Die sieben Todsünden des Journalismus
Der Klimawandel ist in Ausmaß und Auswirkung die größte Story – warum erzählt sie niemand?
Eine Krise kommt selten allein, das ist das Problem. Die globale Erderwärmung etwa hätte die Weltgemeinschaft in den letzten dreißig Jahren durchaus in den Griff kriegen können. Bei der Weltklimakonferenz 1988 in Toronto sah es auch ganz danach aus. Es herrschte Einhelligkeit. Unter Wissenschaftlern und unter Politikern. Einhelligkeit über die Tatsache, dass sich das Klima erwärmt und der Mensch die Ursache ist. Und Einhelligkeit, dass schnellstens gehandelt werden müsse. In der Abschlusserklärung wurde unisono und in aller Deutlichkeit «die Notwendigkeit sofortiger politischer Entscheidungen» zugunsten der Begrenzung von CO2-Emissionen festgestellt. Geschehen ist seither, wie man weiß, nichts dergleichen. Die CO2-Emissionen haben nie aufgehört zu steigen. Und sie steigen noch immer, in Deutschland wie im Rest der Welt.
Wenn man auf diese Geschichte des Politikversagens schaut, fällt auf, dass es begleitet wird von einem medialen Versagen. Die Politik reagierte nicht auf die Klimakrise; die Zeitungen, Radiostationen und das Fernsehen taten es auch nicht: Auf unzähligen Kanälen spielte sich seit der Konferenz von Toronto ein Versagen ab, die globale Erderwärmung richtig zu beschreiben, die erforderlichen Maßnahmen zu erklären und sie von der Politik einzufordern. Die Klimakrise ist das eine. Voll entfalten konnte sie sich auch deshalb, weil sich zeitgleich mit ihr eine Kommunikationskrise entwickelte und zuspitzte, die heute mit Fake News und Desinformationskampagnen im World Wide Web ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat.
Als Kommunikationskrise bezeichnen wir die sich verschlechternden Bedingungen des öffentlichen Diskurses. Für diesen Prozess gibt es mehrere Ursachen. Eine nicht vollständige Aufzählung müsste die globale Deregulierung des Medienmarktes in den Achtziger- und Neunzigerjahren, den Siegeszug des Privatfernsehens und in Amerika des konservativen Talkradios, den steigenden Quotendruck, die durch das Internet ausgelöste Zeitungskrise und die massive mediale Einflussnahme von ausländischen Staaten wie Russland auf die nationalen Kommunikationsarenen umfassen. Gerade für das Verständnis der Klimakrise wäre es dringend geboten, diese Kommunikationskrise wissenschaftlich und publizistisch zu durchdringen.
Doch es gibt hinsichtlich des Klimawandels auch ein hausgemachtes Versagen der Medien, das ihr Handeln jenseits struktureller Veränderungen betrifft. Dieses Versagen führen wir auf «sieben Todsünden des Journalismus» zurück. Sie haben zu einer Verschärfung der Kommunikationskrise beigetragen und daran mitgewirkt, dass in der gegenwärtigen Medienlandschaft das bessere Argument, das wissenschaftliche Faktum kaum noch Gehör findet, geschweige denn sich durchsetzen kann und politischen Handlungsdruck aufbaut.
Die sieben Todsünden des Journalismus umfassen alle relevanten Probleme bei der Berichterstattung über den Klimawandel. Sie gipfeln im Vergehen, dass sich der Journalismus, wo er die Klimakrise thematisiert, in zusammenhangslose Einzelheiten verliert, ohne zu begreifen, dass es in der Energiefrage nicht bloß um ein paar Arbeitsplätze mehr oder weniger geht, sondern um die Frage, in welchem politischen System wir in Zukunft leben wollen. Wir möchten in unserer Analyse aufschlüsseln, dass die Klimakrise verkoppelt ist mit der Krise der Demokratie, Klima und Demokratie beide zugleich auf der Kippe stehen.
Eines kann dabei schon jetzt als entschieden gelten: Wer den sieben Todsünden des Journalismus weiterhin frönen will, beschleunigt eine Katastrophe, die das menschliche Zusammenleben und die Natur wie keine zweite beschädigen wird. Später zu sagen, man habe ja nicht wissen können, wie es um die Erderwärmung stand und auf welche Katastrophe sie hinsteuern sollte, ist angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Warnrufe seit Langem keine Option. Es ist vielmehr Teil der ersten Todsünde.
