Die Nationalismusfrage ist unausweichlich

Zur künstlerischen Auseinandersetzung mit rechten Tendenzen in den ehemaligen Ostblockstaaten am Beispiel Ungarns

Die Gründung der Europäischen Union führte in der Region des ehemaligen Ostblocks zu einem Nationalisierungsprozess. Die Einigung ist verflochten mit den zentrifugalen Tendenzen entstehender Nationalismen, der rechtspopulistischen Eskalation und religiösem Fundamentalismus. Trotz des supranationalen Überbaus bleiben die einzelnen Staaten innerhalb der Union, insbesondere die neu beigetretenen, empfänglich für Nationenbildung, kollektive Erinnerungen und Zukunftsvisionen. Immer noch oder sogar mehr denn je sind diese Staaten besessen von ihrer nationalen, ethnischen und religiösen Einheit basierend auf einem selbstbezogenen Verständnis von Kultur. Fantasien über das eigene kulturelle Erbe, Verzerrung und Verklärung der Vergangenheit zum Zwecke momentaner politischer Bedürfnisse, aber auch die Konflikte über öffentliche Räume, die bestimmte Gruppen zu monopolisieren trachten, machen einen großen Teil der politischen Landschaft aus. Die mythisch überhöhte Vergangenheit wird oft gegen die Erinnerungen anderer Gruppen mobilisiert, die nicht als Teil der homogenen Kultur gelten. Gedenkstätten sind daher permanent Schauplätze politischer Kämpfe, aber auch Ziele subversiver Kunst.

In jenen Ländern des ehemaligen Ostblocks, in denen die politische Wende mit Diskussionen am runden Tisch vorbereitet wurde, konnte das Trauma der kommunistischen Vergangenheit zum Schweigen gebracht und seine Analyse in unbestimmte Zukunft verschoben werden. Dies gilt ohne Zweifel für Ungarn. Seit der politische Wechsel ausgehandelt und ein Kompromiss zwischen den Partnern der ehemaligen Machtelite einerseits und der ehemaligen Opposition andererseits in Aussicht gestellt wurde, wurden alle Konflikte und Meinungsverschiedenheiten beiseitegeschoben. Der Preis dafür war hoch, nämlich das Verdrängen der Geschichte ohne wirkliche Trauerarbeit und ohne aus einer solchen Schlüsse gezogen zu haben. Nach einiger Zeit wurde es wegen des veränderten politischen Klimas überhaupt unmöglich, schmerzliche Analysen der Vergangenheit durchzuführen, weil diese zu politischen Waffen für eine Hexenjagd, zumeist in Händen der Rechten wurden. Auf die nötige Erinnerungsarbeit zu pochen, wurde nun als rechte Rhetorik gesehen, die im neoliberalen oder linken Denken keinen Platz haben soll. Die sozialistische Vergangenheit wurde zum Schweigen verurteilt. Doch Schweigen und Tabuisierungen vergiften das Gesprächsklima und haben furchtbare Folgen. Ohne kritische Untersuchung und ehrliches Betrauern der Verletzungen und Ungerechtigkeiten in der Vergangenheit kann man nicht mit der Kultursituation von heute umgehen. Und so beherrscht heute eine mehr oder weniger verwirrte und gelähmte Atmosphäre diese Länder, in denen die geschmähten Symbole des Kommunismus durch nationale, religiöse oder revisionistische Monumente ersetzt werden.

