Das uneingelöste Versprechen

60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Am 10. Dezember jährt sich die Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) zum 60. Mal: “Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte [bildet] die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt.”, so heißt es in der Präambel.1 Die vergangenen sechs Dekaden, aber auch speziell die letzten Jahre haben gezeigt, dass die inhaltliche Tragweite dieses Postulats immer wieder aufs Neue bewusst gemacht werden muss.

Weiter heißt es dort, dass die “Verkennung und Missachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben”. Wie bei allen großen historischen Menschenrechtstexten, zeigt sich hier ein weiteres Mal, dass Menschenrechte “aus einer fundamentalen Unrechtserfahrung heraus entstanden sind”2 und übrigens auch weiterhin entstehen. Mit der Erklärung von 1948 aber wurde erstmals ein dauerhaftes und globales Fundament geschaffen, das Menschen auf der ganzen Welt bis heute als Berufungsgrundlage für Menschenrechtsforderungen dient. Die ehemalige UN-Menschenrechtshochkommissarin Mary Robinson stellte treffend fest, dass die Erklärung “eines der großen Dokumente der Weltgeschichte” ist.3

Doch welche Fortschritte, so ist anlässlich des Jubiläums zu fragen, sind seit jenem 10. Dezember 1948 erreicht worden, wo gibt es weiterhin Defizite und inwieweit sind im Zuge des primär von der Bush-Regierung forcierten weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus gar Rückschritte zu verzeichnen?

Vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Völkermordes an den Juden Europas sowie zahlreicher weiterer deutscher und japanischer Kriegsverbrechen wurde von der internationalen Staatengemeinschaft, versammelt in ihrer neu geschaffenen Organisation der Vereinten Nationen, zuerst ein bereinkommen gegen den Völkermord, tags darauf die AEMR verabschiedet, die in einem einzigen Dokument alle Rechte zusammenfasst und fixiert, die jedem Menschen allein aufgrund seiner Existenz als Mensch zukommen. Dort ist die Rede von “Rechten und Freiheiten”, die allen Menschen, das heißt jeder und jedem Einzelnen, überall auf unserem Globus Eigen sind. Menschenrechte sind nicht gebunden an Herkunft, Besitz, Religion, Glauben, Sprache, Hautfarbe, etc. – sie sind universell gültig. Schon die Vorarbeiten zur Erklärung belegen, dass Menschenrechtsvorstellungen aus der ganzen Welt, auch aus damals noch nicht unabhängigen Territorien, in sie eingeflossen sind.4Die AEMR war von Anfang an auf universelle Gültigkeit ausgerichtet. Diese wurde auf der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz im Jahre 1993 nochmals bekräftigt.

Dieser menschenrechtliche Universalitätsanspruch wird leicht als Aufforderung zur “Verwestlichung” anderer Gesellschaften oder gar zu deren Uniformierung missverstanden. Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund – und deshalb werden solche Behauptungen auch gerne von autokratischen Herrschern in die Welt gesetzt und die Bedeutung anderer “Werte” propagiert. Doch die Menschenrechtsidee ist theoretisch und praktisch offen dafür, ihre kritische Wirkung in den unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen zu entfalten – was ja auch in der westlichen Welt weiter andauert. Und wer in ihr nur eine “westliche Idee” sehen will, verkennt, dass sich Menschen auf der ganzen Welt dafür einsetzen. Damit wollen sie ihre Gesellschaften und deren traditionelle und regionale Besonderheiten keineswegs “verwestlichen”. Ganz im Gegenteil schützen ja die Menschenrechte mit den Individuen gerade auch deren Verschiedenheit – und damit auch die ihrer Gesellschaften.

