Die üblichen Verdächtigen
Die russische Propagandamaschinerie und die extreme Rechte im Westen
Anton Shekhovtsov zeichnet nach, wie kremlfreundliche Kräfte über lokale Aktivisten und Politiker Einfluss auf politische Prozesse in den westlichen Demokratien zu nehmen versuchen und wie sich rechtsextreme Gruppierungen überall in Europa und den USA zunehmend russischer Webhosting-Services bedienen, um antiwestliche Propaganda zu verbreiten.
Anfang August 2008 gelang es von Russland unterstützten Separatisten in der georgischen Region Südossetien, den damaligen Präsident Georgiens, Micheil Saakaschwili, dazu zu provozieren, die Separatistenhochburg Zchinwali anzugreifen und zu besetzen. Am 8. August begann Russland einen Krieg gegen Georgien – Moskau nannte ihn „eine friedenssichernde Maßnahme“ – und errang innerhalb von fünf Tagen den Sieg, wobei es Südossetien und im gleichen Zuge noch eine weitere georgische Region, nämlich Abchasien, besetzte. Russische ultranationalistische Journalisten begrüßten diesen Blitzkrieg; manche von ihnen behaupteten sogar, dass der Krieg Russland in eine echte souveräne Macht verwandelt habe, die „ihre Politik auf unabhängige Weise bestimmen“ könne und „über die Mittel zu ihrer Durchsetzung“ verfüge.
Eine überwältigende Mehrheit der russischen Bürger unterstütze den Kurs ihrer Regierung. Einige beschuldigten Saakaschwili, den Konflikt heraufbeschworen zu haben, während andere den USA Versuche, Einfluss auf die russischen Nachbarn zu nehmen, vorwarfen. In den folgenden Monaten diskutierten viele russische Politiker, Experten und Staatsvertreter allerdings ein ganz besonderes Paradoxon: Russland hat den Krieg gegen Georgien zwar mit Leichtigkeit gewonnen, den Informationskrieg jedoch verloren, was bedeutete, dass es daran gescheitert ist, die internationale Gemeinschaft von der Richtigkeit der Invasion Georgiens durch Moskau zu überzeugen. Manche Kommentatoren schrieben dieses Paradoxon den Fehlern der militärischen Führung zu. So durften beispielsweise nur russische Journalisten von den russischen Stellungen berichten, während die Georgier Journalisten diverser internationaler Nachrichtenagenturen akkreditierten; die russische Militärpresse blieb für mehrere Tage nach Beginn der Offensive stumm, während – mangels anderer Informationen – offizielle georgische Stellen auf dem internationalen Medienparkett deutlich sichtbarer waren.
Gleb Pawlowski, der zu jener Zeit einer der zentralen „Polittechnologen“ – was in etwa politischen Strategen entspricht – des Kremls war, behauptete, dass „Russlands Niederlage im Informationskrieg mit den westlichen Medien“ dem Fehlen globaler russischer Medien geschuldet gewesen sei. Andere Kommentatoren waren sogar noch pessimistischer und beklagten, dass die Westler ohnehin eher dem Glauben schenken würden, was Georgier, Litauer, Esten oder Ukrainer erzählten, als dem, was die Russen zu sagen hätten. Ein weiterer Grund für diese Niederlage war die schiere „Macht der westlichen Propagandamaschinerie“ – was sogar Wladimir Putin selbst so einschätzte.
Neben einigen anderen Analytikern blickte Anatoli Zyganok, der Leiter des Moskauer Zentrums für Militärprognosen, mit einem schärferen und praxisorientierteren Blick auf diese Thematik. Ihm zufolge war Russland deshalb der Verlierer des Informationskriegs, weil es auf ihn überhaupt nicht vorbereitet war. Um solche Kriege in der Zukunft gewinnen zu können, müsse Russland, so proklamierte Zyganok, „Informationsstreitkräfte“ aufstellen, die sich mit „Propaganda, Desinformation und Kooperation mit den internationalen Medien befassen“ sollten. Diese „Informationsstreitkräfte“ sollten Letztere mit einer „vorgefertigten Bildsprache“ versorgen, für die man Autoren und Drehbuchschreiber benötigte.
Das Gefühl, den Informationskrieg zu verlieren beziehungsweise verloren zu haben, trieb die russischen Medien dazu an, händeringend nach westlichen Kommentatoren zu suchen, die die Linie Moskaus im Georgienkrieg verfechten würden. Wichtig festzuhalten ist, dass dies zu jener Zeit keine Vergeltungsmaßnahme gegen die vorherrschende öffentliche Meinung im Westen war, die dem Verhalten des Kremls skeptisch gegenüberstand; vielmehr war die Suche nach prorussischen Positionen im Westen ein Akt der Selbstverteidigung, der auf die Wirkung im eigenen Land zugeschnitten war: Die russischen Medien mussten der russischen Gesellschaft demonstrieren, dass es Menschen im Westen gab, die mit dem russischen Vorgehen in Georgien sympathisierten. Die Verzweiflung war nicht zu übersehen. So entschied sich eine Zeitung, die Nezavisimaya Gazeta, beispielsweise sogar dazu, einen Artikel zu veröffentlichen, der die Kommentarteile diverser spanischer Online-Zeitungen besprach und jeden dort abgegebenen prorussischen Kommentar nachdruckte; dieser Artikel bekam den Titel „Spanische Blogger stehen auf Russlands Seite“.
Zum Glück für die russischen Medien konnten sie auch noch Verbündete von etwas größerer Relevanz als nur zumeist anonyme „Blogger“ aufspüren. Am 20. August 2008 zeigte der Fernsehsender Russia Today ein Interview mit Jeffrey Steinberg, dem Leiter des rechten verschwörungstheoretischen Magazins Executive Intelligence Review, das 1974 vom amerikanischen Faschisten Lyndon LaRouche begründet worden ist. In diesem Interview vertrat Steinberg die Meinung, dass „die russischen Maßnahmen in Südossetien eine Antwort auf einen brutalen Angriff georgischer Kräfte auf russische Bürger [waren]“. Am folgenden Tag, dem 21. August, interviewte Russia Today LaRouche selbst, der behauptete, dass „der georgische Angriff auf Südossetien vermutlich eine von den Briten angeführte Operation mit US-amerikanischer Unterstützung [war]“.
Im Oktober 2008 machten die russischen Medien einen neuen westlichen Verbündeten des Kremls aus, nämlich Heinz-Christian Strache, den Vorsitzenden der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs. Dieser nahm im selben Monat an einer Konferenz namens „Europa-Russland-Georgien“ teil, die von der Austrian Technologies GmbH veranstaltet wurde, deren Leitung in den Händen des FPÖ-Mitglieds Barbara Kappel lag. Auf dieser Konferenz äußerte sich Strache kritisch über Saakaschwili, woraufhin die russischen Medien diese Aussagen sofort begierig aufgriffen und ihn mit den Worten zitierten, dass Saakaschwili „ein diktatorisches Regime installiert“ habe, Russland in seinem Krieg gegen Georgien „nicht als Aggressor gehandelt“ habe und dass sich „die EU-Staaten“ in ihrer Reaktion auf das russische Vorgehen in Georgien „nicht zum Erfüllungsgehilfen der USA machen sollten“.
