Im mehrfachen Jubiläumsjahr 2009 – 20 Jahre 1989, 60 Jahre Gründung der Bundesrepublik Deutschland (und der DDR) 1949, 70 Jahre Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939, 90 Jahre Pariser Friedenskonferenz 1919 u.a. – nimmt der Hitler-Stalin-Pakt in der Mehrzahl der nationalen Erinnerungskulturen Europas keinen sonderlich prominenten Platz ein. Mit Ausnahme der seinerzeit unmittelbar betroffenen Nationalgesellschaften Rumänien, Polen, Litauen, Lettland, Estland und Finnland wird er in der Regel unter der Geschichtsikone “1939” subsumiert, die für den Beginn des Zweiten Weltkriegs steht.
Dabei spielen nicht nur europaweit erodierende Geschichtsbilder im Übergang von der Zeitzeugengeneration zu nachfolgenden Generationen eine Rolle, sondern gerade auch die grenzüberschreitende Geschichtspolitik Russlands. Denn diese zielt auf ein Verdrängen und Vergessen, zumindest auf eine als “Kontextualisierung” camouflierte Relativierung des Paktes und seiner Aufteilung Ostmittel- und Südosteuropas in zwei Einflusssphären bzw. Besatzungszonen. Dass die Einsetzung einer “Kommission zur Verhinderung von Bestrebungen zur Verfälschung der Geschichte zum Nachteil der Interessen der Russländischen Föderation” in Moskau just im Mai 2009 erfolgte, stand zweifelsohne in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Jahrestag des von den Außenministern Joachim von Ribbentrop und Vjaceslav M. Molotov am 23. August 1939 im Namen der Deutschen Reichsregierung und der Regierung der UdSSR unterzeichneten Nichtangriffsvertrages samt Geheimem Zusatzprotokoll.
Die aktuelle russländische Politik ist diesbezüglich eine dreigleisige: Erstens wird nach innen kompromisslose Kontinuität signalisiert. So verkündete Katastrophenminister Sergej K. Sojgu Anfang Mai 2009 im staatlichen Fernsehen:
Russland ist ein mächtiges, ein reiches und großes Land. Um der eigenen Selbstachtung willen ist es notwendig, unsere eigene Erinnerung der Geschichte zu verteidigen.
Zweitens wird den genannten Staaten Ostmittel- und Südosteuropas implizit gedroht, so etwa mit der neuen Kommission bzw. einem Gesetz, dem zufolge sowohl In- wie Ausländer vor ein russländisches Gericht gestellt werden können, wenn sie “den Anteil der Sowjetunion am Sieg über Hitlerdeutschland schmälern”.Drittens schließlich wird im Umgang mit einigen anderen europäischen Staaten, darunter Deutschland, demonstrativ good will in Form von geschichtspolitischer Flexibilität demonstriert. Dies belegt die positive Reaktion der russländischen Außenpolitik auf eine programmatische Rede des deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier vom 4. März 2008 in Berlin, die den Titel trug “Auf dem Weg zu einer europäischen Ostpolitik. Die Beziehungen Deutschlands und der EU zu Russland und den östlichen Nachbarn”. Steinmeier führte darin aus:
2009 jährt sich der Hitler-Stalin-Pakt zum siebzigsten Mal. Sind wir nicht so weit, dass Historiker aus Russland, Polen, Deutschland und dem Baltikum eine gemeinsame kritische wie selbstkritische Anstrengung unternehmen, die unterschiedlichen nationalen Sichtweisen abzugleichen, mit denen wir immer noch auf die gemeinsame Vergangenheit blicken? Denn: Hier liegen doch oft die tieferen Ursachen für fortbestehende Vorbehalte und neue Spannungen. Ich meine: Nur im vertrauensvollen Dialog, nur wenn es gelingt, ein offenes und ehrliches Gespräch darüber zu führen, werden wir ihnen Schritt für Schritt auch die verletzliche Schärfe nehmen können.