Eng mit der Universalität verbunden ist die Unteilbarkeit der Menschenrechte: Zwar lassen sich die Menschenrechte, die in der AEMR im Anschluss an die Präambel in insgesamt 30 Artikeln aufgefhrt werden, einteilen in einerseits politische und bürgerliche Rechte (beispielsweise Schutz vor staatlicher Willkür, vor Folter, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, Diskriminierungsverbote, etc.) sowie andererseits in den Komplex wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte (beispielsweise Rechte auf Arbeit, auf Eigentum, auf Nahrung, auf Bildung, auf soziale Sicherheit, etc.) – sie dürfen aber nicht qualitativ gegeneinander auf- oder abgewogen bzw. gar die einen über die anderen gestellt werden. Mit anderen Worten: Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (kurz: wsk-Rechte) stehen nicht unter oder hinter, sondern gleichrangig neben den bürgerlich-politischen Rechten. Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte sind also direkt miteinander verzahnt, bedingen sich gegenseitig und stehen auch tatsächlich in einem logischen inneren Zusammenhang. Die häufig zu hörende Behauptung, wer hungert, könne mit politischen Rechten nichts anfangen, ist deshalb schlicht falsch. Denn gerade wer hungert, braucht rechtlich gesicherte Artikulationsmöglichkeiten, um seine menschenunwürdige Situation verbessern zu können. Andererseits führen viele Verbürgungen der bürgerlich-politischen Rechte ohne die gleichberechtigte Berücksichtigung der wsk-Rechte leicht zu Privilegierungen der Besitzenden und der Mächtigen, was wiederum nicht ohne Auswirkung auf die Geltung jener Rechte für die Besitz- und Machtlosen bleibt.

Welche Fortschritte sind seit 1948 zu verzeichnen?

Fortschritte seit der Verkündung der AEMR lassen sich vor allem im Bereich der Normensetzung und der Institutionenbildung feststellen. Zwar war die Erklärung selbst völkerrechtlich noch nicht bindend, ihr Kernbestand zählt freilich heute zum Völkergewohnheitsrecht und hat deshalb ebenfalls völkerrechtliche Qualität.5 Und so fanden seither auf der Grundlage bzw. inspiriert von der AEMR Entwicklungsprozesse statt, die im internationalen und im regionalen Rahmen zur Verabschiedung einer Vielzahl völkerrechtlicher Verträge mit menschenrechtlichen Inhalten geführt haben. An erster Stelle sind die beiden großen Konventionen aus dem Jahre 1966 zu nennen: der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt). Beide bereinkommen wurden am 19. Dezember 1966 verabschiedet; der Sozialpakt trat am 3. Januar 1976 in Kraft und zählte im Herbst 2007 157 Vertragsstaaten, der Zivilpakt trat am 23. März 1976 in Kraft mit aktuell 160 Vertragsstaaten.

Beide Konventionen haben eine völkerrechtlich bindende Wirkung. Der Zivilpakt verpflichtet in Artikel 2 Absatz 1 jeden Vertragsstaat, “die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen und sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten”. Verbindlich fixiert sind hier beispielsweise das Recht auf Leben, das Verbot von Folter oder grausamer Behandlung, das Verbot von Sklaverei, das Recht auf persönliche Freiheit, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, etc.

Zwei Fakultativprotokolle zu diesem Pakt schaffen darüber hinaus verbindliche Grundlagen zu einem Individualbeschwerdeverfahren vor dem Menschenrechtsausschuss sowie zur Abschaffung der Todesstrafe. Der Sozialpakt verpflichtet in Artikel 2 Absatz 1 jeden Vertragsstaat, “unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen”. Unter anderem sind hier das Recht auf Arbeit, das Recht auf gewerkschaftliche Vereinigung und Interessenvertretung, das Recht jedes Einzelnen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie, das Recht auf Bildung verankert. Zusammen mit der AEMR werden die beiden Pakte von 1966 mit den zwei Fakultativprotokollen auch als Internationale Menschenrechtscharta bezeichnet.

Ergänzt wird diese durch eine Vielzahl völkerrechtlich verbindlicher bereinkommen, die sich mit menschenrechtlichen Spezialfragen – beispielsweise Frauenrechten, Kinderrechten, Rassendiskriminierung, Behindertenrechten, dem Folterverbot, dem Sklavereiverbot – näher beschäftigen. Zahlreiche Konventionen etablierten bei den Vereinten Nationen Vertragsorgane zur berwachung ihrer Umsetzung. Dabei behandeln freilich auch diese Dokumente immer das Ganze der Menschenrechte, nun freilich aus einer speziellen Perspektive heraus. Schließlich wurde am 17. Juli 1998 das Römische Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof verabschiedet, das seit dem 1. Juli 2002 in Kraft ist. Dieser Gerichtshof dient der Bekämpfung schwerster Menschenrechtsverletzungen, wie sie insbesondere im Zusammenhang mit (Bürger-) Kriegen häufig auftreten – vor allem Verbrechen gegen die Menschheit und Völkermord.