Von der weichen zur dunklen Macht
Das wesentliche Ergebnis der gefühlten russischen Niederlage im vermeintlichen Informationskrieg mit dem Westen war die Neuausrichtung des Fernsehsenders Russia Today im Jahre 2009. Dieser wurde 2005 gegründet; laut seiner langjährigen Chefredakteurin Margarita Simonyan bestanden Ziel und Zweck des Senders darin, „eine Geschichte über Russland zu erzählen und die russische Haltung dazu darzulegen, was in der Welt vor sich geht“. Im Rückblick auf die Gründung des Senders sagte Putin 2013, dass man mit Russia Today „einen weiteren starken Spieler auf die internationale Bühne bringen wollte, einen, der nicht bloß eine ausgewogene Berichterstattung über Ereignisse in Russland anbietet, sondern auch versucht […], das angelsächsische Monopol auf die globalen Informationsflüsse aufzubrechen“. Dessen ungeachtet, scheint Putins Aussage über das „Aufbrechen des angelsächsischen Monopols“ auf einer falschen Erinnerung zu basieren. Vor 2008/2009 war Russia Today ein harmloser Medienkanal, der vom internationalen Publikum weithin ignoriert wurde – ebenso wie der Radiosender namens Stimme Russlands, der 1993 auf Sendung ging und Russlands „weiche Macht“ in diversen Sprachen stärken sollte. Russia Today war weit davon entfernt, „das angelsächsische Monopol aufzubrechen“ oder subversiv zu sein. Die Botschaft des Senders vor 2008 lautete, kurz und bündig formuliert, einfach nur: „Russland ist gut“.
2009 veränderten sich das Konzept und die Botschaft des Senders. Russia Today wurde in „RT“ umgetauft, wenn nicht zur Verschleierung seiner russischen Provenienz, dann doch wenigstens, um Anklang bei einem internationalen Publikum zu finden, das von einem Sender, der buchstäblich nur über Russland heute berichtet, nicht so einfach anzulocken wäre. Die Botschaft des Senders wurde offensiver und könnte mit „Der Westen ist böse; deshalb kann er nicht begreifen, dass Russland gut ist“ umschrieben werden.
Die Neuausrichtung von Russia Today war mit Blick auf die Steigerung der Zuschauerzahlen offensichtlich von Erfolg gekrönt. 2010 sagte Simonyan, dass, solange Russia Today „ein stiller, kaum wahrgenommener Kanal war, der Geschichten aus Russland erzählte, unsere Zuschauerschaft sehr klein war. Als wir anfingen, richtig provokativ zu werden […], wurde unser Publikum immer größer.“
Verbündete finden
Diese Botschaft zu übermitteln war aus den gleichen Gründen schwierig, mit denen die russischen Medien schon während und nach dem Georgienkrieg zu kämpfen hatten: Es gab zu wenige westliche Kommentatoren, die das Narrativ vom „guten Russland“ unterstützten, und noch weniger, die zugleich die Botschaft vom „bösen Westen“ verbreiten wollten. Die Lösung des Problems war allerdings ebenfalls die gleiche: Man suchte Umgang mit rechtsextremen westlichen Aktivisten und Politikern, Verschwörungstheoretikern, Isolationisten und randständigen Bloggern, denen RT eine Plattform gewährte, die in keinem Verhältnis zu ihrer Relevanz in ihren Heimatländern stand.
Die USA wurden zum Hauptangriffsziel von RT. Ilja Yablokov, ein Experte in Sachen russische Medien, brachte dies auf kluge Weise so zum Ausdruck, dass er vorschlug, die verschwörungstheoretischen Ideen auf RT in solche zu unterteilen, die „genuin amerikanische Verschwörungstheorien“ betreffen, und in solche, die mit „verschwörungstheoretische Annahmen über das Verhältnis zwischen den USA und Russland“ zu tun haben. Der erste Typ umfasst Verschwörungstheorien über den 11. September als „inside job“, Behauptungen darüber, dass Barack Obama außerhalb der USA geboren worden und folglich für die Präsidentschaft nicht qualifiziert sei, sowie darüber, dass die USA ein Werkzeug der Neuen Weltordnung seien. RT hat jedoch das Gespräch nicht nur mit amerikanischen, sondern auch mit europäischen Verschwörungstheoretikern gesucht. 2010 lud der Sender beispielsweise das damalige Front-National-Mitglied Aymeric Chauprade als Gast in seine Sendung „9/11: Challenging the official version“ ein, um mit ihm über sein Buch Chronique du choc des civilisations [Eine Geschichte des Kampfes der Kulturen] (2009) zu sprechen, das die „offizielle Darstellung“ der Anschläge vom 11. September in Zweifel zieht.
Die EU wurde ebenfalls zur Zielscheibe. RT versuchte, bestimmte Schwachpunkte in einem vereinten Europa auszuschlachten und – unter Ansprache eines europäischen Publikums – Probleme wie etwa den Zusammenhalt der Eurozone, Einwanderung oder die Integration von Minderheiten noch zuzuspitzen. Die „Berichterstattung“ über diese und andere Themenfelder war ganz offensichtlich tendenziös, da sie darauf abzielte, Europa als unvorteilhaftes und zugrunde gehendes politisches Projekt zu präsentieren, statt sich um eine ausgewogene Darstellung zu bemühen. So hat RT im Jahre 2011 in einer „Reportage“ über ein Treffen der Finanzminister der Eurozone in Brüssel Kommentatoren eingesetzt, die wahrscheinlich nicht einmal zu einem neutralen Blick auf dieses Thema in der Lage gewesen wären: zwei Mitglieder der euroskeptischen UKIP, eines davon ihr damaliger Vorsitzender Nigel Farage, sowie ein Mitglied der rechtsextremen Dänischen Volkspartei, Morten Messerschmidt. Oder betrachten wir die „Reportagen“ über die Ausschreitungen „Hunderter meist migrantischer Teenager“ in Schweden 2013, in deren Rahmen RT ausschließlich Einwanderungskritiker zu Wort kommen ließ: Ingrid Carlqvist und Lars Hedegaard von der rassistischen Zeitung Dispatch International, Gerolf Annemans, den damaligen Vorsitzenden des rechtsextremen Vlaams Belang, und Kent Ekeroth, ein Mitglied der rechtspopulistischen Schwedendemokraten.
