In allen Ländern der Welt findet die Ausbildung von Ärzten und
medizinischem Personal in unkoordinierten Schüben statt, so dass es
mal im einen, mal im anderen Land zu einem drastischen
Fachkräftemangel kommt. Der Westen ist mit seinem Lebensstandard
und der Ausstattung von Kliniken und Forschungseinrichtungen noch
immer attraktiv genug, um seinen Bedarf an qualifizierten Ärzten
und Pflegekräften zu decken, wenn nötig eben im fernen Ausland:
Jeder fünfte praktische Arzt in Großbritannien stammt aus Asien,
fast jeder vierte Mediziner in den USA hat seine Ausbildung im
Ausland absolviert. Für das Gesundheitswesen in den
Herkunftsländern hat das fatale Folgen.
Im Dezember 2001 stellte die britische Regierung fest, dass das
staatliche Gesundheitswesen für sein weiteres Funktionieren bis zum
Jahr 2004 auf 8 000 bis 10 000 zusätzliche praktische Ärzte
angewiesen sein würde. Daraufhin begann eine Kampagne zur Anwerbung
ausländischer Mediziner. Im Januar 2001 forderte Südafrika Kanada
auf, nicht länger südafrikanische Allgemeinmediziner abzuwerben,
weil in den ländlichen Gebieten Kanadas Ärzte fehlen. Südafrika
hatte schließlich erst kurz zuvor 350 kubanische Ärzte
eingestellt,1
um die Abwanderung der im Land ausgebildeten
Fachkräfte auszugleichen. Im Oktober 2000 stellte Irland 55
Anästhesisten aus Indien und Pakistan ein. Selbst Schweden, das
Musterland der sozialen Fürsorge, hat vor kurzem mit dem Wildern
auf fremdem Territorium begonnen und unter anderem 30 polnische
Ärzte eingestellt. 23 Prozent der Mediziner in den Vereinigten
Staaten haben ihre Ausbildung im Ausland absolviert. Fast 20 Prozent
der praktischen Ärzte in Großbritanien stammen aus Asien.
In Frankreich arbeiten ungefähr 8 000 Ärzte, die ihre Ausbildung
im Ausland absolviert haben. 4 400 von ihnen haben außerhalb
Europas studiert. Sie sind an öffentlichen Krankenhäusern
beschäftigt und leisten einen wesentlichen Teil der Versorgung in
den Bereichen Kinderheilkunde, Geburtshilfe und Radiologie. Was
Status und Gehalt angeht, stehen sie freilich deutlich schlechter da
als ihre französischen Kollegen. In den arabischen Golfstaaten
arbeiten etwas mehr als 20 000 Ärzte, die meisten stammen vom
indischen Subkontinent. Derartige Migrationen zwischen Ländern des
Südens sind in der Regel jedoch zeitlich befristet.2
Für die betroffenen Länder ist die Abwanderung der Ärzte ein
sehr schmerzhafter Aderlass. So hat Simbabwe in den Neunzigerjahren 1 200 Ärzte ausgebildet, von denen dann im Jahr 2000 nur noch 360 im
Lande tätig waren. Die Hälfte aller in Äthiopien, Ghana und
Sambia ausgebildeten Ärzte sind ausgewandert. Viele dieser
Auswanderer üben ihren Beruf im Gastland mittlerweile gar nicht
mehr aus. Mit den verfügbaren Statistiken jedenfalls lässt sich
kein genaues Bild der Migration zeichnen, weil diese “freiwillige
Auswanderer” und “Flüchtlinge”, manchmal auch im Ausland geborene
eigene Staatsbürger, unterschiedlich zuordnen.3
Noch größer ist der Mangel an Pflegepersonal. Im Jahr 2000 hat
das britische Gesundheitsministerium mehr als 8 000 Krankenschwestern
und Hebammen von außerhalb der Europäischen Union eingestellt –
zusätzlich zu den 30 000 ausländischen Kolleginnen, die bereits
an den öffentlichen und privaten Krankenhäusern Großbritanniens
arbeiten. Schon heute lässt sich absehen, dass bis zum Jahr 2010 in
den Vereinigten Staaten, sowie in Großbritannien und in Frankreich
mehrere zehntausend qualifizierte Kräfte fehlen werden.
