Asien-Pazifik: Mit oder gegen China?

Besser hätte es für die chinesische Führung beim APEC-Gipfel Anfang Oktober in Indonesien und beim folgenden ASEAN-Gipfel im Sultanat Brunei gar nicht laufen können: Zu beiden Treffen konnte US-Präsident Barack Obama nicht kommen, weil die konservative Opposition seine Gesundheitsreform zerfleddern wollte und dafür sogar bereit war, die eigene Regierung in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben. Und auch beim dritten Gipfeltreffen, ebenfalls in Brunei, bei dem das TPP-Handelsabkommen (Trans Pacific Partnership) weiter verhandelt werden sollte, war Obama nicht anwesend. Dabei sind es vor allem die USA, die auf einen Verhandlungsabschluss bis Jahresende drängen.

Puzzling out a solution between nations. Photo: nogoudfwete. Source:Shutterstock

So aber konnten Chinas Präsident Xi Jinping und sein Premierminister Li Keqiang Obamas Abwesenheit ungehindert für Chinas Charmeoffensive nutzen. Xi besuchte vor dem APEC-Gipfel Malaysia, das Obama auch hatte besuchen wollen, sprach im indonesischen Parlament und vereinbarte mit dessen Regierung Geschäfte im Wert von 20 Mrd. Dollar. Auf dem APEC-Gipfel warb er dann für die chinesische Version einer transpazifischen Partnerschaft. Das aber wäre eine Partnerschaft, in der China mit seinen Vorstellungen von freiem Handel und einer erzkapitalistischen und zugleich staatlich gelenkten Wirtschaft das Sagen hätte.

Chinas Softpower und seine Finanzkraft gegen ein Amerika, dessen Regierung die eigenen Beamten wegen kurzfristigen Geldmangels nach Hause schicken musste: Das war die Alternative, die die Staaten der Asien-Pazifik-Region bei den drei Gipfeltreffen vorgeführt bekamen. Nicht, dass Präsident Obama bei wirklich wichtigen Entscheidungen gefehlt hätte. Es war vielmehr das Bild der Unzuverlässigkeit der US-Regierung, das sein Fernbleiben hinterließ – ein Fernbleiben, das in einem Kulturkreis sehr viel negativer vermerkt wird, in dem persönliche Beziehungen in der Politik eine sehr viel größere Rolle spielen als im Westen.

Obamas Containment-Politik

Besonders peinlich war, dass Obama schon den dritten Besuch in Indonesien absagte – ein Land, dem er angeblich besonders nahesteht, weil er dort als Kind gelebt hat. Paradoxerweise sind es ja gerade die USA, die auf einen raschen Abschluss der TPP-Verhandlungen drängen: zum einen, um ihre nicht sonderlich florierende Wirtschaft anzukurbeln, zum anderen aber, und das dürfte schwerwiegender sein, betrachten die USA das TPP-Abkommen als ein geeignetes Mittel, um die Länder Südostasiens wirtschaftlich an die USA zu binden und sie nicht in Abhängigkeit von China geraten zu lassen. Peking wirft den USA dagegen vor, in Ostasien eine Containment-Politik zu betreiben und auf diese Weise China durch ein Netz von Verbündeten von Korea bis Indien einschließen zu wollen. Dieser Vorwurf hat eine militärische und eine wirtschaftliche Komponente. So suchen die USA die militärische Zusammenarbeit mit den ost- und südostasiatischen Ländern von Korea bis Indien auszubauen, so wie sie das einst in Europa unternommen haben, als die Sowjetunion durch die Nato von der Türkei bis Norwegen eingeschlossen war. Tatsächlich spricht einiges dafür, dass die USA diese Strategie in Asien wiederholen wollen, obwohl ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China sehr viel enger sind als ihre Beziehungen zur Sowjetunion in der Nachkriegszeit.

Zudem sind auch die südost- und ostasiatischen Länder wirtschaftlich sehr viel enger mit China verbunden als die EWG mit der COMECON und der Sowjetunion. Für die Mitglieder der ASEAN, für Südkorea und auch für das China politisch gar nicht wohlgesinnte Japan, ist das Handelsvolumen mit China größer als das mit den USA. Der enge US-Verbündete Australien ist in besonderer Weise wirtschaftlich von China abhängig. Es verdankt seine langjährige glänzende Konjunktur vor allem dem Handel mit China, allein 25 Prozent seiner Erz- und Kohlenexporte gehen dorthin. Die USA müssen sich daher auf eine Strategie der wirtschaftlichen Einbindung Pekings in das TPP-Abkommen einlassen, anstatt China auszuschließen.1

Vorbild Clinton

Ein Vorbild dafür könnte die Politik Bill Clintons sein. In den 90er Jahren gelang es dessen Regierung, China den Weg in die Welthandelsorganisation (WTO) zu ebnen. Der Beitritt wurde dann 2001 vollzogen. Kritiker Chinas behaupten allerdings, der Versuch, China in die WTO zu integrieren, sei gescheitert: Die Rechtsverhältnisse in Chinas Wirtschaft entsprächen nicht den Normen der WTO und allzu viele willkürliche Hindernisse erschwerten den Zugang zum chinesischen Markt.