Die erste Sünde: Falsche Debatten über den Klimawandel führen
Von Anfang an herrschte in den Klimawissenschaften mehr Einigkeit, als es die Medien wahrhaben wollten. Sicher: Es ist nicht Aufgabe der Medien, Ja und Amen zu sagen, wenn Wissenschaftler_innen behaupten, etwas herausgefunden zu haben. Eine kritische, eine skeptische Presse, die Annahmen hinterfragt und mit anderen Sichtweisen konfrontiert, ist die Basis unserer Demokratie. Im Fall des Klimawandels aber ist man weit über dieses Ziel hinausgeschossen. Als die Forschung längst einen Konsens über den Zusammenhang von CO2-Ausstoß und globaler Erwärmung erreicht hatte, verbreiteten viele Medien noch jahrelang den Eindruck, das Thema werde wissenschaftlich nach wie vor kontrovers diskutiert, es gäbe noch lauter Unsicherheiten bezüglich der Grundfragen, es würde noch an exaktem Wissen fehlen und Ähnliches mehr.
Diese Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Stand des Wissens und dem medial transportierten ist von der Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes eindrucksvoll dokumentiert worden. Im Zeitraum von 1993 bis 2003 hat sie unter 928 Publikationen in Fachzeitschriften zum Schlüsselwort «globale Klimaveränderung» nicht eine einzige Veröffentlichung gefunden, die sich gegen die Erkenntnis von der menschlich verursachten Erderwärmung wandte. In den Zeitungen und im Fernsehen taucht dieser Standpunkt in einem vergleichbaren Zeitraum in jedem zweiten Beitrag auf. Warum aber? In Teilen, weil der Journalismus es als seine Pflicht ansieht, ausgewogen zu berichten, also auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Das daraus entstehende Problem ist arithmetischer Art, wie ein Beispiel aus Deutschland zeigt: Während in der Wissenschaft 97 Prozent von der menschlichen Rolle bei der Erderwärmung überzeugt sind, saß in der einzigen Talkshow, die im deutschen Fernsehen 2017 dem Klimawandel gewidmet war, ein Klimawissenschaftler mit einem Skeptiker zusammen; Ausgewogenheit hätte das Fernsehen erst erzielt, wären neben dem einen Skeptiker nicht nur ein vom anthropogenen Klimawandel überzeugter Wissenschaftler zu Wort gekommen, sondern 32 bis 33 von ihnen. Oder wenn in demselben Jahr Dutzende weitere Talkshows in Deutschland ausgestrahlt worden wären, in denen man auf klimaskeptische Gäste verzichtet hätte.
Doch neben dem mangelnden Verständnis des kleinen Einmaleins der Mathematik gibt es noch einen weiteren, wahrscheinlich schwerwiegenderen Grund für die dramatische Überrepräsentation marginaler wissenschaftlicher Positionen in den Medien. Er liegt in deren Funktionslogik. Man täusche sich über diesen Punkt nicht hinweg: Medial gesehen ist das Ereignis wichtiger als der ihm zugrunde liegende Zustand, die Einzelperson spannender als eine Gruppe, der Konflikt interessanter als ein Konsens, und eine Tatsache nicht schon deshalb berichtenswert, wenn sie etwas erklärt, sondern erst dann, wenn sie neu ist und eine Geschichte weiterführt oder eine Diskussion anheizt. Kein Wunder, dass immer neue herbeifantasierte Erklärungen für den Klimawandel und skeptische Einwürfe, mochten sie auch noch so albern sein, begierig von den Medien aufgegriffen wurden und sich das Debattenkarussell ad nauseam drehte.
Erst in den letzten zwei, drei Jahren hat sich die Lage in einigen Leitmedien gebessert, die ihrer basalen Aufklärungspflicht weitgehend nachkommen. Im vergangenen Jahr gab die BBC eine interne Anleitung zur Berichterstattung über den Klimawandel heraus, “nachdem sie eingeräumt hatte, „zu oft falsch“ gelegen zu haben. In der Anleitung warnt sie vor der Schaffung eines falschen Gleichgewichts: „Um Unparteilichkeit zu erreichen, müssen Sie keine völligen Leugner des Klimawandels in die Berichterstattung der BBC aufnehmen, so wie Sie nicht zulassen würden, dass jemand leugnet, dass Manchester United letzten Samstag mit 2:0 gewonnen hat”.
