Das Soziale ist nicht abstrakt

Josef Schützenhöfers "Social Painting" und die Provokation des Gegenständlichen

Eine Seeschlacht im 17. Jahrhundert, schwimmende Kastelle und deren Bugwellen, und riesige Segel, aus denen der hineingemalte Wind herauszublasen scheint. Die Feuerschiffe gegen eine Armada, ein immenser Flammenschein im mittleren Hintergrund des etwa drei Meter hohen und vier Meter breiten Gemäldes. Vorne rudern heutige Arbeiter im Rettungsboot, einer zeigt auf das wilde Geschehen, daneben schwimmen zwei Kanister einer US-Ölfirma in der Gischt. Und lebensgroß, im dunklen Anzug, die Hände lässig in den Hosentaschen, sardonisch lächelnd, steht da links im Vordergrund auf einer runden Mine das Selbstbewusstsein des Konzernherrn, die Karikatur des verkleideten Feudal-Wesens. Es steckt in der Figur des Frank Stronach, braucht aber keinen Namen, hat es doch eine überall erkennbare Form des (schlechten) sozialen Witzes. Gesellschaftliche, politische Zustände sind hier hintergründig, historisch, weiterdenkbar gestaltet. Was auch im Rahmen passiert, wer oder was in Flammen steht, untergeht, rudert, segelt – vorne schaut immer, ungerührt und unberührt, eine Fratze der Autorität, die eine soziale Kluft nur vergrößert, aus dem Rahmen. Die realistische Metapher überfällt den Betrachter.

Dieses starke Bild war in Österreich auf keiner Ausstellung, in keiner Galerie noch zu sehen. Es befindet sich in einem Raum des ehemaligen Stiftes Pöllau in der Oststeiermark, die Fenster gehen auf das Kirchentor. In seinem Atelier arbeitet Josef Schützenhöfer angesichts alter Machtfassaden, gewöhnlicher Gläubigkeiten und barocker Bigotterien, militanter Wir-sind-wir-Posen in Landestracht: Den Hassdichter Ottokar Kernstock verehrt man im Bezirk, und hinten im Kirchhof (nicht in Schützenhöfers Blick-, aber in seinem Gedankenfeld) thront im klobigen Kriegerdenkmal ein Drachentöter mit Eichenlaubkreuz. Der autoritäre Bodensatz, die xenophobische Aggressivität, die sozialen Ungerechtigkeiten sind Schützenhöfer in seinem Geburtsland ebenso wie in den USA, wo er über zwei Jahrzehnte gelebt hat, ein Dorn im Auge und ein Stachel für seine Malerei, die ihre Anregungen sowohl aus der (Kunst-)Geschichte als auch aus aktuellen Abbildern schöpft und eine eigene inhaltsbetonte Ästhetik schafft.

Schützenhöfer stützt sich in seinem Social Painting auf seine technische Versiertheit, auf eine aussagekräftige Komposition, in der die Formen- und Farbenlehre ebenso ihre Rolle spielt wie “Unsauberes”, Brüche oder Leerstellen, auf denen Flecken und kleine Farbgerinsel sitzen können. Das Politische, die gesellschaftlichen Zustände, die Fabriken sind nicht sauber, und auch bei seiner Landschaftsmalerei interessieren ihn die Wunden und das scheinbar Periphere. Er bedient sich satirischer Mittel und eines umfassenden Konzeptes, zu dem nicht zuletzt sprachliche Verweise, meist in den erhellend assoziativen Titeln, gehören. Sein Work in Progress versteht Kunst immer auch als bildhafte, kommunikative und soziale Aktion. Im Atelier hängt ein Ausspruch von Eugene Debs, der 1901 in den USA die sozialistische Partei gegründet und 1920 bei den Präsidentschaftswahlen immerhin eine Million Stimmen bekommen hat: “As long as there is a working class, I am in it. As long as there is a criminal element, I am of it. And as long as there is one soul in prison, I will not feel free.”

