Die fatalen Folgen, die Agrarsubventionen der reichen Länder für die Dritte Welt haben, macht die Krise des Baumwollanbaus in Westafrika deutlich. Der niedrige Weltmarktpreis bedeutet, dass die Kleinbauern zum Nullertrag produzieren. Dabei stehen sie in ungleicher Konkurrenz mit der hoch subventionierten Baumwolle aus den USA und der EU, aber auch aus Schwellenländern wie China und Brasilien. Würden die Subventionen für die Cotton-Farmer in den USA und in Europa entfallen, könnte der Weltmarktpreis um ein Drittel steigen, und die westafrikanische Baumwolle wäre auf einen Schlag wieder weltmarktfähig.
Jetzt ist es entschieden: In Mali, dem zweitgrößten Baumwollerzeugerland Afrikas nach Ägypten, wird die staatliche Compagnie Malienne des Textiles (CMDT, Gesellschaft für die Entwicklung der Textilindustrie) bis zum Jahresende privatisiert. Die CMDT1 kontrolliert 95 Prozent der Baumwollwirtschaft des Landes. Damit ist dieser Verkauf ein wichtiger Schritt in einem Privatisierungsprozess, der auf Drängen der Weltbank in ganz Westafrika vorangetrieben wird. Doch die Erfahrungen in Benin, wo der Strukturwandel im Baumwollsektor quasi als Laborversuch für das gesamte frankophone Afrika betrieben wurde, sind alles andere als überzeugend. Neben den zehn staatlichen Baumwollfabriken der Société nationale pour la promotion agricole (Sonapra) wurden seit 1994 weitere acht private Betriebe zugelassen. Gleichwohl blieb die Produktion weit hinter den angestrebten Zielen zurück. In der Erntesaison 2002/2003 wurden in Benin nur 320 000 Hektar statt der geplanten 400 000 Hektar bestellt, entsprechend sank der Ertrag von 415 000 im Vorjahr auf nur 320 000 Tonnen, um 23 Prozent. Zudem gab es organisatorische Mängel: Die Vermarktung lief schleppend an, und die Bauern bekamen ihr Geld von den Lagerbetreibern mit deutlichem Verzug.
Für die meisten Länder der Region ist die Baumwolle ein unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor: Mali erwirtschaftet die Hälfte seiner Devisen mit Baumwolle, Benin sogar 75 Prozent. In Burkina Faso, einem anderen großen Erzeugerland, entfallen auf diesen agrarischen Rohstoff 60 Prozent der Exporterlöse, die zugleich mehr als einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprechen. Auch für den Tschad ist Baumwolle die wichtigste Exportware. Baumwolle bringt aber nicht nur Devisen ein, sondern ist vielseitig nutzbar. Baumwollsamenöl ist das gebräuchlichste Speisefett in Mali, im Tschad, in Burkina Faso und Togo, auch die Elfenbeinküste und Kamerun haben einen hohen Verbrauch. Zudem werden die Pressrückstände zu Viehfutter verarbeitet.
Vor der Privatisierung lieferten die staatlichen Baumwollgesellschaften ihre gesamte Produktion (abzüglich des Saatguts) an die heimischen Fabriken. Das System sicherte den Bauern die Abnahme ihrer Ernte und sorgte für Beschäftigung in den verarbeitenden Kleinbetrieben (in erster Linie Ölmühlen), wobei die Erzeuger bei diesen De-facto-Monopolisten Dünge- und Pflanzenschutzmittel einkaufen mussten. Nach der Privatisierung, insbesondere im Bereich des Egrenierens (so heißt das maschinelle Loslösen der Baumwollfasern von der Samenkapsel) seit Mitte der 1990er-Jahre, liefern die privaten Betreiber ihre Samenproduktion nicht mehr unbedingt an die örtlichen Ölmühlen, die folglich vor sich hin dümpeln.
Und so bekommt Afrika indirekt die Folgen der BSE-Krise zu spüren: Weil kein Tiermehl mehr an Rinder verfüttert werden darf, ist in Europa die Nachfrage nach Ölkuchen aus Baumwollsamen und Pressrückständen bzw. Saatresten drastisch gestiegen. Die Viehfutterkonzerne wandten sich nach Afrika – und bezahlten die Ware über dem Binnenmarktpreis. Mit diesen Exporten ist aber den örtlichen Ölmühlen der Rohstoff entzogen.
