Das Londoner Sprachrohr der Saudis
Die ägyptische Publizistin Mona Eltahawy lebt in New York. Und sie
konnte die International Herald Tribune als Forum nutzen, um sich über
die Kündigung zu beschweren, die sie von der Tageszeitung al-Sharq
al-Awsat (AAA) erhalten hatte.1 Das in London erscheinende Blatt (sein
Name bedeutet “Der Nahe Osten”) versteht sich als panarabisches Organ und
richtet sich als “internationale Zeitung der Araber” an Leser in vielen
Ländern.2 Doch sein Besitzer ist der saudische Prinz Salman bin
Abdelasis, der Gouverneur von Riad. Ihn hatte Mona Eltahawy im Verdacht,
ihre Entlassung bewirkt zu haben. Der öffentliche Protest einer
arabischen Journalistin war so ungewöhnlich,3 dass renommierte Vertreter
des saudisch-libanesischen Journalistennetzwerks zu Hilfe eilen mussten:
Dschihad al-Chasen4 und Samir Attallah5 verteidigten die Entscheidung von
AAA.
Mit dem Golfkrieg 1990 bis 1991 verlor das irakische Regime seinen
Einfluss in der panarabischen Medienwelt. Fortan beherrschten saudische
Prinzen dieses Feld fast allein. Die saudische Diplomatie konnte dieses
Medienmonopol nutzen, um ihre Sicht der Entwicklungen in der Region zu
verbreiten. Aber inzwischen ist diese Vormachtstellung bedroht. Erstens
hat sich die arabische Medienlandschaft verändert, vor allem durch den
Fernsehsender al-Dschasira, der im November 1996 in Doha (Katar) den
Betrieb aufnahm. Zweitens brachte der 11. September 2001 die Saudis in
Bedrängnis und schwächte ihre internationale Position. Die USA setzten
der Politik des Königreichs gegenüber der arabischen und islamischen Welt
so enge Grenzen, dass sich Riad seitdem vornehmlich auf die inneren
Belange des Landes konzentriert.
Nach dem 11. September gewannen neoliberale Positionen in den saudischen
panarabischen Medien deutlich an Gewicht. Die Gruppe von Journalisten
und Intellektuellen, die diesen Kurs vertrat, erhielt von ihren Kritikern
bald den Spitznamen “Lohnschreiber der Marines” (kuttab al-marines): Sie
verteidigten die Strategie der Bush-Administration im Nahen Osten,
setzten sich für religiöse und soziale Reformen ein, ohne allerdings
einen politischen Wandel zu befürworten.
Für Saudi-Arabien bot dieser radikale Kurswechsel einen doppelten
Vorteil. Innenpolitisch konnte die Führung damit gegen die Islamisten
Front machen und die schwache Truppe der neoliberalen Kräfte im Umfeld
des Königshauses stärken. Außenpolitisch konnte sich das Land den
Wohlwollen der USA sichern, indem die saudischen Prinzen nun als
Vertreter gemäßigter Positionen und Vermittler der Politik George W.
Bushs im Nahen Osten erschienen.
Ihre Strategie, beherrschenden Medieneinfluss der arabischen Welt zu
gewinnen, verfolgt die saudische Führung schon seit Anfang der
1970er-Jahre. Damals ging es darum, dem nasseristischen Radiosender
Stimme der Araber Paroli zu bieten. Zu denen, die diese Herausforderung
annahmen, gehörte der Gouverneur von Riad, Prinz Salman bin Abdelasis.
Sein wichtigster Coup war die Mehrheitsbeteiligung an der Zeitung
al-Sharq al-Awsat, die Anfang Juli 1978 in London von den Brüdern Hischam
und Mohammed Ali Hafes gegründet wurde, “unter Beteiligung von Kamal
Adham und Turki al-Faisal”, die lange für den saudischen Geheimdienst
gearbeitet hatten.6
Seither war an den Leitartikeln des Blattes stets der wahre
diplomatische Kurs der Führung in Riad abzulesen. 2003 schien das
deutliche Eintreten von AAA für den Krieg der USA gegen den Irak im
Widerspruch zur reservierten offiziellen Haltung der Regierung zu stehen.
Doch der US-amerikanische Reporter Bob Woodward7 beschrieb 2004 in einem
Buch, wie die Kriegsvorbereitungen der USA mit Prinz Bandar bin Sultan,
damals saudischer Botschafter in den USA, genau abgestimmt wurden. Man
kann also die saudische Außenpolitik besser anhand der Artikel in
al-Sharq al-Awsat einschätzen als anhand der offiziellen Stellungnahmen.