Die letzten Semperit-Arbeiter, die er 2003 in der Fabrikshalle gemalt hat, kennt er alle beim Namen. Sie suchten ihn mit ihren Kolleginnen und Freunden vor seiner Staffelei auf, neben der großen Reifenmaschine, die blockierte und sich so dem Abbau widersetzte, in dieser Verweigerungsposition von Schützenhöfer dargestellt. Die lebensgroßen Porträts schichtete er zu einem Block übereinander, auf dem der Block Maschine steht, so wie der Semperit-Schornstein noch über das Werk in Traiskirchen ragt. Zur Eröffnung dieses Kunst-Werkes “Hard Labour” kamen Anfang November 2003 die Frauen und Männer von Semperit samt Betriebsrat nach Graz, auf den Platz zwischen ÖGB-Haus und Kunsthaus. Und wer Schützenhöfer mitten in der Demontage dieser so imageträchtigen Fabrik malen gesehen hat, weiß um den eminent sozialen Aspekt seiner Aktion. “Hard Labour” hat er in seiner Grazer Eröffnungsrede ausgedrückt, knapp und prägnant: Semperit Traiskirchen werde nun vom Konzern geschlossen, wo sich doch die Arbeiter dort seit 106 Jahren abgeschuftet haben, um “täglich die Sonne über die Fabrik zu ziehen”.

Der 1954 geborene, im oststeirischen Pinggau und Friedberg aufgewachsene Josef Schützenhöfer verließ als 19-Jähriger von der Modeschule der Stadt Wien weg Österreich, “aus tiefer Verabscheuung für die Exekutive”. Das auslösende Moment war für ihn, der aus dem Arbeitermilieu stammt, eine soziale Aktion. Weil er einen Sandler – wohl intensiver als erlaubt – verteidigt hatte, saß er 28 Tage hinter Schloss und Riegel. Danach ging er mit seiner ersten Frau, einer Amerikanerin, in die USA und konnte sich über eine Dezennie lang keinen Flug nach Europa leisten, auch nicht zum Begräbnis des Vaters. Im renommierten Cleveland Institute of Art erhielt er eine Basisausbildung, bei der größter Wert auf das Handwerkliche gelegt wurde. Da er von kleinen Jobs nicht leben konnte, verdingte er sich für dreieinhalb Jahre bei der Navy als Zahntechniker; so konnte er die High-School-Diplome nachholen. In dieser Zeit dürften eifrige austriakische Beamte zwischen Plombe und Bombe nicht zu unterscheiden gewusst haben: Wegen medizinischer Hilfsarbeit für eine fremde Armee wurde ihm die Staatsbürgerschaft aberkannt – während die VOEST-Tochterfirma Noricum ihr Militärgerät an Kriegführende verkaufte, was der damaligen Bundesregierung nicht unbekannt war … Beim ersten Besuch in seinem Geburtsland saß Schützenhöfer 1984 als ²Staatenloser² zunächst in Schwechat fest, bis er ein kurzes Visum erhielt und sich regelmäßig bei der Fremdenpolizei melden musste. Die autoritären Strukturen seien nach wie vor intakt, befand der Künstler, der schließlich 1992 wieder Österreicher sein durfte, nachdem er seit langem keine neutralitätsgefährdenden Dentalwaffen mehr repariert hatte.

Als er 1980 am Art Department der Old Dominion University in Norfolk, Virginia, zu studieren begann, herrschte dort – wie seit den Fünfzigerjahren im Kunstbetrieb des Landes – die “Yale School of Thought”. Der ehemalige Bauhaus-Meister Joseph Albers hatte 1933 bis 1949 am berühmten Black Mountain College, 1950 bis 1960 als Professor in Yale das Abstrakte zum Gebot gemacht und die Expressionisten immer mehr in den Minimalismus geometrischer Winkel geführt. Unterstützung fand Albers, der 1937 die Vereinigung “American Abstract Artists” gegründet hatte, im Übervater der US-Kunstkritik Clement Greenberg. Dieser propagierte die radikale Verweigerung alles Gegenständlichen als “reine Kunst” und erklärte 1940 in seinem programmatischen Aufsatz “Towards a New Laocoon”: “Unter dem Einfluss der rechteckigen Gestalt der Leinwand werden die Formen geometrisch und vereinfacht, denn Vereinfachung ist ebenfalls ein Teil der instinktiven Anpassung an das Medium.”