Russlands Außenminister Sergej V. Lavrov stimmte dem deutschen Vorschlag einer trilateral russländisch-deutsch-polnischen Konferenz zum Thema unter baltischer Beteiligung in Warschau zu, in deren Titel der deutsch-sowjetische Teilungspakt dann auf Drängen der russländischen Seite allerdings nicht mehr auftauchte. Stattdessen lautete er neutral “Genesis of World War II – Historiography, New Research, New Perspectives”. Dem harmonisierenden Echo auf die Konferenz in Deutschland standen höchst skeptische Reaktionen polnischer Medien gegenüber, die argwöhnten, hier solle die Schuld am Zweiten Weltkrieg auf mehrere Schultern – einschließlich derjenigen Polens! – verteilt werden. “Eine gemeinsame Geschichte wird es nicht geben. Und das ist gut so”, titelte etwa der Kommentator der rechtskonservativen Tageszeitung Dziennik. Die polnische Besorgnis, dass deutsche und russländische Dominanz auf der Konferenz, personifiziert durch Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und den Kreml-nahen Topdiplomaten und Historiker Anatolij V. Torkunov, zu einer Art historischem reenactment von 1939 führen könnte, resultierte in einem spontanen Konferenzauftritt von Staatspräsident Lech Kaczynski sowie in einer abendlichen präsidialen Vorlesung zur Geschichte Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der genannte Torkunov hingegen versuchte sich gemäß Flexibilisierungskurs an der Quadratur des Kreises:
Die Schuld, welche Stalin mit seiner amoralischen und zynischen Politik 1939 über Russland gebracht hat, wurde von dem von den Rotarmisten zwischen 1941 und 1945 vergossenen Blut wieder abgewaschen.
Allein dieses Beispiel zeigt, dass die politischen und medialen Interpretationen des 23. August 1939 in Russland, Polen und Deutschland stark voneinander abweichen – ungeachtet, ja unberührt von der Weiterentwicklung der internationalen zeithistorischen Forschung und der Erschließung neuer Quellenbestände.
Kartierung der Erinnerung
Hilfreich bei einer Kartierung europäischer Erinnerungsorte wie demjenigen des Hitler- Stalin-Pakts kann ein heuristischer Kunstgriff sein: die Übertragung der historischkulturell- religiösen Binnengliederung Europas, die der polnische Exilhistoriker Oskar Halecki in seinem im Zweiten Weltkrieg geschriebenen und während des Kalten Kriegs 1950 veröffentlichten Buch The Limits and Divisions of European History vornahm und die sein ungarischer Kollege Jeni Szöcs dann 1983 in einem Essay mit dem Titel “The Three Historical Regions of Europe” geringfügig modifizierte.
Halecki und Szöcs identifizieren drei europäische Mesoregionen – “Westeuropa”, “Osteuropa” und einen in der Mitte gelegenen Teil, der bei Szöcs “Ostmitteleuropa” und bei Halecki “Mitteleuropa” heißt. Halecki untergliedert dieses “Mitteleuropa” dann weiter in eine westliche Hälfte namens “Westmitteleuropa” und einen östlichen Teil, der wie bei Szöcs dann “Ostmitteleuropa” heißt. Entsprechend ergibt sich folgende erinnerungsgeographische Untergliederung Europas: (a) Westeuropa (einschließlich Nord- und Südeuropa); (b) Westmitteleuropa, das meint “alte” Bundesrepublik und DDR bzw. das wiedervereinigte Deutschland plus Österreich und die Schweiz; (c) Ostmitteleuropa, also die baltischen Staaten, Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn, auch den Donau-Balkan-Raum; und schließlich (d) Osteuropa, d.h. die aus der Sowjetunion hervorgegangenen GUS-Staaten einschließlich der Russländischen Föderation.