Darüber hinaus generierte RT einen ganzen Korpus an fingiertem Expertenwissen. Der Sender bediente sich randständiger, ideologisch motivierter Aktivisten, präsentierte diese als „Experten“ für bestimmte Themen (über die sie tatsächlich kaum oder gar kein Wissen besaßen) und gaben deren Meinungen als fundierte Expertise aus. So konnte der amerikanische Neonazi Richard Spencer für RT und sein Publikum zu einem Experten für Libyen und Syrien werden, der polnische Rechtsaktivist Mateusz Piskorski zu „einem prominenten geopolitischen Analysten“ und der rechtsextreme deutsche Verleger Manuel Ochsenreiter in die Rolle eines „politischen Analysten“ und „Syrien-Experten“ schlüpfen. Andere russische Medien mit internationaler Verbreitung stellten den Charakter ihrer „Experten“ für Außenpolitik ähnlich verzerrt dar, manchmal auf betont zynische Weise. So war Márton Gyöngyösi, eine der Führungsfiguren der rechtsextremen ungarischen Jobbik-Partei, der 2012 in einen Antisemitismusskandal verwickelt war, in dessen Verlauf er anregte, ein Verzeichnis jüdischer Personen zu erstellen, die eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“ Ungarns darstellten, plötzlich ein legitimer Kommentator für die Stimme Russlands zum Thema antisemitische Stimmungen in Ungarn – die, man ahnt es bereits, Gyöngyösi zufolge bloße Einbildungen sind.
Die Stimme Russlands übte eine wichtige Funktion bei der Installation zweier von rechtsextremen Aktivisten geleiteten europäischen Medien aus. 2012 gründete Gilles Arnaud, der ein ehemaliger regionaler Berater des französischen Front National und zugleich Mitglied der rechtsextremen Parti de la France war, den Internetfernsehsender ProRussia.TV, für den er und sein Team 115 000 Euro für das erste Betriebsjahr und 300 000 Euro für das folgende erhielt. ProRussia.TV war in Russland gehostet; sein Logo ähnelte entfernt dem der russischen Regierungspartei „Einiges Russland“. Offiziell war ProRussia.TV das Ergebnis einer Kooperation von Arnauds Agence2Presse mit den russischen Medienorganisationen Stimme Russlands, ITAR-TASS und Interfax sowie mit der iranischen Nachrichtenagentur Mehr. Doch erst mit der Schließung der Stimme Russlands 2014 und der darauffolgenden Einstellung der russischen Unterstützung für ProRussia.TV wurde deutlich, dass der rechtsradikale französische Fernsehsender primär im Zusammenwirken mit der Stimme Russlands entwickelt worden war, mehr als mit jedem anderen Medium. Auf diese Tatsache deutete auch die enge Partnerschaft hin, die zwischen der Stimme Russlands und ProRussia.TV bestand: Beide teilten sich Sendematerial, einige Mitarbeiter waren für beide Sender tätig und Arnauds Ehefrau Sylvie Collet, die ebenfalls der Parti de la France angehörte, moderierte eine wöchentliche Nachrichtensendung, die von ProRussia.TV für die Stimme Russlands produziert wurde.
Eine weitere Nachrichtenquelle der extremen Rechten, die mithilfe der Stimme Russlands entstand, war die Internetseite der Kulturvereinigung Lombardei-Russland. Deren Vorsitzender ist Gianluca Savoni, Sprecher des Chefs der rechten italienischen Lega Nord, Matteo Salvini; den Ehrenvorsitz dieser Vereinigung bekleidet Alexey Komov, ein enger Vertrauter des ultranationalistischen orthodoxen russischen Oligarchen Konstantin Malofejew, der an diversen Initiativen zur Stärkung der Beziehungen zwischen Russland und ultrakonservativen sowie rechtsradikalen Aktivisten im Westen beteiligt war. Die Vereinigung selbst wurde 2014 von Max Ferrari angeführt, der der Lega Nord angehört und Beiträge für das italienischsprachige Programm der Stimme Russlands lieferte, wobei dieser Sender auf der Internetseite der Kulturvereinigung als „offizieller Partner“ aufgelistet wurde. Mittlerweile findet sich an dessen Stelle nun der Sender Sputnik, der die Stimme Russlands 2014 ablöste. Eliseo Bertolasi, ein Korrespondent für das italienische Programm der Stimme Russlands, trug ebenfalls zur Entwicklung jener Vereinigung bei.
Das virtuelle Russland als Hort rechtsradikaler Medien
Am 12. August 2017 steuerte ein Neonazi namens James Alex Fields seinen Wagen in eine Gruppe von Demonstranten, die in der amerikanischen Stadt Charlottesville gegen einen Aufmarsch unter dem Slogan „Unite the Right“ protestierten, bei dem sich Hunderte Neonazis, Neokonföderierte und andere Rechtsaußen-Aktivisten versammelt hatten, und tötete die Gegendemonstrantin Heather Heyer. Am folgenden Tag veröffentlichte die große amerikanische Neonazi-Webseite Daily Stormer (dailystormer.com) einen Artikel ihres Redakteurs Andrew Anglin, der die Ermordete als „fette, kinderlose 32-jährige Schlampe“ bezeichnete. Am 14. August kündigte der Domain-Registrar und Webhoster GoDaddy Inc. angesichts der gesellschaftlichen Empörung über die Neonazidemonstration an sich und besonders die Ermordung Heyers durch einen Angriff, der von seiner Machart her den islamistischen Anschlägen in europäischen Städten ähnelte, seinen Vertrag mit dem Daily Stormer. Die Seite versuchte, sich noch am selben Tag bei Google Domains zu registrieren, doch auch Google kündigte die Registrierung innerhalb weniger Stunden wieder auf. In der Folge gaben die Herausgeber des Daily Stormer bekannt, dass die Webseite nun im sogenannten Darkweb aufgesetzt würde, in dem Bereich des Internets also, der nur mit einer speziellen Software wie dem Tor-Browser zugänglich ist. Allerdings hatten die Nutzer Schwierigkeiten dabei, dort auf die Seite zuzugreifen. Am 16. August tauchte der Daily Stormer erneut als dailystormer.ru auf, was bedeutete, dass Anglin und sein Team den neuen Namen bei einer russischen Domänenregistrierungsstelle, nämlich dem Technical Centre of Internet, hatten registrieren lassen. Es war nicht ganz klar, von wo genau der Daily Stormer seine Seite betrieb, weil sie durch Cloudflare Inc. geschützt wurde, ein US-amerikanisches Unternehmen, das den Datenverkehr der Seite umleitete und es unmöglich machte, den tatsächlichen Standort des Webhosters sowie dessen Namen herauszufinden. Allerdings tauchten im Internet Belege dafür auf, dass zumindest Teile der Webseite des Daily Stormer (ihr Mailserver sowie das Forum) von einer russischen Firma gehostet wurden, und das sogar schon bevor sie von GoDaddy offline genommen wurde.
