Editorial "Gegenworte" 16 (2005)
Die Orte, an denen Wissenschaft zu Tage tritt, die Orte, an denen Wissenschaft erzeugt wird, die Orte, an denen über Wissenschaft gesprochen wird sind ebenso verschieden wie vielfältig. Dass sich die gesamte Genese des Phänomens Wissenschaft am selben Ort ereignen könne, ist ziemlich unwahrscheinlich und konnte bislang auch nicht beobachtet werden.
Was man über die Orte der Wissenschaft gegenwärtig aus verschiedener Perspektive und in verschiedenen Hinsichten beobachten konnte, haben wir ansatzweise und im Überblick hier durch verschiedene Autoren zusammentragen lassen. Dabei war schon die Wahrnehmung dessen, was die eine oder der andere für einen “Ort” hält, bemerkenswert. Die verschiedenen Welten der Fächer und Disziplinen enthüllen sich bei so “harmlosen” Fragen völlig unverstellt. Wie immer hätte man sich wesentlich mehr gewünscht, Eingehenderes, Originelleres. Wie immer mussten wir Zugeständnisse machen und Abstriche, um am Ende dann doch zufrieden auf das Gesamte sehen zu können.
Insofern ist auch dieses Heft wieder ein echtes “Gegenwort” geworden – also, im Sinne des Beginns dieses Projekts vor acht Jahren, eine Sammlung von bald ausformulierten, bald nur skizzierten, bald flüchtigen Blicken auf die Wissenschaft, die insgesamt geeignet sind, die Sicht zu verändern. Nicht weil sie dem Herkommen und der Tradition widersprochen hätten – es waren eben keine Wider-Worte und schon erst recht nicht Wider-Sprüche – sondern weil die Worte von (sehr oft) Nichtwissenschaftlern oder (häufig) wissenschaftsbeobachtenden Wissenschaftlern durch ihre Distanz Räume eröffneten, die für die professionellen Raumpfleger unzugänglich bleiben.
Naturgemäß hat dieses Unternehmen als ein vom Präsidenten betriebenes und von zahlreichen Mitgliedern unterstütztes Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 16 Editorials erfordert und erzeugt – viele also jedenfalls, zu viele vielleicht. Denn es ist durchaus zu erwägen, ob es nicht allmählich genug sein müsste mit den schrägen Blicken und den Gegen-Worten. Ob die Idee nicht verbraucht ist, ob nicht statt der Texte über Wissenschaft, Texte der Wissenschaft den Raum und den Ort in Anspruch nehmen sollten. Projekte sind keine Daueraufgaben und sollen es auch nicht sein. Das ist die ihnen vorgegebene Seinsweise. Der Ort sollte gewechselt werden, wohl auch – als erledigt – verschwinden.
Gedanken dieser Art sind, wie das häufig das Schicksal von Gedanken ist, überholt und erübrigen sich, wenn die Umstände die Orte regieren. So auch hier. Durch den Wechsel im Präsidentenamt an der Spitze der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sind die präsidialen Projekte der Vergangenheit erst einmal per se geschlossen. Über den Ort und seine spätere Nutzung oder Nichtnutzung ist erst in Zukunft zu entscheiden.
Fürs erste wird – mit nachdrücklichem Lob an Hazel Rosenstrauch, die schwer ermüdbare Redakteurin, mit herzlichem Dank an die zahlreichen Berater, Mitschreiber und Mithelfer und freundlichem Gruß an die verstreuten Leser – die zu Gegenw’orte führende Pforte ohne Jubel und ohne Trauer sanft geschlossen.
Published 12 December 2005
Original in German
Contributed by Gegenworte © Gegenworte Eurozine
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