Gerade weil die jeweils bis ins Mittelalter zurück gehenden Analysen von Halecki und Szöcs unverkennbar Produkte des Ost-West-Konflikts sind und sie die in Jalta vorgenommene politische Zuordnung des zur “Mitte” (und damit zum “Westen”) gehörenden “Ostmitteleuropa” zum sowjetisch dominierten “Osteuropa” als Abweichung vom europäischen Entwicklungspfad einstufen, sind ihre Regionalisierungen auch der Nach-Wende-Zeit adäquat. Milan Kundera hat dafür die Formel vom “occident kidnappé” als dem 1945 von Stalin “entführten Teil des Westens” geprägt.
– Haleckis Westeuropa oder präziser der transatlantische “post-alliierte” Raum einschließlich der USA und Kanadas ist der am klarsten konturierte: Hier ist der 23. August 1939 als Datum der Aufteilung des östlichen Europa in eine nationalsozialistische und eine sowjetische Hälfte in staatlicher Geschichtspolitik wie öffentlich-zivilgesellschaftlicher Erinnerungskultur so gut wie nicht präsent. Vielmehr ist er überlagert von der Erinnerung an das Kriegsbündnis der “Großen Drei”, vom Gedenken an den gemeinsamen Kampf der Mächte der Anti-Hitler-Koalition gegen das Dritte Reich, an den D-Day 1944 und den VE-Day 1945, desgleichen vom Holocaust. Am deutlichsten ist dies an der Sicht auf Stalin als zwar brutalem, aber zugleich verlässlichem “Uncle Joe” erkennbar, die in einem krassen Gegensatz zur Hassfigur Hitler steht. Aus britischer Sicht ist der durch den deutschen Angriff auf Polen ausgelösten “Phony War” bzw. “Sitzkrieg” eine Fußnote der Weltkriegsgeschichte, und in französischer Perspektive werden Angriff und Einmarsch der Wehrmacht 1940 als der letzte in der lange Kette deutschfranzösischer Kriege sowie als Geschehen sui generis, nicht hingegen als Folge des Hitler-Stalin-Pakts gewertet.
– Westmitteleuropa, also vor allem das geteilte wie das wiedervereinigte Deutschland, ist ebenfalls rasch skizziert. Hier sind der Hitler-Stalin-Pakt und die deutsch-sowjetische Unterjochung Ostmitteleuropas von 1939 bis 1941 lediglich eine blasse Erinnerung, die weitgehend überlagert wird vom Geschehen der Jahre 1941 bis 1945, d.h. vom “Vernichtungskrieg im Osten”, von “Auschwitz”, “Bombenkrieg”, Flucht und schließlich vom “8. Mai” als Symbol für Niederlage, “Zusammenbruch”, Besatzung und Teilung, aber auch von Befreiung von einem tyrannischen Regime und im Westen Deutschlands für Demokratisierung und wirtschaftlichen Wiederaufschwung.
– Hinzu kommt, dass aus westdeutscher wie heute gesamtdeutscher Sicht auf den Zweiten Weltkrieg die Verantwortung für die Verbrechen von Wehrmacht, Einsatzgruppen und SS auf dem Territorium der UdSSR Kritik an Stalin als Bündnispartner Hitlers dämpft – und dass dies auch deutliche erinnerungskulturelle Wirkungen in Form einer memorialen Beißhemmung zeitigt. Dass etwa die Wehrmacht und die Rote Armee 1939 im besetzten Polen gemeinsame Paraden abhielten und der NKVD und die Gestapo dort 1940 Koordinierungstreffen durchführten, gehört nicht zum bundesdeutschen Geschichtsbild.