“Die meisten Ölmühlen in Afrika sind nur noch zu 25 bis 30 Prozent ausgelastet, weil es keine Baumwollsamen mehr zu zermahlen gibt”, klagte schon vor einem Jahr Saliou Alimi Ichola, der Generalsekretär der Association des industriels de la filière oléagineuse de l’Uemoa (Verband der Ölindustrie der westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion). So sieht es auch Yves Lambelin, Präsident der ivorischen Sifca-Gruppe: “Bei den Baumwollsamen verarbeitenden Industrien in Mali, Burkina Faso, Togo und Benin sind die Erträge um 25 Prozent gesunken – bei gleich bleibenden Produktionskosten.” Am stärksten betroffen vom massiven – und zollfreien – Verkauf der Samen in Richtung Europa sind die Küstenstaaten.
In den elf Ländern der Franc-Zone 2 betrifft die westafrikanische Baumwollkrise insgesamt zwei Millionen Kleinbauern und dazu Millionen Menschen, deren Einkommen indirekt von der Baumwollwirtschaft abhängen. Ein maßgeblicher Grund für diese Krise ist auch der Preisverfall auf dem Weltmarkt seit 1997. Nach einer kurzen Erholung im Jahr 2000 ging der Preis Ende 2001 in den freien Fall über. Der Cotlook A-Index, das Barometer der internationalen Baumwollkurse, fiel Mitte Oktober 2001 von 64,95 Cent auf 36,65 Cent pro Pfund – auf das tiefste Preisniveau seit 1973. Eine derartige Baisse an den Rohstoffbörsen der Welt bedeutet massive Verdienstausfälle für die besonders abhängigen Länder: 2002 belief sich der Fehlbetrag etwa für Benin auf 28,6 Milliarden CFA-Franc (43,6 Millionen Euro) und für Burkina Faso auf 40 Milliarden CFA-Franc (61 Millionen Euro).
Seit Oktober 2002 schwankt der Index um 55 Cent pro Pfund, doch sollten sich die Erzeugerländer nicht zu früh freuen. Der Preisanstieg erklärt sich aus einer sehr schwachen chinesischen Baumwollernte, und die hat Gründe, die sich nach Aussage des International Cotton Advisory Committee (ICAC) auch wieder umkehren können: Stillegung von Anbauflächen wegen des niedrigen Weltmarktpreises und ungünstige klimatische Verhältnisse, insbesondere aufgrund einer Dürreperiode. William Dunavant, Chef des weltgrößten Baumwollkontors, Dunavant Enterprises, weist darauf hin, dass China weniger produziert und mehr importiert hat als in den Vorjahren: “Dies hat neben anderen Faktoren zu dem Kursgewinn geführt.”3
Nun haben die afrikanischen Baumwollbauern gegen den Weltmarktpreis gar nichts einzuwenden. Sie können die weiße Watte kostengünstiger pflücken, was eigentlich von Vorteil sein sollte. Demgegenüber müssten nach den Gesetzen des freien Markts die europäischen Exportländer (allen voran Griechenland) und die USA ihr Angebot reduzieren, da ihre Produktionskosten höher sind. Doch die Baumwollwirtschaft befindet sich in einer widersinnigen Lage: Trotz niedriger Preise sinkt das Angebot nur wenig, und so gibt es überall auf der Welt riesige Lagerbestände.
Gegen alle wirtschaftliche Logik und entgegen allen Prognosen hat die Baisse der Baumwollkurse vorläufig weder die Nachfrage belebt noch die weltweite Produktion gebremst. Zu den wichtigsten Exportländern zählen die USA, die westafrikanischen Länder der Franc-Zone, Ägypten, Usbekistan und Australien. Die größten Importländer liegen im südostasiatischen Raum. Und China erzeugt und verbraucht allein 25 Prozent der Weltproduktion und agiert – je nach Umfang der eigenen Ernte – als Käufer wie als Verkäufer.
Viele Beobachter führen die Lage der Baumwollwirtschaft auf die Subventionen zurück, die im EU-Bereich und in den USA an die Cotton-Farmer gehen, weshalb sie weit unter Selbstkosten produzieren können. So sehen es jedenfalls die Länder, die am 19. September 2002 den Verband der afrikanischen Baumwollwirtschaft (Association cotonnière africaine, kurz ACA) ins Leben gerufen haben, um die regionale Baumwollwirtschaft und die Solidarität unter den Baumwolle produzierenden Ländern zu stärken. Zurzeit ist der Baumwollmarkt durch “Missstände” und “unlautere Praktiken” gekennzeichnet, so der Verband in direkter Anspielung auf die Agrarsubventionen in den USA und in Europa. “Die afrikanische Baumwollproduktion genießt hinsichtlich der komparativen Kosten zahlreiche Vorteile”, meint Ibrahim Maloum, der Präsident der ACA. “Die Afrikaner verlangen keine Sonderbehandlung, sie wollen nur, dass sich alle an die Regeln der Welthandelsorganisation halten.”