Im Begrüßungstext der Seite unter ihrer neuen, russischen Adresse verspottete (oder besser: trollte) Anglin jene, die die zu vermutenden Kontakte zwischen Donald Trump und Russland skandalisierten, indem er behauptete, dass Trump Wladimir Putin angerufen und ihn gebeten habe, „den Stürmern“ eine neue Heimat im Internet zu geben: „Können Sie ihnen mit Ihrem Team von Haxxors [Hackern], die mir dabei geholfen haben, die Wahl zu gewinnen, indem sie die E-Mails der alten Hexe gehaxxt [gehackt] haben (oder einen Anwalt zu meinem Sohn geschickt haben oder wie auch immer das passiert ist), nicht helfen?“ Doch letztlich hat auch der Umzug auf die .ru-Domain dem Daily Stormer nicht geholfen. Zuerst kündigte Cloudflare den Vertrag mit der Neonaziseite, was zu ihrer Abschaltung führte, und dann versetzte die Domänenregistrierungsfirma Ru-Center der Seite dailystormer.ru durch die Aufhebung ihrer Registrierung den Todesstoß.
Dennoch weist der Versuch des Daily Stormer, ein „neues Zuhause“ in Russland zu finden, trotz seines Scheiterns auf einen bestimmten Trend unter der westlichen radikalen Rechten hin, nämlich den, auf russische Webhoster und Domains umzuziehen. In der Vergangenheit gingen einige der extremeren europäischen rechten Webseiten mit Vorliebe zu US-amerikanischen Hostern. Der erste Verfassungszusatz garantiert, unter anderem, die Meinungsfreiheit, und viele der schriftlich dargelegten Narrative der extremen Rechten wie etwa die Holocaustleugnung, die in der EU illegal und strafbewehrt sind, wurden von amerikanischen Behörden und Internetfirmen geduldet. So erklärte auch Cloudflare im Zuge seiner Aufkündigung des Vertrags mit dem Daily Stormer, dass es diesen Schritt nicht aufgrund der neonazistischen Inhalte unternahm, die auf der Seite propagiert wurden, sondern weil „die Stürmer“ behauptet hatten, dass das Unternehmen ihre Ideologie insgeheim unterstütze; anderenfalls wäre Cloudflare „inhaltlich neutral geblieben“ und hätte dem Daily Stormer auch weiterhin seine Dienste zur Verfügung gestellt. („Eine Internetseite ist eine Meinungsäußerung. Sie ist keine Bombe“, erklärte der Geschäftsführer von Cloudflare, Matthew Prince, als ihm 2013 vorgeworfen wurde, er würde die Dienstleistungen seines Unternehmens einer ungenannten „kontroversen Webseite“ anbieten.)
Das Vertrauen in die US-amerikanischen Behörden und Internetunternehmen erlitt jedoch 2011 einen herben Rückschlag, als Gottfried Küssel, der Gründer des größten österreichischen Neonaziforums Alpen-Donau.info, von den Sicherheitsbehörden und der Polizei seines Heimatlandes verhaftet wurde. Die Österreicher hatten bereits sehr lange versucht, diese Seite abzuschalten und ihre Besitzer zu ermitteln, doch wurde das Forum vom US-Unternehmen DreamHost gehostet, das dem politischen Druck zu widerstehen vermochte. Die österreichischen Behörden blieben allerdings beharrlich, was nicht nur dazu führte, dass DreamHost die Seite Alpen-Donau.info schloss, sondern auch dazu, dass die amerikanischen Untersuchungsbehörden dem österreichischen Innenministerium dabei behilflich waren, Zugriff auf den Server der Seite zu erhalten, was zur Identifizierung der Betreiber des Forums führte.
Diese erfolgreiche Zusammenarbeit der österreichischen Behörden mit ihren Amtskollegen in den USA war vermutlich der Grund dafür, warum zwei im Jahre 2014 neugegründete rechtsradikale österreichische Webseiten sich dazu entschlossen, die Dienste russischer Provider in Anspruch zu nehmen.
Die Seite Freies-Oesterreich.net wurde im Januar 2014 registriert und wurde bis zu ihrem Verstummen im Februar 2015 vom russischen Internetprovider Spaceweb gehostet. Im Begrüßungstext behaupteten der oder die Autoren der Seite auf Deutsch und Russisch, dass ihr Blog von Sankt Petersburg aus betrieben würde und die Redefreiheit in Russland durch die Verfassung geschützt sei. Die eigenartigen Formulierungen im Russischen verrieten allerdings die nichtrussische Herkunft der oder des Autors und obwohl sämtliche Inhalte in deutscher Sprache verfasst waren, trug der Blog einen Untertitel auf Deutsch und Russisch, der lautete: „Wir kämpfen für Redefreiheit und Menschenrechte“. Dieser Blog war antisemitisch, antiamerikanisch, antiukrainisch, vor allem aber unverhohlen prorussisch.
Diese Hervorhebung von Redefreiheit und Menschenrechten konnte auch auf der Internetseite Volksherrschaft.info beobachtet werden, die im Juni 2014 von der rechtsextremen österreichischen Partei Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik ins Leben gerufen wurde und seither vom russischen Provider REG.RU gehostet wird. Diese Seite präsentiert speziell Inhalte aus der Parteizeitung Wiener Beobachter, die zuvor beim deutschen Provider Loomes gehostet wurde, und ihre E-Mail-Adresse ist bei der russischen Firma Mail.ru registriert. Die von der Seite vertretene Agenda ist in deutscher, englischer und russischer Sprache abrufbar, wobei sich auch hier allein die deutsche Fassung so liest, als sei sie von einem Muttersprachler verfasst worden. Im Unterschied zu Freies-Oesterreich.net hebt Volksherrschaft.info allerdings ihre prorussische Haltung nicht so deutlich hervor (obwohl sie durchaus besteht), sondern beschränkt sich zumeist darauf, einwanderungsfeindliche Narrative zu propagieren.
Bemerkenswerterweise begann der rechtsextreme österreichische Aktivist Karl Winkler im März 2015, einen Monat, nachdem die Inhalte auf Freies-Oesterreich.net nicht mehr aktualisiert wurden, mit der Herausgabe eines neuen antiamerikanischen, putinfreundlichen Magazins namens Info-Direkt. Die Titelseite der ersten Ausgabe zierte ein Foto des russischen Präsidenten sowie der Satz „Wir wollen einen wie Putin“. Die Webseite des Magazins (info-direkt.at), die im Februar des Jahres registriert worden war, wurde zuerst in Österreich gehostet. Im August 2015 brachte die Seite eine Geschichte, in der, unter dubioser Berufung auf einen anonymen Mitarbeiter des österreichischen Verteidigungsministeriums, die Behauptung aufgestellt wurde, dass die USA an einem illegalen Schmuggel von Flüchtlingen aus Asien und Afrika nach Europa beteiligt seien. Nach der Veröffentlichung dieser skandalträchtigen Geschichte zog Info-Direkt auf eine .eu-Domain um (info-direkt.eu), während die Webseite weiterhin in Russland von REG.RU gehostet wurde. 2016 zog info-direkt.eu dann auf österreichische Server um.