– Ostmitteleuropa stellt sich demgegenüber gänzlich anders da: Hier ist der Hitler-Stalin-Pakt in der staatlichen, kirchlichen, zivilgesellschaftlichen, familiären und individuellen Erinnerungskultur ein zentraler Orientierungspunkt, der Anfang vom Ende einer kurzen, da erst 1918 einsetzenden “goldenen Zeit” nationaler Unabhängigkeit, politischer Selbstbestimmung und kultureller Entfaltung. In polnischer Perspektive etwa nehmen sich der deutsche Angriff vom 1. September und der sowjetische Einmarsch von 17. September 1939 als zwei Seiten ein und derselben Medaille aus und stehen für den Beginn eines “doppelten” fremden und grausamen Besatzungsregimes. Dass sich dieses im Verlaufe des Jahres 1941 von einem deutschsowjetischen in ein rein deutsches wandelte, fällt in dieser Perspektive wenig ins Gewicht, wie auch die militärische Wendung des Blattes von 1944, als die Rote Armee die Wehrmacht als Besatzer in Polen verdrängte, nur bedingt als Zäsur wahrgenommen wird. Symptomatisch ist die öffentliche Debatte im Polen der frühen 1990er Jahre darüber, ob die Volksrepublik Polen ein sowjetisch besetztes Land oder ein teilsouveräner kommunistischer Staat gewesen sei. Bis heute wird das Volkspolen der Jahre 1944 bis 1989 nicht in die Zählung der drei polnischen Republiken eingeschlossen.
Fast noch negativer ist die Erinnerung an den 23. August 1939 in den drei baltischen Staaten, gilt doch hier dieses Datum nicht nur als Auftakt zur Zwangssowjetisierung, sondern zugleich zum Verlust der Eigenstaatlichkeit auf lange Jahrzehnte hinaus. Ein baltischer Erinnerungsort an sich ist bereits die Erinnerung an die noch zu Zeiten sowjetischer Repression erfolgten Proteste am jeweiligen Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes während der Perestrojka 1987 und 1988 sowie vor allem zum 50. Jahrestag 1989, als über eine Million Esten, Letten und Litauer eine 600 Kilometer lange Menschenkette von Tallinn über Riga nach Vilnius bildeten.
– Osteuropa steht für eine gezielte Verdrängung des sowjetischen-deutschen Teilungsbündnisses sowie dessen, was zwischen Moskau und Berlin am 23. August 1939 vereinbart wurde. In der Sowjetunion wurde die Existenz des Geheimen Zusatzprotokolls zum Nichtangriffspakt mit seiner “Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa” (razgranicenie sfer obojudnych interesov v Vostocnoj Evrope) bis zum August 1988 geleugnet, ehe der estnische Zeithistoriker Heino Arumäe den Protokolltext erstmals vollständig veröffentlichte. Im Juli des Folgejahres dann rückte der damalige Parteichef Michail S. Gorbacev von der sowjetischen Formel ab, die Echtheit des Protokolls sei nicht erwiesen, und am 24. Dezember 1989 rang sich der Kongress der Volksdeputierten zu einer Anerkennung von Existenz und Authentizität des Zusatzprotokolls sowie zu einer Verurteilung seines Inhalts durch. Zwar führte die Öffnung der sowjetischen Archive unter Präsident Boris N. El’cin zu einer selbstkritischeren Sicht auf das sowjetischdeutsche Teilungsbündnis von 1939 bis 1941, gar zur Thematisierung sowjetischer Massenverbrechen wie dem an gefangenen polnischen Offizieren von Katyn im Frühjahr 1940. Allerdings fand dies in der weiterhin staatlich dominierten Erinnerungskultur der neuen Russländischen Föderation kaum Niederschlag. Die Teilrehabilitierung der sowjetischen Vergangenheit im Allgemeinen und Stalins im Besonderen unter El’cins Nachfolger Vladimir V. Putin ist der Grund dafür, dass der Hitler-Stalin-Pakt – wie bereits vor 1989 – als bloßes taktisches Manöver sowjetischer Sicherheitspolitik und als ein Schritt gilt, welcher aufgrund der Appeasement-Politik der Westmächte im Herbst 1938 in München gleichsam alternativlos war. Der Moskauer