Auch dieser Autorität vermochte Josef Schützenhöfer nicht zu folgen. Er sah Albers als Bastellehrer und das Rechteckige als einseitige Vorgabe; er zog das “Unsaubere” vor. Seine Bilder sind nicht unbedingt von einem geometrischen Rahmen begrenzt, sondern vermögen vielfältig darüber hinauszuweisen. Und wenn auf dem Campus das Militär marschierte, so konnte er nicht einfach ein “square” sehen, das theoretisch exerziere – waren doch die Mordinstrumente zur Schau gestellt und keineswegs als obszön empfunden, während man Schützenhöfers ²fleischliche² Bilder einer Ausstellung zensuriert hatte. Dem Slogan der Militärs “Join the United States Army and you get to see foreign places” fehle der wesentliche Zusatz “and you get to kill some people there”, befand der auch sprachlich pointiert vorgehende Künstler und setzte seine Rebellionsaktion gegen Autoritätsfiguren fort, indem er die Werber mit zwei Gallonen roter Farbe beschüttete. Als “extension of his art” wussten dies seine Professoren zu verstehen, die Behörden freilich nicht.

Grace Hartigan, die bekannte Vertreterin des abstrakten Expressionismus, nahm Schützenhöfer 1986 in ihre äußerst selektive Meisterklasse am Maryland Institute of Art in Baltimore auf. Wesentliche Anregungen erhielt er zudem aus seiner Beschäftigung mit realistischen, sozial engagierten Vorgängern in den USA. Er las An Artist in America (1937) von Thomas Hart Benton, der unstilisierte Bilder des volkstümlichen Lebens geschaffen und dessen “Huckleberry Finn and Nigger Jim” im Stadthaus von Jefferson City 1935 wegen seiner Kritik an der Unterdrückung der Schwarzen heftige Proteste ausgelöst hatte. Er war beeindruckt vom “Federal Arts Project”, das im Rahmen des “New Deal” in den Dreißigerjahren die Künstler ins Land ausgeschickt und zahlreiche Wandgemälde in öffentlichen Gebäuden, etwa in Postämtern, fast nur bei gegenständlichen Malern in Auftrag gegeben hatte.

Das Albers-Diktat ließ in der Nachfolge von Piet Mondrian das Werk keineswegs auf einer Nachahmung der Natur oder gar konkreter, sozialer Figuren beruhen, sondern auf einer autonomen Gestaltung sowie auf der Selbstreferenz der Kunst. Seine Opposition dagegen prägte einige von Schützenhöfers Bildern aus der Studienzeit bei Hartigan. In “We, Piet and Adolf” (1987) steht Mondrian, leicht gebeugt und schief wie ein linkischer Hampelmann, vor zurückgestutzter Natur, aus der Quader hervorragen. In der Rechten hält er ein Winkeleisen, mit der Linken begießt er Hitlers leicht aus dem Rahmen baumelnde Schuhe, während dieser, auf einem der Blöcke sitzend, seine Rechte mit offener Schere Mondrians eckiger Krawatte nähert. Den etwas ²verwaschenen² und doch mit bezeichnenden Elementen durchsetzten Hintergrund hat Grant Kester in “Exposing fascism”, seinem langen Artikel über Schützenhöfer im New Art Examiner im Dezember 1988, als ein Grundelement dieser Kunst bezeichnet: “It serves as an inter-dimensional ground (neither entirely substantial, nor fully atmospheric) which allows him to float various symbolic materials” – dadurch werde eine zweite oder dritte Ebene des Kommentars über den vordergründigen Inhalt geschaffen. In der linken oberen Ecke des Gemäldes stehen Fetzen eines leicht veränderten Textes des Mitteilungsblattes De Stijl aus dem Mondrian-Umkreis, und da ließe sich am Ende lesen: “We, Piet and Adolf, summon from within ourselves therefore we elevate ourselves beyond the moody reality of nature towards pure reason.”

Der obere Hintergrund des ebenfalls 1987 entstandenen Ölgemäldes “Hitler and Colleagues at Yale” zeigt vier quadratische Tafeln an der Wand, die geometrische Albers-Werke andeuten und Assoziationen dieser Formteile zum Hakenkreuz ermöglichen. Davor sitzen und stehen – in Schräglage – Gropius, Hitler, Albers und Speer. Dieser hat auf einem schiefen Tisch zwei leicht gebogene, phallische Modelltürme vor sich, die Speers Entwürfe für Autobahnauffahrten zitieren und an ihrer Spitze die Flaggen von Yale und Princeton tragen. Grant Kester betont, dass Schützenhöfer hier nicht nur eine unterschwellige Affinität zwischen dem rigorosen Neoklassizismus der Nazi-Architektur und dem harten Modernismus von Gropius und seinen Kollegen offen legt, sondern auch die Leichtigkeit, mit der die Abstraktionen des Bauhaus in der USA-Nachkriegskultur Aufnahme fanden.

