Heinz Bude

is a German sociologist and teacher. His latest book is ‘Solidarität. Die Zukunft einer großen Idee’ (2019)

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Bedenke die Form!

Der amerikanische Politikwissenschaftler Tom Lampert im Gespräch mit Heinz Bude und Thomas Medicus

Bereits im Jahre 2001 ist Tom Lamperts Buch “Ein einziges Leben. Acht Geschichten aus dem Krieg” bei Hanser erschienen. Seit 2004 ist es auch in einer englischen Version greifbar. Entstanden auf der Grundlage mehrjähriger Archivrecherchen in den USA, Deutschland, Polen und den Niederlanden, widmet sich die Monographie acht unterschiedlichen Lebensläufen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Obwohl sich gerade das biographische Genre in den letzten Jahren zunehmend der deutschen Vergangenheit zugewandt hat, sind Lamperts Rekonstruktionen bis heute ebenso ungewöhnlich wie wegweisend geblieben. Für eine Bilanz des bundesdeutschen Erinnerungsdiskurses, der sich auf der Schwelle zu einer neuen Epoche befindet, bieten sie sich deshalb ebenso an wie für Sondierungen einer Zukunft des Erinnerns, die faktisch schon begonnen hat.

Vielleicht ist es kein Zufall, daß ein den gewohnten Deutungsmustern deutscher Vergangenheit derart zuwiderlaufendes Buch einen notorischen Abweichler zum Autor hat. Labyrinthisch hat sich der während seiner Arbeit an den “Acht Geschichten” in Berlin lebende Amerikaner Lampert – er hat in Stanford Politikwissenschaft studiert und an der Cornell University promoviert – über die Grenzen seiner eigenen wissenschaftlichen Disziplin wie die der Geschichtswissenschaft hinweggeschrieben. Erich Kube, Erich von dem Bach-Zelewski und Karl Loewenstein werden im folgenden Gespräch stellvertretend für die übrigen fünf Protagonisten des Buches häufiger zitiert. Der Antisemit Erich Kube setzte sich als Generalkommissar in “Weißruthenien” für das Leben von Juden im Minsker Ghetto ein und fiel 1943 einem von Partisanen verübten Sprengstoffanschlag zum Opfer. SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski, “Höherer SS- und Polizeiführer Russland-Mitte”, verantwortlich für zahlreiche Massenvernichtungsaktionen, betrieb sein mörderisches Tun bis zum Ende des Kriegs. Und Karl Loewenstein, Leiter der jüdischen Ghetto-Polizei in Theresienstadt, wurde nach dem Kriegwegen seiner Tätigkeit sowohl der Kollaboration bezichtigt als auch für seinen Widerstand gewürdigt. Um die Komplexität und Ambiguität des dokumentarischen Materials optimal zu entfalten, hat Lampert, wie das Nachwort zu seinem Buch hervorhebt, sämtliche Geschichten nicht als wissenschaftliche Analysen, sondern als Erzählungen verfaßt.

Lamperts biographische Experimente bewegen sich also bewußt im Unerprobten und dem vom offiziellen Erinnerungsdiskurs Mißachteten. Dabei opponiert seine Darstellung der Geschichte nicht nur strikten Gattungstrennungen zwischen Literatur und Dokumentation. Sie pflegt zudem eine Lakonie, die vermeiden will, was Lampert im Gespräch die “Adjektivierung” nennt. Der asketische Umgang mit den Eigenschaftswörtern bringt jene Skepsis zum Ausdruck, mit der Lampert der Instrumentalisierung von Gefühlen und Moralvorstellungen begegnet, die für seine Einschätzung den offiziellen bundesrepublikanischen Erinnerungsdiskurs nicht zu seinem Vorteil geprägt hat. Die Kritik des 1962 in Boston geborenen Lampert wirft im Grunde die Frage auf, ob und wie kollektives Erinnern jenseits einer medial überstrapazierten Wirkungsästhetik von Furcht, Mitleid und Katharsis vorstellbar sei. In diesem Kontext scheint die Tradition einer Geschichtserinnerung auf, die von einer ganz auf die Rationalität moralischer Empfindungen setzenden öffentlichen Meinung in eine andere Sphäre abgedrängt worden ist. Im Rekurs auf Alexander Kluges literarischen Eigensinn wird dem gegenüber das Formbewußtsein eines Erinnerns geltend gemacht, das nicht Wiedervergegenwärtigung will, sondern den irreversiblen Übergang zur Geschichte als Chance für noch unerprobte Weisen des Gedenkens begreift. Ob generationell bedingte Distanzen dem nationalsozialistischen Totalitarismus dank größerer Nüchternheit und kontingenzsensibler Aufmerksamkeit besser gerecht werden, müssen kommende Diskussionen klären. Mögliche Fluchtlinien skizziert das folgende Gespräch.
Heinz Bude und Thomas Medicus

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