Gewiss würden sich für den Fall einer Aufnahme Chinas in die TPP wieder ähnliche Probleme ergeben. In Chinas Wirtschaft gehören nach wie vor große Firmenkonglomerate dem Staat oder undurchsichtigen Gruppen, in denen KP-Funktionäre das Sagen haben oder gar deren Eigentümer sind. Mit den Regeln einer modernen Marktwirtschaft ist das nicht zu vereinbaren. Die USA sträuben sich daher gegen die Aufnahme Chinas in das TPP-Abkommen. Das Problem ist nur, dass andere TPP-Mitgliedskandidaten ebenfalls nicht der amerikanischen Vorstellung einer transparenten Wirtschaft entsprechen, die USA aber sehr wohl geneigt sind, darüber hinwegzusehen. Und auch die USA selbst akzeptieren gegebenenfalls die Regeln des von ihnen propagierten freien Handels nicht, wenn diese mit großen Nachteilen für Teile der US-Wirtschaft verbunden sind oder ihre Sicherheitsinteressen gefährden.

Vergleicht man zudem die Situation zu Beginn der 90er Jahre, als Clinton sich für Chinas Beitritt zur WTO engagierte, mit der Situation heute, so hat China ein ungleich größeres wirtschaftliches und politisches Gewicht als damals. In zwei Wirtschaftskrisen, der Asienkrise von 1997 und der Weltwirtschaftskrise nach dem Lehman-Schock von 2008, erwies sich China als ein Fels der Stabilität. Das chinesische Bruttoinlandsprodukt wuchs von 2000 bis 2012 von 1,22 auf 8,22 Billionen Dollar. Damit ist China heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt; Berechnungen der OECD zufolge wird es die USA bereits 2016 als größte Volkswirtschaft ablösen.

Kurzum, was in der Clinton-Ära galt, gilt heute, angesichts eines äußerst selbstbewussten Riesenreichs der Mitte, umso mehr: China muss in die Weltwirtschaft eingegliedert werden, um es auf diesem Weg auch politisch besser in die Staatengemeinschaft einzubinden.

Deshalb müssen die USA alles tun, um China zu integrieren, statt vergeblich zu versuchen, es zu isolieren. Eine offene wirtschaftliche Konfrontation mit der künftigen Wirtschaftsmacht Nummer eins können die USA ohnehin nicht gewinnen.

Befriedung durch Institutionenbildung

Wie aber wäre eine solche Einbindung und Einhegung Chinas erfolgreich zu bewerkstelligen?

Der Politikwissenschaftler G. John Ikenberry, zeitweiliger Berater der Clinton-Regierung, entwickelte bereits 2001 die These, dass Institutionenbildung ein Mittel ist, Konflikte zwar nicht zu lösen, sie aber nicht ausufern zu lassen.2 Ein TPP-Abkommen, das China einschließt, dient so gesehen nicht nur dem Abbau von internationalen Handelshindernissen, sondern auch der Begrenzung von Wirtschaftskonflikten mit dem schwer zu bändigenden Wirtschaftsriesen China. China selbst hat im Frühjahr 2013 sein Interesse an einer Mitgliedschaft in der TPP signalisiert. Die USA und die anderen TPP-Kandidaten sollten nicht zögern, darauf einzugehen.3

Die politisch-militärische Bändigung Chinas dürfte dagegen erheblich schwieriger sein, weil hier die großen nationalen Emotionen ins Spiel kommen. Auf Chinas Seite ist dies die immer noch schwärende Wunde der nationalen Demütigung durch die Kolonialmächte im 19. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert durch das kleine Japan, das einstmals jährliche Tributzahlungen an China zu leisten hatte. Alle Nachbarländer Chinas waren viele Jahre lang mehr oder weniger dessen Vasallen. China verstand sich selbst als Mittelpunkt der Welt, um dann über 150 Jahre nur Demütigungen zu erfahren.

Doch “China is back” lautet ein großmäuliger Spruch des japanischen Premiers Shinzo Abe, wenn auch leicht abgewandelt. Doch im Unterschied zu Japan, wo man eher den Eindruck hat, beim aktuellen Aufschwung handele es sich um eine neue Blase, die irgendwann platzen wird, ist China wirklich zum zweitmächtigsten Land der Erde geworden.

China hat sich dabei auch von Deng Xiaopings Diktum verabschiedet, wonach außenpolitische Zurückhaltung das sicherste Mittel sei, um zu einer wohlhabenden Nation zu werden. Das zeigt sich vor allem in der Art und Weise, in der das Land seine territorialen Ansprüche durchzusetzen sucht, im Südchinesischen Meer gegenüber Vietnam und den Philippinen und im Ostchinesischen Meer gegenüber Japan.