Politische Tagesthemen und soziale Konflikte wie der Caterpillarstreik flossen in die Werke ein, die zwischen 1988 und 1991 regelmäßig in der New Yorker Galerie Walker, Ursitti & McGinniss zu sehen waren. Aktuelle totalitäre und populistische Auswüchse entkleidete Schützenhöfer ihrer falschen Fassaden, indem er sie in seiner Malerei zuspitzte. Im gelben, goldenen “Let Us Sing You a Song of Democracy” (1986) ergießt das philippinische Präsidentenpaar Marcos einen Strom demokratie-rhetorischer Floskeln und einen Urinstrahl vom Balkon der Macht; in “The Dance of Death” (1988) befinden sich Kurt Waldheim, der Papst und ein in die Iran-Contra-Affäre verwickelter US-General auf einem Breughel nachempfundenen Schlachtfeld, überwacht von einem reitenden Tod, der die Uniformhosen eines deutschen Generals trägt. Die zeitgenössischen Figuren im künstlerischen Zitat verweisen als Triumvirat politischer, konfessioneller und militärischer Kulissen-Schieberei auf ein Kontinuum von Unterdrückungsformen, deren Auswirkungen drastisch ewig die gleichen sind.

An einem Wettbewerb des North Eastern Center of Contemporary Art zum Thema Aids nahmen 1988/89 Künstler aus den Ostküstenstaaten teil, während sich die Bischofskonferenz in Baltimore gegen Präservative und für Abstinenz aussprach. Darauf reagierte Schützenhöfer mit dem zusammenklappbaren dreiteiligen Altarbild “On the Battlefield of Love”, das auf einem Opus-Dei-Kriegsgefährt den Papst, Kardinal Glemp und Bischof Krenn vor rosarotem Hintergrund mit Pfeil und Bogen Jagd auf Präservativballone machen lässt. Auf den Stationen der Ausstellung lag neben diesem Flügelaltar ein Buch, in das die Besucher ihre Mitteilungen an den Vatikan eintragen sollten. Dieser Aktionismus bezieht sich im Gegensatz zur Wiener Variante nicht auf den eigenen Körper, den Säulenheilige der Kunst in extremer Weiterführung barock-katholischer Traditionen bis zur Selbstgeißelung eingesetzt haben, sondern versteht sich dezidiert sozial: Man schnalle das Altarbild auf den Rücken und mache sich, im Sinne der Urchristen, auf den Weg.

Eine ähnliche Vorgangsweise wählte Josef Schützenhöfer im Herbst 2003 für das Projekt “Die verschwundene Galerie”, eine im Internet dokumentierte Serie (www.galerie.kultur.at), bei der er sukzessive die Werke von sechs Künstlern in einer gelben Kiste auf steirische Plätze transportierte. Sein eigener Beitrag “Kernstock liest Kronenzeitung” zeigt ihn, die Kiste huckepack, auf dem Weg zu den Verehrungsstätten dieses deutschnationalen Priester-Dichters, der Feldzüge gegen ungeliebte Nachbarn mittels seiner Schreibtischschlachten geistig vorbereiten half.

Auf Kirchentore fiel Schützenhöfers Blick nicht erst aus dem Fenster seines oststeirischen Ateliers. Die totalitären Boden-Sätze, auf denen sich diverse Fernsehpriester in den USA bewegen, und deren finanzielle Um-Sätze hat er in einem Gemälde bloßgestellt, das zwei einflussreiche “religious broadcasters” im TV-Studio zeigt. Als Kulisse dient ein riesiger 20-Dollar-Schein mit der Fassade des Weißen Hauses. Ein Prediger hat die Hose hinuntergezogen, neben ihm liegt eine Klopapierrolle, und im Fernsehen erscheint der Titel des Bildes: “Let Us Shit Into Your Living Room”. Es war 1993 in Norfolk Teil von Schützenhöfers viel beachteter Ausstellung Of God and GOP (“Grand Old Party” für die Republikaner, in Schützenhöfers Ironisierung “Gods Own Party”).

