Ich war noch nicht geboren, da hatte man mich schon zweimal töten wollen. Meine Mutter tritt auf den Gang hinaus, im verwaschenen, roten Trainingsanzug, vermutlich mit einem Wort auf dem Rücken, Bau-Union, Stromwerke oder Honvéd, sie tritt hinaus, in der Hand den Mülleimer, sie will den Müll in die Tonne runtertragen.
Ein Haus mit Außenflur rundherum, auf dem Innenhof, neben der Teppichstange, an der die Tochter von Fehérs, die so genannte Hausmeistertochter, so viel turnen wird, da, wohin ich Jahre später das in die Zeitung Népszabadság – zu deutsch “Volksfreiheit” – gewickelte Kleingeld hinwerfen werde, wenn jemand zum Geigen hereinkommt, da stehen zwei Männer. Aufgrund der verlogenen Aufarbeitungen der Epoche und der wahrheitsgetreu scheinenden fotografischen und filmischen Dokumente bin ich der Ansicht, dass mindestens einer der Männer einen Ballonmantel trägt. Er trägt einen Ballonmantel, das wird die Figur des Onkel Matula ambivalent machen, als ich zehn Jahre später den Kinderfilm Dornenburg im schwarz-weißen Munkácsy-Fernseher ansehe. Noch sehe ich nicht. Ich bin ein Embryo. Lutsche in der warmen Brühe an meinem Daumen. Geben wir dem mit dem Ballonmantel eine Maschinenpistole in die Hand. Genau solche haben sie gesucht, so scheint¹s, solche kommunistischen Huren im roten Trainingsanzug, mit dickem Bauch, das war der Befehl, schießt am Mittwoch drei Kommunisten in rotem Trainingsanzug, für Trächtige zahle ich das doppelte, oder wie. Der im Ballonmantel hebt die Maschinenpistole mit Trommel, meine Mutter bleibt stehen, erstarrt, und durch ihr Blut, durch die so genannte Nabelschnur versetzt sie mich in mordsmäßige Angst, und dann bereitet sie sich auf die allereinfachste Art auf den Tod vor.
Nämlich gar nicht.
Ihr fällt das Warum ein, der rote Kommunistenhurentrainingsanzug, den sie angezogen hat. Ganz in der Nähe, am Oktogon, hat man vorgestern einen Jungen aufgehängt, in einem Trainingsanzug des Sportklubs Dózsa. Darin, oder eher deshalb.
Typisch, dass ich den anderen nicht sehe, gerade den nicht, der uns vor ihnen rettet, indem er im entsprechenden Augenblick auf den Lauf der Maschinenpistole schlägt. Die ist doch schwanger, siehste das nicht, du Rindvieh. Das hat er nach Ansicht meiner Mutter gesagt. Ein momentaner Waffenstillstand stellt sich im Freiheitskampf ein, aus verständlichen, humanen Gründen lassen sie den trächtigen Feind des Volkes laufen, und willigen indirekt dazu ein, dass ich mich auf die Welt freikämpfe. Sie lassen mich auf die Welt los.
Das zweite Mal wollten uns die Russen töten, damals noch Russen, später werden sie wieder sowjetische Menschen. In einer derartigen attributiven Konstruktion verwenden wir Ungarn das Wort Mensch dann, wenn wir auf jemanden hinabsehen, oder uns ihn zumindest Lichtjahre von uns entfernt vorstellen. Jüdische Menschen, Zigeunermenschen, das muss man meiner Meinung nach auf Ungarisch sogar zusammenschreiben, sowjetische Menschen. Dabei verweist der Kontext, der so genannte Textzusammenhang im Allgemeinen darauf, dass wir zum sowjetischen Menschen gerade hinaufsehen und nicht hinabsehen sollten. Darauf hat er verwiesen, aber die Sprache hat ihn doch verraten.
Sawjezkije ljudji.
Der Krankenwagen fährt, meine Mutter wird in die Sportklinik gebracht, das Fruchtwasser ist am Tag der Schweigedemonstration, am 23. November 1956, abgegangen. Frühgeburt. Die Russen riechen den Braten natürlich, sie haben ja genug sowjetische Filme gesehen. So fliehen die Faschisten, so haben die sich das ausgedacht, sie beschaffen sich einen Krankenwagen, oder vielleicht sind das auch gar keine Krankenwagen, sondern militärische Lastkraftwagen, getüncht, schnell übermalt, das Hakenkreuz verdecken die Nazis mit einem roten Kreuz, sehr listig. Geschickte, kleine Nazis, die müssen in diesem merkwürdigen Suez, oder wo sind wir noch gleich, abgeschossen werden. Sie tun auch alles, was menschlich und fachlich möglich ist. Lasst uns auch dem Krankenwagenfahrer ein Gesicht geben, soll er doch Yves Montand aus diesem ganz hervorragenden Film sein, in dem sie Nitroglyzerin transportieren. Yves Montand lehnt sich hinaus und brüllt, auf russisch, vielleicht nicht mit perfekter Aussprache, er brüllt, ich fahre eine gebärende Mutter. Mach dich nicht lächerlich, denken die Russen, ebenfalls auf russisch, und schießen. Der Lohn der Angst. Da denkt sich der Fahrer aus, dass er die Nase des Krankenwagens hinaussteckt, und tritt dann sofort auf die Bremse, er wartet die Salve ab, dann brettert er mit Vollgas über die Kreuzung, ich kann mir vorstellen, wie meine Mutter das genossen hat.
Wir gelangen irgendwie bis zur Sportklinik.
Ich denke, ich habe im Bauch meiner Mutter wohl geschlafen.
Da konnte ich noch schlafen, auch tags, vielleicht, weil es damals noch nicht Pflicht war. Zum Aufhören musste ich geboren werden, und ein bisschen musste ich wachsen. In der kleinen Gruppe habe ich angefangen aufzuhören. Ich habe das Aufhören angefangen. Ich war nicht böse, ich habe nicht aus Boshaftigkeit aufgehört, es ging einfach nicht, ich konnte nicht schlafen. Da fing auch die Verwunderung an, mit dem Aufhören. Dass es bei denen geht. Genau das geht bei ihnen, was gerade gehen muss. Sie nehmen die aufklappbaren Betten hervor, da kommt eine Decke drauf, ein Laken, es wird halbdunkel, die Kindergärtnerin erzählt und sie schlafen ein. Locker. Der Daumen rutscht in den Mund. Ich habe sie mit dem Nichtschlafen wahnsinnig gemacht, damit, dass ich mit weit geöffneten, großen Augen an die Decke starrte, ein kleines wildes Tier, ich starrte die anderen an, betrachtete durch die Ritzen in den Rollläden, was von der Welt zu sehen war, oder was man von ihr in den Saal hereinließ, die Lampe, die Muster der Decke, die auf einen Haufen geworfenen Spielsachen. Alles. Manchmal setzte ich mich auf, und so, mit dem Aufsetzen, protestierte ich, ich ragte aus der Waagerechten hervor, provokativ, gleichsam auch andere auffordernd sich anzuschließen, damit sie gegen das Gift des Nachmittagschlafes protestierten, ich war bis zum Letzten entschlossen.
Einen Teufel war ich entschlossen.
Published 25 October 2006
Original in Hungarian
Translated by
Éva Zádor
Contributed by Magyar Lettre Internationale © Gábor Németh/Eva Zador Eurozine
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