Symbole von Nationalismus und Kirche im öffentlichen Raum

Im Schatten des Abblockens und Filterns der Erinnerungen an die sozialistische Vergangenheit1 haben extrem nationalistische Kräfte und auch die Kirche in verschiedenen Ländern aggressiv Ansprüche auf den öffentlichen Raum erhoben. So sprossen in Ungarn in den 1990er-Jahren Tonnen von Statuen für den Heiligen Stefan, dem ersten ungarischen König, der das Land christianisiert hat, aus den leer gefegten öffentlichen Flächen. In Estland wurden sozialistische durch nationale Denkmäler ersetzt, die auf die neue Situation Bezug nahmen, nämlich dass die früher unterdrückte Bevölkerung in den Nachfolgestaaten der zerfallenden Sowjetunion nun jäh die Macht hat. Die politische Strategie, öffentliche Symbole einfach auszutauschen, stellte allerdings nicht in Rechnung, dass das neu gegründete unabhängige Estland eine große russische Minderheit geerbt hat. Der berüchtigte Bronzesoldat in Tallinn symbolisierte für die Estländer ein Monster, Unterdrückung, war für die russische Minderheit aber eine heilige Kultstätte. Die Stadt “ersetzte” den Bronzesoldaten auf dem Hauptplatz (der sowjetische, russische und orthodox religiöse Anklänge hatte) durch eine nahe gelegene viermal so große “Befreiungssäule”, ein aggressives Kreuz, das an einen militärischen Orden aus der Zwischenkriegszeit erinnert und jetzt die orthodoxe Kirche dahinter überragt.

In Polen erleben wir anstatt eines Denkmalaustauschs eine Metamorphose des Monuments “Poznan Juni 1956”, das 1981 von der Gewerkschaft Solidarnosc in Erinnerung an den niedergeschlagenen Aufstand in der Stadt aufgestellt wurde. Zusammen mit dem politischen Wechsel im Land haben sich seine Bedeutung und Botschaft nämlich mit gewandelt. Die mächtige katholische Kirche Polens versucht ihren großen Einfluss auf die Masse geltend zu machen, um am Ball zu bleiben, das heißt um die aktive politische Rolle, die sie in kommunistischen Zeiten hatte, trotz der veränderten Lage in der neuen Demokratie auch weiterhin spielen zu können. Piotr Piotrowski argumentiert, dass “die Solidarnosc nicht nur wie die ArbeiterInnen 1956 in Poznan für ‘Brot und Freiheit’ kämpfte, sondern auch für die Erinnerung, die – wie alles andere – von den KommunistInnen ‘gekapert’ worden war”.2 In seiner Einschätzung der Bedeutung dieses Denkmals führt er aus, dass es “eine wichtige Rolle im politischen Bewusstsein Poznans spielte […]; es wurde zu einem Widerstandssymbol gegen den Kommunismus […]; bei ihrem Ruf nach Demokratie ging die Solidarnosc, von der ideologischen Einheit auf Grundlage des polnischen Katholizismus aus […]; paradoxerweise aber funktionierten beide Seiten, KommunistInnen wie Solidarnosc nach denselben gesellschaftlichen Mechanismen – dem Mechanismus der Dominanz einer auserwählten Ideologie, die die Gleichheit der Unterschiede proklamiert und zugleich die notwendige Grundlage einer funktionierenden Demokratie, nämlich den ideologischen Konflikt, nicht toleriert”.3 Bis heute steht das Monument für den Sieg über die Diktatur. Doch nach der Interpretation Piotrowskis “wurde das Denkmal ‘Poznan Juni 1956’ in einer anderen Wirklichkeit errichtet, in einer totalitären Wirklichkeit, auf die es mit einer anderen totalitären Sprache reagierte; im Widerstand gegen die Dominanz der kommunistischen Ideologie zeigte es eine andere Dominanz – die national-katholische”.4