Freies-Oesterreich.net und Volksherrschaft.info waren nicht die ersten rechtsextremen Internetseiten aus westlichen Ländern, die Unterschlupf auf russischen Servern fanden. Schon 2003 bediente sich die slowakische Neonaziseite NS Info Slovensko, die durch ihre Publikation einer Hitliste von „Feinden der weißen Rasse“ in Verruf geriet, mindestens dreier russischer Gratis-Webhoster (nm.ru, narod.ru und by.ru), bevor sie auf einen Server des ominösen Providers 1st-Amendment.org umzog, der „Webhosting-Lösungen für ECHTE Meinungsfreiheit“ anbot. Dennoch ist das Hosting in Russland oder die Registrierung einer .ru-Domain nach wie vor ein recht neues Phänomen.
Trotz der häufigen Verwendung von Cloudflare-Diensten zur Verschleierung von Serverstandorten und zum Schutz von Webseiten vor DDoS-Attacken sowie ähnlicher Dienste wie etwa Domains By Proxy können bestimmte Internettools manchmal dabei helfen, den Standort zumindest einiger Elemente rechtsextremer Webseiten zu ermitteln. Dies gelang im Falle zweier ungarischer Internetseiten, Szent Korona Rádió und Deres.TV, die dem Anschein nach beide mit der rechtsgerichteten ungarischen Jugendorganisation „64 Gespanschaften“ in Verbindung stehen. In den Jahren 2013 und 2014 wurde aufgedeckt, dass deren Mailserver in Russland stehen und von der Moskauer Firma TC TEL betrieben werden. Nach diesen Enthüllungen zog Deres.TV seine Mailserver aus Russland ab; aktuell werden sie von GoDaddy betrieben. Szent Korona Rádió beließ die seinen jedoch bei TC TEL.
Während sich Deres.TV durch die Enthüllungen seiner Russland-Verbindungen etwas beschämt gefühlt haben mag, stellen andere, wie die illegale ungarische Webseite Hídfő, die von anonymen Spendern finanziert und vermutlich von István Győrkös, dem Gründer der rechtsextremen paramilitärischen Bewegung Ungarische Nationale Front, koordiniert wird, ihre Beziehungen zu Russland absichtlich explizit heraus. Diese Seite wurde ursprünglich bei GoDaddy registriert und auch dort gehostet und hatte zugleich auch eine internationale Adresse, hidfo.net, registrierte 2015 allerdings die Adresse hidfo.net.ru beim Provider Ru-Center und zog schließlich auf die Domain hidfo.ru um (während sie gleichzeitig ihren Hostingvertrag mit GoDaddy beibehielt) – was seltsam ist, wenn man bedenkt, dass sämtliche ihrer Inhalte in ungarischer Sprache verfasst sind. Eine Erklärung für diesen Schritt stammt von den Experten am Budapester Political Capital Institute, die der Meinung sind, dass Hídfő „ein öffentliches Sprachrohr und eine Propagandaseite ist, die von russischen Geheimdienstmitarbeitern betrieben wird, die in Ungarn residieren oder operieren“. Unabhängig davon, ob dies stimmt oder nicht, gibt sich diese Webseite betont prorussisch und antiwestlich und war im August 2014 Ursprung einer skandalösen Fake-News-Geschichte über einen heimlichen Transport von Panzern von Ungarn in die Ukraine.
Es kann viele Gründe dafür geben, warum manche rechtsextreme Internetseiten sich russischer Internetdienstleister bedienen, doch der Hauptgrund dürfte in der Überzeugung ihrer Betreiber bestehen, dass das Webhosting auf einem russischen Server mit Blick auf Sicherheitsüberlegungen zuverlässiger ist als das in Westeuropa oder sogar in den USA mit ihren vom ersten Verfassungszusatz verbürgten Schutzrechten. Ein weiterer wichtiger Grund könnte auch ein symbolischer sein: Für viele rechtsgerichtete Aktivisten ist Putins illiberales Regime ein „Hoffnungsschimmer“, so dass die virtuelle Nähe zu Russland nicht nur ein innerliches Bekenntnis zum Illiberalismus, sondern auch eine symbolische Kampfansage an den liberalen Westen darstellt.
Die russischen Internetunternehmen erfüllen die in sie gesetzten Erwartungen allerdings nicht immer, wofür die Schließung der „russischen“ Webseite des Daily Stormer nicht das einzige Beispiel ist. So baten beispielsweise deutsche Behörden den russischen Provider Mir Telematiki Ltd. nach der Festnahme zweier deutscher Rechtsradikaler, die im Zuge der Ermittlungen gegen die internationale Neonaziseite Altermedia erfolgt war, darum, diese Seite abzuschalten, und das Unternehmen kam dieser Bitte umgehend nach. Ironischerweise war Altermedia zuvor in den USA gehostet und migrierte nach Russland, weil die Amerikaner sie geschlossen hatten.
Einige rechtsextreme Internetseiten ziehen allerdings durchaus einen Nutzen daraus, einen Zufluchtsort auf russischen Servern gefunden zu haben, speziell dann, wenn sie nicht so unverhohlen neonazistisch sind wie Altermedia oder der Daily Stormer und wenn ihre Agenda im Einklang mit der subversiven antiwestlichen Agenda von Putins Russland ist. Diese These lässt sich am deutlichsten mit dem Verweis auf vier rechtsextreme deutschsprachige Seiten illustrieren, die in Russland gehostet sind: Anonymous News, Migrantenschreck, BRD-Schwindel und Unser Mitteleuropa.
Anonymous News (anonymousnews.de) wurde am 21. Mai 2016 registriert, einen Tag nachdem Facebook infolge zahlreicher Beschwerden die Seite Anonymous.Kollektiv gelöscht hat, die – mit fast zwei Millionen „Likes“ – vermutlich die populärste deutschsprachige Seite des ganzen Netzwerks war. Anonymous.Kollektiv, 2012 gestartet, propagierte wesentliche Ideen der Anonymous-Bewegung, kritisierte Zensurmaßnahmen im Internet und trat für die Verteidigung des Prinzips der uneingeschränkten Informationsverbreitung ein. Wie in diversen Anonymous-Gruppen üblich, neigte auch die Seite Anonymous.Kollektiv dazu, gegen Regierung und Establishment gerichtete Verschwörungstheorien zu verbreiten. Diese begannen schließlich die Inhalte der Anonymous.Kollektiv-Gruppe zu dominieren, während die Kernideen von Anonymous immer mehr in den Hintergrund traten. Nach dem Beginn des russisch-ukrainischen Kriegs 2014 wurde die Gruppenseite mit Links zum deutschen Programm von RT und dem rechtsextremen Magazin Compact regelrecht überschwemmt.