Sie erregte ebenso Skandal wie das große 1992 in Frederick, Maryland, preisgekrönte Ölgemälde “A Peace Treaty and the New World Order”: Kurz nach dem ersten Golfkrieg ist hier Präsident Bush Vater in einer Botticelli-Venus-Pose nackt dargestellt. Daneben finden sich andere Kriegstreiber ihrer Machtkleider beraubt, einer bezeichnenden Kostümierung ausgesetzt: die Unterhaltungsindustrie in der üppigen Gestalt der Country-Sängerin Dolly Parton, General Schwarzkopf im römischen Brustpanzer, den Fuß auf dem Rücken eines knieenden Saddam Hussein, und jener ultrakonservative Senator Jesse Helms, der später die Einstellung des National Endowment for the Arts bewirken sollte: Eine Kunst mit kritischen sozialen und politischen Inhalten, erklärte Helms angesichts der Werke von Serrano, Mapplethorpe u.a., dürfe nicht von öffentlicher Hand unterstützt werden. Bei Schützenhöfers Vernissage gab es Proteste, der Galerie wurden Subventionen gestrichen, die New York Times berichtete ebenso wie die Washington Post oder auch die Süddeutsche – und ein anonymer Käufer ließ das Gemälde verschwinden.

Es gehörte zu dem Work in Progress, mit dem Schützenhöfer, der seine Arbeiten zunehmend massiv und widerstandsfähig auf Holz gestaltete, an ein nationales Vorbild anknüpfte. Gemäß dem monumentalen, 1882/83 von Paul Philippoteaux geschaffenen Bürgerkriegs-Cyclorama von Gettysburg stehen nun die Aktualitäten in der Tiefenschärfe des Schlachtfeldes: “what goes around, comes around”. Sie konfigurieren einen menschlich-aggressiven Einbruch, so dass auch eine traditionelle Naturmalerei pervertiert erscheint. Und konsequenterweise geht es Schützenhöfer in seinen Landschaftsbildern – eine eindrucksvolle Unterseite der Brücke, die zu Jeffersons Anwesen Monticello führt, später österreichische und kroatische Ansichten – darum, die Idylle und den holden Blick zu (zer-)stören, die topografischen Wunden aufzusuchen. Bis zu seiner Rückwanderung nach Österreich hatte er vom Cyclorama insgesamt 21 Meter gemalt und u.a. in der Artemisia Gallery in Chicago gezeigt: vergegenwärtigte Zitate von Gettysburg, wo nun Helms und Newt Gingrich Beinamputationen durchführen, Konfigurationen von Wahlkonflikten, unförmige Auswirkungen der US-Spaßgesellschaft, grobe Satyrposen in Nachbars Garten und das Golfkriegsbild “The Sand Trap”, das sich 1994 auch als eine Attraktion von Schützenhöfers Ausstellung Arsenal of Democracy in der F&M Gallery in Lancaster erwies. “Artist makes Social Protest an Art Form”, titelte die Presse.

Am ersten Tag des Einmarsches in den Irak besetzte er 2003 dann sein Werk mit den neuen handelnden Personen. Auch an der Seeschlacht malte er ständig weiter. Anfang der Neunzigerjahre hatte Jesse Helms in einer Senatsdebatte moniert, dass die Armee die Interessen der Wirtschaft nicht genügend forciere; das Militär habe das “geeignete Umfeld” für den Konsum vorzubereiten. Die Exporte müssten als “Atlantic Swimmers” und “Pacific Swimmers” in alle Richtungen drängen. Diese “Man of War”-Vorstellung erinnerte Schützenhöfer an die schwimmenden Festungen des 17. Jahrhunderts. Und da sich ihm der militante Ausfuhrdrang am deutlichsten in der Autoindustrie manifestierte, die ihre Produkte auf Schiffe verladen ließ, stand in seinem Seeschlachtgemälde zunächst der Chrysler-Manager Lee Iacocca dort, wo nun Frank Stronach von der Mine grinst. Dieser übernahm Steyr-Daimler-Puch, als Schützenhöfer gerade dort malte – und die Konflikte, die er im Grazer Werk erlebte, alsbald künstlerisch umsetzte. Einerseits schuf er große Arbeiterporträts, andererseits ließ er bei der Seeschlacht im Rettungsboot, in dem vorher Manager gesessen waren, Arbeiter vor Stronach flüchten.