Die Klimawandelleugnung ist in diesem Zug zu einem Schattengewächs der sozialen Netzwerke und ausländischer Propagandakanäle wie RT und Sputnik geworden. Doch ist das kein Grund zur Entwarnung, denn die Todsünde der falschen Debatte macht dem Journalismus immer noch zu schaffen, nur halt in einer veränderten Form: Jetzt geht es nicht mehr um die falsche Debatte, ob es den Klimawandel gibt, und wenn ja, ob der Mensch dafür verantwortlich sei, sondern um Fragen wie: Können Elektroautos einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten oder sind sie nicht auch Klimakiller? Um Fragen also, zu denen es einen wissenschaftlichen Konsens gibt, den die mediale Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis nimmt, weil man sich lieber die Köpfe heiß redet und oft auch kein Interesse an dem Konsens hat, der nämlich das fossile Geschäftsmodell bedroht. Zum Mitschreiben: Ja, die Wissenschaft ist überzeugt davon, dass Elektromobilität einen großen Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung leistet kann, selbstverständlich unter der Bedingung, dass der Strom zur Produktion der Fahrzeuge wie beim Autobauer Tesla aus regenerativen Quellen stammt und ein solcher Strom später auch zum Auftanken der Batterien verwendet wird, weshalb in allen ernsthaften wissenschaftlichen Szenarien zum Klimaschutz der Ausbau der Elektromobilität parallel zur Energiewende verläuft. Der positive Effekt des Elektroautos verpufft hingegen, wenn man für dessen Produktion und Betrieb – aufgepasst: jetzt kommt die große Erkenntnis der Skeptiker! – auf Strom aus Kohle und Öl zurückgreift. Dass auch in den deutschen Leitmedien dieses Nullargument gegen Elektroautos immer wieder Erwähnung findet, gern auch mit Verweis auf Studien, erweckt den Eindruck, der Nutzen von Elektromobilität sei zweifelhaft und ein Gegenstand wissenschaftlicher Debatte.
Die zweite Sünde: Die Klimakrise in die Ecke der Naturwissenschaften verbannen
Aus den endlosen Debatten über die Existenz des Klimawandels leitet sich die zweite Todsünde des Journalismus ab: Er hat das Thema in der Ecke der Naturwissenschaft schmoren lassen. Unzählig sind die Berichte über immer genauere wissenschaftliche Vorhersagen. Wie hoch und wie schnell die Temperaturen steigen und wie hoch und wie schnell der Meeresspiegel steigt, wird immerzu neu berechnet und berichtet. Das Ganze kulminiert dann in den medialen Festspielen rund um die Weltklimakonferenzen, wo die Klimawissenschaftler besorgte Appelle verbreiten und die Politiker allein schon durch ihre Anwesenheit das Gefühl bei Medienrezipienten verbreiten, man nehme sich des Themas an. Und zwar, so hat es der Soziologe Michael Brüggemann in einer Studie gezeigt, ganz gleich, ob die Klimawissenschaftler das Ereignis als Erfolg verbuchen oder, wie es mit Ausnahme von Paris 2015 eigentlich immer der Fall ist, als katastrophal gescheitert erachten.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Über die Ergebnisse der Wissenschaft zu berichten ist wichtig! Es ist, in den Begriffen der philosophischen Logik ausgedrückt, eine notwendigeBedingung für einen vernünftigen Klimadiskurs, aber keine hinreichende. Damit auch diese erfüllt ist, müsste der Journalismus neben den wissenschaftlichen Aspekten auch die bislang viel zu kurz gekommenen gesellschaftlichen, kulturellen, geostrategischen, wirtschaftlichen, historischen, psychologischen und, wie es jetzt hier in Ansätzen geschieht, medientheoretischen Implikationen der Klimakrise ausbuchstabieren. Weil bisher die Erderwärmung ganz als eine Frage der Wissenschaft erscheint, trauen sich nach wie vor nur wenige Journalisten aus anderen Themenressorts mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen an dieses heiße Eisen heran. Das Ergebnis? Es werden immer dieselben Ingredienzen der Geschichte neu aufgegossen, und der Klimajournalismus erscheint zunehmend fader. Dabei ist er keine «Sache für sich» und als solche etwas für Spezialisten, sondern, um ein Wort des Soziologen Marcel Mauss zu entwenden, eine «totale gesellschaftliche Tatsache», die mit allen Facetten des prallen gesellschaftlichen Lebens verbunden ist.