Des Weiteren hat sich Anonymous.Kollektiv zunehmend einer Anti-Flüchtlings- und antilinken Rhetorik bedient. Nachdem die Gruppe von Facebook verschwunden war, zog sie auf die Seite anonymousnews.de um, registrierte dann aber am 31. Mai 2014 eine neue Domain, anonymousnews.ru (gehostet von Ru-Center). Fortan wurden alle Anfragen über die .de-Domain an die .ru-Domain weitergeleitet. Seitdem sind die Inhalte auf Anonymous News darauf ausgerichtet, die deutsche Gesellschaft zu destabilisieren und Hass auf Flüchtlinge, Migranten, linke Politiker und die deutsche Regierung selbst zu schüren. Gleichzeitig lobpreist die Seite Wladimir Putin und andere autoritäre Führer wie Baschar al-Assad. Generell liest sich Anonymous News wie ein langer Lagebericht von einem Schlachtfeld: Flüchtlinge und Migranten führen einen Krieg gegen die Deutschen, doch der größte Verrat am deutschen Volk geht von seinen eigenen „globalistischen“ Eliten aus, die das Land bereits den Fremden überlassen haben.
Anonymous News verfügt zudem über einen Account beim russischen sozialen Netzwerk VK. Zur Zeit der Niederschrift dieses Artikels hatte die Seite über 51 000 Follower; laut den von den Nutzern selbst bereitgestellten Informationen stammt der Großteil von ihnen aus Deutschland, während die zweitgrößte Gruppe bereits Russen bilden. Man muss allerdings bedenken, dass eine große Zahl der in Deutschland ansässigen Follower russischsprachige Personen sind. Trotzdem finden sämtliche Diskussionen unter den Links zu Artikeln auf der Webseite von Anonymous News in deutscher Sprache statt.
Angesichts der antimigrantischen Kampfstimmung auf Anonymous News ist es kaum überraschend, dass die Seite offensiv Werbung für die Internetseite Migrantenschreck (migrantenschreck.ru) treibt, die auf demselben russischen Server liegt und anscheinend von denselben Leuten geschaffen wurde, die auch Anonymous News ins Leben gerufen haben. Migrantenschreck vertrieb in Zusammenarbeit mit ungarischen Händlern Gummigeschosse und Gasmunition. Die Namen der Produkte brachten unzweideutig zum Ausdruck, dass die Webseite zur Gewaltanwendung gegen Migranten und politische Gegner aufrief. So hieß eine Waffe des Typs MS60 hier beispielsweise „Migrantenschreck MS60“, während eine andere des Typs AS125 als „Antifaschreck AS125“ bezeichnet wurde; letztere Waffe wurde zudem mit Anspielungen auf die „ungewaschenen und frechen“ Antifaschisten beworben: Eine „Antifaschreck AS125“ würde der Verärgerung über diese „Nachdruck verleihen“. Nachdem die deutsche Polizei damit begonnen hatte, ihre Kunden ausfindig zu machen, wurde die Seite von ihren Gründen wieder geschlossen; offenbar hatte jemand einen Teil der Kundendatenbank an die deutschen Behörden weitergegeben. Aufrufe der Seite migrantenschreck.ru wurden später auf einen Artikel weitergeleitet, der den Titel „Pogrom gegen Kunden von Migrantenschreck“ trug und von Anonymous News veröffentlicht wurde.
Die Seite BRD-Schwindel registrierte ihre Domain brd-schwindel.org im Dezember 2011 bei DreamHost, während der Standort ihres Servers durch Cloudflare geheim gehalten wurde. Im Sommer 2016 jedoch zog die Seite zu einer der Datenzentralen des russischen Providers Selectel Ltd. um, behielt jedoch auch die Registrierung ihrer Domain bei DreamHost bei. Die Inhalte von BRD-Schwindel, die häufig von anderen Internetseiten und Blogs übernommen werden, ähneln denen von Anonymous News: Die Seite richtet sich gegen Flüchtlinge und Migranten, speziell aus mehrheitlich muslimischen Ländern, positioniert sich gegen das Establishment und kritisiert die deutsche Kanzlerin Angela Merkel brüsk; sie ist der EU, den USA sowie der NATO gegenüber feindlich und dem Kreml gegenüber freundlich eingestellt. Neben diesen Narrativen verbreitet die Seite BRD-Schwindel auch klassische Verschwörungstheorien über die Gefahren des Impfens und der Gentechnik, über Chemtrails und die kommende „Neue Weltordnung“.
Die Webseite Unser Mitteleuropa (unser-mitteleuropa.com) wurde ihrerseits im März 2016 registriert und behauptet von sich, „eine Gruppe patriotisch denkender Menschen aus Deutschland, Österreich und Ungarn“ zu repräsentieren, die über die europäische Flüchtlingskrise besorgt seien. Trotz dieser Selbstdarstellung wurde diese Seite anfänglich allerdings weder bei einer deutschen noch einer österreichischen oder ungarischen Internetfirma registriert, sondern beim russischen Provider REG.RU, der sie seitdem hostet. In politischer Hinsicht unterstützt Unser Mitteleuropa die großen Rechtsaußenparteien in den drei genannten Ländern: die Alternative für Deutschland (AfD), die Freiheitliche Partei Österreichs und Jobbik in Ungarn. Ähnlich wie Anonymous News und BRD-Schwindel positioniert auch sie sich als einwanderungs-, establishment-, EU- und amerikafeindlich und kremlfreundlich, verbreitet allerdings Verschwörungstheorien nicht im gleichen Umfang wie die anderen beiden (vor allem nicht die klassischen Theorien zu Chemtrails oder Gentechnik).
Ein Angriff auf den liberal-demokratischen Konsens in Europa
2017 belegten die Ereignisse im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in Frankreich und der Bundestagswahlen in Deutschland die konzertierten Versuche russischer Akteure und rechtsextremer europäischer Medien, diese Wahlen, die vermutlich die für die Zukunft Europas wichtigsten des Jahres waren, zu beeinflussen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei darauf, die Unterstützung für die Führerin des Front National, Marine Le Pen, und für die AfD zu vergrößern.