Mit dem Bild übersiedelte der Künstler 1997 selbst über den Ozean zurück, nachdem er lange die Möglichkeit zu einem Wiedereinstieg in Österreich gesucht hatte. Im hiesigen Kunstbetrieb, der nach einem verdeckten Prinzip der Tafelrunde funktioniert, traf er einerseits auf jene Fürsten und Ritter der ästhetischen Selbstgefälligkeit. Zu figurativ, zu viel Inhalt, hieß es; was die Fotografie könne, dazu brauche man keine Malerei. Diese Kunst liege ihm fern, teilte der Chef der wichtigen Grazer Galerie mit, und sein Wiener Pendant ließ wissen, man sei auf Dauer ausgebucht. Das kritische Licht der Aufklärung tragen Kunstbeflissene gern vor sich her; es habe freilich besser abstrakt zu schimmern oder im konzeptuell-medialen, leicht abgehobenen Laternderl. Andererseits fand Schützenhöfer Unterstützung vom Autorevue-Herausgeber Herbert Völker, der ab 1992 mehrmals auf den “Maler als Arbeiter” hinwies, von Michael Pilz, der 1996 den Film Bridge to Monticello über ihn drehte, von den Künstlern und Journalisten Martin Behr und David Staretz, der ihn als “Sozialdemokrat unter den Malern” bezeichnete. Er sei “von einer arbeitskämpferischen Grundhaltung durchdrungen, die fast schon romantisch wirkt in ihrer Aufrichtigkeit”. Im Vergleich zu aktuellen Formeln sozialdemokratischer Politiker kein Wunder. Dass seine sozialen Ansprüche zu aggressiv vorgetragen oder naiv seien, ließ ihn ein Josef Cap spüren; und als Schützenhöfer in der Oststeiermark erklärte, ein SPÖ-Bürgermeister möge mit dem Zug, nicht mit dem Mercedes nach Wien fahren, bekam er es mit den lokalen Herrschaften zu tun.

Mit Europa habe er immer ein Sozialwesen, eine Arbeiterkultur verbunden, sagt er. Und da ihm die Künstler-Tafelrunde keinen Platz einräumen wollte, wandte er sich eben an eine Fabrik. Die Finanzierung war nicht leicht zu bewerkstelligen, das “Eindienen” mühsam, bis er schließlich im Grazer Puch-Werk malen durfte: Die Industrielandschaft, Förderbänder und Produkte, waren 1997 in der Ausstellung WORK! im Grazer ÖGB-Haus zu sehen. Später schuf er im Auftrag von Mercedes acht dreiteilige Unimog-Bilder, die im September 2001 im Technischen Museum Wien ausgestellt waren und die Schützenhöfer¹sche Verbindung von Kunst, Zitat, Technik und Sozialem bestens illustrieren. Die Geländewagen stehen in einem Programm der Farbenlehre und jeweils in Kontexten, die ihnen über den Rahmen hinaus weitere Bedeutungen verleihen. So zeigt der obere Teil des Triptychons mit dem abgewandelten Janis-Joplin-Titel “Oh Lord, Won’t you Buy me a Mercedes Unimog and Some Other Things, please” in warmen Farben eine barocke Kirchenkuppel mit Rubens-Figuren, darunter steht der Wagen mit seiner Dachkuppel; “Sisters of Mercy” heißt ein Rettungswagen in kaltem Neon; auf einem breiten Dreiteiler stecken hinter einem zusammengeflickten Unimog Figuren aus John Steinbecks Cannery Row in heutiger Freizeitkleidung und in Bewegungen der “Namenlosen” von Egger-Lienz …

Im Puch-Werk war Schützenhöfer immer mehr mit Arbeitern in Kontakt gekommen. Sie suchten den Künstler auf, schauten, kommentierten – “diese Reifen auf dem Bild brauchen mehr Luft” – und erzählten von ihrer eigenen Situation. Der Schweißer Erwin war der erste, den Schützenhöfer malte. Er wollte “sich einbringen”, als die Lage für die Firma schwieriger wurde und Entlassungen bevorstanden. Im Jubiläumsjahr 1999 sollte die Belegschaft auf diese 100 Jahre Arbeit stolz sein. Das Produkt sei wichtiger, meinten die Chefs. Dann male er eben beides, erwiderte der Künstler. Seine Vorschläge lehnte der Aufsichtsrat ab. Die Autorevue schrieb darüber, worauf er das Projekt “Kunst kommt von Arbeit” doch gestalten durfte: Lebensgroße, auf Holz porträtierte Arbeiter tragen als Säulen ihr Erzeugnis, einen “Pinzgauer”-Geländewagen, und bilden so eine begehbare Installation, die Christian Reiser zu einem Film über Josef Schützenhöfer als Anlass nahm.