“Al-Hayat” stellt auch das Personal der US-Sender im Irak
Die Tageszeitung al-Hayat wurde 1946 von dem libanesischen Journalisten
Kamil Mroué gegründet. Das Blatt vertrat eine konservative Position,
pflegte gute Kontakte zu den Monarchien in Jordanien und Saudi-Arabien,
war für ein Bündnis mit dem Westen und gegen die Politik Nassers und 1958
gegen den Zusammenschluss Syriens und Ägyptens zur Vereinigten
Arabischen Republik (VAR). 1996 fiel Mroué einem Mordanschlag zum Opfer –
vermutlich das Werk des ägyptischen Geheimdienstes. Nach dem Ausbruch
des libanesischen Bürgerkriegs 1976 wurde die Zeitung eingestellt.
Doch am 30. Oktober 1988 erfolgte in London die Neugründung durch Kamil
Mroués Sohn Jamil. Das Startkapital stellte der saudische Prinz Khaled
bin Sultan, Sohn des damaligen Verteidigungsministers. Er übernahm in der
Folge die Position des Verlegers. Im Golfkrieg 1990 bis 199l spielte
al-Hayat eine wichtige Rolle bei der “Verteufelung” Saddam Husseins und
der Rechtfertigung der US-Intervention. Hier kamen die Oppositionellen zu
Wort, vor allem kurdische und schiitische Stimmen. Wegen dieser Haltung
und weil die Redaktionsleitung mit libanesischen Christen besetzt war,
wurde die Zeitung als Blatt “der Minderheiten im Dienste eines Prinzen”
kritisiert.
Aber al-Hayat steht auch für Meinungsvielfalt: In der Redaktion gibt es
eine “westliche” und eine “arabische” Fraktion. Und trotz der deutlich
panarabischen Ausrichtung im Nachrichtenteil pflegt das Blatt die
Bindungen an den Libanon in einem Maß, dass häufig der Nationalstaat
größere Bedeutung bekommt als die arabische Solidarität.
Bei der Planung ihrer Medienstrategie in der arabischen Welt haben sich
die USA wiederholt auf Mitglieder der “westlichen” Fraktion von al-Hayat
verlassen. So wurde die Leitung des seit 2002 sendenden Radio Sawa und
der 2004 auf Sendung gegangenen Satelliten-TV-Station al-Hurra – beide
wurden von den USA gegründet – dem früheren Leiter des Al-Hayat-Büros in
Washington, dem Libanesen Mouaffak Harb, übertragen. Schon als die USA
1998 (in Prag) Radio Free Baghdad installierten, machten sie einen
Redakteur von al-Hayat zum Programmchef, den militanten irakischen Kurden
Kamaran Qura Dhari. Und im Mai 2004 ernannte im Irak US-Zivilverwalter
Paul Bremer zwei Al-Hayat-Journalisten zu Leitern des irakischen
Rundfunk- und Fernsehprogramms.
Die Rolle von al-Hayat in der arabischen Medienwelt hat dem Blatt
Missgunst, aber auch gezielte Kritik eingebracht. Am besten hat ihr
früherer stellvertretender Chefredakteur, der Palästinenser Bilal
al-Hassan, die paradoxe Rolle der Zeitung beschrieben: Sie will
panarabisch auftreten, doch ihre Linie wird zum Teil von libanesischen
Journalisten mit “radikal antiarabischen” Positionen geprägt. Nach
al-Hassan pflegen diese “eine übermäßige Begeisterung für die Tugenden
des Nationalstaats, unter Abwertung aller Begriffe und Gefühle arabischer
oder gar islamischer Solidarität”.
Al-Hassans Kritik zielt vor allem auf den Libanesen Hasem Saghieh,
Vordenker einer arabischen neoliberalen Schule, “der den Kolonialismus
für einen Segen hält”8. Aber er schildert auch die “Empörung” gegen diese
Haltung, die innerhalb der Redaktion Ausdruck fand. Hier nennt er vor
allem Abdel Wahab Badrakhan und Daud al-Shiryan. Der Erste musste
allerdings aus der Zeitung ausscheiden und versucht inzwischen, ein neues
Blatt zu gründen, das wie al-Dschasira vom Golfemirat Katar finanziert
werden soll. Al-Shiryan wurde kürzlich zum stellvertretenden Leiter des
von Saudi-Arabien finanzierten Satelliten-TV-Senders al-Arabija. Hier
soll er als “Gegengewicht” zum Intendanten Abderrahman al-Raschid9
wirken, einem ausgewiesenen Neoliberalen, der zuvor Chefredakteur von
al-Sharq al-Awsat war. Saudi-Arabien hat im Medienspiel offensichtlich
mehr als einen Trumpf auf der Hand.