Der Arzt als Entdeckungsreisender
Seit jeher hat sich die Wissenschaft nicht zuletzt dadurch
weiterentwickelt, dass Menschen sich vom einen zum anderen Ort
bewegen und ihr Wissen weitergeben. Die Medizin ist keine Ausnahme.
Im Mittelalter gingen die Ärzte zum Studium an die berühmten
Universitäten von Alexandria, Córdoba, Bologna oder Montpellier.
Später fuhren sie auf den Schiffen der Entdecker mit. Seit Louis
Pasteur mit seinen bakteriologischen Erkenntnissen in den 60er- und
70er-Jahren des 19. Jahrhunderts die Medizin revolutioniert hat,
haben Ärzte die Welt vom äußersten Norden bis zum tiefsten
Süden bereist, und sie haben die Tropenmedizin gegründet.
Inzwischen gibt es weitaus weniger Pflegepersonal in den christlichen
Missionen der Welt. Die westlichen Experten sind nicht an ihre Stelle
getreten, sie haben andere Aufgaben zu erfüllen. Seit der
Unabhängigkeit vieler ehemaliger Kolonien verläuft die
Wanderungsbewegung der Mediziner in die andere Richtung. Dies liegt
einerseits an der Nachfrage in den Industriestaaten und andererseits
an der drastischen Verknappung der Gesundheitsbudgets, die den
Entwicklungsländern zu Beginn der Achtzigerjahre von den Geldgebern
internationaler Fonds im Namen von Strukturanpassungen aufgezwungen
wurde.
Die Abwanderung von Ärzten und Ärztinnen hat nicht nur mit der
Armut in ihren Herkunftsländern, mit Überlebensstrategien oder
auch mit veränderten Verhaltensweisen zu tun. Ausschlaggebend ist
für viele Migranten vor allem der Eindruck, dass die Länder des
Nordens qualifizierten Ärzten eine Lebensweise und berufliche
Chancen eröffnen, die ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten
entsprechen. Hinzu kommen politisch instabile Verhältnisse im
Heimatland, ethnische Diskriminierung, Frustration im Beruf (aufgrund
schwerfälliger Bürokratien, verspäteter Gehaltszahlung,
Elitenklüngel oder beruflicher Isolation), das Missverhältnis
zwischen Studieninhalten und deren Umsetzung in die Praxis oder auch
familiäre Probleme. All diese Faktoren tragen bei zur Entscheidung
auszuwandern, insofern geht es in aller Regel um mehr als den
bloßen materiellen Anreiz.4
Die Gründe, die dazu führen, dass praktizierende Ärzte die Lust
verlieren, ihren Beruf im eigenen Land auszuüben, sind in der Tat
vielschichtig. Einer davon wird oft verdrängt und betrifft den
Norden ebenso wie den Süden: Er liegt in der anhaltenden Krise des
medizinischen Denkens. Bewusst oder unbewusst begreifen Ärzte sich
nach wie vor als diejenigen, die “den Triumph der Medizin”
verkörpern und somit ebenso selbstverständlich wie zuverlässig
Heilungserfolge vorweisen können. In vielen Fällen hat diese
Vorstellung die Berufswahl geprägt. Wenn es dann aber an den
materiellen Voraussetzungen fehlt, um diesen Beruf auch angemessen
ausüben zu können, wird das Ideal zur Illusion. Enttäuschung
und Wut sind die Folge. Keine Diagnose stellen zu können, weil man
keine Laboruntersuchungen vornehmen kann; ein geeignetes Medikament
nicht verabreichen zu können oder den elementaren Regeln der
Hygiene nicht entsprechen zu können – mit all dem muss sich ein
Großteil der medizinischen Fachkräfte in Entwicklungsländern
abfinden. Sobald einer von ihnen die Möglichkeit zur Emigration
hat, steht er vor dem Dilemma, seinem Land treu zu bleiben oder
seinem Beruf.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für die Länder der
südlichen Halbkugel einst hohe Ziele gesteckt. So sollte im Jahr
2000 jedes Land auch in ländlichen Regionen über mindestens einen
Arzt auf 5 000 Einwohner und einen ausgebildeten Krankenpfleger auf 1
000 Einwohner verfügen. Doch die Gesetze des Arbeitsmarktes, der
mangelnde Realitätssinn internationaler Geldgeber und die
Gleichgültigkeit der Behörden in den betroffenen Ländern haben
diese Ziele zu einer Farce gemacht. Im weltweiten Durchschnitt kommt
heute ein Arzt auf 4 000 Menschen: einer auf 500 Menschen in den
westlichen Ländern, einer auf 2 500 Menschen in Indien, und in den
25 ärmsten Ländern der Welt gibt es einen einzigen Arzt für 25
000 Menschen. Die Mobilität der Ärztinnen und Ärzte,
Krankenpflegerinnen und medizinisch-technischen Fachkräfte hat
für die Länder des Südens zu einer gesundheitspolitischen
Apartheid geführt.