Was müsste nicht alles über die Klimakrise geschrieben, gefilmt und geredet werden! Auf welchen geistesgeschichtlichen Grundlagen beruht sie eigentlich? Wie entstand und was ist der von Daniel Yergin so bezeichnete «Kohlenwasserstoffmensch», dessen gesamter Lebensstil auf der Nutzung von fossiler Energie aufbaut? Welche Rückschlüsse auf die Produktion in Literatur und Kunst sind aus der Klimakrise zu ziehen? Welche Form der Bildung brauchen wir angesichts dessen? Und welche Form von tradierter Bildung muss nun als fossiler Ballast abgeworfen werden? Und was ist mit den schon jetzt hochnervösen Ölmächten wie Russland, das vom Klimawandel profitieren wird, durch die Energiewende aber einen großen Teil seiner Devisen verlieren würde? Muss der Westen dem Land aus der Patsche helfen, und wenn ja, wie? Was bedeutet es für den Nahen Osten, wenn ab spätestens 2050, so hat es die Weltgemeinschaft in Paris vereinbart, kein CO2mehr in die Atmosphäre emittiert werden darf? Was kostet die Energiewende wirklich – also im Vergleich zur fossilen Energie, die weltweit viel höher als regenerative Energie subventioniert ist und deren externalisierte Umweltkosten mitzurechnen wären?
Man wird auf diese Themen kaum stoßen, wenn man sich auf die gängigen Nachrichtenkanäle beschränkt. Denn die Klimakrise ist zwar die gewaltigste Herausforderung, vor die die Menschheit je gestellt war, aber in den Medien ist sie nur ein Nebenschauplatz, beackert von einer Handvoll journalistischer Spezialisten, die meist in den Naturwissenschaften zu Hause sind.
Die dritte Sünde: Der Klimawandel wird für ein grünes Thema gehalten
Als «totale Tatsache» im Sinne von Marcel Mauss lässt sich der Klimawandel selbstredend nicht in das Korsett parteipolitischer Präferenzen pressen. Genau in diese Falle tappt der Journalismus aber immer wieder hinein, indem er den Klimawandel politisch „links“ einordnet oder es thematisch den Grünen zuschlägt. Das ist in etwa so, als würde man Friedenspolitik in Europa für ein rotes Ding halten, weil sozialistische Parteien in Frankreich, Deutschland und Italien zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Aggressionskrieg ablehnten. Schon die Tatsache, dass eine ganze Reihe prominenter Klimapolitiker nicht aus dem linken Lager kommt, wie etwa der konservative deutsche Politiker Klaus Töpfer oder der US-Republikaner George Shultz, hätte zu denken geben können.
Im Grunde lassen sich in allen Parteien ideengeschichtliche Anknüpfungspunkte für eine ambitionierte Klimapolitik finden: von der Bewahrung der Schöpfung (Konservative) über die Freiheit in Verantwortung (Liberale) und der vernunftgemäßen Gestaltung des Stoffwechsels zwischen Gesellschaft und Natur (Sozialisten) bis hin zu der Vorstellung, dass wir die Erde von unseren Kindern nur geborgt haben (Grüne). Das Thema lässt sich natürlich auch nationalistisch grundieren, und es wird wahrscheinlich nicht ausbleiben, dass der rechte Rand der Gesellschaft Erneuerbare Energien für sich entdeckt, schließlich ist es eigentlich nur schwer zu vermitteln für Nationalisten, dass der heimische Energiehaushalt über ausländische Energie, sagen wir mit Terror-Öl aus dem Nahen Osten oder aus dem russischen Oligarchenöl, gespeist werden sollte.
Noch deutlicher sind die klimapolitischen Anknüpfungspunkte für die liberalen Parteien. Was wäre liberaler als der Gedanke, jetzt möglichst schnell etwas gegen die steigenden Temperaturen zu unternehmen – bevor man von einer in Gang gesetzten Katastrophe dazu gezwungen wird? Und wie verträgt sich das Festhalten der liberalen Parteien an dem alten fossilen Energie-Regime mit der Tatsache, dass dieses weltweit hoch subventioniert ist, Wind- und Sonnen-Energie aber trotzdem an vielen Orten bereits günstiger Strom produzieren? Müsste nicht ihr markt-kapitalistischer Ansatz die liberalen Parteien längst in die Arme der Erneuerbaren Energien treiben, die heute für Innovation stehen?