Der Kampf um den öffentlichen Raum macht einen Großteil der Symbolpolitik in den Nachbarstaaten Zentraleuropas aus. Die nationalistische “Statuenmanie” in Ungarn genoss die Unterstützung des Staates beim Aufstellen von Statuen in Städten mit großen ungarischen Bevölkerungsanteilen in Nachbarländern, zum Bespiel im slowakischen Komarno. Die geplante Enthüllungszeremonie des “Heiligen Stefan” auf dem Hauptplatz der Stadt durch den ungarischen Präsidenten László Sólyom wurde verhindert, weil die “Geste” als Provokation und aggressive Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Slowakei wahrgenommen wurde. Umgekehrt wurde zur selben Zeit der seltsame Aufstellungsort von “Kyrill und Method” auf dem Balkon des Slovenska-Matica-Gebäudes in Komarno nationalistisch aufgeladen, indem Jan Slota und Anna Belousovova einen Kranz vor der Statue niedergelegten. Die beiden sagten, die Kranzniederlegung wäre unter unwürdigen Bedingungen vonstatten gegangen, bei denen ihr Leben in Gefahr gewesen wäre. Dieses dramatische Ritual wühlte die Slowakei auf und hielt die Öffentlichkeit in Atem, die nun die Verantwortung für das Aufstellen von Statuen in die Hände der Zentralregierung anstelle des Stadtrats legen wollte. In beiden Fällen wurden öffentliche Denkmäler im Dienst entgegengesetzter politischer Interessen missbraucht. Der öffentliche Raum wurde zum politischen Kampfplatz.


2009 erklärte die ungarischstämmige slowakische Künstlerin Ilona Németh in einem Interview, dass die Nationalismusfrage unausweichlich wäre.5 Eingeladen zu einem landesweiten Projekt für Kunst im öffentlichen Raum montierte sie einen riesigen Spiegel neben der Turul-Statue aus dem Jahr 1902 auf dem Hauptlatz von Györ.6 Der Fabelvogel Turul steht für die Geschichte Ungarns und wurde zum Symbol von Großungarn samt all seinen Illusionen. Er ist auch das Hauptsymbol der extrem rechten NationalistInnen. Durch den Spiegel machte sie die BewohnerInnen der Stadt darauf aufmerksam, dass sich die Botschaften öffentlicher Denkmäler je nach politischem Regime ändern und welche Spannungen das Symbol des Turul heute verkörpert. Sie zwang die Leute, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.

Trianon als Ursprung eines nationalen Traumas für Ungarn

Der Friedensvertrag von Trianon, dessen 90. Jahrestag am 4. Juni 2010 gefeiert wurde, war seit seinem Bestehen ein neuralgischer Punkt im Karpatenbecken. Trianon galt als nationales Trauma Ungarns, weil mehr als 72 Prozent des ehemaligen Territoriums verloren gingen und ein großer Teil Ungarischstämmiger durch die Auflösung des österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaats unter Fremdherrschaft gelangte. Für Nichtungarn galt der Vertrag als Teil des Entkolonialisierungsprozesses und der Geburt neuer Nationalstaaten, für Ungarn hingegen als Strafzerstückelung der Heimat. Da die Staatsgrenzen nicht entlang ethnischer Grenzen gezogen wurden, wurde Trianon in der Zwischenkriegszeit zu einem permanenten Anlass regionaler Spannungen, war doch eine Revision der Grenzen ein Hauptthema der ungarischen Innenpolitik. Durch den aufgezwungenen Internationalismus im Kalten Krieg wurden dann freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nachbarstaaten im Ostblock zum politischen Muss. Da die im Friedensvertrag von 1947 festgelegten Grenzen fast dieselben waren wie die von 1920, musste das Problem schlichtweg unter den Teppich gekehrt werden. Trianon wurde ein unaussprechliches Tabuthema. Doch der Bumerang kam mit aller Wucht zurück, als die Satellitenstaaten der Sowjetunion ihre Unabhängigkeit wiedererlangten. Seitdem gibt es keine rechte politische Kraft auf beiden Seiten der Grenze, die nicht die nationale Karte ausgespielt hätte. Rache bzw. Lob für Trianon sind bis heute eine wichtige politische Munition in den Händen der extremen Rechten. Im ungarischen Parlament wurde der 4. Juni zum Tag der Nationalen Zusammenhalts erklärt, während man in Komaro eine Festlichkeit organisierte und im Namen der slowakischen Nation einen Gedenkstein enthüllte, der die Dankbarkeit gegenüber den Unterzeichnern des Friedensvertrags zum Ausdruck brachte.