Angesichts solcher Gegensätze legen die internationalen
Organisationen, die gesundheitspolitische Leitlinien ausgeben und
gegen soziale Ungleichheit kämpfen sollen, ein bemerkenswertes
Stillschweigen an den Tag. Seit 1979 hat nämlich weder die WHO noch
das United Nations Devolopment Program (UNDP) irgendwelche Studien
über die Folgen veröffentlicht, die der Transfer von
Fachkräften für die Gesundheit der dadurch benachteiligten
Menschen haben wird.5
Die Weltbank erstellt zwar jede Menge
Untersuchungen über die Vorzüge der Marktöffnung, hat aber
merkwürdigerweise noch nie die Geldflüsse bewertet, die durch den
Austausch menschlichen Kapitals entstehen. Ohne Zweifel blendet sie
auch die UN-Resolution 2417 “Über die Abwanderung von
Führungskräften und technischem Personal aus
Entwicklungsländern” einfach aus. Diese verurteilt nämlich die
“Wilderei” nach Spezialisten aller Berufe.6 Aber schließlich
trägt ja das Gesundheitswesen auch nicht direkt zum
Bruttosozialprodukt bei
Anfang 1995 sind die Leitlinien “Eine WHO für das 21. Jahrhundert
gestalten” verabschiedet worden. Sie befassen sich vor allem mit den
Voraussetzungen für eine weltweite Gesundheitspolitik, übergehen
jedoch die Frage, wie die Wanderungsbewegung von qualifizierten
Fachkräften im Gesundheitswesen zu regeln sein könnte.7 Außerdem wird die Medizinerflucht von der WHO in ihrem “Index
verlorener gesunder Lebensjahre” nicht berücksichtigt. Dieser
Faktor ist jedoch auch entscheidend für die Berechnung der
verfrühten Todesfälle und Arbeitsunfähigkeiten in den
jeweiligen Ländern. Ebenso wenig wird zudem die Abwanderung der
Ärzte und Krankenpfleger bei der Erstellung des Human Development
Index des UNDP berücksichtigt. Wohlgemerkt: Das Leid der Menschen,
die von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten sind, lässt sich
natürlich nicht in Zahlen ausdrücken. Und doch machen diese
Zahlen nur allzu deutlich, dass die Sterblichkeitsrate unter
Müttern und Neugeborenen heute nicht mehr, wie noch vor einigen
Jahren, abnimmt.
Als Antwort auf globalisierungskritische Stimmen hat der
Generaldirektor der WHO einen Ausschuss namens “Makroökonomie und
Gesundheit” mit dem Entwurf eines neuen Investitionsplans
beauftragt. 8
Die Kommissionsmitglieder weisen in ihrem Bericht das
alte Argument zurück, die Volksgesundheit verbessere sich
automatisch mit dem Wachstum der Wirtschaft. Sie betonen vielmehr,
dass umgekehrt eine bessere Gesundheit entscheidend für
wirtschaftliche Erholung und sozialen Fortschritt in
einkommensschwachen Ländern sei. Mit ihrem “Gesundheitspakt”
versuchen sie, für die Beziehungen zwischen Geber- und
Empfängerländern eine neue Grundlage zu schaffen. Die
Vorschläge bleiben jedoch erstaunlich vage, wo es um das
medizinische Personal geht, das für diese neuen Ansätze nötig
sein wird.
Um seine Ziele zu erreichen, wird der Weltfonds zur Bekämpfung von
Aids, Malaria und Tuberkulose allerdings medizinische Infrastrukturen
aufbauen oder unterhalten müssen, denn nur so sind die geplanten
Projekte auch effizient durchzuführen. Das gilt insbesondere für
die Behandlung von HIV-Patienten mit antiretroviralen Medikamenten.