Nach diesem Muster kommt man schnell zu einem eindeutigen Ergebnis: Das Engagement gegen den Klimawandel passt nicht in die politischen Kategorien von links und rechts. Die steigenden Temperaturen stellen eine Bedrohung für das Leben auf unserem Planeten im Allgemeinen dar – und die Energiewende ist zugleich für alle Parteien eine Chance: Sie können ihr jeweiliges Programm daran knüpfen, sei es modernistisch, nationalistisch, solidarisch, kapitalismuskritisch, oder bewahrend und stabilisierend.Der große Fehler in den Medien besteht darin, diese Zusammenhänge nicht zu sehen. Oder genauer: sie wieder aus dem Blick verloren zu haben. Denn als das Thema einer drohenden Klimakatastrophe in den 1980ern aufkam, gab es in den Medien und der Politik einen überparteilichen Konsens, dass schnell gehandelt werden müsse, auch in den USA. Das Intergovernmental Panel on Climate Change hat sich mit Unterstützung der konservativen Regierung unter Ronald Reagan gebildet – heute erscheint der Weltklimarat vielen Republikanern als Feind Nummer eins. Es führt an dieser Stelle zu weit, die Propagandabemühungen der fossilen Eliten zu analysieren, sie haben eine lange Geschichte der Politisierung und Polarisierung in Fragen des Klimawandels befeuert, die die 1990er- und 2000er-Jahre dominieren. Entscheidend ist an dieser Stelle: Die Medien haben nach Kräften an dieser Polarisierung mitgewirkt und tun es in Teilen noch heute. Statt all jenen Parteien, die nicht genügend für Klimaschutz und die Energiewende tun, auf die Finger zu klopfen, weil sie ein großes Thema, oder besser: weil sie ihr ureigenstes Thema verfehlen, tendieren die Medien noch immer dazu, den Klimawandel einer politischen Proporzlogik zu unterwerfen. Mit fatalen Folgen: Geht es um Klimapolitik, geht es dieser Logik zufolge um ein grünesThema, also darf es nicht zu viel um Klimapolitik gehen, weil man ja sonst ständig den Grünen zureden würde und wo käme man dann hin?
Die vierte Sünde: Klimaschutz wird mit Verlust gleichgesetzt
Der Klimaschutz ist in den Medien nicht nur grün – er ist auch eine ungemütliche Sache, er bedeutet Verzicht auf lieb gewonnene Gewohnheiten und materielle Annehmlichkeiten. Die Dekarbonisierung komme uns teuer zu stehen, so wird es ein ums andere Mal berichtet. Nicht der Klimawandel und das, was er uns an Lebensgrundlagen rauben wird, macht dann Angst, sondern dass wir so viel verlieren, wenn wir ihn aufzuhalten versuchen.
Diese Verdrehung der Tatsachen geht häufig mit einer Individualisierung des Problems einher. Nicht nur soll der Einzelne Leidtragende des Klimaschutzes sein (er wird weniger Auto fahren dürfen, weniger Fleisch essen dürfen, weniger Flugreisen antreten dürfen und muss wegen explodierender Stromkosten für alles mehr bezahlen), er soll auch der Hauptakteur sein, wenn es darum geht, den Klimawandel zu bekämpfen. Als würde der Privatisierungsdiskurs der 1980er- und 1990er-Jahre, dem zufolge jeder selbst seines Glückes Schmied ist und es die Gesellschaft gar nicht gibt, nun auch noch auf die Klimafrage übertragen, die sich nur dann lösen lasse, wenn jeder Einzelne anpacke und seinen Beitrag leiste. Unzählige Reportagen, Kommentare und Selbstversuche führen in diesem Sinne medial vor, wie sich hier und da im Alltagsleben mit großen Verrenkungen noch ein wenig CO2einsparen lässt, was als äußerstes Engagement gegen den Klimawandel gefeiert wird.
Wer heute weiterhin in den Medien den Einzelnen in Haftung nimmt und Klimaschutz als Verlustgeschichte erzählt, steht entweder im Dienst der fossilen Industrie oder figuriert unwissentlich als ihr nützlicher Idiot. Die Perspektive muss also umgedreht werden: Nicht der Einzelne kann etwas tun, sondern die Politik und das Kollektiv – nämlich Strukturen und Verhältnisse schaffen, innerhalb derer es selbstverständlich und lohnend ist, wenig CO2zu verbrauchen. Mit CO2-Steuern, Zertifikaten und einer Verlagerung der Subventionen weg von Kohle, Gas und Öl hin zu den erneuerbaren Energien wäre es ein Leichtes, einen CO2-geringen Lebensstil zu befördern. Das ist nicht erst seit den technischen Leistungssteigerungen der Wind-und-Sonnen-Energie sowie neuer Speichertechnologien möglich, sondern seit mehr als zwei Jahrzehnten, wie der Bericht des Club of Rome 1995 unter dem Titel Faktor 4 darlegte, der doppelten Wohlstand bei halbiertem Naturverbrauch versprach.