Die USA verstehen sich in beiden Regionen als in der Sache neutrale Partei, die für die Lösung der territorialen Konflikte auf dem Verhandlungsweg eintritt. Für sich selbst beanspruchen sie den freien Zugang zu diesen Seegebieten. Für China verbirgt sich dagegen hinter der Inanspruchnahme der Schiedsrichterrolle durch die USA deren hegemoniales Interesse. Somit überlagern sich in Ost- und Südostasien zwei Konflikte: die regionalen Konflikte zwischen China und den maritimen Anrainern und die hegemonialen Konflikte Chinas und der USA.

Der Abstieg der USA

Noch in den 90er Jahren waren die USA mit ihren Flugzeugträgern die dominierende Seemacht in der Region. Als China 1996 Taiwan während dessen Präsidentschaftswahlkampf mit Raketentests bedrohte, entsandte die US-Regierung prompt einen Flugzeugträgerkampfverband in die Straße von Taiwan, um die Situation zu entschärfen. Eine solche Aktion müssten sich die USA heute zweimal überlegen, weil China längst bewiesen hat, dass es mit seinen Unterseebooten den amerikanischen Flugzeugträgern gefährlich werden kann. Zudem besitzt oder entwickelt China derzeit eine vom Festland abzuschießende Rakete, mit der auch Flugzeugträger versenkt werden können. Kurzum: Die USA haben ihre vormals überragende militärische Dominanz auf See gegenüber China verloren. Und selbst wenn sie einen Seekrieg gegen China gewinnen würden, was käme dann? Ein Landkrieg oder ein atomarer Raketenkrieg?4

Offensichtlich existieren für die USA heute keine realen militärischen Möglichkeiten gegen China. Hinzu kommt, dass sie auch nicht mehr über die finanziellen Mittel verfügen wie noch vor dem Irakkrieg. Die USA haben sich schlicht übernommen; damit ist das eingetreten, was der Historiker Paul Kennedy die “Überdehnung” der eigenen Kräfte nennt, welche jedes Weltreich irgendwann erfasst.5 Das heißt, die USA verfügen heute nicht mehr wie noch vor 20 Jahren über scheinbar unbegrenzte Mittel für ihre Streitkräfte. Chinas finanzielle und technologische Möglichkeiten wachsen dagegen weiter.

Wegen der zunehmenden chinesischen Stärke rät der australische Politikwissenschaftler, ehemalige Intelligenzanalyst und Regierungsberater Hugh White den USA zu einem Konzept der Machtteilung in Ostasien, an dem die verschiedenen ostasiatischen Staaten teilhaben sollten.6 Als Vorbild dient ihm das vom österreichischen Fürsten Metternich nach der Niederlage Napoleons auf dem Wiener Kongress geschaffene System gleichberechtigter Mächte, die sich gegenseitig kontrollieren und dafür sorgen, dass kein einzelner Akteur ein strategisches Übergewicht gewinnt. Das aber verlangt von den USA, ihre gewohnte Dominanz aufzugeben, und von China, nicht zu seinem alten System eines von Vasallenstaaten umgebenen Reichs der Mitte zurückzukehren.

Frieden im Geiste Metternichs

Zugegeben, die Chancen für ein solches System gleichberechtigter Mächte sind derzeit vermutlich nicht allzu hoch. Stattdessen könnten die beiden regionalen Supermächte, China und die USA, versucht sein, Alliierte um sich zu scharen. Auf diese Weise käme es zu neuerlicher Parteiung und Konfrontation. Gelänge es aber, das White-Metternich-Modell zu institutionalisieren, wäre damit Ikenberrys Institutionenmodell verwirklicht.

Zu Recht geht dieses nicht von einer endgültigen Lösung zwischenstaatlicher Konflikte aus, sondern begreift sich als ein Instrument, das die Entgrenzung von Konflikten verhindern soll. Eine derartige Konfliktregelung wurde in der Region schon einmal angedacht, nämlich bei der Institutionalisierung der Sechser-Gespräche zu Nordkorea. Die Sechsnationengruppe sollte eigentlich zu einem Forum werden, das nicht nur die atomare Abrüstung Nordkoreas zum Ziel hat, sondern darüber hinaus andere zwischenstaatliche Probleme diskutiert. Leider ist daraus in der Vergangenheit nichts geworden.

Doch der Ansatz bleibt der einzig erfolgversprechende. Nur wenn die zunehmende Rivalität zwischen China und den USA begrenzt und eine mögliche Lagerbildung frühzeitig eingedämmt wird, hat die ostasiatisch-pazifische Region gute Aussichten auf eine friedliche Zukunft.

Pilling David, It won't be easy to build an anyone but China club, in: "Financial Times", 22.5.2013.

G. John Ikenberry, After Victory: Institutions, Strategic Restraint, and the Rebuilding of Order after Major Wars, Princeton 2001.

After Japan joins talks, China considering TPP, in: "Japan Times", 1.6.2013.

Hugh White im Interview, US should share power with China, in: "Asahi Shimbun", 7.3.2013.

Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt a.M. 1987.

Hugh White, The China Choice: Why America Should Share Power, Collingwood/Australien 2012.

Published 18 December 2013
Original in German
First published by Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2013

Contributed by Blätter für deutsche und internationale Politik © Siegfried Knittel / Blätter für deutsche und internationale Politik / Eurozine

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