Wie der Süden den Norden subventioniert
Die Kosten für die Ausbildung von Fachkräften sind schwer
einzuschätzen – nicht zuletzt, weil sie von einer Region zur
anderen erheblich variieren. Auch die jeweiligen Auswirkungen der
Ausbildung auf das Gesundheitswesen und den Entwicklungsstand in den
Ländern sind kaum zu ermitteln. Wenn man allerdings einmal annimmt,
dass in einem Land des Südens die allgemeinmedizinische Ausbildung
ungefähr 60 000 Dollar pro Person und die Ausbildung des sonstigen
medizinischen Personals etwa 12 000 Dollar pro Person kostet, kommt
man grob gerechnet zu dem Ergebnis, dass Nordamerika, Westeuropa und
Australien von den Entwicklungsländern jährlich mit 500 Millionen
Dollar “subventioniert” werden. 9Die WTO, die aggressiv für die
Vorrechte der multinationalen Pharmakonzerne eintritt, muss in dieser
Hinsicht geradezu Scheuklappen tragen. Denn sie erkennt die Bedeutung
der medizinischen Fachkräfte nicht, obwohl eben nur diese Rezepte
verschreiben und Medikamente verteilen können. Oder sollte die WTO
womöglich auf den gegenwärtigen Schwarzhandel setzen, um den
Verkauf von Medikamenten anzukurbeln?10
Lässt es sich denn überhaupt verhindern, dass sich die reichen
Länder die wissenschaftlich ausgebildeten Fachkräfte der
einkommensschwachen Länder aneignen, wo überdies bereits klar
ist, dass die internationalen Migrationsbewegungen von
Wissenschaftlern weiter zunehmen werden?11
Verschiedene Lösungsansätze bieten sich an. Die erste Version ist
nicht neu und wurde in letzter Zeit gelegentlich wieder
aufgegriffen: 12
Das Aufnahmeland des Migranten zahlt eine
Entschädigung an den Staat, der für die Ausbildung gesorgt hat.
Diese Möglichkeit wird bislang eher willkürlich angewendet, weil
das internationale Recht keine diesbezüglichen Vorschriften kennt.
Die Herkunftsländer können außerdem die Emigration erschweren
oder verzögern, indem sie Abschlusszeugnisse erst nach einer
Mindestzahl von Dienstjahren vergeben. Die Gastländer können
helfen, indem sie ihre Anforderungen an die Ausbildung erhöhen.
Gegen den Abbau des Gesundheitswesens in den betroffenen Ländern
können derartige Maßnahmen allerdings nichts ausrichten.
Verschiedentliche Versuche, die Migration staatlich zu regeln, haben
sich als weitgehend wirkungslos erwiesen.
Die zweite Lösungmöglichkeit ist von größerer Tragweite, weil
sie bei einer kulturellen und gesellschaftlichen Aufwertung der
Heilberufe ansetzt. Der traditionell ausgebildete Arzt kann die
Bedürfnisse der Menschen in den südlichen Ländern kaum
erfüllen, weil er am universalistischen Modell einer heilenden und
wissenschaftlichen Medizin geschult ist – und für sie galt die
öffentliche Vorsorgemedizin als Nebensache. Ärzte brauchen neue
gedankliche und praktische Werkzeuge, um sich mit dem Ziel des
Fortschritts in ihrem eigenen Land identifizieren zu können, und
hier erweist sich ein gleichsam ideologischer Bruch mit dem westlich
geprägten Studienkanon als notwendig.13
In einer derartigen Reform muss der Erhalt der Gesundheit einen
höheren Stellenwert bekommen als die Behandlung von Krankheiten.
Sie muss die Aufmerksamkeit eher auf die Gemeinschaft als auf das
Individuum lenken. Sie muss auf interdisziplinärer Arbeit bestehen,
um die Ansätze von Heilung und Vorsorge einander anzunähern. Und
schließlich darf das Krankenhaus – das nur einer Minderheit
zugänglich ist – nicht länger der einzig mögliche Ort für
eine hochwertige medizinische Versorgung sein. Eine solche Reform
würde die staatlichen Behörden und das gesamte medizinische
Personal dazu bringen, ihr Handeln öffentlich – und nicht mehr nur
vor den internationalen Geldgebern – zu rechtfertigen.
