interessen von einigen wenigen “Familien” im Vordergrund stehen sollen.

Published 15 October 2014
Original in Russian
Translated by Harald Fleischmann
First published by Transit 45 (2014) (German version); Eurozine (English version)

Contributed by Transit © Serhii Leshchenko / Transit / Eurozine

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