Im Falle Frankreichs schien die offizielle Unterstützung für Le Pens Partei durch Moskau Ende 2016 und Anfang 2017 eingefroren worden zu sein, obgleich diese in den Jahren 2014 und 2015 noch politische und finanzielle Unterstützung von diversen russischen Akteuren erhalten hatte. Grund dafür war eine Reihe von Meinungsumfragen in Frankreich, die durchgängig zeigten, dass Le Pen in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen dem Mitte-Rechts-Kandidaten der Republikaner, François Fillon, gegenüberstehen würde, der einen erdrutschartigen Sieg über Le Pen erzielen würde. Außerdem schien diese zweite Runde für den Kreml eine Win-Win-Situation zu sein, da beide Kandidaten, Fillon und Le Pen, für ihre moskaufreundlichen Positionen bekannt waren. Der Kreml wäre daher auch mit Fillon als neuem französischen Präsidenten zufrieden gewesen und ließ Le Pen, zumindest öffentlich, keinerlei Unterstützung angedeihen; möglicherweise auch nur, um eine Verschlechterung der Beziehungen zu Fillon zu vermeiden, dessen Hauptkonkurrentin Le Pen war.
Mit dem dramatischen Popularitätsverlust Fillons und dem Aufstieg des proeuropäischen und russlandskeptischen Kandidaten Emmanuel Macron änderte sich diese Situation im Januar und Februar 2017 radikal. Meinungsumfragen belegten, dass Macron und Le Pen als Sieger aus der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen hervorgehen würden (so dass Le Pen in der zweiten die einzige „russische Kandidatin“ sein würde), aber auch, dass Letztere dem Ersteren in der zweiten Runde unterliegen würde.
Für den Kreml war dies ein Weckruf. Anfang Februar begannen staatlich kontrollierte russische Medien wie RT und Sputnik damit, Materialien zu publizieren, die die wachsende Popularität Macrons untergraben sollten. RT konzentrierte sich dabei auf dessen hochdotierte Stellung bei der Rothschild & Cie Banque, die von der Familie Rothschild kontrolliert wird, und setzte somit auf die antiglobalistische und antisemitische Karte. Sputnik behauptete darüber hinaus – unter Berufung auf Nicolas Dhuicq, einen republikanischen französischen Parlamentsabgeordneten, der zudem Vorstandsmitglied der Gesellschaft für französisch-russischen Dialog war –, dass Macron „ein Agent des großen amerikanischen Bankensystems“ sei und eine „sehr reiche Schwulenlobby“ hinter sich wisse; zudem verbreitete Sputnik auch das Gerücht, dass Macron selbst ein heimlicher Homosexueller sei.
Ebenfalls Anfang Februar stellte die russische Tageszeitung Iswestija die – vom französischsprachigen Programm von RT und Sputnik breit gestreute – Behauptung auf, dass der WikiLeaks-Gründer Julian Assange über kompromittierendes Material verfüge, das Macron in Misskredit bringen könne. WikiLeaks hat dieses „kompromittierende Material“ nie veröffentlicht (und es ist fraglich, ob es überhaupt existiert), anders als im Fall der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016, als die Seite gehackte E-Mails von und an Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta publizierte. Die russischen Medien hatten offenbar gehofft, dass eine ähnliche Erwähnung von „Materialien“ bereits dafür ausreichen könnte, Macron zu schaden, da Podestas gehackte E-Mails seiner Chefin Hillary Clinton ja tatsächlich sehr zum Nachteil gereicht haben.
Macron ging aus der ersten Runde als Sieger hervor, während Le Pen auf dem zweiten Platz landete. All jenen Wahlumfragen zum Trotz, die Macron auch als Gewinner der zweiten Runde am 7. Mai sahen, versuchten russische Akteure weiterhin, Le Pen zum Sieg zu verhelfen. Am Abend des 5. Mai begann der rechtsradikale amerikanische Aktivist Jack Posobiec damit, unter dem Hashtag #MacronLeaks auf ein großes Bündel an E-Mails und Dokumenten hinzuweisen, die mit der Macron-Kampagne zu tun hatten und auf der Plattform Pastebin anonym veröffentlicht worden waren. Posobiecs Tweet und der Hashtag #MacronLeaks gingen mithilfe rechter französischer und trumpfreundlicher amerikanischer Twitteraccounts sofort viral. Dieser Tweet tauchte nur wenige Minuten vor Mitternacht des 5. Mai und damit vor dem Ende des offiziellen Wahlkampfes auf, wodurch Macrons Wahlkampflager nur noch begrenzt darauf reagieren konnte.
Die französische Nationale Agentur für Sicherheit der Informationssysteme (ANSSI) erklärte, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass Russland hinter den „Macron-Leaks“ stünde und diese vielmehr die Aktionen „eines isolierten Einzelnen“ sein könnten. Investigative Journalisten und spezialisierte Forensiker aus verschiedenen Ländern, die die „Leaks“ untersuchten, kamen jedoch zu einem anderen Ergebnis. Besonders fanden sie heraus, dass einige der geleakten Excel-„Dokumente“ auf einer russischen Version des Programms und auf Computern mit russischer Spracheinstellung geändert wurden. Es wurde zudem ermittelt, dass mindestens ein Dokument von einem Nutzer namens Georgi Petrowitsch Roschka geändert wurde. Russische investigative Journalisten des Insider identifizierten Roschka als Offizier, der im Hauptzentrum einer auf Verschlüsselungstechniken spezialisierten Spezialabteilung der GRU, des leitenden Zentralorgans des russischen Militärnachrichtendienstes, tätig war.
Weder die russischen Andeutungen noch die „Leaks“ konnten verhindern, dass Macron die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen klar gewann.
Was Deutschland angeht, so griffen die russischen Akteure nicht auf Hacks oder Leaks zurück, um den Wahlausgang zu beeinflussen, obwohl viele Experten und Beobachter befürchteten, dass Russland eben genau dies tun würde. Denn schon 2016 hat der deutsche Verfassungsschutz Russland eine Serie von Cyberangriffen gegen den deutschen Bundestag zur Last gelegt; dieselbe russische Hackergruppe wurde im selben Jahr auch mit Angriffen auf die CDU unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Verbindung gebracht. 2017 verlegten sich die Russen allerdings statt auf Cyberangriffe vor allem darauf, Merkel zu beschädigen und die Unterstützung für die AfD durch die Medien und in den sozialen Netzwerken zu stärken.
Bundeskanzlerin Merkel war mit ihrer entschiedenen Unterstützung der EU-Sanktionen, die gegen Russland infolge der Annexion der Krim und seines Krieges gegen die Ukraine verhängt worden waren, das Hauptziel der russischen „Informationskrieger“ und ihrer rechtsradikalen Verbündeten aus dem Westen. Die primäre Strategie gegen Merkel umfasste eine Welle bösartiger Angriffe auf ihre Entscheidung, 2015 die deutschen Grenzen für Hunderttausende Flüchtlinge zu öffnen, sowie mit dieser Entscheidung zusammenhängende Verschwörungstheorien. Von allen deutschen Politikern und politischen Kräften wurde über Merkel und ihre CDU in den internationalen russischen und russischsprachigen Medien am negativsten berichtet, wobei auch hier der Schwerpunkt auf der Berichterstattung über Merkels Flüchtlingspolitik lag.