Der Übergang von einer universalistischen zu einer akkulturierten
Medizin wertet die Ressourcen der südlichen Länder auf und
berücksichtigt deren regionale Besonderheiten. Freilich birgt er
die Gefahr einer Zweiklassenmedizin. Gewiss würde die Emigration
von Ärzten dadurch erschwert, dass ihre Ausbildung den
Anforderungen im Westen nicht mehr entspräche. Aber könnte man so
wirklich die Flucht der besten Experten verhindern – etwa der
Absolventen des All India Institute of Medical Sciences, von denen 75
Prozent ihre Promotionsstudien im Westen fortsetzen?14
Und würden
Ärzte, die im eigenen Land blieben, damit nicht riskieren, dass
ihre westlichen Kollegen sie nicht mehr ernst nehmen und ihre
wissenschaftlichen Arbeiten ignorieren?
Da die Länder des Südens kein homogenes Ganzes bilden, müssen
die Strategien und Arbeitsweisen der Kooperation mit den
Industrieländern deren unterschiedliche Bedingungen und kurz- oder
längerfristigen Ziele berücksichtigen. Außerdem bilden manche
Länder (etwa Kuba, Ägypten, Spanien, Italien, Israel und die
Philippinen) mehr medizinisches Personal aus, als sie beschäftigen
können. Andere, wie die Vereinigten Staaten, Kanada oder
Großbritannien, können ohne Einwanderer die Versorgung ihrer
Bevölkerung nicht auf dem angestrebten Niveau halten. Die Lösung
des Problems der beruflichen Abwanderung kann also nicht darin
bestehen, die Mobilität der Einzelnen zu beschränken.
Ein dritter Lösungsweg scheint in diesem Zusammenhang angebrachter:
Medizinische Fachkräfte sollten ermutigt werden, im Heimtaland zu
bleiben oder später dorthin zurückzukehren. Außerdem sollte der
ungleiche Zugang zu medizinischer Versorgung abgebaut und
Investitionen in Bildung und Gesundheit höher bewertet werden.
Hierzu eröffnen die neuen Kommunikationstechniken mit dem Aufbau
von Zentren für Fernstudien oder interaktiven Vernetzungen
interessante Möglichkeiten.
Denkbar wäre ein virtueller Campus, der eine Universität des
Südens mit einer Europas oder Nordamerikas vernetzt und die
Aktualisierung der Studienprogramme und den Zugang zur Fachliteratur
sicherstellt. Interaktive Netze verbinden die Auswanderer sowohl
untereinander als auch mit ihren Kollegen im Heimatland. Dadurch
entstehen neue Formen der intellektuellen und wissenschaftlichen
Diaspora. Das Ziel ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Nord und
Süd, die Aufwertung der Arbeit von Kollegen im Süden auf
internationaler Ebene und die Suche nach Möglichkeiten einer
vorübergehenden, besser noch dauerhaften Rückkehr ins Heimatland.
Es gibt bereits mehr als 40 solcher Diasporanetze in über 30
Ländern. Manche zählen ein paar dutzend, andere mehrere hundert
Mitglieder.15
Da die Auswanderer in Kontakt mit der Heimat bleiben,
können sie zugleich im Ausland arbeiten und zum Fortschritt im
eigenen Land beitragen. Diese Politik der Ermunterung zur Rückkehr
ist das Ziel des Projektes “Tokten” (“Transfer of Knowledge through
Expatriate Nationals”). Es wird vom UNDP und der Internationalen
Gesellschaft für Migration finanziert. Allerdings sind die
Ergebnisse im Bereich des Gesundheitswesens noch eher bescheiden.
Prognosen über den Bedarf an Ärzten und Gesundheitspersonal zu
erstellen erweist sich als schwierig – nicht zuletzt, weil auch das
zu erwartende Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum kaum zu
bestimmen ist. Zudem ist die Abwanderung von hoch qualifizierten
Menschen weder ein allgemeines Phänomen noch das Ergebnis einer
einheitlichen Politik. Wer ihr beikommen will, muss die menschlichen,
kulturellen und gesellschaftlichen Besonderheiten der Auswanderungs-
wie der Einwanderungsländer berücksichtigen. Fest steht auch,
dass sich das Humankapital des Gesundheitswesens weder durch
Direktiven der reichen Länder und der WTO noch durch Gesetze, die
arme Länder in Eigenregie erlassen, in die eine oder andere
Richtung lenken lässt.