Die realistische Wiedergabe im Rahmen eines mehrschichtigen Konzeptes versteht Schützenhöfer als handwerkliche Basis, die es ihm ermöglicht, der Situation der Menschen eine entsprechende Körperlichkeit zu verleihen, sich auf Details zu konzentrieren, etwa auf das Blau der Montur, auf das “Elektrische an den Mänteln, wie die Falten hochkriechen”: Jedes Arbeitskleid habe eine eigene Geschichte. Die Gegenständlichkeit ist ihm eine konkrete Antwort auf konkrete Autoritäten, die ihm seit 1997 auch immer mehr Anreiz und künstlerische Aggressivität für zahlreiche Karikaturen, ein gemaltes politisches Köpferollen, gaben. Im Gegenständlichen schafft er einen ausdrucksstarken sowie sinnlichen Umgang mit sozialen Verhältnissen und auch mit jener “radikalen Kraft, die uns und die Landschaft täglich verändert”, der Technik. Er “malt gegenständlich”, erklärt Martin Behr, “aber er malt nicht ab. Ein Wechselspiel aus Fülle und Leere, aus Perfektion und Andeutung prägt die Darstellung”, die Sinnlichkeit des Malprozesses finde sich durch die Rinnspuren und Farbflecken dokumentiert.

Für Josef Schützenhöfers Social Painting hat Linda McGreevy als Rezept zusammengefasst: “Start with a healthy, reassuring dose of traditional representational realism composed of recognizable political and social figures busily interacting in vast landscapes strewn with technological props. Add an unhealthy dose of acidic coloration, art-historical references, and subversive intent. Serve on an epic scale and step back. Contact with audience sure to be explosive.”

“On an epic scale”. Arm oder reich; Porträts der Mächtigen in vielschichtigen Kontexten, Tafelbilder der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Lassen das “Erhabene” und die Betonung der Form über das Soziale hinwegsehen? Liegt die – sozial ausgemachte – Bestimmung der Kunst im Auratischen? Haben nicht die Künstler die Würde der Menschheit, wenn sie denn tatsächlich in ihre Hand gegeben sein sollte, auch im Hinblick auf soziale Fragen zu bewahren? Verlangt die Darstellung des Sozialen in der Kunst nach der Erzählung? Wir sehen es bei Schützenhöfer: Das Soziale ist nicht abstrakt.
Die heftige Rückkehr des Narrativen scheint im Kunstbetrieb eine Provokation zu sein. Ein gängiges bipolares Denken versieht inhaltsstarkes Erzählen leicht mit kulturpessimistischen Vorurteilen; es sei ein “Zurückgehen” hinter gewonnene ästhetische Positionen, ein Angriff auf die Lese-, Bild- und Kulturkompetenz. Dies bedeutet eine aufklärerische Vorstellung von einem konsequenten Fortschritt und einem intellektuellen Regelboden der Künste; und bedeutet meist auch das Verdecken der (von Bourdieu beschriebenen) Machtmechanismen auf diesem Feld – wenn man nämlich Etablierungen nur ästhetisch und nicht auch soziologisch erklärt. Eine vordergründig verständliche Literatur oder Malerei findet sich nicht nur dem Nachteil ausgesetzt, dass sie nicht geheimnisvoll, also für Interpretations-Oligopole und für Sakralisierungen weniger brauchbar erscheint. Sie wird zudem gerne mit dem Verdacht belegt, dass sie sich zu populistisch verkaufe, somit dem Feind der Kunst, einem neoliberalen Ökonomismus, zuarbeite.

Vor diesem Hintergrund mag für manche Türhüter Schützenhöfers Werk – ähnlich wie die Literatur der jüngeren Generation – nicht einer im österreichischen Kunstbetrieb wesentlichen Ägide entsprechen, nämlich einem vorgeblichen ästhetischen Widerstand. Dabei übersieht man, dass der Populismusvorwurf hier als Argument im Verteilungskampf eingesetzt und als Kanonmechanismus historisch begründet ist, in der “langen” ebenso wie in der “kurzen Dauer”.

Schiller hatte 1789 Gottfried August Bürgers Forderung nach einer populären Kunst eine wirkungsmächtige Absage erteilt. Mit den Kanonisierungen im 19. Jahrhundert, die auf das “Erhabene” setzten (im humanistischen Sinn auf die Skulpturen von Hohepriestern und Göttinnen, nicht aber von Sklaven), ging dann zugleich eine bürgerliche Domestizierung, etwa auch des Komischen, sowie später eine “moderne”, eine “avantgardistische” Provokation einher. Beiden war das Elitäre näher als das Populäre.