Militärhistoriker Sergej Koval’ev ging unlängst sogar so weit zu behaupten, die “Eigensinnigkeit Polens”, genauer: die Weigerung Warschaus, einem “Anschluss” Danzigs an das Dritte Reich zuzustimmen, habe den Angriff der Wehrmacht am 1. September gleichsam erzwungen. In einem Haleckischen Sinne “osteuropäisch” ist auch die Verortung des 23. August 1939 in den offiziösen Erinnerungskulturen von Belarus’, der Ukraine und Moldovas, (Autonome) Sowjetrepubliken, die von der zwischen Berlin und Moskau seinerzeit vereinbarten und 1944 dann rekonstruierten Westerweiterung der UdSSR territorial erheblich profitierten. Selbst die zynische sowjetische Formel vom “Goldenen September” (Zolotoj Sentjabr’) – “golden” eben aufgrund der am 17. September 1939 durch die Einverleibung der Osthälfte Polens erfolgten Gebietsexpansion – ist hier noch mitunter zu finden. Im ukrainischen Fall ist der Bezug auf den Hitler-Stalin-Pakt zugleich Teil der Debatte darüber, ob in Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft und Schulbüchern die postsowjetisch modifizierte Vorstellung eines von 1941 bis 1945 vor allem auf dem Gebiet der heutigen Ukraine stattfindenden “Großen Vaterländischen Kriegs” – jetzt mit der Ukraine statt der UdSSR als Vaterland – proklamiert werden soll oder nicht eher diejenige eines 1939 beginnenden “Zweiten Weltkriegs”, gar die eines “Deutsch-sowjetischen Kriegs” auf dem Territorium der Ukraine, aber ohne aktive ukrainische Beteiligung. Eine abschließende Antwort auf die Frage, ob die Eingliederung von Lemberg und Czernowitz in die Ukrainische SSR 1939 als verbrecherischer Akt Stalins oder nicht doch eher als das Ende polnischer und rumänischer Okkupation westukrainischer Gebiete zu werten sei, steht von Kiew noch aus.
Identität durch Konflikt
Gewicht und Inhalt des europäischen Erinnerungsortes “Hitler-Stalin-Pakt” werden also in den verschiedenen Teilen Europas ganz unterschiedlich bemessen und interpretiert. Im Westen herrscht Ignoranz vor, im Osten Verdrängung und in der Mitte wirkt dieser lieu de mémoire als weiterhin stark schmerzende gesellschaftliche Narbe. Vor allem die kontrastierende, ja konfligierende Interpretation dessen, wofür der 23. August 1939 steht, die in Polen und den baltischen Staaten einerseits und in der Russländischen Föderation andererseits vorherrscht, steht einer europäischen Deutung im Konsens nachhaltig entgegen. Insofern also taugt dieses Datum sicher nicht als ein europäischer Erinnerungsort, der dazu beitragen könnte, die unterschiedlichen natio- nalen Sichtweisen auf die Geschichte zu harmonisieren oder gar eine europäische Identität zu fördern.
Dies ist nun aber mitnichten ungewöhnlich, werden doch auch Daten wie etwa der “8. Mai 1945” von den Europäern hochgradig unterschiedlich, ja gegensätzlich erinnert. Sie geben gar Anlass zu Streit – und trotzdem kommt ihnen transnationale, identitätsstiftende Bedeutung für Teilräume Europas zu. Umstritten ist in gewisser Weise selbst die Epochenzäsur “1989” als Ende von Kaltem Krieg, atomarer Bedrohung und kommunistischer Diktatur, gilt diese Wendemarke doch den einen als Befreiung mittels “friedlicher Revolution”, anderen indes als unmittelbare Ursache für “die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts”.
Konsensuale europäische Erinnerungsorte – dies belegen das Beispiel der 2000 in Stockholm gleichsam kodifizierten transatlantischen Holocaust-Kommemoration, aber auch dasjenige der gesamteuropäischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg als katastrophisches Erleben sowie in Ansätzen auch die zentraleuropäische Vertreibungserinnerung – bilden sich aber gerade aus Verdrängung, Ignoranz und Streit heraus – nur kann das lange dauern.