Regionale Ausstrahlung

Darber hinaus sind auch im regionalen Kontext, das heißt in Europa, Amerika und Afrika eigene, grundlegende menschenrechtliche Dokumente entstanden. Für Europa ist vor allem die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 zu nennen, dessen durch Zusatzprotokoll 11 geänderte Fassung seit dem 1. November 1998 in Kraft ist. In ihr verpflichteten sich die Mitglieder des Europarates, “allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I bestimmten Rechte und Freiheiten” zuzusichern.6 Dieser Abschnitt umfasst das Recht auf Leben, die Verbote von Folter und Sklaverei, das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und viele andere, aus der AEMR übernommene Menschen- und Grundrechte. Zudem können diese Rechte von jeder einzelnen Person vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg tatsächlich eingeklagt werden. Neben wichtigen Zusatzprotokollen zur EMRK sind für den europäischen Menschenrechtsschutz darüber hinaus exemplarisch die Europäische Sozialcharta (1961) oder das Europäische bereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (1987) anzuführen. Mit letzterem wurde ein Ausschuss eingerichtet, dem ein umfassendes Recht zu – auch unangemeldeten – Besuchen in Gefängnissen und anderen Haftanstalten eingeräumt wird. Dies gilt als Meilenstein bei der Bekämpfung der Folter und wurde mittlerweile von den UN in einem Zusatzprotokoll zur Antifolterkonvention übernommen.

Seit dem 18. Dezember 2000 verfügt die Europäische Union (EU) über eine Grundrechtecharta, in der auch wsk-Rechte berücksichtigt werden.7 Allerdings ist diese Charta bisher noch nicht rechtsverbindlich; das soll sich jedoch mit dem Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2007 ändern, sobald dieser in Kraft tritt. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg, der im Unterschied zum EGMR nur für die EU-Mitgliedstaaten und die EU als Organisation zuständig ist, hat freilich in den letzten Jahren die Grundrechtecharta bei der Urteilsfindung bereits öfters herangezogen. Darüber hinaus richtete die EU 2006/2007 eine Grundrechteagentur mit Sitz in Wien ein, die vor allem Forschungs-, Beobachtungs- und Beratungsaufgaben zu erfüllen hat.

Die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) verabschiedete am 22. November 1969 die Amerikanische Konvention über Menschenrechte (AMRK), zum Jahresanfang 1979 nahm der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof in San José (Costa Rica) seine Arbeit auf. Dieser setzte bedeutende Maßstäbe beispielsweise im Kampf gegen das Verschwindenlassen von Menschen, das in den vielen lateinamerikanischen Diktaturen der 70er und 80er Jahre eine häufige und besonders gravierende Form der Menschenrechtsverletzung war. Am 17. November 1988 wurde die AMRK durch ein Zusatzprotokoll über die wsk-Rechte ergänzt.

Die Organisation Afrikanischer Staaten (heute Afrikanische Union, AU) verkündete am 27. Juni 1981 die Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker (Banjul-Charta), die seit dem 21. Oktober 1986 in Kraft ist. 1988 wurde ein Protokoll zur Schaffung eines Afrikanischen Menschenrechtsgerichtshofes verabschiedet, der freilich bisher seine Arbeit noch nicht aufgenommen hat. In Asien gibt es keine kontinentale Menschenrechtskonvention.

Das “Gewissen der Menschenrechte”

In den vergangenen 60 Jahren wurde demnach – auf der Grundlage der AEMR – eine Vielzahl bedeutender menschenrechtlicher Dokumente geschaffen, die die Inhalte der AEMR teilweise konkretisiert bzw. ausdifferenziert und – auf der Ebene der Umsetzung – eine völkerrechtlich verbindliche Fixierung von unveräußerlichen Rechten bzw. Rechtspositionen erreicht haben. Natürlich stellt sich hier die Frage, wie die vielfältigen menschenrechtlichen Entwicklungsprozesse, die seit 1948 stattgefunden haben, überhaupt in dieser Dimension und Breite angestoßen und motiviert werden konnten, welche Akteure besonders engagiert und wirkungsvoll waren. Ausgehend von ihrer zentralen Funktion als watchdog – was bedeutet: Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt zu registrieren und öffentlich zu machen –, hat sich die Menschenrechtsbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts insgesamt zu einer gesellschaftlich und politisch höchst einflussreichen Kraft entwickelt, die als “Gewissen der Menschenrechte”8 bezeichnet werden kann. Dies drückt sich auch in Zahlen aus: Waren an der Entstehung der AEMR 1947/48 rund 15 Menschenrechtsorganisationen beteiligt, so nahmen an der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz 1993 bereits etwa 1500 Gruppierungen teil.9 In direktem Zusammenhang mit diesem Wachstum steht auch eine zunehmende Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Menschenrechtsbewegung, womit sie ihre Kompetenzen wesentlich gestärkt hat und dies auch weiterhin tut.