Nach den Höhepunkten einer Avantgarde, eines Aktionismus blieben die formalen Besitzstände und Abarbeitungen im Vordergrund. Weithin wird noch, wie in der radikalen Abkehr der Malerei vom Gegenstand kurz nach 1900, das Inhaltliche als Hindernis der Kunst auf dem Weg zu sich selbst gesehen, lässt eine romantische Vorstellung die absolute Kunst als Befreiung vom Zugriff der Welt erscheinen. Die Zirkelschlüssigkeit dieser Wertungen, die ja selbst soziale Phänomene sind, hat Hans Belting 1998 betont: Da die abstrakte Kunst, die der alten Liebe zur Geometrie eine neue Erfüllung gebe, nichts abbilde, könne sie sich umso rascher mit jedweden sakralen oder hermetischen Ideen aufladen. Hatte man jene einmal auf die eigene Formenwelt projiziert, “so vergaß man gerne, daß sie nicht aus dem Kosmos kamen, sondern nur den eigenen Glauben darstellten”.

In Grace Hartigans Meisterklasse galt es, die verschiedenen Möglichkeiten der Kunst in Betracht zu ziehen; und Josef Schützenhöfer kann manchen Werken von Kollegen, die sich um Formgebungen, Verwischungen, surreale Konstellationen drehen, einiges abgewinnen. In seiner Vorstellung der Offenheit ästhetischer Ansätze empfindet er jedwedes Diktat als ebenso störend wie die Behauptung der “Yalies”, wer nichts mit dem Abstrakten anfangen könne, sei auch nicht fähig zu intellektuellen Höhenflügen.

Während Albers und andere das Theoretische zu ihrem Feld erklärten, begibt sich Schützenhöfer mit einem kunsthistorischen Fundus auch auf das soziale Terrain. Aus dieser Perspektive erscheinen ihm egomanische Selbstporträts und die Wehleidigkeit im hiesigen Betrieb als “peinlich”. Sein Social Painting unterscheidet sich in seiner hintergründigen, zitatreichen sowie bisweilen ironisch-satirischen Art, in der Verwendung von Leerstellen und “Unsauberkeiten” deutlich von einem Sozialistischen Realismus und dessen Kulissen-Ästhetik in Serie, von einem Phantastischen Realismus oder einer Pittura Ritrovata. Schützenhöfer interessiert weder das Abgehobene noch das Idyllisierende noch das Sterile.

“On an epic scale”. Zunehmend könnte das Erzählerische eine Wertschätzung zurückerhalten, die ihm eine “avancierte” Ästhetik wegen seiner angeblichen Rückständigkeit abgesprochen hat. Inhalt sei nur das Eingeständnis formaler Unfähigkeit, hatte Oswald Wiener seinerzeit verkündet. Heutzutage hingegen kritisiert ein Schriftsteller wie Thomas Glavinic: “Bei uns war in den letzten vierzig Jahren das Erzählen verboten. Man hat ja gesehen, wohin sie gekommen sind. Es hat sie kein Mensch gelesen.” Die Feststellung bezieht sich auf eine besondere Entwicklung im österreichischen Literaturbetrieb; mit einer leichten Phasenverschiebung lassen sich cum grano salis ähnliche Vorgänge in anderen Kontexten erkennen, in Italien, in Frankreich, in Deutschland, wo ausgerechnet 1989 eine große Debatte über das Erzählen einsetzte. Ein ästhetischer Realismus hatte hierzulande – als “Kampfbewegung” auch gegen eine elitäre Wirklichkeitsferne – in den Siebzigern ansprechende Texte gezeitigt, insbesondere im Wespennest-Umkreis, war jedoch danach “zu einer biederen Beschreibungsliteratur heruntergekommen”, wie Gustav Ernst 1989 urteilte. Seit einigen Jahren nun erscheinen immer mehr Werke, die auf einem inhaltsbetonten Erzählen beruhen, das an Hintergründigkeit kaum zu wünschen übrig lässt. Und auch in der Malerei könnte eine ästhetisch fundierte, leicht ironische, eine realistische wiewohl vielschichtige Narration im Kommen sein, so dass das Gegenständliche weniger eine Provokation des Kunstbetriebes als vielmehr der sozial und politisch Mächtigen darstellen würde.

Published 27 April 2006
Original in German
First published by Wespennest 134 (2004)

Contributed by Wespennest © Klaus Zeyringer /Wespennest / Eurozine

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Read in: DE / EN

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