Wenn Stumme mit Tauben reden
Generationendialog und Geschichtspolitik in Russland
Der 65. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg im Mai 2010 ist der letzte, den eine nennenswerte Zahl von Kriegsteilnehmern noch erlebt. Vor zehn Jahren stand dem Mythos vom glänzenden Sieg noch die lebendige Erinnerung von Millionen Kriegsteilnehmern entgegen. Heute ist die Weitergabe eigener Erinnerung praktisch versiegt. Junge Menschen sind in Russland einer ideologisierten, pseudopatriotischen Erinnerungspolitik ausgeliefert. An sich wäre das Familiengedächtnis eine Quelle der Erinnerung. Doch selbst das war immer fragmentiert und widersprüchlich. Traumata und Zensur verhinderten, dass die Alten sich öffneten. Die umstürzende Dynamik der 1990er Jahre führte dazu, dass den Jungen die Werte und Erfahrung der Alten nichts mehr galten. Ein Zwiegespräch über historische Erfahrungen kam so kaum zustande.