Deshalb wird inzwischen zu Recht von der Menschenrechtsbewegung als einem “Motor des Fortschritts” bei Normierung und Schutz von Menschenrechten gesprochen. Ihr größtes Verdienst besteht darin, dass sie die zentrale Kraft bei der Herausbildung eines immer umfassenderen Menschenrechtsbewusstseins war und ist. Die Existenz einer Vielzahl von nichtstaatlichen Organisationen, die sich für Menschenrechte einsetzen, erscheint heute als fast selbstverständlich, der Blick auf nichtdemokratische Gesellschaften oder autokratische Systeme zeigt jedoch, dass Menschenrechte und Demokratie weiterhin hart erkämpft werden müssen – eine Leistung, die zum Beispiel im Zusammenhang mit der Oppositionsbewegung in der früheren DDR und anderen Staaten des vergangenen sowjetischen Imperiums nicht vergessen werden sollte. Diese Bewegungen freilich stützten sich – zumindest in ihren Anfängen – weniger auf die AEMR selbst als auf die Schlussakte der damaligen Konferenz (heute: Organisation) für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vom 1. August 1975.10 Deren Text musste allen Bürgerinnen und Bürgern der Unterzeichnerstaaten zur Kenntnis gebracht werden – was auch geschah –, wodurch die Bevölkerungen des Ostblocks erstmals erfuhren, worauf sich ihre Regierungen international verpflichtet hatten. Die daraus entstehenden Menschenrechtsforderungen der zumeist “Bürgerrechtsbewegung” genannten Oppositionsgruppen mündeten schließlich in die Zeitenwende von 1989/91. Erneut konnte hier beobachtet werden: “Die Menschenrechte haben nicht deswegen eine globale Bedeutung erlangt, weil sie den Interessen der Mächtigen dienen, sondern in erster Linie deswegen, weil sie die Interessen der Machtlosen gefördert haben”.11 Daran wird sich auch künftig nichts ändern: Menschenrechte müssen erkämpft werden, vor allem gegen die Mächtigen.

Anhaltende Defizite

Die großen Erfolge im Bereich der Normensetzung und Institutionenbildung sowie die heute scheinbare Selbstverständlichkeit und gesellschaftliche Akzeptanz menschenrechtlichen Engagements dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor – teils massive – Defizite im Menschenrechtsschutz bestehen. Obwohl eine wachsende Zahl von Staaten die immer konkreter werdenden internationalen Menschenrechtsverträge ratifiziert – und das bedeutet: völkerrechtlich verbindlich anerkennt und deren Umsetzung verspricht –, ändert sich für die Wirklichkeit der Menschen oft nur wenig. Erneut wird hier den Individuen auf unserem Erdball, wie schon mit der Verkündung der AEMR, das Versprechen gemacht, ihre angeborenen und unveräußerlichen Menschenrechte auch wirklich anzuerkennen und zu verwirklichen. Doch dieses Versprechen bleibt bis heute uneingelöst.

Generell kann festgehalten werden, dass die Ausgestaltung menschenrechtlicher Schutz- und Durchsetzungsinstrumente vor allem auf UN-Ebene bisher nicht mit den begrüssenswerten Entwicklungen im standard setting Schritt halten konnte. Dabei lehrt schon ein Blick in eine Zeitung oder eine Nachrichtensendung im Fernsehen, dass es jeden Tag zu einer Vielzahl gravierender Menschenrechtsverletzungen auf dieser Welt kommt. Die Berichte der großen nichtstaatlichen Organisationen wie amnesty international systematisieren dies darüber hinaus Jahr für Jahr. Praktisch jeder Artikel der AEMR wird in den Ländern dieser Welt nahezu täglich verletzt. Eine Aufzählung dieser Menschenrechtsverletzungen – von Abu Ghraib bis Guantánamo – wäre ebenso unerfreulich wie unergiebig. Kurz gesagt: berall auf diesem Globus werden Menschenrechte nur allzu leicht gering geachtet oder mit Füßen getreten.