Was Bilal al-Hassan nicht erwähnt, ist der bestimmende Einfluss von
Prinz Khaled bin Sultan (einem Neffen des 2005 verstorbenen Königs Fahd)
auf die politische Ausrichtung der Zeitung.10 Hasem Saghiehs Attacken
gegen den arabischen Nationalismus sind sicher Ausdruck seiner
persönlichen Überzeugung, sie passen aber auch perfekt in die politische
Strategie der saudischen Herrscher. Wenn Saghieh Islamisten und
Nationalsozialisten auf eine Stufe stellt,11 hilft dies dem Regime, die
Islamisten innenpolitisch abzuwerten und zu unterdrücken. Dass Bilal
al-Hassan davon nicht spricht, könnte übrigens damit zu tun haben, dass
er selbst Leitartikel für al-Sharq al-Awsat schreibt, die Zeitung von
Prinz Salman Ben Abdelasis.
Die Versuche der USA, in der Nahostregion eine wirksame
Kommunikationsstrategie zu entwickeln, sind gescheitert.12 Umso wichtiger
werden die Lobgesänge auf den Neoliberalismus in den panarabischen
Medien unter saudischer Kontrolle. Dieses saudisch-amerikanische
Zusammenwirken erklärt auch, warum das israelische Middle East Media
Research Institute (Memri)13 bevorzugt Artikel aus saudischen Quellen
übersetzen lässt. Die weite Verbreitung von Auszügen aus der arabischen
Presse durch Memri lasst sich als Teil einer geschickten Strategie der
Informationsmanipulation begreifen, deren Folgen gar nicht absehbar sind.
Diese panarabischen Presseorgane, die von den Saudis diplomatisch
gedeckt, finanziert und verbreitet werden, erzeugen ein völlig falsches
Bild der mehrheitlichen Meinungen in den arabischen Ländern.14 In
Krisensituationen wird immer wieder die Meinung einiger Leitartikler
weltweit als die Mehrheitsmeinung in der arabischen Welt verkauft. So
entsteht eine “imaginäre arabische Welt”, die 2003 für den Krieg der USA
gegen den Irak und 2006 für den Vernichtungsangriff israelischer Truppen
auf die libanesische Hisbollah war. Damit werden letztlich auch die
Politiker und die Medien in den USA in die Irre geführt, die den Kurs
ihres Landes im Nahen Osten bestimmen.
Mona Eltahawy, "A perilous dance with the Arab press", International
Herald Tribune, 19. Juni 2006.
Inzwischen gibt es auch eine Online-Version in englischer Sprache:
www.asharqalawsat.com/english/.
Fawaz Turki, "How to Lose Your Job at a Saudi Newspaper", The
Washington Post, 15. April 2006.
Al-Hayat, 9. Juli 2006.
Al-Sharq al-Awsat, 14. Juli 2006.
So erklärte es Hischam al-Hafiz in einem Fernsehinterview mit dem
saudischen Journalisten Adbel Aziz al-Khamiz. Siehe:
www.hishamalihafiz.com/tv_ar.htm.
Bob Woodward, "Der Angriff. Plan of Attack", Stuttgart (DVA), 2004.
Bilal al-Hassan, "Die Kultur der Kapitulation" (arab.), Beirut (Riad
el-Rayyes) 2005, S. 79, 135.
Ein Interview mit al-Raschid zu den Debatten um die Presse erschien in
der saudischen Zeitung al-Medina am 3. November 2006.
Der Leitartikler Lafif Lakhdhar soll auf direkte Anordnung von Prinz
Khaled die Kündigung eingereicht haben. Siehe Barry Rubin, "What's wrong
with the Arab Liberal critiques of the Arab Society?", The Middle East
Review of International Affairs, Jerusalem, Dezember 2005.
Hazem Saghieh, Al-Hayat, 20. Juli 2006. www.daralhayat.com.
Art Levine, "Bad Reception", American Prospect (Boston), 11. Juli
2005. Online-Ausgabe: www.prospect.org/web/page.ww?section=root&name=
ViewWeb&articleId=10595.
Siehe Mohammed El Oifi, "MEMRI, das umstrittene Informationsbüro für
arabische Angelegenheiten", Le Monde diplomatique/WOZ, September 2005.
Memri musste Anfang 2006 aus Geldknappheit seinen deutschsprachigen
Übersetzungsdienst einstellen.
Al-Harithi et al., "Haltungen in Leitartikeln und in der saudischen
Presse insgesamt zum Krieg gegen den Irak" (Arab.), Riad (Asbar for
Studies Research and Communications) 2005.
Published 21 December 2006
Original in French
Translated by
Edgar Peinelt
First published by Le Monde diplomatique (Berlin) 12/2006
Contributed by Le Monde diplomatique (Berlin) © Mojammed El Oifi/Le Monde diplomatique (Berlin) Eurozine
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