Bereits im November 2001 formulierten die Bauernverbände von Mali, Benin und Togo, den drei größten Baumwollproduktionsländern Westafrikas, denen sich auch ein Regionalverband aus Madagaskar anschloss, einen eindeutigen Appell: “Die Subventionen haben für unsere Länder verheerende Folgen. Sie heizen die Produktion auf dem Weltmarkt künstlich an, was zu einem Überangebot führt und die Preise drückt. Vor diesem Preisverfall wiederum sind die hoch subventionierten Bauern Europas und der USA besser geschützt.”
Im vergangenen Jahr schenkte die US-Regierung ihren Cotton-Farmern 3,7 Milliarden Dollar. Auch anderswo fließen die Subventionen: in Europa 700 Millionen Dollar allein an Spanien und Griechenland, in China 1,2 Milliarden Dollar (für die Ernte 2001/2002), aber auch in der Türkei und Ägypten, in Mexiko und Brasilien. Demgegenüber hat keiner der afrikanischen Staaten das nötige Geld, seine Baumwollbauern zu unterstützen. Und sie dürften es auch nicht, weil die Auflagen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank ihnen Subventionen verbieten.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz kritisiert ganz ähnlich: “Durch diese Schenkungen werden die us-amerikanischen Farmer regelrecht in die Versuchung gebracht, immer größere Baumwollmengen zu produzieren, was die Preise in den Keller treibt. [OE] Die Vorteile, die unseren Landwirten zugute kommen, werden um den Preis der Verarmung anderer erzielt.”4 Die Weltbank5 bestätigt diese Sicht der Dinge in einer Studie zumindest teilweise, und dennoch besteht sie wie selbstverständlich auf der Empfehlung: Noch mehr Liberalisierung! Beim WTO-Treffen in Cancún stehen solche Fragen auf der Tagesordnung. Und obwohl nur Benin einer formellen Klage Brasiliens gegen die Agrarsubventionen beigetreten ist, werden vier afrikanische Staaten (Benin, Burkina Faso, Mali und Togo) offiziell die weltweite Abschaffung der Baumwollsubventionen fordern.
EU-Handelskommissar Pascal Lamy will dieser Klage, die sich natürlich auch gegen Europa richtet, mit dem Argument vorbeugen, mit nur 2 Prozent der Weltbaumwollproduktion habe Europa kaum Einfluss auf die Märkte.6 Die Einschätzung des ICAC geht in dieselbe Richtung. Zudem weist der EU-Kommissar darauf hin, dass Baumwolle aus den unterentwickelten Ländern Afrikas zollfrei in die EU kommt und dass Europa große Mengen an Textilien importiert. Was die Position betrifft, die Brüssel bei der Welthandelsrunde vertreten wird, so hält sich Pascal Lamy bedeckt.
Dagegen erklärte EU-Agrarkommissar Franz Fischler im September 2002 vor griechischen Bauern: “Die Höhe der Ausgaben für die Landwirtschaft wird sich auf europäischer Ebene nicht ändern.” In einem Papier mit der Überschrift “Ein paar einfache Ideen zur europäischen Landwirtschaft” (23. September 2002) erklären sieben der fünfzehn EU-Agrarminister, darunter der Franzose Hervé Gaymard: “Die Landwirtschaften vieler dieser Länder (der Dritten Welt), besonders in Afrika, haben in erster Linie die Aufgabe, die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Doch ist die Subsistenzwirtschaft durch die Zerstörung der traditionellen Landwirtschaft ernsthaft bedroht, mit der Konsequenz, dass die Importe ständig nach oben gehen und die Länder sich immer höher verschulden.” Als gäbe es keinerlei Zusammenhang zwischen den Agrarsubventionen innerhalb der EU und der schwierigen Lage der afrikanischen Bauern. Die Minister übersehen nur, dass die Agrarwirtschaften der südlichen Hemisphäre de facto zu Exportwirtschaften getrimmt worden sind – und zwar nicht selten auf Druck der Industrieländer.
In den Regionen, in denen die CMDT tätig ist, hat sie das Einkaufsmonopol für Baumwollsamen, das Verkaufsmonopol für Dünge- und Pflanzenschutzmittel sowie das Monopol auf das Egrenieren.
Senegal, Guinea-Bissau, Elfenbeinküste, Burkina Faso, Mali, Niger, Benin, Togo, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Kamerun.
www.deltafarmpress.com , 7. Januar 2003.
Joseph Stiglitz: Dankesrede für die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Louvain-la-Neuve, 3. Februar 2003.
Ousmane Badiane et al., "Evolution des filières cotonnières en Afrique de l'Ouest et du Centre", Juli 2002 (siehe www.banque mondiale.org .
In einem Brief vom 31. Mai 2002.
Published 30 September 2003
Original in French
Translated by
Marcel Hazard
Contributed by Le Monde diplomatique © Le Monde diplomatique Eurozine
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