Das gilt insbesondere für die Entwicklungen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Seither muss nicht mehr nur von Defiziten im Menschenrechtsschutz, sondern sogar von Rückschritten gesprochen werden. Hatte der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer noch im Juni 2002 davon gesprochen, dass es “keinen Rabatt für Menschenrechtsverletzungen bei der Terrorismusbekämpfung” geben dürfe,12 so muss man nur wenige Jahre später feststellen, dass die Wirklichkeit eine andere Sprache spricht. Die Mehrheit der Staaten ist diesem Rat, die “Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht und das internationale Flüchtlingsrecht” bei der selbstverständlich notwendigen Bekämpfung des Terrorismus zu respektieren, “nicht oder nur zum Teil gefolgt”.13 Eine große Zahl von Staaten änderte im Zuge ihrer Antiterrorstrategie zahlreiche Gesetze im menschenrechtsfeindlichen Sinne.14 Plötzlich wurde sogar wieder ernsthaft darüber diskutiert, ob das uneingeschränkte und notstandsfeste Folterverbot, das in zahlreichen Dokumenten von UN und Europarat sowie nationalstaatlichen Verfassungen festgeschrieben ist, noch “zeitgemäß” sei.15

Daran zeigt sich, dass die AEMR in ihrer Bedeutung und in ihrer Aussagekraft nach wie vor von großer Relevanz ist, ja, dass sie zu Recht als das menschenrechtliche Grundlagendokument bezeichnet werden kann, aus dem das anhaltende Engagement für die Menschenrechte bis heute seine Kraft und Inspiration bezieht.

Die AEMR sowie alle anderen im Text genannten Menschenrechtsbereinkommen werden, wo nicht anders angegeben, zitiert nach Christian Tomuschat, Menschenrechte. Eine Sammlung internationaler Dokumente zum Menschenrechtsschutz, Bonn 2002.

Klaus Dicke, Menschenrechte als Kulturimperialismus?, in: ders., Michael Edinger und Oliver Lembcke (Hg.), Menschenrechte und Entwicklung, Berlin, S. 57-76, hier S. 64.

Mary Robinson: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte -- ein lebendiges Dokument, in: Jahrbuch Menschenrechte 1999, S. 29-36, hier S. 32.

Vgl. Mary Ann Glendon, A World Made New. Eleanor Roosevelt and the Universal Declaration of Human Rights, New York 2001.

Vgl. Bernd Thomsen, Rechtliche Grundlagen für einen wirksamen Menschenrechtsschutz, in: amnesty international (Hg.), Menschenrechte im Umbruch. 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Neuwied/Kriftel 1998, S. 19-30, hier S. 20.

Bundeszentrale für politische Bildung, Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, Bonn 2004, S. 346.

Ebd., S. 413 ff.

Manfred Nowak, Einfhrung in das internationale Menschenrechtssystem, Wien und Graz 2002, S. 273.

Theo van Boven, Bilanz und Perspektiven des internationalen Menschenrechtsschutzes, in: Jahrbuch Menschenrechte 1999, S. 70-83, hier S. 71.

In: Bundeszentrale, a.a.O, S. 423 ff.

Michael Ignatieff, Die Politik der Menschenrechte, Hamburg 2002, S. 32.

Zit. nach "Süddeutsche Zeitung", 8./9. Juni 2002.

Volkmar Deile, Kein Antiterrorrabatt bei Menschenrechtsverletzungen?, in: Jahrbuch Menschenrechte 2005, S. 93-123, hier S. 93.

Detailliert ebd. ff.

Vgl. Jan Philipp Reemtsma, Folter im Rechtsstaat? Hamburg 2005.

Published 9 December 2008
Original in German
First published by Blätter 12/2008

Contributed by Blätter für deutsche und internationale Politik © Franz-Josef Hutter, Carsten Kimmle / Blätter für deutsche und internationale Politik / Eurozine

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