Seither hätte sich in den Medien überzeugend erzählen lassen können, dass Klimaschutz und Energiewende einen gesamtökonomischen Gewinn bedeuten, dass jeder Euro, den man in die Dekarbonisierung steckt, sich mehrfach auszahlt, wie schon 2006 der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, vorrechnete, und was in etlichen Studien wieder und wieder belegt wurde. Verluste erleiden wir nur, gesellschaftlich wie individuell, wenn wir zugunsten der fossilen Eliten darauf verzichten, die Energiewende umzusetzen: Dann verzichten wir auf mehr Wohlstand, mehr Arbeitsplätze, mehr Lebensgrundlagen, auf eine größere Artenvielfalt, bessere Gesundheit, auf eine gerechtere Verteilung des Wohlstands und zusehends auch auf politische Mitsprache, die unter dem Regime der fossilen Industrie und dem Stress der Klimaanpassung autoritär und oligarchisch beschnitten werden wird.
Die fünfte Sünde: Der Klimadiskurs verschleiert Verantwortlichkeiten und langweilt
Wir alle sind gleichermaßen schuld an der Klimakatastrophe. Diese Art der Verallgemeinerung ist das Gegenstück zur Individualisierungsstrategie mit seinem Imperativ: Du musst dein Leben ändern! Beides geht bestens Hand in Hand: Jeder ist schuldig, alle müssen etwas tun. Im Kollektivsingular gesprochen (oder besser geseufzt): Der Mensch, dieses promethische Wesen! Spielt halt gern mit dem Feuer. So war es schon immer. Und darum heizt sich nun der Planet auf.
Fatal ist diese Verallgemeinerung, die einer neuen Kollektivschuldthese gleicht, weil sie Verantwortung und Handlungsoptionen verschleiert. Mit der Verallgemeinerung gerät aus dem Blick, wer genau den Klimawandel befeuert, wer davon profitiert, wer Klimaschutzmaßnahmen verwässert, in ihrer Umsetzung bremst, und wer sich alles auf der Gegenseite zusammenfindet, Klimaschutz einfordert und entsprechende Maßnahmen und Strategien entwickelt. Aus dem Blick gerät schließlich auch die Mitte der Gesellschaft: Warum sie schweigt, wegschaut und sich in Apathie übt, womit sie denen, die den Klimawandel aus ihren fossilen Interessen vorantreiben, letztlich Rückendeckung gibt.
Die Politikwissenschaftler_innen Patrizia Nanz und Manuel Rivera haben in dem Aufsatz «Erzählend handeln, Handeln erzählen: Fragen an Narrative Nachhaltiger Entwicklung»1genau dieses Problem analysiert. Sie kamen zum Ergebnis, dass der Klima- und Nachhaltigkeitsdiskurs «strukturell vermeidet, politische Antagonisten zu benennen, und zu unvollständigen ‹Aktantenkonstellationen› tendiert», also nicht sagt, wer alles handelnd involviert ist. Die Verallgemeinerung blockiert dann aber nicht nur politisches Handeln. Nanz und Rivera legen den Finger auf eine andere Wunde: «Das Resultat ist ein schlechtes storytelling, ein spürbarer Mangel an Narrativität.» Wer beim Klimawandel verallgemeinert, langweilt das Publikum. Das lässt sich mit ein bisschen Verzweiflung zwar positiv wenden – die mediale Verschleierung von Verantwortung ist immerhin so dröge, dass sie kaum einer zur Kenntnis nimmt –, eine Todsünde bleibt diese Art des Journalismus aber trotzdem. Denn Menschen machen die Geschichte. In diesem Sinn muss das im Klimawandel agierende Personal (zu denen, hier ist eine Verallgemeinerung angebracht, tatsächlich wir alle zählen, weil auch Unterlassen eine Aktion ist), plastisch herausgestellt und mitsamt seinen vielfältigen Handlungsmotivationen durch die mediale Berichterstattung lesbar werden.