2009 wagte sich der junge ungarische Konzeptkünstler und “agent provocateur” Tibor Horváth an das sensible Thema Trianon heran. Er sammelte Autoaufkleber, die die Landkarte Großungarns vor dem Friedensvertrag anderen historische Motiven gegenüberstellten. Darüber legte er die Karte des heutigen Ungarns, das heißt, er überdeckte die Illusion mit der Realität. Auch jener Blogger auf transit.blog.hu, der den Umriss des “verstümmelten” ungarischen Staats mit dem israelischen Stern versah und in Anspielung auf Ungarns Macht und Größe während der Árpád-Dynastie im Mittelalter (aber auch auf die ungarischen Pfeilkreuzler-“Nazis” aus dem Zweiten Weltkrieg) mit einer rot-weißen Fahne unterlegte, bezog sich auf Horváths Serie.7 Er machte damit deutlich, dass die revisionistischen Tendenzen, die zurück zum “Nationalterritorium” streben, eng mit Xenophobie verbunden sind, meistens antisemitischer Art.

Dasselbe zeigte sich auch an der Rezeption von Liane Langs lokaler Kunstintervention. Sie steckte einer neuen und in Wahrheit illegal im 12. Bezirk Budapests aufgestellten Turul-Statue eine Plastikhand in den Schnabel. Diese Aktion sollte auf die ignorante Haltung gegenüber dem äußerst sensiblen und ideologisch aufgeladenen lokalen Kontext aufmerksam machen. Der Gegenstand von Langs Intervention, der Turul, spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Rechte ExtremistInnen verstanden ihr Projekt aber als Aggression und “Herabwürdigung des Nationalstolzes”. Die überwältigende Reaktion auf die Aktion war, wie immer, einen Sündenbock zu suchen. In diesem Fall wurde der Antisemitismus mobilisiert und eines der Holocaust-Denkmäler in Budapest brutal geschändet.8

Abgesehen von Juden und Jüdinnen sind Roma die Hauptzielscheibe rechter ExtremistInnen. Die Hass auf die Roma vonseiten der gerichtlich verbotenen ungarischen Paramilitärs der Magyar Gárda (der Ungarische Garden) führte zu bewaffneten Pogromen gegen Roma, die bis heute sechs Todesopfer forderten. In Tatárszentgyörgy wurden ein junger Mann und sein fünfjähriger Sohn erschossen. Ein Künstler bot dem kleinen Dorf an, ein Denkmal für die Opfer zu errichten, doch die VertreterInnen des Dorfes in der Bezirksverwaltung wiesen seinen Antrag ab. Sie meinten, das Denkmal würde BewohnerInnen wie GästInnen bloß an die Tragödie erinnern, während das Dorf doch alles unternehme, sie zu vergessen.

Kritische Kunst und Kunstwerke von Leuten, die zur Schlichtung des Streits zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und zwischen den Nationen im Karpatenbecken beitragen wollen, werden regelmäßig beschädigt, ruiniert oder verurteilt. Der im Internet veröffentlichte “Nationale Kniefall” von János Borsos, bei dem er 2009 in einer Performance schlicht um Vergebung bat und “jenen gesellschaftlichen Gruppen, die aufgrund ihrer Herkunft, Ethnie oder moralischer Orientierung verachtet werden, Genüge tun” wollte, indem er ihre Symbole trug und in ungarische und slowakische Staatssymbole gehüllt zu Boden sank, führte zu Tausenden von schweren Drohungen, nachdem er vom rechten Rand bemerkt worden war. Die serielle Kunst im öffentlichen Raum von János Sugár – zweisprachige Schilder (Ungarisch-Rumänisch, Ungarisch-Slowakisch, Ungarisch-Romani) mit dem unschuldigen Wörtchen “Verzeih” darauf – löste große Wut aus, obwohl man nicht einmal erkennen konnte, wer sich hier bei wem entschuldigen will. Als die ungarisch-slowakische Variante der Schilder vor der Kunsthalle Budapest ausgestellt war, wurden sie von Unbekannten höchst professionell abmontiert.9 Schon kurz davor hatte ein weiteres Werk von Ilona Németh dasselbe Schicksal ereilt. Ihre Schilder mit Fragen des Soziologen Bogardus (zum Beispiel: “Würden Sie jemanden aus der Gruppe X als Familienmitglied oder als Freund oder als Mitbürger tolerieren?”) wurden ganz offiziell aus dem 7. Bezirk Budapests mit seiner gemischten Bevölkerung entfernt. Die öffentliche und “spontane” Reaktion auf diese Kunstwerke, die sich gegen die Eskalation der Spannungen wenden, zeugt von einer tief greifenden Intoleranz im heutigen Ungarn.