Es ist höchste Zeit, dass sich die WHO ihrer Aufgabe besinnt und
eine weltweite Regelung des Gesundheitswesens auf der Grundlage einer
solidarischen Ethik entwirft. Sie müsste nicht zuletzt eine Debatte
über die Zukunft des “Handels mit öffentlichen Dienstleistungen”
eröffnen, an der sich UNO, Welthandelsorganisationen und die
internationalen Finanzinstitutionen ebenso zu beteiligen hätten wie
Experten des internationalen Rechts. Ziel dieser Debatte wäre die
Ausarbeitung einer Konvention zur internationalen Anwerbung von
Fachkräften. Dieser Vertrag sollte die Bedingungen festlegen, unter
denen Industrieländer medizinisches Personal aus Ländern
einstellen dürfen, denen es selbst an Fachkräften mangelt.16
Erwürde entsprechende internationale Abkommen zur Berufsausbildung
ergänzen und das in der Charta der Menschenrechte festgelegte Recht
auf Gesundheit konkreter definieren.
Kuba bildet viel mehr Ärzte aus, als es selbst benötigt
Vgl. Joaquín Arango, "Expliquer les migrations: un regard
critique", Revue internationale des Sciences Sociales, Unesco, Paris,
September 2000.
Sabine Cessou, "Fuite des cerveaux: L'Afrique part en croisade",
Marchés tropicaux, Paris, 23. Februar 2001, Nr. 2889.
Vgl. Marc-Eric Gruénais und Roland Pourtier (Hrsg.), "La santé
en Afrique", Afrique Contemporaine, Paris, Nr. 195, Juli-September
2000.
Alfonso Mejìa, Helena Pizurki und Erica Royston, "Physician and
Nurse Migration: Analysis and Policy Implications", WHO, Genf 1979.
Generalversammlung, 23. Sitzung, Resolution 2417, 1745.
Plenarsitzung, 17. Dezember 1968
WHO, "Regional Office for Europe, Health 21 - Health For All in the
21st Century", Kopenhagen 1999.
Bericht der Kommission "Macroeconomics and Health" (Jeffrey S.
Sachs, Hg.), "Investing in Health for Economic Development", WHO,
Genf, 20. 12. 2001,
Sophie Boukhari kommt in "Diplômés aux enchères", Courrier de
l'Unesco, Paris, September 1998, für die Flucht von
Universitätsabsolventen insgesamt auf einen Betrag von 10
Milliarden Dollar.
Siehe Jeanne Maritoux, Carinne Bruneton und Philippe Bouscharin,
"Le secteur pharmaceutique dans les États africains francophones",
Afrique Contemporaine, Juli-September 2000, Nr. 195.
Das amerikanische Labor Office nimmt an, dass der heimische Markt für Gesundheits-und Pflegedienste zwischen 1996 und 2006 um 30 Prozent wachsen und dann 3,1 Millionen Beschaeftigte zählen wird. Vgl. " Occupational Statistics outlook", Statistics Handbook 1998-1999.
Peter E. Bundred und Cheryl Levitt, "Medical Migration: Who Are
the Real Losers?", The Lancet, London, Bd. 356, 15. Juli 2000.
In den Industrieländern stehen Lehrpläne und Finanzierung der
Ärzteausbildung zur Debatte: Arnold S. Relman, "The Crisis of
Medical Training in America", The New Republic, Washington D. C., 10.
Feb. 2000.
Sanjoy Kumar Nayak, "International Migration of Physicians: Need
for New Policy Directions", European Association of Development,
Research and Training Institutes (EADI), Achte Generalkonferenz,
Wien, 11. bis 14. September 1996.
Jacques Gaillard und Anne Marie Gaillard, "Fuite des cerveaux,
retours et diasporas", Futuribles, Nr. 228, Februar 1998.
Tikki Pang, Mary Ann Lansang und Andy Haines machen einen
ähnlichen Vorschlag in "Brain Drain and Health Professionals",
British Medical Journal, London, Bd. 324, 2. März 2002
Published 6 June 2002
Original in French
Translated by
Herwig Engelmann
Contributed by Le Monde diplomatique (Berlin) © Contrapress media GmbH / Le Monde diplomatique (Berlin) / Eurozine
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