Und weil wir gerade dabei sind: Die Hauptschuld für den Klimawandel tragen viele der großen Ölunternehmen der Industriestaaten, Firmen wie Exxon, die in den 1980er-Jahren auch aus eigener Forschung über den Stand und die Gefahren der Erderwärmung Bescheid wussten, und dann, als die globale Gemeinschaft sich Ende der 1980er-Jahre entschlossen zeigte, den Klimawandel zu bekämpfen, eine gewaltige Desinformations- und Lobbymaschinerie zur Verteidigung ihrer Geschäftsgrundlage anschmissen. Hauptschuldig sind auch all jene Politiker – in den USA meist Republikaner, in Europa viele der etablierten Volksparteien, einschliesslich linker und liberaler Parteien –, die aus ihrer Nähe zur fossilen Industrie oder zu ölexportierenden Staaten wie Russland seit jetzt dreißig Jahren eine neue Energiepolitik blockieren und verzögern. Ein nicht geringes Maß an Verantwortung für den Klimawandel tragen auch all jene in den Medien, die in der hier geschilderten Weise verfahren, mit Vorliebe in konservativen Blättern, aber immer wieder auch in linksliberalen Leitmedien, die den Klimawandel in den vergangenen dreißig Jahren viel zu selten auf die vorderen Seiten gebracht haben.
Die sechste Sünde: Der Journalismus verliert sich beim Klimawandel in Einzelheiten
Der Klimawandel erscheint als ein Thema unter vielen, wie Gesundheit, Literatur, Sport und Technik. Strukturell wird der letzte Hurrikan nicht viel anders beschrieben als das ein Fussballspiel in der Champions League. Es wird ein Ereignis vermeldet (Sieg, Unentschieden, Niederlage – Anzahl der Toten, der Vermissten, Kosten der Schäden), mitgeteilt, woraus es sich zusammensetzt (die Nacherzählung des Spiel- und des Sturmverlaufes), und schließlich bewertet (Hängt der Sturm mit dem Klimawandel zusammen, oder ist das Ganze bloß ein übliches Wetterphänomen – hat Real Madrid verdient gewonnen oder nicht?). In den Sportnachrichten werden nach diesem Muster lauter Einzelergebnisse berichtet und erläutert, am Ende aber, und das ist das Entscheidende, was den Zuschauer auf Dauer bei der Stange hält, durch eine Tabelle eingeordnet und kontextualisiert. Der Klimajournalismus wird nun wie Sportjournalismus betrieben, mit dem Unterschied, dass es am Ende keine Tabelle gibt und alles in Einzelheiten zerfällt. Das große Bild ist wie bei kaum einem anderen medialen Thema verschwommen, unvollständig, unkenntlich.
Das hat seinen Grund in der Natur des Klimawandels. Mit einem Begriff des Philosophen Timothy Morton könnte man ihn als ein «Hyper-Objekt» bezeichnen: als ein massiv in Raum und Zeit verteiltes Phänomen. Die normale journalistische Herangehensweise ist angesichts dieses Phänomens heillos überfordert: Mit ihrem Strom von News-Häppchen – hier eine Klimakonferenz, da eine neue Vorhersage zum Meeresspiegelanstieg, dort das Gerangel der Kohlekommission – hinterlässt sie beim Publikum einen schalen Nachgeschmack und ein Gefühl von Überdruss und Überforderung: Hach, dieser Klimawandel. Da blickt doch niemand mehr durch!
Der Häppchen-Journalismus hat immer eine problematische Seite, aber beim Klimawandel stößt er vollends an seine Grenzen. Hier ist eine neue Art von Journalismus gefragt, ein relationaler Journalismus im Allgemeinen und ein kuratierter Journalismus im Besonderen. Eine relationale Thematisierung reflektiert, dass der Klimawandel so gut wie alle Bereiche des gesellschaftlichen und politischen Lebens berührt. Eine entsprechende mediale Herangehensweise an den Klimawandel stellt zwischen den verschiedenen Wissensfeldern Zusammenhänge her und zeigt relevante Bezüge zum individuellen und gesellschaftlichen Leben auf. Das Wort «Klimajournalismus» selbst wäre dann entbehrlich; er ist genauso entbehrlich wie ein spezieller «Demokratie-Journalismus». Vielmehr müsste die Klimakrise in Beiträge, die sich mit anderen Fragen wie der Migration, dem Rechtsnationalismus, der Rentenhöhe, dem Gesundheitssystem, der Literatur befassen, selbstverständlich nebenbei einfließen können.