Kritische Kunstpraktiken angesichts radikalisierender politischer Tendenzen?

“Gemeinsame Erinnerung”, ein wunderbarer Begriff von Jan Assmann, auf den sich auch Irit Keynan (eine Friedensaktivistin und Gelehrte aus Israel) für den Konflikt zwischen Israel und Palästina berief,10 steht wohl auch für unsere Region völlig außer Frage. Ist sie doch vergiftet von ethnischen Dauerkonflikten aufgrund des Zusammenpralls unterschiedlicher unaufgearbeiteter Traumata aus der jüngeren und älteren Vergangenheit. Permanent wird ein Sündenbock gesucht. Natürlich geht es in der demokratischen Öffentlichkeit, um mit Rosalyn Deutsche zu sprechen,11 immer um Konflikte und Kompromisse und nicht um Harmonie. Doch soll sie nicht gerade ein Forum für Hasstiraden sein.

Boris Buden meint, man könne nicht von einem homogenen und allgemeinen Nationalismus sprechen. Es existieren viele Formen des Nationalismus.12 Für den Nationalismus westlicher Ausprägung sei hauptsächlich die Massenzuwanderung verantwortlich, während in den postkommunistischen Ländern alte Krankheiten in neuer Form auftreten. Bori Krizas Dokumentarfilm “Rocking the Nation” (2007) über die ungarische Band Romantic Violence zeigt die angestrebten “reinigenden” Tendenzen des ethnozentrischen Nationalismus in Ungarn. Seine Rituale und Symbole gründen auf kollektiven Fantasien einer glorreichen Vergangenheit und zielen darauf ab, ein ethnisch sauberes Paradies zu erschaffen, das es so nie gegeben hat. Antisemitismus, Rassismus und Homophobie sind “natürliche” Elemente dieser Nationenbildung, die sich mit den angehäuften unaufgearbeiteten Traumata der Vergangenheit rechtfertigt und von Rachegelüsten für historische Ungerechtigkeiten getrieben wird, die zu Diskriminierung, Gewalt und Leid führen. Sári Stenczer sagt dazu: “Das Missverstehen der Traumata der Vergangenheit, die explosiven Kräfte der Gegenwart und kulturelle Erschütterungen verleiten zusammen mit einem schlechten Selbstwertgefühl sowie individueller und kollektiver Gewissens- und Werteverwirrung viele Menschen dazu, sich zu PatriotInnen zu erklären. Leider geht dies immer mit Segregation, Rassismus, Gewalt und undemokratischen Vorstellungen einher. Mehr denn je ist es an der Zeit, sich über politische, soziale, existenzielle und moralische Themen, auch über Menschenrechtsthemen kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Die Medien und die Künste müssen sich gegen jede Form des Hasses und ungesunden Patriotismus wenden”.13

Obwohl sich im Zuge der Radikalisierung des politischen Lebens in den vergangenen Jahren kritische Kunstpraktiken vermehrt haben, gibt es in Ungarn bisher nur wenige KünstlerInnen, die sich politischer Themen annehmen. Kunstwerke über gesellschaftliche Probleme sind immer noch selten, Interventionen sporadisch. Die Kunstszene geht der Politik aus dem Weg, weil sie diese von der Vergangenheit her als diskreditiert betrachtet. Politik wird nicht als Thema der Kunst erachtet. Das Wachsen des Kunstmarkts trägt weiter zur Vernebelung des Blicks auf die soziale Verantwortung der Kunstschaffenden bei. Berührt die Kunst die Politik, wird automatisch eine Rhetorik ausgelöst, die Arbeiten mit politischem oder aktivistischem Inhalt als “sozialistisch” diffamiert. Und dieser Ausdruck verliert rasant an Beliebtheit, was ihn für kritische Kunst umgehend disqualifiziert.