Ein Grund dafür, dass die russischsprachigen Medien wie etwa der Erste Kanal, RTR-Planeta TV oder RIA Novosti bei der Schwächung Merkels eine Rolle spielten, bestand darin, dass die gesamte „russische Kampagne“ in Deutschland zum Teil auch darauf abzielte, die deutsche „russische Welt“ zu mobilisieren – eine heterogene russischsprachige Gemeinschaft, die primär aus sogenannten Russlanddeutschen (ethnischen Deutschen, die in der Sowjetunion geboren und aufgewachsen und nach der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach Deutschland gegangen sind) und nichtdeutschen russischsprachigen Einwanderern besteht, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben und daher auch wahlberechtigt waren. Mehreren Schätzungen zufolge besteht die „russische Welt“ in Deutschland aus ungefähr drei Millionen Personen oder rund 3,5 Prozent der Bevölkerung.
Eingedenk dieser erheblichen Zahl hat sich die AfD in außenpolitischer Hinsicht als wichtigster Verteidiger von Putins Russland und im Inland als größter Fürsprecher der Russlanddeutschen inszeniert; die Partei schuf sogar eine interne „Interessengemeinschaft der Russlanddeutschen“. Die Stärkung kremlfreundlicher und prorussischer Narrative in der „russischen Welt“ Deutschlands war somit eine wichtige Strategie der russischsprachigen Medien zur Unterstützung der AfD. Diese Narrative wurden zudem natürlich oft mit Anti-Merkel-, Anti-Establishment- und Anti-Flüchtlings-Narrativen kombiniert.
Eine weitere Art der Einflussnahme russischer Akteure auf den deutschen Wahlkampf war die Verstärkung von Pro-AfD- und Anti-Merkel beziehungsweise Anti-Flüchtlings-Botschaften in den sozialen Netzwerken, besonders auf Twitter. Es sollte allerdings festgehalten werden, dass nicht allein russische Trolle und Botnets an diesen Aktivitäten beteiligt waren, sondern auch rechtsextreme Aktivisten aus anderen Ländern. Eines der berüchtigtsten Beispiele für ein solches gemeinsames Vorgehen russischer und westlicher Aktivisten vom äußeren rechten Rand war die Verbreitung der Botschaft, dass es zu einem Wahlbetrug zuungunsten der AfD gekommen sei. Die erste Welle solcher Vorwürfe kam im Mai 2017 auf und bezog sich auf die Klagen der AfD über einen vermeintlichen Wahlbetrug bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, aus denen die CDU als klarer Sieger hervorging. Die zweite Welle ergoss sich nur wenige Tage vor der Bundestagwahl: Ein Twitteraccount, der angeblich einer jungen Linken gehörte, setzte einen Tweet des Inhalts ab, sie, also jene junge Frau, sei gerade als Helferin in einem Wahllokal tätig und würde dort Stimmzettel mit Stimmen für die AfD vernichten. User aus Russland und von der extremen Rechten im Westen zitierten und retweeteten diese Nachricht über einen dubiosen Account unter dem Hashtag #Wahlbetrug, womit sie suggerierten, dass die anstehenden Wahlen von den etablierten Parteien manipuliert werden würden.
Bei den Bundestagswahlen am 24. September kam die AfD auf 12,6 Prozent der Stimmen und wurde somit zur drittgrößten Partei im Parlament – ein historischer Rekord für die extreme Rechte im Nachkriegsdeutschland. Viele Berichte und Analysen erkannten die Tatsache, dass ein Gutteil der „russischen Welt“ Deutschlands für die AfD gestimmt hat, speziell in Ostdeutschland. Im Mai 2017, also noch vor Beginn der aggressivsten Phase der Anti-Merkel- und Anti-Flüchtlings- beziehungsweise Pro-AfD- und Pro-Putin-Kampagne, die von russischen und rechten westlichen Aktivisten, Trollen und Bots aus dem Westen massiv unterstützt wurde, lag die Partei in Umfragen bei etwa sieben bis neun Prozent. Angesichts der Differenz zwischen diesen Zahlen und dem tatsächlichen Endergebnis liegt der Gedanke nahe, dass die gemeinsamen Bemühungen diverser Akteure in Russland und ihrer Kameraden im Westen dabei geholfen haben könnten, einige Russlanddeutsche und russischsprachige deutsche Staatsbürger davon zu überzeugen, die extreme Rechte zu wählen.
Schluss
Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass diverse russische Akteure, die an der Seite ihrer Regierung stehen, mit der Hilfe westlicher illiberaler Aktivisten und Politiker politische Prozesse im Westen zu beeinflussen versucht haben. Diese Bemühungen wurden durch die Reaktionen des Kremls auf die zunehmende Isolation Russlands in der internationalen Gemeinschaft noch verstärkt. Diese Isolation stellt sich in Form der Sanktionen dar, die eine überwältigende Mehrheit der westlichen Staaten gegen russische Behördenvertreter, Politiker und Unternehmen verhängt hat, an der Kritik der repressiven Innen- und der aggressiven Außenpolitik Russlands sowie an der reduzierten Zusammenarbeit zwischen Institutionen der russischen und der westlichen Gesellschaften.
Die Anerkennung der Tatsache allerdings, dass russische Akteure versuchen, politische Vorgänge im Westen zu manipulieren, den Moskau seinerseits im Verdacht hat, einen Krieg gegen Putins rechte autoritäre Kleptokratie zu führen, bedeutet nicht automatisch auch, dass Russland mit diesen Bemühungen Erfolg hat. So sind die Sanktionen nach wie vor in Kraft und die Anführer des Westens nicht dazu bereit, mit Russland einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Hinzu kommt noch, dass der Aufstieg der extremen Rechten in Europa und anderswo in der europäisierten Welt in wesentlicher Hinsicht auf innenpolitische Entwicklungen statt auf eine Einmischung Russlands zurückzuführen ist. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die Bemühungen Moskaus darum, die westlichen Gesellschaften zu destabilisieren und den dort bestehenden liberal-demokratischen Konsens zu untergraben, trotz ihrer kurzfristigen Erfolglosigkeit auf mittlere Sicht schwerwiegendere Folgen zeitigen werden, und zwar aufgrund der Konsequenzen, die sich aus einem Zusammenwirken rechtsradikaler prorussischer Narrative mit einem schwindenden Vertrauen in das westliche Establishment ergeben können.
Published 19 December 2017
Original in English
Translated by
Frank Lachmann
First published by Eurozine
© Anton Shekhovtsov / Eurozine
PDF/PRINTIn focal points
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