Darüber hinaus erfordert der Klimawandel einen «kuratierten Journalismus», wie ihn der Kommunikationswissenschaftler Seth Abramson für komplexe Großthemen skizziert hat. Diese Art Journalismus sollte aus den Myriaden von Einzelberichten, die rund um den Globus ständig und über eine große Zeit hinweg produziert werden und in nie da gewesenem Maße zugänglich sind, Schlüsselverbindungen herausdestillieren, um zu einem umfassenden, verlässlichen, auf sicheren Quellen beruhenden Narrativ zu kommen, das auf nachvollziehbare Weise erklären kann, wie wir zu dem Punkt gekommen sind, an dem wir nun stehen. «Done well», schließt Abramson sein Plädoyer, «the result of all this compiling, connecting and synthesizing will be not just a thorough history but also the production of new knowledge. »
Verknüpft man die Themen Klimawandel, Temperatur- und Meeresspiegelanstieg mit Migrationsdruck, mit dem weltweiten Erstarken rechtsnationaler und autoritärer Kräfte, die den Klimawandel leugnen, mit der massiven Einflussnahme der fossilen Industrie und fossiler Staaten auf den gesellschaftlichen Diskurs und die Politik westlicher Demokratien sowie mit der aggressiven Geopolitik vieler von Öl abhängiger Staaten, dann wird deutlich, dass es um viel mehr geht als um die Frage, ob wir zukünftig mit Elektroautos, Benzinern oder Fahrrädern zur Arbeit fahren: Es geht beim Klimawandel schon jetzt immer auch um die Frage, ob wir in Zukunft in einer Demokratie oder unter einem autoritären Regime leben werden.
Die siebte Sünde: Der Klimawandel wird unter Wert gehandelt
Der Klimawandel schafft es nur selten auf die Titelseiten, nur selten ins Hauptprogramm. Auch Chefredakteure packen in Leitartikeln das Thema nur selten an. Man reißt sich als Journalist nicht gerade darum. Und man bleibt intellektuell anerkannt, auch wenn man nie ein Wort dazu geschrieben oder gesagt hat. Der Klimawandel ist in Ausmaß und Auswirkungen die größte Story ever – aber im Journalismus nie zu einem beherrschenden Thema geworden, anders als der Terrorismus, die Islamfrage, der Rechtsnationalismus. Oft wird dieser Tatbestand mit Quoten gerechtfertigt: Der Klimawandel sei deshalb ein Randthema, weil sich das Publikum nur am Rande dafür interessiere. Das ist ein faules Argument, es verkennt die Macht des Agenda-Settings.
Neil Postman schrieb, Medien setzten stillschweigend «ihre spezifischen Realitätsdefinitionen durch», und mit Niklas Luhmann lässt sich ergänzen: «Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.» Medien geben zwar nicht vor, was die Leute sagen, sehr wohl aber, worüber sie sprechen, worüber sie denken. Hätte man den Klimawandel nicht bloß am Rande thematisiert, wäre auch das Interesse ein anderes gewesen. Es hätte sich jederzeit beim Publikum wecken lassen.
Wenn die Medien in Zukunft die sieben Todsünden vermeiden; wenn sie all das, was mit dem Klimawandel zu tun hat, prominenter platzieren und öfter bringen; wenn sie die richtigen Debatten führen; wenn sie das Thema mit all seinen vielfältigen gesellschaftlichen und geopolitischen Facetten und aus unterschiedlichen Perspektiven schildern; wenn sie durch ihre Berichterstattung die Parteien in einen Wettbewerb um die besten Klimaschutzmaßnahmen bringen; wenn sie die Chancen aufzeigen, die in der Energiewende liegen; wenn sie die Schurken, die Helden und nützliche Idioten benennen und eine eingängige Erzählung aus tausend Einzelheiten herausarbeiten, die erklärt, was hier und jetzt passiert – dann wird das Publikum in Scharen zusammenlaufen. Und nicht nur das. Es wird mitreden und auf eine neue Politik drängen, die entschlossen handelt.
In: Brigitte Bertelmann, Klaus Heidel (Hg.): Leben im Anthropozän: Christliche Perspektiven für eine Kultur der Nachhaltigkeit. München: oekom verlag 2018, S. 137–148.
Published 18 June 2019
Original in German
First published by Wespennest 176 (2019) (German)
Contributed by Wespennest © Maximilian Probst / Daniel Pelletier / Wespennest / Eurozine
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