Die Frage ist, wie lange sich die Kunstszene angesichts der Zweidrittelmehrheit des rechten Flügels im neu gewählten ungarischen Parlament und der 17 Prozent an die extreme Rechte noch aus der politischen Situation heraushalten kann. Einen Tag nach seiner Angelobung sprach der neue ungarische Premierminister Viktor Orbán bereits von der Notwendigkeit einer “rechten Kultur”: “Für die moderne Rechte ist die alte traditionelle ungarisch-christliche Kultur von vor 1945 nicht mehr genug […]; wir brauchen eine neue, moderne Kultur, die die alte enthält […]. Die ungarische rechte Kultur muss durch Kunstwerke, Preise, Feiern angeregt werden”.14

Mit dieser Rede wurde eine voll gerüstete rechte Kulturpolitik angekündigt. Die Kunstszene kann sich also nicht mehr länger drücken. Die Frage des Nationalismus wird mit einer zentralisierten Kulturpolitik, die gänzlich von den Konservativen kontrolliert wird, jetzt wirklich unausweichlich.

Genaueres dazu in Edit András, "Nachwirkungen. Das Trauma der kollektiven Erinnerung an die sozialistische Vergangenheit", in: springerin 3/2008.

Piotr Piotrowski, The Cross in Stalin Square, in: Sztuka wedlog politytki. Od "Melancholii" do "Pasji" [Kunst nach der Politik. Von der "Melancholie" zur "Leidenschaft"]. Krakau 2007.

Ebd.

Ebd.

www.parameter.sk/rovat/kultura/2009/11/23/nemeth-ilona-nacionalizmus-kerdeset-nem-lehet-megkerulni?mini=calendar/2010/06/all

A mi kis falunk. A Magyar Müvelödési Intézet és Képzömüvészeti Lektorátus 2009.évi public art programja. [Unser kleines Dorf. Kunst im öffentlichen Raum 2009] Magyar Müvelödési Intézet és Képzömüvészeti lektorátus. Budapest 2009, S. 32-33.

http://tranzit.blog.hu/2009/11/24/reblog_017

Gergely Nagy, A törvény, a turul és a müvészeti autonómia. [Das Gesetz, der Turul und die Autonomie der Kunst], http://hvg.hu/kultura/20090706_turul_XIIkerulet_liane_lang_csizmadia

Details zum Projekt: Pelesek Dóra, Beszéd/ tett. Gondolatok Sugár János 'elnézést' projektjéröl [Dóra Pelesek, Sprache/Aktion. Gedanken zu János Sugárs Projekt "Verzeih"], http://balkon.c3.hu/2010/2010_02/2010_02.html

Vortrag auf der Konferenz "The Limits of Memory. The Third Annual Interdisciplinary Memory", 6. März 2010, New School for Social Research, New York.

Rosalyn Deutsche, "Public Art and Its Uses", in: Critical Issues in Public Art. Content, Context and Controversy. Hg. v. Harriet F. Senie und Sally Webster. New York 1993, S. 158-170.

Boris Buden, "Why not: Art and contemporary nationalism?", in: Contemporary Art and Nationalism. Critical Reader. Contemporary Art Institute Exit. Prischtina 2007, S. 12-17.

Sári Stenczer, "Bori Kriza¹s documentary Rocking the nation (2007)", in: Let's talk about nationalism! Between Ideology and Identity. Ausstellungskatalog, KUMU. Tallinn, 2010, S. 69-70.

http://index.hu/belfold/2010/05/30/orban_uj_jobboldali_kulturara_van_szukseg/

Published 9 November 2010
Original in Hungarian
Translated by Thomas Raab
First published by Springerin 3/2010

Contributed by Springerin © Edit András / Springerin / Eurozine

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